Resistant Mindz ist ja bekanntlich die erste Adresse, wenn es um die Leipziger Beatmaker-Szene geht. Seit 2010 begleitet und fördert das Label jene beständig mit Veröffentlichungen in unterschiedlichen Formaten und eigenen Veranstaltungen. Das zehnte, im September erschienene Release aber erweitert den Sound-Kosmos des Labels: Mit dem Debüt-Album der Band Konglomerat rückt der Fokus nun auch auf handgemachten Jazz der experimentelleren Sorte.
Ihr fragt euch sicher: Jazz? Sind das nicht meist ältere Musiker, die endlose Solos in verrauchten Kellerkneipen von sich geben? Was haben die nochmal mit elektronischer Musik zu tun?
Nun, eigentlich offensichtlich: Jazz ist sowohl im Hip Hop als auch im House ein konstanter Einfluss, vor allem in Form von Samples. Dass ein Beatmaker-Label in der einen oder anderen Form diesem Einfluss Raum gewährt, überrascht dann auch nicht. Dennoch fordert uns Resistant Mindz mit dem Album heraus: Hier handelt es sich nicht um funkige Jazz-Fusion oder entspannte Lounge-Untermalung, wie man es vielleicht erwarten würde und von ähnlichen Labels kennt. Nein, Konglomerat zeigen auf dem gleichnamigen Album die buntere und verspieltere Seite des Genres. Zumindest für einen Jazz-Laien wie mich klingt das unglaublich frisch – auch, weil die Stücke fast wie Songs funktionieren und nicht nach ausufernden Jam-Sessions klingen.
Vier Musiker stark ist die Besetzung von Konglomerat: Luise Volkmann und Gustav Geißler spielen nicht nur Alt Saxofon, sondern sind auch für die Komposition der neun Stücke des Debüts verantwortlich. Unterstützt werden sie von Athina Kontou am Bass und von Philip Theurer an den Drums. Schon im September traf ich Gustav zusammen mit Johannes, einer der Köpfe von Resistant Mindz, zum Gespräch. In der Zwischenzeit hat die Band nicht nur eine deutschlandweite Tournee zum Album hinter sich, es gibt außerdem acht wunderbare Remixe von Chris Medleigh, Duktus, Dyze und Reed Flavor auf – na klar – Resistant Mindz.
Im großen frohfroh-Interview berichten uns Johannes und Gustav nicht nur über das Musikerleben im Allgemeinen und über das der Jazzer im Speziellen, sondern auch über die Freuden der analogen Technik, Musiker-Tricks wie die Zirkularatmung und vieles mehr.
Als ich gelesen habe, dass es ein Jazz-Release auf Resistant Mindz gibt, dachte ich sofort, dass es in Richtung Funk geht. Ich war ziemlich überrascht, dass es eher ein Free-Jazz-Ding ist. Wie kam es dazu?
Johannes: Gustav und ich kennen uns über Laura, wir haben zusammen bei mir Aufnahmen im Studio gemacht. Er hatte mir von Konglomerat erzählt und ich habe mir die Demos auf Soundcloud reingezogen. Relativ zeitnah gab es noch ein Konzert in der KUB. Da waren die auf Tour mit VAX. Ich fand die Aufnahme und das Konzert hammergeil und habe dann gesagt, dass ich übelst Bock hätte, mit ihnen eine Platte zu machen. Daraus ist das quasi entstanden. Dann sind sie ins Studio eingeritten und da hatten wir Aufnahme-Sessions.
Ihr habt ja ungefähr 26 Releases veröffentlicht. Gab es bestimmte Highlights in den letzten Jahren? Wieviel seid ihr eigentlich bei Resistant Mindz?
Johannes: Das Label betreiben wir zu zweit, Christoph und ich. Und an Künstlern sind es zwölf. Wir sind eigentlich recht familiär, wir kennen uns alle schon ewig, haben im Hip Hop ewig viel erlebt und gemacht. Der größte Kern sind eigentlich Leipziger. Wir habe zu Hause früher alle Instrumental-Beats zum Rappen gebaut. Dann wurde das immer abstruser und verrückter und war gar nicht mehr zum Rappen geeignet.
Daraus hat sich das so entwickelt. Wir haben auch schon ewig eine Funkband – Mengoolious Funk – aus der nun My trippin Mojo geworden ist, eine Soul Combo, die nächstes Jahr ihr Kellertreiben präsentieren wird. Im Großen und Ganzen sind wir musikalisch sehr offen.
Mein persönliches Highlight ist Chris Medleigh. Das ist so das Abgefahrenste für mich – unabhängig von diesem ganzen anderen Kram, den es um uns herum gibt, wie Brainfeeder, Ninja Tune, Jaga Jazzist. Es ist eigentlich schon jazzig, was Medleigh da fabriziert.
Ich fand es auch sehr offen Richtung Pop, was er so gemacht hat.
Johannes: Ja, zum Teil sehr poppige Attitüden, natürlich stark in Breakbeat und Hip Hop verwurzelt, ein bisschen funky, ein bisschen jazzy. Es gibt bei ihm größtenteils keine klaren Song-Strukturen. Ein Lied klingt wie vier. Das ist so mein persönliches Highlight bei uns – das ganze auch noch mit Live-Schlagzeuger, ziemlich abgefahren.
Wie ist die Resonanz bisher? Auch international, wie wird das Label so wahrgenommen?
Johannes: Wir werden wahrgenommen, das ist aber alles auf einem sehr lowen Ebene. Das ist sehr nerdig, underground-mäßig. Wir haben jetzt nicht solche Strukturen wie andere Labels, sondern machen das alleine und mehr oder weniger nebenbei und haben nicht den permanenten Output. Auch nicht die permanente Promo-Schiene mit Geld in die Hand nehmen und das für die Masse publik machen. Das ist gar nicht wirklich unser Ding. Wir versuchen, unsere Arbeit so gut wie möglich zu machen, dass das cool läuft. Natürlich mit dem Ziel, dass das auch ein bisschen mehr kracht, auf jeden Fall. Wir werden sehen, was die Zeit mit sich bringt, wir bleiben dran, vielleicht kriegen wir auch noch Support. Zu zweit ist das schon echt krass, so eine Nummer aufzustellen.
Habt ihr schon konkrete weitere Pläne? Habt ihr vor, euch weiter zu öffnen?
Johannes: Ja, auf jeden Fall. Aktuell haben wir eine Funk-Scheibe rumliegen, die nächstes Jahr kommen soll. Medleigh ist sehr experimentell gerade. Es liegen noch diverse Jazz-Alben rum, die wir einfach fertig machen müssen. Das ist schon größtenteils fertig aufgenommen. Da wird es auf jeden Fall eine Öffnung geben, fernab von dem Beat-Instrumental-Zeugs.
Da sind wir schon beim Jazz. Wie seht ihr beiden denn die Szene in Leipzig? Was geht hier und was müssen wir mitbekommen? Interessieren sich die Leute für Jazz?
Gustav: Die Leipziger jetzt? Ich glaube, das wächst ständig. Vor ungefähr zwei Jahren hat sich das Jazz-Kollektiv gegründet. Eigentlich eine eher studentische Organisation, die Konzerte organisiert mit dem Ziel, das mehr unter die Leute zu bringen und die Jazzmusiker – es gibt ja hier eine Jazz-Hochschule und damit viele Jazzer – zumindest an dem Konzertabend angemessen zu bezahlen.
Auch in die Vermittlung zu gehen und am Welt-Jazz-Tag in Schulen zu spielen, gehört zu deren Zielen. Das ist das Jazz-Kollektiv, von dem man schon was gehört haben kann. Das ist auch an den Jazzclub Leipzig, der die Jazztage organisiert, angeknüpft. Der Jazzclub organisiert aber auch über das ganze Jahr verteilt Konzerte von renommierten Leuten.
Also ist da auch ein großer Austausch da, oder?
Gustav: Ja, auf jeden Fall. Austausch zwischen Leipziger Musikern und deutschen Musikern, aber auch internationalen Musikern. Es kommen generell auch immer mehr Amis hier rüber. Der Berlin-Leipzig-Austausch ist auch ziemlich groß.
Ihr habt ja auch ziemlich viele Gigs außerhalb von Leipzig gespielt …
Gustav: Wir haben in ganz Deutschland gespielt. Und eben auch mit VAX, diesem New Yorker Trio.
Die kenn ich nicht.
Gustav: Kennen kann man die, glaube ich, auch nicht. Jazz ist ja leider ziemlich undergroundig. Aber das sind auf jeden Fall abgefahrene Leute und das war eine coole Tour. Doch die Szene hier ist wirklich sehr groß und es passiert sehr viel. In Sachen Free Jazz speziell. In der DDR gab es ja bereits Free Jazz. Es gibt immer noch das NIL, Netzwerk Improvisation Leipzig. Das sind so alte DDR-Hasen. Manche von denen kommen auch aus dem Westen. Die sind nach der Wende ziemlich schnell zu dem NIL geworden und spielen frei improvisierte Konzerte in ganz Leipzig. Das – vermischt mit der Hochschule, wo auch manche Free-Jazz spielen – ergibt diesen Pool an frei improvisierenden Musikern.Ihr seid auf Resistant Mindz, weil ihr euch kennt. Gibt es hier oder generell Labels, an die man sich als Musiker wendet, wenn man Jazz macht? Versucht man auch, Platten rauszubringen oder ist das eher etwas, was so oft gar nicht stattfindet?
Gustav: Also es gibt das Egolaut-Label in Leipzig. Das sind frühere Kommilitonen von mir, die das gegründet haben. Da sind ein paar Platten von Leipziger Bands erschienen. Momentan gibt es das Eva Klesse Quartett, ein Leipziger Quartett, das den diesjährigen Newcomer-Echo in der Rubrik Jazz gewonnen hat.
Ich wusste gar nicht, dass es das beim Echo gibt.
Gustav: Beim Echo gibt es auch die Sparte Jazz, da werden der geilste Gitarrist und der geilste Saxofonist gekürt – und eben auch Newcomer des Jahres. Eva ist jetzt nach New York gegangen und unterhält weiterhin diese Band und hat in den heftigen, großen Jazz-Magazinen wie Jazz-Kritik und Jazz-Thing Artikel gekriegt. Da ist sie auch die erste Leipzigerin.
Wünschen sich die Leute mehr lokalen Support? Oder ist das gar nicht so wichtig, weil man eh schon nach außen geht im Jazz und auch über die Hochschule ganz andere Kontakte knüpft?
Gustav: Nö. Lokal bekannt zu werden ist immer super. Ich vergleiche das mal mit New York, der Jazz-Stadt überhaupt. New Yorker Musikern würde es genauso gehen, dass die lokal Publikum haben wollen. Natürlich spielt man immer gerne zu Hause. Touren und Touren zu planen ist ja auch anstrengend.
Gibt es bei den Leuten im Jazz Haltungen, wo man sich untereinander überhaupt nicht ab kann? Im Sinne von „Die machen Free Jazz, was sind denn das für welche“?
Gustav: Also unter Musikern, glaube ich, gibt es nur diese Haltung. In den Zwanziger Jahren gab es Tanz-Musik, das war dieser Jazz, und daraus ist ja alles entstanden, letztendlich auch die elektronische Musik, auch Pop und Rock. Deswegen gibt es soviele Sparten im Jazz, weil jeder sich daran orientiert. Meine Generation ist um 1990 geboren. Da kommt man zuerst nicht darauf, Jazz zu hören.
Deswegen gibt es sehr viele verschiedene Richtungen und es gibt Leute, die sagen: „Diese Richtung interessiert mich voll, das finde ich auch noch schön, aber das ist eher nicht so mein Ding“. Aber so ein Verriss, dazu ist die Loyalität zwischen Musikern, die gerne Musik machen und wirklich alles dafür tun, einfach spielen zu können, viel zu groß. Daher toleriert und akzeptiert und respektiert man sich.
Was reizt denn dich und deine Band am Free Jazz?
Gustav: Free Jazz ist ja ein Genre für sich,was eher in den Siebzigern angelegt ist und das sich dann weiterentwickelt hat. Wir spielen nicht mal Free Jazz, wir spielen ausgefeilte Kompositionen, die hin und wieder freie Parts haben. Es ist teilweise sehr auskomponiert. Manche würden es vielleicht sogar verkopft nennen, weil es sehr pur ist. Eine Idee wird sehr weit verfolgt.
Konträr dazu ist eben dieses Aufbrechen der zum Teil sehr schwer zu spielenden Kompositionen, wo man sehr bei der Sache sein muss und dem Song dienen muss. Dann ausbrechen und frei improvisieren zu können, das macht diesen Reiz der Band aus. Einmal die komplette Konzentration und dann reizt mich in der frei improvisierten Musik diese Offenheit, dass man nix machen muss, aber alles machen kann und auf eine gewisse Weise frei ist.
Das hat mich auch gewundert. Bei Bandcamp steht, dass die Stücke von dir und Luise Volkmann komponiert sind. Jam-Session, Free Jazz und dann doch irgendwie komponiert – wie funktioniert das, wie entstehen bei euch die Stücke?
Gustav: Die sind über einen sehr langen Zeitraum entstanden. Uns gibts jetzt schon seit drei Jahren. Luise und ich sind zusammen zeitgleich nach Leipzig gezogen, haben uns nach einen Monat kennengelernt und nach zwei Monaten die Band gegründet. Dadurch, dass manche Stücke teilweise drei Jahre alt sind und andere noch ziemlich neu, hat sich kompositorisch viel getan.
Auf dieser Platte sind die Kompositionen von mir sehr oft so pur, dass ich einen Gedanken hatte. Zum Beispiel: Ich will mit der Band einen Roboter abbilden, bei dem Song „Ich muss Robot“ habe ich versucht, mechanische Klänge aus dem Saxofon rauszuholen und diese Klangwelt auszuchecken. Das passiert ganz oft. Luise hat auch diesen Song „Grüße von einem alten Freund“, der unsere Single-Auskopplung ist, bei dem es so ein Plattenspieler-Gehake gibt. Wenn der Plattenspieler springt und immer wieder das Gleiche sendet, einen Loop quasi, der dann live von der Band performed wird.
Erstmal denkt man sich, ja ok, das ist cool, aber ist das Musik, die mich wirklich interessiert? Ich finde wir haben einen sehr guten Weg, Songs zu schreiben, die einen Ohrwurm haben, die auf eine gewisse Weise poppig und kurzweilig sind und trotzdem so ein Konzept beinhalten. Es gibt ja viele Minimal-Musiker, wo dann sowas 25 Minuten dauert, so eine Abhandlung über eine Klangwelt oder über ein bestimmtes Pattern, aber wir quetschen das in einen Song und bringen das auf den Punkt.
Ich hatte auch das Gefühl, das es Songs sind, die nicht zu sehr ausufern. Die Namen der Stücke sind auch sehr comichaft. Stellst du dir vorher eine Aufgabe, hast du die Titel im Kopf oder kommt das im Nachhinein?
Gustav: Die kommen immer erst nach der Komposition.
Weil du das ja mit dem Roboter angesprochen hast, das wirkt auf mich konzeptionell.
Gustav: Ja, ich hab einfach geübt und auf einmal kam da so ein Klang raus aus meinem Saxofon, den ich noch nie gehört habe und dann habe ich geguckt, was es da noch für ähnliche Klänge gibt. Dann bin ich auf die Assoziation „Roboter“ und auf den Titel “Ich muss Robot“ gekommen, der ein alter Insider zwischen besten Freunden von mir ist. „Ich muss Robot“ ist schon lange ein Spruch in meinem großen Repertoire an Sprüchen.
Ihr verwendet zwei Altsaxofone, einen Bass und die Drums. Hat sich das ergeben oder ist das ein Konzept? Wahrscheinlich spielt jeder nur ein Instrument, oder?
Gustav: Ja, genau, wir sind vier Leute und vier Instrumente. Diese Besetzung spielt zum einen Teil damit, dass da ein sehr großer harmonischer Freiraum ist. Ein Klavier oder eine Gitarre legen die Harmonie sehr fest. Ein Streicherquartett auch. Wenn man bei einem Solo improvisiert und drei andere Musiker spielen begleitend dazu, dann entstehen ja nur maximal zwei Töne und ein Schlagzeug.
Damit kann man viel machen als Improvisierender, man hat einen Freiraum. Andererseits kann man das Publikum mit den zwei Alt-Saxofonen täuschen: Wer spielt eigentlich was und woher kommt das gerade. Man kann denselben Ton spielen, aber es gibt ja nie denselben Ton. Der kommt immer aus zwei unterschiedlichen Schallquellen und ist auch nie komplett rein intoniert. Teilweise denkt man kurz, es wäre genau derselbe Ton und dann driftet das doch wieder ab.
Ist diese Dopplung eine Technik, die man kennt und lernt oder auf die man stößt?
Gustav: Es gibt diese Dopplung, bei der beide Instrumente das gleiche spielen. Das ist ein Chorus-Effekt zum Beispiel im Song „Grüße von einem alten Freund“. Da spielen wir beide ein Thema zusammen. Das andere wäre, dass wir zwei unterschiedliche Noten spielen, aber wie zwei Alt-Saxofone klingen. Manchmal benutzen wir auch Multi-Phonics, wo aus einem Saxofon zwei Töne gleichzeitig kommen.
Gab es da einen bestimmten Musiker, der euch da inspiriert und beeindruckt hat?
Gustav: Nee, und das ist das Gute. Mittlerweile haben wir uns schon umgehört, was es für Besetzungen gibt, die sowas ähnliches machen. Aber ich sehe uns nicht so richtig als Jazz-Band. Auf unserem Plakat steht zuerst Jazz, dann Impro, dann Dance. Es ist sehr beat-lastig, sehr perkussiv. Ich kenne keine Besetzung, die so einen Beat durchfährt und darauf scheißt, was jetzt für eine Jazz-Voicing erklingt. Der Jazz-Sound geht bei uns sehr weit. Flöten und andere Sachen kommen rein.
In der Beschreibung der Band wird auch der Postpunk- oder Garage-Einfluss erwähnt.
Gustav: Genau, mit dem Saxofon kann man auch so eine Übersteuerung nachempfinden, wenn man eben diese Obertöne ein bisschen ein- und wieder ausblendet.
Am ehesten gehört habe ich es eigentlich am Schlagzeug. Da hat man das Gefühl, als wäre es eher ein Punk-Drummer. Wo man ja auch eher was funkiges erwartet, ist es eher wie ein Rockschlagzeug.
Gustav: Ganz schön rabiat.
Ich nehme an, ihr hört bestimmt auch alle möglichen Arten von Musik, oder?
Gustav: Ja. (lacht)
Habt ihr weitere Projekte, die in andere Richtungen gehen?
Gustav: Ja, alle. Jazzer spielen gern mit anderen Leuten und geben sich neuen Situationen hin. Nicht nur in der Improvisation, sondern eben auch in der Besetzung. Dann spielt man mit einen Haufen Leuten gleichzeitig in verschiedenen Bands. Oder auch nur für einen Abend.
Das Einzige, was ich wirklich sehr, sehr wenig höre, ist Klassik. Ansonsten habe ich immer so Phasen. Neulich war die Surf-Phase. Was sich aber durch meine Inspirationsquellenlandschaft zieht und immer sprudelt, ist tatsächlich Jaga Jazzist. Seit ich 17 bin, feier ich die übelst ab. Dann kam über die Jahre David Binney, ein Saxofonist aus New York hinzu, der auch sehr abgefahrene Kompositionen macht.
Knxwledge finde ich auch super. Woher kommt der?
Johannes: Aus L.A., glaube ich.
Gustav: Der hat auch für das letzte Kendrick Lamar-Album Beats gemacht. Jetzt kennt ihn jeder.
Wünscht ihr euch manchmal, andere Instrumente reinzubringen? Oder ist es noch nicht ausgereizt?
Gustav: Ausgereizt noch lange nicht. Wir haben uns mit der ersten Platte sehr lange Zeit gelassen. Da geht aber auf jeden Fall noch viel. Ich habe noch viele Ideen für diese Band. Wir arbeiten mit Manuel Duraro zusammen, einen portugiesischen, klassischen Komponisten, der in Leipzig lebt, und haben ein Programm, was wir auch auf unserer Tour spielen. Gut, dass ich eben gesagt habe, dass ich keine klassische Musik höre – zum Glück hören die Klassiker Jazz.
Komponiert er für euch?
Gustav: Ja, genau, er komponiert für unsere Besetzung. Er schreibt sonst für Orchester. Er kam auf uns zu und daraus ist die Kollaboration entstanden. Wir dürfen seine Komposition auch verändern, wie wir wollen. Das macht sehr viel Spaß. Es gibt da auch einen Stück-Austausch. Er bringt eine Komposition mit. Luise hat dann Antworten darauf komponiert und er hat wieder Antworten oder Fragen geschrieben.
Die Stücke auf dem Album sind teilweise älter und verändern sich auch, wenn ihr sie öfter spielt. Habt ihr viele verschiedene Versionen aufgenommen für das Endresultat?
Gustav: Nein, wir sind schon mit einer klaren Vorstellung der Songs in die Aufnahme-Sessions gegangen und hatten auch gar nicht soviel Platz auf den Tapes, weil wir ja auf Band aufgenommen haben. Die waren dann voll. Da hat man schon mal ein Take rausgestrichen, der es nicht wird, um wieder drüber zu spielen. Das war ganz lustig und spannend.
Johannes: Spannend auf jeden Fall, ja.
Gustav: Es ist zum Beispiel auch passiert, dass ein richtig guter Take – ich glaube „Grüße von einem alten Freund“ – genau dann fertig war, als das Band durchgedreht und zu Ende war. Aber wir haben nicht soviele Takes gebraucht.
Johannes: Vielleicht drei bis vier pro Song.
Das sind die Tücken der analogen Technik.
Gustav: Ja. Ich hatte auch mal ein Solo-Saxofon-Projekt, bei dem ich Schrott-Sounds gesamplet habe. Da war ich auf dem Schrottplatz und hatte so eine Hip Hop-Loop-Geschichte. Das war sehr ermüdend nach einiger Zeit, daran zu arbeiten, weil man es immer und immer und immer wieder hört.
Ja, dann spielt man eben die Takes ein und ist zu viert im Raum und muss auch zu viert da sein und man kann dann nicht nachts um zwölf noch mal drüber hören und dann noch was verändern, sondern man hat den Tag eingespielt. Das ist auch schon cool so. Das, was man dann aufnimmt, ist immer der Status Quo.
Ich finde das legitimiert auch, dass es gute und schlechte Platten gibt. Ich meine, Miles hat dann aufgenommen und dann war’s halt ein schlechter Tag. Oder er war zugedrogt oder so und dann war das halt so. Oder er war total nüchtern und hat trotzdem schlecht gespielt.
Wenn man sich die Diskografien anguckt, die haben ja auch Platten ohne Ende gemacht.
Johannes: Das hatte damals Hochkonjunktur. In jedem Studio, in jedem Presswerk. Gerade in den Staaten, was da an Singles oder auch Promo-Scheiben in kleinen Stückzahlen in sämtlichen Musikrichtungen produziert wurde – nicht nur im Jazz.
Gustav: Heute denkt man mehr darüber nach, was man veröffentlicht. Auch im Jazz. Aber ich wollte noch sagen, dass ich durchaus auch von elektronischer Musik beeinflusst bin. Gerade bei dieser Konzept-Sache, bei Pattern wie „Noch nie vom 10er“ zum Beispiel. Auch diese Fähigkeit, Zirkular-Atmung zu betreiben, was Luise und ich beide machen.
Was ist das?
Gustav: Dass man praktisch weiter spielen kann, während man atmet. Man nimmt Luft in den Mundraum und hat damit noch ein paar Millisekunden zu spielen und kann in der Zeit einatmen. Wenn du in der Dusche Wasser im Mund hast und lässt das rauslaufen, kannst du ja auch einatmen. Wir nutzen unseren Mundraum wie den Sack vom Dudelsack. Man ist natürlich total motiviert, die ganze Zeit spielen zu können. Genau wie ein Synthesizer-Arpeggio, was die ganze Zeit durchgeht.
Es gibt auch einige im elektronischen Bereich, die mit ihren analogen Synths und Drum Machines wieder dahin gehen, analog aufzunehmen, auch auf Tape. Um diesen roughen Sound zu haben. Aber wahrscheinlich auch um die Beschränkung zu haben.
Johannes: Um den Moment wieder mehr zu genießen und nicht im Nachhinein zuviel zu verändern. Diese perfektionistische, durchproduzierte, aalglatte …Ihr habt im Wood & Mind Analog Studio aufgenommen. War das eine Möglichkeit, die sich bot, oder eine bewusste Entscheidung?
Gustav: Es war eine Möglichkeit, weil es Johannes macht und ich ihn kenne und er Bock drauf hat.
Johannes: Es war gewollt. Ich habe ihm das angeboten. Ich meinte, lass uns eine Platte machen und wenn wir die machen, lass uns die doch analog probieren. Also auf Bandmaschine aufnehmen, alte Mikrofone benutzen. Einfach, um auch diesen Vibe einzufangen.
Gustav: Die Platte hat auf jeden Fall auch Session-Charakter.
Johannes: Die Möglichkeit, die Einzelspuren großartig nachzubearbeiten, besteht ja nicht. Das ist eigentlich immer eine homogene Masse. Wenn die Musiker spielen, ist das ein Guss.Nutzt du das auch für die anderen Projekte?
Johannes: Also für die Beat-Projekte eher weniger, das produzieren die Jungs größtenteils zu Hause. Es wird ab und zu noch ein Bass eingespielt oder hier und da irgendwie was, dann passiert das im Studio. Rein soundtechnisch fahren die Jungs ihren eigenen Sound und bearbeiten das bei sich.
Gustav: Aber es ist angenehm dort. Echt ein schönes Studio.
Johannes: Alles, was organisch ist, die handgemachte Musik, das passiert wirklich im Studio.
Ist das dein Beruf?
Johannes: Nö. Es ist nach wie vor Hobby. Ich bin zwar selbstständig, aber es wirft jetzt nicht die Mega-Kohle ab, um davon leben zu können. Ich bin selber auch Musiker, betreibe das aber lieber als Hobby, als davon wirklich abhängig sein und davon leben zu müssen. Bis jetzt ist das ein ziemlich großer Spielplatz für verrückte Sachen. Es ist wirklich komplett analog. Es geht auch digital, aber rein vom Sound-Verständnis her: Ich brauch’s einfach rough.
Wonach entscheidet ihr denn bei dem Label, was für Formate ihr verwendet?
Johannes: Das ist zum einen ein finanzieller Faktor. Ich bezahle das größtenteils alleine. Es ist natürlich auch die Musik entscheidend, klar. Aber auch, inwieweit der Künstler die Möglichkeit hat, finanziell etwas beizusteuern, oder es andere Möglichkeiten gibt wie Crowdfunding. In erster Linie kommt die Musik bei uns an, dann wird überlegt.
Tendenziell würde ich fast alles auf Vinyl releasen wollen, wenn da nicht der finanzielle Faktor wäre. So entscheidet sich das dann einfach im Produktionsprozess. Bei so einem Beat-Tape zum Beispiel, sind das Beats, die bei mir auf der Festplatte herumlagen. Das ist jetzt nichts, bei dem ich denke, dass muss jetzt unbedingt auf Vinyl erscheinen.
Ich mag das Medium Tape sehr, auch für Mix-Tapes ist das Medium irgendwie prädestiniert. Ich bin auch Sample-Digger und stehe total auf Loops und Samples und sammle da auch ziemlich viel Zeug. Es mag schon sein, dass diese Mixtape-Sache im digitalen Bereich sehr ausgeprägt ist. Es ist auch eine durchgängige Geschichte.
Eigentlich würde ich das am liebsten auch nur als eine Datei bei Bandcamp hochladen und durchlaufen lassen, einfach weil der Charakter des Mixes verloren geht, wenn es in Titel unterteilt wird. Auf der anderen Seite möchte man den Leuten die Möglichkeit geben, den Lieblings-Song anzuwählen.
Gustav: Also wir machen das schon hauptberuflich.
Was macht für euch aktuell den Großteil des Lebensunterhaltes aus? Die Einnahmen von Konzerten?
Gustav: Das ist unterschiedlich. Jeder Jazzer – wenn er nicht Weltklasse akzeptiert oder gekauft wird oder eine Sparte gefunden hat, für die er bekannt ist, was ja bekanntlich immer schwerer ist – ist selbstorganisert und kümmert sich darum, dass das Geld herankommt. Wenn man sehr hinterher ist, kann man dauernd Touren booken, mit ganz vielen Bands spielen, immer aufnehmen und Labels anschreiben.
Das ist ein Weg, den verfolgt zum Beispiel Luise. Ich habe Familie, ich unterrichte viel Jazz-Saxofon an Musikschulen oder privat, spiele aber auch Gigs. Zum Beispiel Konglomerat: Das ganze Geld, das wir auf der Tour verdienen, fließt in die Band. Es ist eben so eine Herzensangelegenheit.
Seid ihr dann auch als Studio-Musiker unterwegs oder ist das nicht mehr so gefragt?
Gustav: Das ist nicht mehr so gefragt. Ich meine, ganze Orchester werden für Hollywood-Filme programmiert. Ich hatte vielleicht drei Studio-Gigs in meinem Leben. Die waren auch bezahlt, aber das ist voll selten. Gerade bei Jazzern, die immer darauf Wert legen, ihren eigenen Sound zu haben.
Bei Studio-Sachen braucht man oft Allrounder, die dann das können und das können und das können. Mit eigenen Projekten spielen kann funktionieren, wenn man wirklich bekannter wird. Oder halt unterrichten, Workshops geben.
Inwiefern spielt denn da Förderung im Musik-Bereich eine Rolle?
Gustav: Eine sehr große. Man schreibt das Goethe-Institut an, ob man nicht mal in China spielen kann oder so Sachen. Auch für bestimmte Projekte. Wenn man zum Beispiel große Ensembles hat, die man irgendwie finanzieren muss, wo man zum Beispiel für zwölf Leute schreibt, muss man da auch lange Sicht Fördergelder beantragen.
Du hast an der Hochschule für Musik und Theater studiert. Gibt es eine Tendenz bei deinen Kommilitonen, wieviele im Musikbereich über die Runden kommen?
Gustav: Im Studium macht ja jeder seine eigenen Projekte und übt und übt und übt. Es gibt dann keinen klaren Wechsel „Jetzt ist das Studium zu Ende, jetzt kümmere ich um ein Label“ oder so. Auf einmal muss man eben das Geld ranschaffen und da greift jeder erstmal zum Unterrichten.
Bei Leuten, die ich kenne und die fertig sind, da spielt ein Teil zu 80% Konzerte mit der Band und unterrichtet zu 20%. Bei anderen ist es anders.
Es ist auch immer die Frage, ob die Musik, die man spielt und für die man Geld kriegt, Kunst ist. Die meiste Kunst-Musik wird nicht so vom Mainstream akzeptiert. Also Funk ist zum Beispiel akzeptiert oder Pop-Sachen. Da spielt man als Saxofonist bei der Bläser-Sektion mit.
Beim Jazz wird’s dann schon schwieriger, oder?
Gustav: Genau. Superschwer.
Wenn es bis jetzt noch keinen Retro-Trend gab, dann beim Jazz.
Gustav: Aber was ist denn hier mit der Tanzrichtung Lindy Hop: Solche Swing-Tanzkurse gibt es tausende in Leipzig und überall. Da packt man aber auch nur eine Vierviertel-Bassdrum unter irgendwelche Jazz-Samples, daran verdient kein Jazzer.
Johannes: Im Hip Hop genauso, die ganzen Jazz-Samples …
Gustav: Also ich will nicht über elektronische Musik abhaten, ich finde die super und steh auch sehr drauf. Aber es nimmt natürlich den akustischen Musikern den Wind aus den Segeln. Es gibt super viele Aufnahmen und gerade auf die alten steht man, weil man den Sound schwer wieder bekommen kann. Ich finde auch immer alle Sachen, die so auf Tape und mit alten Mikrofonen aufgenommen sind, sind trotzdem was anderes. Das ist eine andere Zeit.
Was mir bei den alten Funk-Geschichten aus den 60ern und 70ern aufgefallen ist, die auch im Hip Hop eher die Klassiker sind: Was die für einen geilen Sound haben, wie das Schlagzeug knallt. Wo ich mich auch immer frage, wie die das gemacht haben.
Johannes: Übersteuern. Komplette Bandsättigung. Einfach Suppe.
Gustav: Die Leute haben früher gar nicht daran gedacht, dass das irgendwann gesamplet und was anderes daraus gemacht werden wird. Die haben noch nicht mal daran gedacht, dass das irgendwie ein geiler Sound ist, der auf Platte aufgenommen wird. Die haben einfach ihre Musik dokumentiert gesehen und fanden das gut.
Johannes: Ich glaube schon, dass die ihren Sound gefeiert haben.
Gustav: Aber nicht die Musiker, sondern die Studio-Leute. Die Musiker sind einfach von der Bar in das Studio gegangen und haben da eingespielt und haben 70 Dollar dafür bekommen und das sind halt die Platten, die heute gesamplet werden.
Johannes: Es gab damals richtige Produzenten oder Studio-Besitzer, die haben sich abends in Bars Leute gepicked, wenn die Musiker ihre Sessions gemacht haben.
Gustav: Und Jazz kann man nicht so als Reprise sehen, weil es Jazz immer noch gibt. Weil der sich immer weiterentwickelt hat und immer weiterentwickeln wird. Mit tausend Rück- und Vorgriffen von allen anderen Musik-Genres. Deswegen wird das ja häufig so gerne als improvisierte Musik gelabelt, um zu sagen: „Hey, da spielt noch jemand das, was er in dem Moment gespielt hat.“
Vielleicht wird ja dann als nächstes Konglomerat gesamplet.
Johannes: Ist schon passiert. Es wird eine Remix-EP von Konglomerat geben.
Eigentlich auch wieder logisch.
Johannes: Das war auch von vornherein geplant. Die Idee stand im Raum, dass wir zumindest einen Brückenschlag versuchen, die organische Musik auch in den Kontext des Labels zu bringen. Es wird auf jeden Fall sehr Hip Hop-lastig.
Konglomerat Website
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