Am kommenden Donnerstag findet der erste Teil der Gegenkrach!-Reihe im IfZ statt. Vorab gibt es einen Diskurs zum Krach mit Kurator Alexander Pehlemann.
In ingesamt drei Teilen schlägt die Gegenkrach!-Reihe zwischen Oktober und Dezember den Bogen von den historischen Anfängen und Entwicklungen der Lärmkunst zur heutigen Clubkultur. Denn die heutige Clubmusik ist durchaus „Resultat langer emanzipatorischer Kämpfe.“
Nicht nur inhaltlich ist diese Reihe definitiv eines der Herbsthighlights im IfZ-Programm. Sie wurde auch extrem schlüssig und hochkarätig von Alexander Pehlemann sowie dem Kulturraum e.V. kuratiert.
Pehlemann gibt seit 1993 das Magazin Zonic heraus, das sich tief in die Geschichten und Eigenheiten verschiedener, internationaler Subkulturen begibt. Er ist außerdem Autor beim Ventil Verlag, beim Kunstraum Kulturny Dom Lipsk / Salon Similde involviert, DJ beim Al-Haca Soundsystem und nebenbei ein wandelndes Lexikon für osteuropäische Subkulturen. In seiner Connewitzer Wohnung beantwortete er mir einige Fragen:Wie kam die Idee für die Reihe?
Ich habe mich mit dem IfZ getroffen und ein paar Ideen lanciert. Eine davon war, einmal daran anzusetzen, was sich für historische Fluchtlinien von elektronischer Clubkultur aufstellen lassen könnten. Jetzt ist dieser Dreischritt daraus geworden.
„Zusammen mit dem Kulturraum e.V. und dem IfZ haben wir vor einem Jahr eine Konzeption entwickelt und geschaut, wie es auch zum Ort passt.“
Das finde ich beim IfZ auch interessant, dass es diese Offenheit zur Bildenden Kunst gibt und dass man dies gern weitertreiben möchte.
Der Titel ruft zwar etwas plakativ eine Gegnerschaft aus. Aber beim Futurismus ging es auch noch um ein Entgegensetzen. Da wurde sich gegen die Übermacht der Vergangenheit in Italien aufgestellt. Aus Sicht der Futuristen war Italien ein riesiges Museum, das in seiner Vergangenheit feststeckt und dem man mit einer großen Ohrfeige die Moderne in die Ohren schlagen muss. Unsere Reihe setzt da auch an, mit dem Manifest „Die Kunst der Geräusche“ von Luigi Russolo aus dem Jahr 1913.
Der Futurismus war die Keimzelle des kunstvollen Lärms?
Ja, in gewisser Weise. Es war zumindest die Ausrufung. Es gab natürlich noch weitere Künstler. Aber es lag wohl in der Luft, andere Klanglandschaften einzuspeisen, die neue Geräusche der Umgebung widerspiegelten. Parallel verlief die Suche nach der Atonalität bei Schönberg und danach mischt Dada die Avantgarde auf – auch ein Aufruf zum totalen Umbruch und offensiven Nonsens.
In die Zeit fällt auch Jazz, der für den klassisch europäisch geschulten Kulturmenschen auch erstmal eine Lärmattacke war. Nach dem ersten Weltkrieg vollzog dann unter anderem in der Sowjetunion die Entwicklung der elektronischen Musik mit ersten handlichen elektronischen Instrumenten entscheidende Fortschritte. In den frühen 1920ern wurde dort auch in sehr radikaler Form der Lärmkunstgedanke aufgegriffen. Da gab es Konzertaufführungen für Fabriksirenen.
Krach in dem Sinne hat schon etwas mit Innovation, Befreien und Aufbrechen von Strukturen zu tun?
Ja, durchaus. Im Bewusstsein der möglichen Ambivalenzen muss aber hinzugefügt werden, dass es auch den regressiven Krach gibt. Krach, der affirmativ an Gewalt appelliert und eine Verkörperung eines Klangsozialdarwinismus ist. Das ist ja eine Diskussion, die man auch anhand von schnöder Rockmusik führen kann. Natürlich ist auch nicht zu vernachlässigen, wie die Dinge manipulativ eingesetzt werden können, im Sinne von Propaganda. Es sind ja Wirkungsmechanismen, die erstmal funktionieren. Gebündelter Krach, zum Ornament geformt ist dann ganz schnell Pathos. Und Pathos ist schnell auch Kitsch, aber auch ein funktionierender Aufwühlmoment.
Gibt es so etwas wie eine Evolution des Krachs?
Es gibt vielleicht eine Ausdifferenzierung. Es gibt heute die extremen Möglichkeiten der digitalen Produktion, die sämtliche sonischen Ausdrucksmittel abrufbar gemacht haben. Russolo hat noch mühselig riesige Apparaturen gebaut, um verschiedene Formen von Krach erzeugen zu können. Er hat sogar Krachfamilien entworfen, Schnarren, Pfeifen, Quietschen, etc. Dann gibt es natürlich den real existierenden Umgebungskrach, der eingespeist wird. Das hat der Futurismus vorher schon eingefordert, beispielsweise mit der Lautpoesie. Da gab es im Futurismus teilweise eine Nachbildung des realen, modernen Krachs der Maschinen, die einen damals plötzlich im Alltag umgeben haben.
Neu war, das überhaupt ästhetisch wahrzunehmen. Nicht als Störelement und als reinen Krach, sondern als etwas, das man ästhetisch vielleicht erstmal nur wahrnehmen, später aber auch goutieren und als Material benutzen kann. Später konnte man die Dinge auch speichern, wodurch sich das gespeicherte Material auch wieder eingespeist werden konnte – das entwickelt sich immer weiter. Es gab ja eine lange Phase, in der mit Manipulationen von Magnetbändern gearbeitet wurde, Loops zerschneiden, Dinge zerlegen und neu zusammenzusetzen. Da ist mit der Digitalisierung nun alles möglich. Alles ist zudem seither auch schon da und permanent abrufbar.
Kann es auch eine Neubewertung von Krach geben? Etwas was ursprünglich als Krach empfunden wurde, wird irgendwann als ästhetisch wahrgenommen? Beim Techno kann das ja so gesehen werden, aber gibt noch andere Beispiele?
In der neuen E-Musik gibt es das, die Gewöhnung an Atonalität und Dissonanz, egal ob mit klassischem Instrumentarium oder mit Zuspielband erzeugt. Das ist generell aber etwas, über das man dann sicher mit Dimitri Hegemann gut sprechen kann. Zumindest kann man sagen: Gut, die Dinge haben ihre Schockwirkung, aber diese Wirkung schlägt auch bald um in eine Art Gewöhnungsrezeptionshaltung und dann muss es irgendwie noch weiter gehen. Zum Beispiel in der Bemühung, die Dinge immer weiter aufzulösen.
Das lässt sich auch in anderen Bereichen wie Black Metal hören. Am Ende geht es da auch fast bis zu einer monochromatischen Auflösung in der Soundwolke und dann ist der Bogen schnell zu einer Band wie Sunn O))) geschlagen, die auch auf Minimal Music und moderne ernste Musik zurückgreift. Da kommen die Dinge plötzlich zusammen und dann spielt so eine Band eben auch im Berghain.
20.10.2016 / Der Kampf um den Lärm – zur Ästhetik der Geräuschmusik
Am ersten Abend wird Dr. Johannes Ullmaier, Mitbegründer und Mitherausgeber der testcard-Reihe einen einleitenden Vortrag halten, der exemplarisch einige Stationen zwischen Luigi Russolos Manifest „L’Arte dei Rumori“ – „Die Kunst der Geräusche“ –, Musique Concrete bis hin zu Industrial als wichtigem Impulsgeber für Techno anreißen wird.
Im Anschluss wird der Dokumentarfilm „Industrial Soundtrack For The Urban Decay“ gezeigt, der in mehreren Artist-Interviews die Entstehung von Industrial nachzeichnet.
25.11.2016 / Kassettentäter Ost/West
Östlich und westlich der innerdeutschen Grenze existierten eigene Szenen, die sich von Punk und Post inspiriert selbst verwirklichten und in Eigenvertrieb Kassetten herausbrachten. Mit Felix Kubin aus Hamburg und Jan Kummer vom weirden Avantgarde-Kollektiv AG Geige aus Chemnitz erzählen zwei Szene-Protagonisten aus ihrer Zeit in den 1980er Jahren.
Danach gibt es ein Live-Set von Karl Marx Stadt, der tatsächlich dort geboren wurde und zufällig ein Schaufensterkonzert von AG Geige erlebte. Am 25.11. wird er alte Original-Aufnahmen mit seinen analogen Synthesizern remixen – teilweise wird sogar Jan Kummer daneben stehen und alte AG Geige-Texte vortragen. Etwas, das so schnell wahrscheinlich nicht wieder passieren wird. Logisch, dass es an dem Abend auch die limitierte AG Geige-Box geben wird. Anschließend mixen Pehlemann und Kubin gemeinsam den Ost-West-Underground zusammen.
16.12.2016 / Atonal | Funktional
Im letzten Teil der Reihe wird Dimitri Hegemann aus seinem Leben auf der Tangente (West-)Berlin und Detroit erzählen. Der Begründer des Tresor-Clubs und Atonal-Festivals hat wie kaum ein anderer Akteur den Übergang zwischen Industrial, Post Punk und Wave hin zu Techno mitgeprägt. Heute versucht er in Detroit und in der Provinz des Berliner Umlands neue Strukturen aufzubauen.
Passenderweise spielt an diesem Abend auch Basic Channel-Hero Moritz von Oswald ein DJ-Set. Eine osteuropäische Konzept-Kunst-Legende sind Autopsia, die sich im serbischen Novi Sad 1980 gründeten und heute in Prag leben. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit dem Tod, musikalisch bewegen sie sich zwischen „Industrial, Neoclassical-Ambient und dystopischen Dub“.
Darüber hinaus wird es an diesem letzten Abend mit „Full Zero“ eine audiovisuelle Live-Performance des Dresdner Künstlers Ulf Langheinrich geben. Minimal Sound und hypnotische Bassstrukturen in 4.1-Surround werden mit extrem nahen Kamera der chinesischen Performerin Luo Yuebing verknüpft.