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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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Tradition im Laptop

14. Juli 2009 / Kommentare (0)

Bei uns nur wenig bekannt, ist Jahtari in Großbritannien ein echter Exportschlager. Insbesondere Label-Mitbetreiber Jan Gleichmar alias Disrupt gilt auf der Insel als neuer Dub-Held. Nebenbei hat das Label sein eigenes Genre begründet: Digital Laptop Reggae.

Die Zahl der Net-Labels, die ihre Musik ausschließlich kostenlos über das Internet veröffentlichen, ist in den letzten fünf Jahren drastisch gestiegen. Den Überblick zu bewahren, und Qualität von Hobby-Produktionen zu unterscheiden, fällt dabei immer schwerer. Erstaunlicherweise agiert ein Großteil jener Labels im Bereich der elektronischen Musik, Dub- oder Reggae sind selten zu finden. Das mag an der traditionellen Verbundenheit dieser Genres mit dem Format Vinyl und den so genannten Dub-Plates liegen.

Ausgerechnet aus Leipzig kommt jedoch ein Label, dass sich den Wurzeln von Dub und Reggae verschrieben hat, sie aber mit neuen Methoden und aktuellen musikalischen Facetten voran bringen möchte: Jahtari. Ein Kunstwort aus Jah und Atari, das diese Verbindung bereits im Namen deutlich macht – Jah, die Gottesbezeichnung der Rastafaris, gehört fest zum Reggae-Slang, der Atari hat als einer der ersten Computer das Musikmachen revolutioniert.

Ende 2004 von Jan Gleichmar alias Disrupt und Christoph Röpke alias Rootah gegründet, ist das Jahtari-Profil bereits sehr ausgereift und wird dank der schnellen Netzwerk-Möglichkeiten im Internet auch international wahrgenommen. Kein Wunder, kommen viele, der bei dem Leipziger Label, veröffentlichten Tracks von Musikern aus Schweden, Dänemark, den USA oder Frankreich. „Wir schieben gar nicht so viel an, durch das Internet passieren die Dinge oft von sich aus“, sagt Disrupt und freut sich über das positive Feedback. „Wir sind eigentlich keine Freunde von MP3. Deshalb haben wir versucht das Vinyl-Feeling ins Netz mit einzubeziehen“, meint der freiberufliche Kamera-Assistent weiter. Jede Net-7“ hat daher eine A- und B-Seite und beginnt mit dem typischen Schallplatten-Knistern.

Roots mit neuen Mitteln
Doch das war es auch mit dem Hang zum Traditionellen. Produziert wird zumeist am Computer, und zwar „Digital Laptop Reggae“. Ein Paradoxon, das anfangs experimentell ausgereizt werden sollte, sich mittlerweile aber bewährt hat. Denn Dub und Reggae beruhen auf einem voluminösen Bass und dem Sound von alten Effekt-Geräten. Dass dies auch digital möglich ist, schien den Dub-Reggae-Hardlinern lang nicht denkbar.

„Das Problem an heutigen Dub- und Reggae-Platten ist, dass sie wie zur Blütezeit um 1970 klingen wollen. Irgendwann hat sich das tot gelaufen“, resümiert Disrupt und spannt damit zugleich den Bogen zu Jahtari. Dub ist der Ausgangspunkt, mit dem Computer wird schließlich da weiter gemacht, was mit altem Equipment nicht möglich ist.

Der Diskurs um diese Digital-vs.-Oldschool-Grundsatzfrage scheint für Jahtari ebenso wichtig wie die Musik selbst. Sogar eine eigens formulierte Theorie in drei Punkten gibt es auf der Label-Website nachzulesen, und auch die Geschichte von Dub und Reggae wird ausführlich erzählt. So verkopft das klingen mag, den Tracks von Künstlern wie Bo Marley, die britische Legende Mikey Murka, Volfoniq oder Roots Ista Posseist dies nicht als überbetonte Attitüde anzuhören.

Die bisher zwölf veröffentlichten Net-7“ und vier Net-EPs sind mal überaus eingängig mit Gesang, mal eher Track orientiert und gemächlich. Auch wird nicht dogmatisch nur auf den Computer gesetzt. Wer alte Geräte hat, wird sie auch einsetzen. Denn das Knöpfendrehen an richtigen Echoboxen und Synthesizern macht das Jammen einfacher und spannender, als mit der Maus in Sound-Bibliotheken nach dem gewünschten Stück zu suchen. Insofern könnte das Credo „Digital Laptop Reggae“ auch aus der Not heraus geboren sein. Denn eine originale Echoplex oder ein Roland SpaceEcho sind schwer zu bekommen und kosten dementsprechend.

Digitale Höchstauflagen
Größter Hit für Jahtari war bisher der Song „Bauhelm“ von der dänischen Band Bo Marley – 30.000 Downloads. Die aktuelle Net-7“ des Leipziger Projekts Illyah & Ltd. Candy wurde innerhalb der ersten drei Wochen bereits 2.500mal herunter geladen – Im Durchschnitt „ziehen“ sich 2.500 bis 5.000 User die Jahtari-Releases. Enorme Zahlen, wenn man bedenkt, dass ein konventionelles Indie-Label meist nur Auflagen von 500 bis 1.000 Kopien pressen lässt.

Klassische Reggae- und Dub-Fans von Anfang an sind Disrupt und Rootah nicht. Beide mit Kurzhaarfrisur und musikalisch von elektronischer Musik wie Drum and Bass, Techno und Electronica sozialisiert, kamen sie um das Jahr 2000 dazu, als sie die Tracks von Basic Channel und Rhythm & Sound für sich entdeckten. Die Berliner Producer griffen bereits Mitte der Neunziger Dub und Reggae auf und brachten sie mit Techno und Electronica zusammen.

jahtari_portraitAls Disrupt produziert Jan Gleichmar (im Bild rechts) erst seit circa vier Jahren Dub-Stücke, und das Interesse an seinen Tracks wächst. In Kürze veröffentlicht das britische Label Werk Discs ein Album sowie einige EPs von ihm. „Vielleicht ergibt sich über diesen Kontakt auch ein Vertriebsdeal“, hofft Gleichmar, denn optimal wäre für den gebürtigen Thüringer eine Mischform aus Net- und Vinyl-Label. Ohne Vertrieb würde sich das Pressen von Platten allerdings nicht lohnen.

Interessant ist darüber hinaus, dass Jahtari als Dub/Reggae-Netlabel sowohl im Musik- als auch im Kunstumfeld beachtet wird. So spielten Disrupt und Rootah sowohl auf der 2006er Transmediale in Berlin als auch auf größeren Dub- und Electronica-Events in Warschau oder wie vor wenigen Wochen in Großbritannien. „Wir standen da in Schottland mit dem Mungo’s Hifi Sound System auf einer Bühne mit 16 Kilowatt-Anlagen, das war ein unglaublicher Sound.“, erinnert sich Jan Gleichmar.
(Erstveröffentlichung im Kreuzer 0507)

Jahtari Website
Mehr zu Jahtari bei frohfroh

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