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Christoph
Christoph mag es, wenn es breakig und verspielt klingt. Nicht zu gerade. Als Kid Kozmoe legt er auch auf. Und heimlich produziert er eigene Tracks. Aber pssst.

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Sehr spät entdeckt: Sternrekorder

08. Januar 2017 / Kommentare (0)

Letztes Jahr haben wir den charmanten Synth-Pop von Sternrekorder entdeckt, den wir euch noch vorstellen wollen, bevor 2016 in allzu weite Ferne rückt.

Willkommen 2017! Du, lieber Jahreswechsel, erinnerst uns an all die aufgeschobenen Aufgaben und vergessenen Vorhaben, die sich so in den letzten zwölf Monaten angesammelt haben. Immer im Hinterkopf die leise Ahnung, dass es im nächsten Januar nicht anders sein wird. Aber wen schert’s – wir freuen uns 2017 nicht nur wieder auf eine Vielzahl an neuen Releases, sondern auch auf all die neu- und wiederentdeckten Tüftler, die im abgeschiedenen Kämmerlein an ihrem Sound-Universum schrauben. Womit wir bei Martin Home alias Sternrekorder wären.

Bereits vor etwa einem halben Jahr bin ich beim Soundcloud-Durchhören über ihn gestolpert (danke, Herr Gierden!) und von seinen Tracks sehr angetan. Irgendwo zwischen Synth-Pop und Electro verortet Sternrekorder seinen Sound, den er durch die etwas zungenbrecherische Selbstbeschreibung „Retrolektrotanzmusik“ passend ergänzt. Spätestens ein Blick auf seinen YouTube-Kanal bestätigt, dass hier eine große Synthesizer-Faszination im Zentrum des musikalischen Schaffens steht. Einige Live-Sessions gibt es zu sehen, aber auch Videos mit eher dokumentarischem Charakter.Dennoch ist besonders das Musik-Video zu „Calling“ bei mir hängen geblieben. Verwaschene Aufnahmen einer Spazierfahrt durch Leipzig, aufgenommen mit einer uralten Videokamera, dazu große Synth-Wave-Disco-Nostalgie: Wären die Autos und Gebäude im Video nicht offensichtlich zu neu, könnte sowohl das Video wie auch der Song direkt aus den 1980ern stammen.

Und wie die damaligen Anfänge der elektronischen Musik besitzt auch „Calling“ eine charmante, durchaus naive Sehnsucht nach einer irgendwie spannenderen Zukunft, als man sie sich heute noch vorzustellen vermag. Wahrscheinlich ist Martin Home auch einfach ein Kind seiner Zeit – kein Wunder also, dass er sein Projekt nach einem klassischen RFT-Radio benannt hat.

Abseits davon gibt es von Sternrekorder bereits die beiden EPs „Maschinen“ (2013) und „Weissensee“ (2011). Letzteres erschien auf dem Label Astro Chicken, dessen Inhaber Hyboid erst kürzlich einen Remix für Yuyay Records beisteuerte.

Zusammen mit Hyboid, Telebot und KneToNatoR improvisierte Sternrekorder im November 2016 bei der Ausstellung „Analoge Kunst“ in Aschersleben – einer seiner eher rar gesäten Live-Auftritte, zu dem ihr einen 42-minütigen Mitschnitt hier findet. Dass sich Sternrekorder im Studio wahrscheinlich wohler fühlt als auf der großen Bühne, klingt auch in unserem nun folgendem Interview an.Synthesizer sind das Zentrum deiner Musik. Woher stammt deine Leidenschaft? Gibt es ein Lieblings-Gerät in deiner Sammlung?

Bereits als Kind in den 80ern war ich von den Klängen fasziniert. Damals wusste ich nicht, dass das Synthesizer sind. Meine Eltern hörten damals Westradio – ich bin bei Halle/Saale in Sachsen-Anhalt aufgewachsen. Ich kannte „Über sieben Brücken“ nur von Peter Maffay. Als ich dann zum ersten Mal die Karat-Version hörte, war ich hin und weg: Es klang viel synthetischer und trotzdem besser.

„Heute weiß ich, dass mich die Strings aus dem Hohner String Melody II so verzaubert haben. Dazu der Synth-Bass. Geil!“

Irgendwann hat mal ein Schulfreund eine Kassette mit ganz seltsamer Musik mitgebracht – Jarre stand da drauf. Es gab zu DDR-Zeiten die Platte „Musik aus Zeit und Raum“ von Jean-Michel Jarre. Diese Kassette wurde mal von Platte überspielt und fortan dudelte sie bei mir, ohne dass ich wusste, wer das ist.

Um die Zeit der Wendejahre kam plötzlich die Techno-Musik auf. Wieder war ich hin und weg und ich wusste, dass will ich auch machen können. Anfangs mit dem C64. Das war so 1993, da war ich 12 Jahre alt. 1995 bekam ich von meinen Eltern einen PC. Eine OPL-FM-Soundkarte sorgte für die Klangerzeugung. Da es dort keine Kickdrum gab, musste ich die Timpani extrem runterstimmen und schon stampfte es ordentlich.

Geld hatte ich keins und so musste ich mit dem Gegebenen klarkommen. 2000 kaufte ich meinen ersten Sampler, AKAI S2000 für 1000 DM. Den habe ich heute noch – aus Nostalgiegründen. Meine Freunde tunten ihre Autos und ich steckte alles Geld in Studiotechnik und Platten. Fuhr stattdessen mit Muttis Auto rum. 2002 zog ich dann nach Leipzig.

Mein erster analoger Synth war 2004 der JX-3P. Programmer hatte ich keinen dazu und so beherrschte ich das Gerät irgendwann blind. Die produzierte Musik war hauptsächlich technoid. Zwischendurch erinnerte ich mich immer gern an meine Kindheit in den 80ern und versuchte mich an Italo-Disco und Synth-Pop. Aber nur für mich selbst.

Etwa 2006 lud ich dann mal einen solchen Retro-Track bei MyOwnMusic.de hoch. Das war „On My Roof“ und ging dort plötzlich durch die Decke: Platz 1 in den dortigen Electro-Charts.

Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass es die Musik ist, die ich schon immer machen wollte. So kamen immer mehr Synthesizer dazu, natürlich die originalen Geräte aus dieser Zeit.

Ein spezielles Lieblingsgerät habe ich nicht, die Kombination aus allen und die Stärken des jeweiligen Gerätes machen die Faszination aus: Die SH-101 ist ein sehr inspirierendes Teil mit genialem Sequencer. Es zaubert wunderbare Basslinien und zarte Leads. Der Filter des Jupiter-4 hat eine schöne Resonanz und zwitschert und zirpt ganz wunderbar.

Der Juno-60 macht butterweiche Pads und schöne 80er-Bässe. Korg Polysix und vor allem der Trident Mk.II sorgen für die Portion 70er-Jahre. Die VCOs driften schön und die Strings des Trident sind supersahnig. Meine Geräte sind größtenteils midifiziert, da ich leider nicht mit den Skills eines Pianisten ausgestattet wurde. Ein großer Traum ist der Jupiter-8. Das wird mal mein letzter Synthesizer.

In deinen Track-Titeln taucht das Wort „Session“ recht häufig auf. Wie entsteht deine Musik? Ist Improvisation ein wichtiges Element für dich?

Meist spiele ich irgendeinen Synth und improvisiere ein paar Harmoniewechsel oder jamme zu einem Beat. Manchmal wird auch nur eine simple Sequenz auf dem JX-3P oder 101 programmiert und darauf baut dann alles andere auf. Sowas wird als Idee-Pattern festgehalten und später ausgebaut oder sogar gleich als Session verwurstet.

In den letzten Jahren empfinde ich es zunehmend als anstrengend, ein Pattern zu einem fertigen Track zu arrangieren. Pattern erstellen ist Kür, das Arrangement ist die Pflicht. Es macht mir keinen Spaß, es ist nur die Notwendigkeit, damit man es überhaupt außerhalb des Studios hörbar machen kann.

In einer Spontansession ist das nicht nötig. Ich programmiere ein paar Synthlines zumeist mit den eingebauten Sequencern. Diese werden von 808 und CR-8000 usw. angetriggert. Und ohne zu wissen, wo es hingehen soll, jamme ich drauf los. Das macht mir einen Riesenspaß. Viel mehr Spaß, als mit der Maus am Rechner Blöcke zu arrangieren.

In den Sessions passieren Fehler, manchmal sorgen diese Fehler auch für erfrischende Momente, die dann einfach weiter ausgebaut werden. Da für mich der Spaß am Musizieren im Vordergrund steht und ich auch keinerlei kommerzielle Absichten hege, ist diese Arbeitsweise ideal für mich.

Einige deiner Sessions sind auf deinem YouTube-Channel dokumentiert. Was reizt dich am Video-Format?

Ohne Frage ist Youtube für mich neben Smartphone und Internet die größte Errungenschaft der letzten Jahre. Als meine Leidenschaft für Analogsynthesizer begann, gab es im Netz nur Synrise.de. Ich habe diese Website wohl mehrmals komplett gelesen. Leider gibt es sie nicht mehr. Informationen zu Synthesizern habe ich mir nur anhand der Fakten, die dort standen, eingeholt.

Heutzutage gibt es Millionen von Synth-Demos, sehr gute und vor allem auch sehr schlechte. Aber diese Demos haben mir gezeigt, welche Geräte zu mir passen und welche nicht. Bis heute habe ich nur ganz wenige Geräte wieder verkauft, bei denen sich herausstellte, dass sie doch nicht zu mir passten. Youtube ist für die meisten inklusive mir die Informationsquelle Nummer 1, wenn es um den Klang und die Bedienung eines Gerätes geht. Danke, Google!

Für die heutige Jugend – zu der ich mich nicht mehr zähle und die auch mit meiner Musik kaum etwas anfangen kann – ist das Audiovisuelle enorm wichtig. Ohne Bilder zur Musik erreicht man leider niemanden mehr. Speziell meine Musik wird fast nur von Synthnerds gehört, die auch selbst Synthesizer besitzen. Und die wollen Gearporn, sie wollen die Geräte sehen, wenn sie gespielt werden und erklingen. Mir selbst ergeht es jedenfalls so.

„Wenn jemand live elektronische Musik macht, dann will ich dort keinen Laptop sehen, da muss Hardware bedient werden.“

Der EDM-Generation von heute ist es egal, wenn jemand nur an einem ausgeschalteten Controller daddelt, Hauptsache der Drop kommt.

Du bezeichnest deine Musik auch als Retrolektrotanzmusik. Synth-Pop, Italo und Cosmic Disco ist seit einigen Jahren nicht nur in Leipzig wieder verstärkt in den Clubs vertreten. Wie schätzt du die Entwicklung ein?

Ich bin überhaupt kein Clubgänger. Zu Techno-Zeiten – so 1997 bis etwa 2005 war ich öfter in Berlin bei Love Nation oder im Tresor und auch in Leipzig in der Tille weg. Damals lief klassischer Detroit-Techno. Den mag ich auch heute noch gern. Da habe ich noch ein paar selbstproduzierte Schätzchen von damals rumliegen. Wird vielleicht mal wieder modern.

Zur aktuellen Entwicklung in der Clubszene kann ich daher also wenig sagen. Ich freue mich aber darüber, wenn auch in den Clubs mal eine Linn Drum erschallt und ein paar Oktavbässe wummern. Es gibt eine Schwemme an Tracks auf Soundcloud, die sich diesem 80er-Ethos unterwerfen, Stichworte: Miami, Night, Drive, Testarossa, Retro usw. Diese Schwemme an Tracks ist für mich unüberschaubar geworden und mir fehlt die Kraft zum Perlenfischen. Zu viel Klischee, zu wenig Substanz. Leider findet man die guten Stücke nur noch selten.

Mein Musikkonsum beschränkt sich momentan vor allem auf Avantgarde-Elektronik aus dem Frankreich der 70er und 80er. Das wird sicher kaum in den Clubs laufen …

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