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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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20 Jahre Drug Scouts – Interview

13. April 2016 / Kommentare (2)

1996 entstand aus der Leipziger Party-Szene heraus das Drogenberatungsprojekt Drug Scouts. In diesem Jahr feiert es sein 20. Jubiläum. Zeit für ein ausführliches Interview.

Er ist eine Institution in Leipzig: Und doch ist der Drug Scouts-Laden in der Eutritzscher Straße derzeit von außen kaum zu erkennen. Ein Gerüst verhüllt den Fensterbereich. Nicht weil renoviert wird, sondern als Schutz vor herabfallenden Teilen der maroden Fassade. Lange wird das Drogeninformations- und -präventionsprojekt jedoch nicht mehr in dieser zentralen und dennoch etwas abschüssigen Ecke Leipzigs bleiben. Im Sommer steht ein Umzug an – wohin ist noch ungewiss.

An der wertvollen Arbeit wird sich nichts ändern. Drogen und Clubkultur sind seit jeher eng miteinander verbunden und hier setzen die Drug Scouts seit 20 Jahren an: Sachlich informieren, Empfehlungen und Tipps zum Minimieren der Risiken mitgeben. Das passiert nicht nur am Telefon oder zu den Beratungszeiten des Ladens. Auch die Website der Drug Scouts ist eine wichtige Informationsquelle und Plattform zum Austausch von Erfahrungen und Warnungen. Wir wollten zurückschauen und auf aktuelle Tendenzen blicken – zum Interview traf ich Katrin Schröder, die sich trotz der Jubiläumsvorbereitungen und des laufenden Tagesgeschäfts Zeit dafür nahm.

Nach 20 Jahren gibt es sicher eine Menge auf das zurückgeschaut werden kann. Wie ist es bei euch – habt ihr das im Vorfeld des Jubiläums auch reflektiert?

Es kommt jetzt schon öfter vor, dass wir in die Vergangenheit schauen. Gerade wenn wir über alte Fotos oder E-Mails stolpern und überlegen, was gemeinsame Höhepunkte waren. Was mir in der Rückschau auffällt, ist, dass sich der Stand des Projektes und der akzeptierenden Drogenarbeit an sich auf jeden Fall gewandelt hat. Ich bin nicht seit 20 Jahren dabei, aber ich weiß es aus meiner Anfangszeit vor zehn Jahren, dass man damals sehr viel kritischer betrachtet wurde – zumindest von etablierten Suchtberatungsstellen oder allgemein von der Stadt.

Bei den Userinnen und Usern hatten wir schon immer einen guten Stand. Für die ist das Projekt ja auch entstanden, aber selbst da gab es bei einigen Partygängerinnen und Partygängern das Vorurteil, dass uns alles egal sei, wir würden den Leuten erzählen, dass sie Drogen nehmen sollen, Hauptsache man nimmt ein Ziehröhrchen und alles ist okay. Diesen Ruf hatten wir schon manchmal. Ich glaube in dem Punkt hat sich auch was gewandelt. Es gibt heute mehr das Wissen, dass akzeptierende Drogenarbeit nicht nur heißt, ‚macht mal alle’, sondern ‚denkt darüber nach, was ihr macht, es gibt Mittel und Wege, um Risiken zu minimieren.’

In der Stadt haben wir jetzt auf jeden Fall eine viel stärker anerkannte Position. Wir sind in verschiedenen Arbeitskreisen drin, können bei gewissen Sachen mitreden und haben ein gewisses Back-up, wenn mal etwas passiert, wie vor ein paar Jahren im lokalen Wahlkampf, als wir von der Presse sehr stark angegriffen wurden.

Was waren konkrete Meilensteine?

Für uns greifbar ist ein Preis, den wir vor einigen Jahren von „akzept e.V. – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik“, erhalten haben. Das ist ein Verband von Wissenschaftler_innen sowie Einrichtungen und Trägern der Suchthilfe, der 1990 gegründet wurde, und die Idee von akzeptierender Drogenarbeit sehr weit nach vorn gebracht hat.

Dieser Verband kam ursprünglich eher aus der „Heroin-Ecke“ und wir mussten uns erstmal an sie annähern, weil wir eher aus der Party-Drogen-Ecke kommen. In der Zeit, in der wir so stark angegriffen wurden, haben sie uns auch als eine Art Symbol der Anerkennung den Josh-von-Soer-Preis verliehen. Das war für uns ein schöner und wichtiger Punkt.

Hat sich in der Zeit etwas an der Arbeit geändert, was die Themen, Methoden oder den Umfang angeht?

Gefühlt wird es immer mehr, was wir machen. Wir haben uns aber auch ein stückweit professionalisiert. Anfangs haben hier zwei Jahre lang die Leute ausschließlich ehrenamtlich gearbeitet. Das war eine Initiative aus der Party-Szene heraus – zwar auch mit angehenden Sozialarbeiter_innen –, die das auf die Beine gestellt hat. Dementsprechend hat es auch eine Weile gebraucht, bis es auf dem Level von heute war, bei dem man in Arbeitskreisen involviert ist und intern strukturierter arbeitet.

Was anfangs häufiger war und mittlerweile wieder zugenommen hat, ist die Arbeit auf den Partys. Da waren wir zwischendurch tatsächlich weniger unterwegs. Außerdem kommt die Weiterbildung für Club- und Barpersonal sowie Partymacher_innen immer mehr dazu. Das finden wir sehr cool, weil der Gedanke, dass man sich als Veranstalter_in um seine Gäste kümmert und nicht ignoriert, dass Drogen dort auch eine Rolle spielen, viel mehr in den Köpfen drin ist.Habt ihr mit Angeboten speziell in die Richtung hingearbeitet oder ist bei den Veranstaltern ein anderes Bewusstsein aufgekommen?

Es ist beides, glaube ich. Zum einen bieten wir schon länger einen Kurs „Erste Hilfe im Drogennotfall“ an, der am Anfang viel von Sozialarbeiter_innen, aber immer auch von Party-Gästen genutzt wurde. Es ist einerseits bekannter geworden, dass wir diesen Kurs haben, andererseits ist aber auch das Bewusstsein stärker geworden – vielleicht auch, weil es eine Zeitlang vermehrt zu Notfällen kam, gerade mit GHB/ GBL- und Alkohol-Mischungen.

Es ist ja manchmal so, dass man gezwungen ist, einen Umgang mit etwas zu finden. Dann kann man versuchen, die Substanz zu verbannen und wenn das nicht klappt – was meist nicht klappt –, versucht man einen Umgang damit zu finden. Das kann durchaus mit ein Grund sein.

Wie viele seid ihr insgesamt?

Wir sind drei Festangestellte, die sich zwei Stellen teilen. Dann haben wir meist zwei bis drei Praktikant_innen, zwei unterstützende Honorarkräfte und ganz viele Freiwillige – das ist wirklich besonders. Im Moment sind es tatsächlich über 50 Leute, die mehr oder weniger regelmäßig am Projekt mitarbeiten. Das ist sehr cool, man muss es aber erst einmal handlen. Denn es ist auch neu: Lange gab es einen festen Stamm von 20 Leuten und jetzt sind auch viele Leute von außen dazugekommen, die wir über Partys kennen oder die sagen, ‚das Thema betrifft mich direkt oder indirekt und ich würde gern etwas mit verändern oder lernen, damit umzugehen.’

Wie ist das bei den Beratungen am Telefon oder hier im Laden: Gibt es da Häufungen bei bestimmten Usergruppen?

Im Laden sind bei den jungen Usern unter 27 Jahren die Themen meist Kiffen und Crystal, wenn man es bei den Substanzen festmacht. Dann geht es auch viel um Konsumreflexion: Wo stehe ich mit meinem Konsum? Ist das noch okay oder nicht mehr okay? Oder es kommen Leute, die bereits erkannt haben, dass es zu viel ist und die erstmal nach Unterstützung suchen.

Dabei muss man wissen, dass wir selbst keine Suchtberatung im klassischen Sinne anbieten. Wir begleiten nicht über einen längeren Zeitraum Leute, aber wir können sie darüber aufklären, was es für Möglichkeiten gibt. Mittlerweile finden sich auch Angebote dafür im Internet. Da geht es dann darum, herauszufinden, was das passende Angebot sein könnte.

Als große weitere Gruppe kommen Angehörige zu uns. Eltern und Großeltern natürlich, aber auch immer mehr gleichaltrige Angehörige. Oft konsumieren sie selbst, und wenn sie merken, dass es beim Kumpel, Freund oder der Freundin zu viel wird und dass sie sich verändern, dann fragen sie nach Rat. Das ist natürlich auch schwierig, dem Anderen auf dem gleichen Level zu sagen, dass man das nicht mehr so cool findet – gerade wenn man dem Thema offen gegenübersteht. Manchmal bringen sie die Freunde auch mit.

Wo gibt es aktuell großen Beratungsbedarf?

Bei uns war es nie so, dass eine Sache richtig krass war. Die Klassiker sind Kiffen und Crystal. Crystal hat schon zugenommen, aber das war schon immer ein Thema bei uns, auch Anfang der 2000er Jahre. Schon vor vor zehn Jahren wurde von den Medien eine „Crystal-Welle“ ausgerufen und jetzt ist wieder eine. Es ist auch tatsächlich mehr gerade, aber insgesamt war es recht stetig mit einer leichten Erhöhung aktuell. Ansonsten bleiben Nachweiszeiten und MPU ein großes Thema, besonders am Telefon.

Was neuer ist und mit dem wir hauptsächlich durch die Erfahrungsberichte auf unserer Website zu tun haben, sind Räuchermischungen. Halblegale Substanzen, die man über das Internet erwerben kann und die als Cannabis-Ersatzstoffe gehandelt werden – da haben wir einen extremen Anstieg an Erfahrungsberichten, die seit zwei Jahren zu 98 Prozent negativ ausfallen. Das ist bei keiner anderen Substanz so. Da geht es fast nur um negative Erscheinungen nach dem Konsum und sehr krasse Auswirkungen, wenn man es nach einer Weile absetzt. Die Leute sind da durch ihre schlechten Erfahrungen sehr bemüht, davor zu warnen.Das sind die synthetischen Substanzen, die eine gewisse Zeit legal erhältlich sind, weil die Einstufung ins Betäubungsmittelgesetz immer etwas braucht?

Für die Räuchermischungen gilt das auf jeden Fall. Da sind meist synthetische Cannabinoide drin. Das macht es umso schwieriger, Leute darauf hinzuweisen, worauf sie aufpassen sollten, weil man überhaupt nicht weiß, was drin ist. Der Überbegriff dafür ist Neue Psychoaktive Substanzen (NPS), wo auch Mephedron dazu gehört, was als Badesalz verkauft wird. Die spielen teilweise eine Rolle in unserer Arbeit, aber im Vergleich zu den klassischen Substanzen wie MDMA und Cannabis nehmen diese neuen Substanzen einen relativ kleinen Teil ein.

Die neuen Substanzen werden häufig von sehr experimentierfreudigen Leuten konsumiert, die gern etwas ausprobieren und das oft durchdacht angehen. Ansonsten sind es aber meist Leute, die Drogentests zu befürchten haben und darauf ausweichen, weil die meisten dieser Substanzen nicht nachgewiesen werden können. Oder Leute im Strafvollzug, weil sie daran eher herankommen und regelmäßig getestet werden.

Aber es gibt auch sehr junge Leute, die aus Unwissen darauf kommen – von wegen: ‚Das kann ich mir im Internet bestellen. Das wird schon nicht so schlimm sein’. Oder weil sie auf Dörfern ohne Zugang zu anderen Quellen leben und dann im Internet bestellen.

Gutes Stichwort: Internet. Wie hat sich das in letzten Jahren bemerkbar gemacht?

Ich denke nicht, dass das Dark Net an sich einen großen Einfluss auf die User_innenzahlen hat, weil die Leute, die es machen wollten, immer schon einen Zugang dazu hatten. Mit dem Internet ist es natürlich bequemer und es gibt eine kleine Gruppe von jungen Leuten, die das vielleicht nicht gemacht hätten, wenn sie nicht Zugang durch den Freundeskreis bekommen hätten.

Aber ich würde behaupten, dass die meisten im Internet nicht einfach Crystal bestellen, um es mal auszuprobieren, sondern die kommen durch das Umfeld vorher dazu. Manchmal liest man auch, dass es Leute sind, die früher konsumiert haben und es jetzt wieder einmal probieren möchten, aber keine Connection mehr haben. Aber ich wage zu bezweifeln, dass sich dadurch die Konsumzahlen erhöht haben.

Wird heute anders konsumiert als vor 10 oder 20 Jahren? Geht man vorsichtiger um?

Meinem persönlichen Eindruck nach gibt es beide Schienen. Bei vielen jungen Leuten habe ich das Gefühl, dass sie sehr reflektiert mit dem Thema umgehen und bei denen ich auch sehr beeindruckt bin, wie sie sich Gedanken über ihren Konsum machen. Teilweise schreiben sie es sogar auf, damit sie nicht die Kontrolle verlieren.

Und gleichzeitig ist auch immer wieder zu hören, dass es eine nachwachsende Generation gibt, die mit dem Konsum noch etwas „unkomplizierter“ umgeht, weil sie in eine Szene hineinkommt, in der viel konsumiert wird und in der Leute schon etwas älter sind und vielleicht schon einen Umgang damit gefunden haben, der ihnen erlaubt, den Konsum gut in ihr Leben zu integrieren. Das sieht man aber natürlich nicht: Wenn man auf Party geht und oder auf der Afterhour sitzt, sieht man immer nur wie die Leute konsumieren, kann aber vielleicht gar nicht einschätzen, was die sonst noch im Leben machen. Machen die das jeden Tag? Wenn man dann jedes Wochenende auf der Afterhour ist, sind da ja auch immer Leute, aber vielleicht auch nicht immer dieselben, weil nicht immer alle das jedes Wochenende machen.

Aber mir wird manchmal zurückgemeldet, dass sich Leute Sorgen um Jüngere machen und das Gefühl haben, dass diese sehr unreflektiert konsumieren: Von allem, was gerade da ist ein wenig, egal ob das „Sinn macht“ und egal ob sich die Wirkungen gegenseitig aufheben. Das liegt natürlich nicht in unserer Hand und ich möchte das nicht beurteilen: Sie sind halt jung und machen das, was sie machen wollen. Es ist zumindest noch nicht so, dass wir sagen können, alle wüssten nun Bescheid und wir brauchen nicht mehr zu informieren. Es gibt auf jeden Fall weiter Bedarf.

Gibt es in der Leipziger Clubkultur Besonderheiten was die Drogenarten oder den Umgang mit Drogen angeht?

Mit Details würde ich mich eher zurückhalten, gerade was den Vergleich mit anderen Städten angeht. Wir betrachten ja mit Leipzig doch nur einen Ausschnitt. Was Klar ist, dass Crystal in allen ostdeutschen Clubs bis runter nach Bayreuth eine große Rolle spielt. Das ist mittlerweile auch in Berlin angekommen, aber hier ist es ganz anders integriert und auch schon seit Jahren.

GHB/GBL ist ebenfalls eine Droge, über die die Leute hier am Infostand sprechen wollen oder für die Dosierungshilfen mitgenommen werden. Das passiert woanders auch, aber wenn wir bei Festivals in Nordrhein-Westfalen sind, ist das weniger. Aus dieser Perspektive kann ich es beurteilen. Sonst sind es die Klassiker und auch Ketamin, wobei das mittlerweile auch in vielen deutschen und europäischen Städten eine Rolle spielt.

Mittlerweile scheint das Bewusstsein bei den Leipziger Clubs ausgeprägter zu sein bis hin zu einem richtigen Safer-Clubbing-Programm im Institut für Zukunft. Inwieweit wart ihr da involviert?

Mit den Leuten der Safer-Clubbing-Crew im IfZ gibt es tatsächlich personelle Überschneidungen von unseren Freiwilligen, durch die das Know-how mit einfloss. Auch bei dem Programm haben wir zusätzlich ein Feedback gegeben. Da war eine Connection da, sie ist es auch weiterhin, weil wir regelmäßig das IfZ-Personal schulen.

Ist das für dich der optimale Ansatz, den ihr euch für einen bewusst handelnden Club wünscht?

Es wäre total super, wenn es das noch mehr geben würde. Aber ich muss auch sagen, dass es beim IfZ sehr vorbildlich ist. Es ist genauso nachvollziehbar, dass nicht jeder Club eine eigene Safer-Clubbing-Crew stemmen kann. Aber es gibt ja auch andere Clubs bei denen wir das Personal geschult haben oder bei denen wir Infostände machen.

Ich denke, das ist enorm wichtig: Personalschulung ist ein ganz großer Schritt, damit die Leute wissen, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen können. Es ist ja auch klar, dass neben Alkohol auch andere Drogen konsumiert werden und da ist es gut, wenn die Wahrnehmung generell geschärft wird und nicht erst, wenn richtig große Probleme aufkommen. Es ist am Ende auch ein Service den Gästen Safer-Use-Material oder Informationen zur Verfügung zu stellen. Das kommt immer mehr an, was auch gut so ist.Wie oft seid ihr selbst mit euren Ständen vor Ort?

Letztes Jahr waren wir auf 15 Veranstaltungen in Leipzig. Und dann sind unsere Freiwilligen immer wieder auf Festivals wie der Fusion und dem Nachtdigital dabei.

Die Veranstalter buchen euch quasi und zahlen einen Unkostenbeitrag?

Genau. Gerade auf größeren Festivals müssen die Betreiber den Stand auch bezahlen – Fahrtkosten und eine Aufwandsentschädigung für das Material, das wir ausgeben. Die Freiwilligen bekommen kein Geld. Es ist leider nicht machbar, obwohl sie richtig viele gute Sachen machen. Ohne sie könnten wir die Angebote nicht aufrechterhalten. Sie machen zwar größtenteils die Nachtarbeit, aber da gehört auch vorher viel dazu mit Packen und Organisieren.

Gerade die Organisation mit den großen Festivals hat hauptsächlich ein Freiwilliger in die Hand genommen und das ist schon beeindruckend, was sie da reißen. Beim niederländischen Psy-Fi-Festival waren wir ein Team mit Leuten aus sechs Ländern und er hat das alles koordiniert.

Drug Checking bietet ihr selbst nicht an?

Nein, das dürfen wir nicht. Es geht in Deutschland generell nicht. Bis jetzt: hoffentlich bald in Berlin.

Wie sind die Erfahrungen aus Ländern, in denen es erlaubt ist? Wie oft weichen die erwarteten Inhaltstoffe von den tatsächlichen ab?

Genaue Prozentzahlen kann ich nicht nennen. Aber allgemein ist es so, dass sich überall dort, wo es Drug Checking gibt, tendenziell die Qualität verbessert hat. Phasenweise lässt sich beobachten, dass eine Substanz auftaucht, die dann statt MDMA viel in Ecstasy enthalten ist. Das ist teilweise ein europaweiter, teilweise nur ein lokaler Trend. Jetzt ist es seit einer ganzen Weile eher so, dass Ecstasy-Tabletten sehr hoch dosiert sind – mit teilweise über 200 mg pro Tablette –, was natürlich auch nach hinten los gehen kann.

Die andere Sache sind die Neuen Psychaktiven Substanzen, wie Mephedron, was ähnlich wie Ecstasy wirkt und als Ersatzstoff verwendet wird. Ansonsten ist Kokain tendenziell öfter gestreckt und weniger rein als Crystal hier in der Gegend. Wobei ich bei Crystal nicht viele Drug Checking-Ergebnisse kenne, weil das in den Ländern, in denen Drug Checking erlaubt ist, keine so große Rolle spielt wie hier. Bei Speed schwankt es extrem. Da hat man Proben mit 10 Prozent und dann – seltener zwar – auch mit 60 bis 70 Prozent.

Falls es in Deutschland irgendwann legal werden sollte, wäre das eine Dienstleistung, die ihr mit anbieten würdet?

Wir promoten das schon lange und sind auf jeden Fall starke Befürworter des Drug Checking, weil es ganz klar dem Schutz von User_innen dient, wenn sie wissen, wie viel drin oder ob eine arg gesundheitsgefährdende Substanz enthalten ist.

Ich könnte mir vorstellen, dass wir das in Kooperation mit jemand Anderem übernehmen. Das Drug Checking selbst machen ja nur Apotheken oder Chemiker_innen, die sich mit dem Analyseverfahren auskennen. Das ist in vielen Ländern aber immer an eine Drogenberatungsstelle gekoppelt. Diesen Part könnten wir also übernehmen.

Wie kommt ihr an die Warnhinweise – gibt es ein Netzwerk?

Ja, wir bekommen die meisten Informationen aus der Schweiz und aus Österreich. Das ist öffentlich auf deren Webseiten zu sehen, wir bekommen es aber auch direkt zur weiteren Veröffentlichung zugeschickt. Es gibt aber auch europäische Netzwerke, die Drug Checking anbieten und die an mehr Informationen herankommen, aber da werden die Daten nicht veröffentlicht. Aber es ist gut, dass wir auch da in den Netzwerken drin sind.

Teilweise erhalten wir auch Informationen von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Gerade wenn Räuchermischungen getestet werden, bei denen es in einigen Ländern auch schon Todesfälle gab, kommen auch Warnungen von einer höheren Ebene.

Wie könnt ihr bei den neuen, noch wenig bekannten Substanzen die Wirkungen und Risiken evaluieren?

Das ist total schwer. Manchmal schließt man von einzelnen Inhaltsstoffen auf mögliche Wirkungen. Bei Mephedron zum Beispiel hat man zumindest eine bekannte Stoffgruppe, bei der man weiß, in welche Richtung das geht. Oder wenn etwas auf Medikamenten beruht, kann man sich daran ein wenig orientieren. Gerade bei den neuen Mischungen kann man zwar von der Stoffgruppe etwas ableiten, aber da reicht schon eine kleine Moleküländerung, damit die Wirkung sehr viel anders ausfällt, was beispielsweise den Beginn oder die Dauer angeht – und in dem Bereich stützen wir uns nur auf Erfahrungen der User_innen.

Einerseits ist es gut, dass wir dafür diese Quelle haben, um vor bestimmten Dingen zu warnen. Andererseits ist es natürlich auch ein doofes Gefühl, wenn man nicht wirklich viel Auskunft geben kann, außer noch viel vorsichtiger damit umzugehen, länger zu warten, nicht nachzulegen, auch wenn die Wirkung nach zwei Stunden nicht einsetzt. Da ist das Risikopotential um einiges höher.

Du hast es vorhin schon angedeutet, aber noch einmal vertiefend: Wie ist der politische Rückhalt aktuell?

Ich würde sagen, dass andere Akteure in der Leipziger Suchthilfe auf jeden Fall zusammen hinter uns stehen. Wir haben einen guten Draht zur Suchtbeauftragten und wir sind innerhalb der Stadt mit anderen Beratungsstellungen vernetzt – vor allem mit Projekten, die nach dem gleichen Paragraf wie wir arbeiten. Bei dem letzten Oberbürgermeisterwahlkampf haben wir das auch erlebt, als sich der kandidierende Polizeipräsident Horst Wawrzynski und Teile der Presse mit sehr diffamierenden Aussagen, die hinten und vorn nicht stimmten, auf uns gestürzt haben.

Da gab es in der LVZ und der Bild Zeitung große Schlagzeilen. Da haben wir auch von einigen Parteien im Stadtrat Rückhalt bekommen, aber besonders von anderen Suchtberatungsstellen der Stadt. Das war nicht immer so öffentlich, aber wir haben es mitbekommen. Wäre das vor 15 Jahren so abgelaufen, hätte es auch sein können, dass so ein Projekt schnell weg vom Fenster ist.

Das zeigt schon, dass wir heute auf jeden Fall mehr Anerkennung haben, aber dass wir als Projekt nach wie vor sehr angreifbar sind – viel mehr als andere Projekte. Eine klassische Suchtberatungsstelle so vorzuführen, hätte wahrscheinlich keiner gemacht. Die Street Worker hatten auch ein wenig ihr Fett abbekommen, aber das sind eben alles Leute, die akzeptierend arbeiten.

Wenn man nun einen Bericht aus unserem Erfahrungsberichtsforum aus dem Zusammenhang reißt, aus einem Faltblatt nur einen Satz zitiert oder man nicht darüber nachdenken möchte, warum unser Ansatz nicht ist, Leuten etwas zu verbieten, weil wir es gar nicht können, dann kann man das leicht nehmen, um Stimmung gegen uns zu machen. Darum geht es ja in der Politik auch. In der ganzen Diskussion ging es nie um Argumente, es ging um den Austausch von polemischen Aussagen. Uns hat auch nie jemand dazu gefragt.

Das war schon sehr faszinierend und ein sehr einschneidenden Erlebnis. Einerseits sind wir zwar durch den Rückhalt und die Unterstützung unserer Freiwilligen etwas gestärkt herausgegangen, aber andererseits war es schon auch schockierend, auf welchem Level diese politische Stimmungsmache funktionieren kann.

Abschließende Frage: Was sind die Pläne für nähere Zukunft?

Auf jeden Fall unser Umzug. Falls jemand einen schönen großen Laden kennt, kann sich gern an uns gewendet werden. Ansonsten weitermachen. Im Zuge des 20. Geburtstags gibt es auch einige Vorträge über das restliche Jahr verteilt. Da geht es um konsumierende Angehörige, Frauen und Drogenkonsum, Drogentests mit Nachweiszeiten.

Wir wollen uns auf jeden Fall mehr auf die Weiterbildungen für Clubpersonal konzentrieren – da ist die Nachfrage aktuell sehr hoch. Ein großes Ziel ist schon, den Safer-Clubbing-Gedanken weiter voranzutreiben. Und natürlich haben wir wieder eine Party organisiert – damit wollen wir Danke sagen, besonders unseren Freiwilligen. Es ist jedoch eine öffentliche Party, zu der alle kommen können, die mit uns feiern mögen.

CommentComment

  • Schiffer / 15. April 2016 / um 17:42
    Hoffentlich sind geschriebener Sexismus und schriftliche Diskriminierung irgendwann Geschichte - wahrhaft grauenhaft.
  • Kiffer / 13. April 2016 / um 23:18
    Hoffentlich ist das Binnen-i irgendwann Geschichte - grauenhaft.

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