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Paula
Paula Charlotte ist M.Sc. Psychologin in Leipzig,spricht und schreibt als Autorin und Redakteurin über intersektionalen Feminismus, elektronische Musik und mentale Gesundheit. Außerdem spricht sie mit Fabian Ajaj im gemeinsamen Podcast "St*rytime" über unsere Gesellschaft zwischen Privilegien und Diskriminierungen.

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Behind the nights – Œuvre

04. November 2017 / Kommentare (0)

Die Diversität möchte das Œuvre-Kollektiv mit seiner Reihe fördern. Unsere neue Autorin Paula hat sich mit ihm getroffen und war beim Drag Takeover im IfZ.

Ein Dunstkreis aus Freunden, seit Jahren wabern sie schon unter immer wechselnden Alter Egos durch die Musiklandschaft: DJs, KünstlerInnen und Partyorga. Leipzig haben sie als Zentrum des Ganzen gewählt, obwohl der Großteil von ihnen ganz woanders herkommt, ganz woanders wohnt.

Jetzt wollen sie offiziell eine Bühne, ein Gesamtwerk sein, in all der Diversität, die vor allem elektronische Musik im Grunde mit sich bringt. Doch auch andere Kunstrichtungen sollen hier ihren Raum finden, Malerei, performative Kunst

Der Freundeskreis um Leander und Elias alias DJ Paris begann vor anderthalb Jahren in der Blauen Perle Partys unter wechselnden Namen zu organisieren. Durch eine feste Crew, den neuen Namen sowie die Veranstaltungen im So&So und IfZ soll das ganze mehr Struktur bekommen – ohne festgelegte Grenzen. Daher auch der Name: Œuvre. Es gibt keine ernst zu nehmende Stringenz in den Produkten des Schaffens, die Crew arbeitet interdisziplinär, im Zick Zack – sie wollten sich von Anfang an nicht selber begrenzen.

Ein Selbstläufer, der mehr und mehr Gestalt annimmt. Das Konzept? Sie wollen Kunstformen zusammenbringen. „Theatrale Clubphänomene präsentieren“, so beschreiben sie selbst ihren Wunsch, die konventionellen Clubfunktionsweisen aufzubrechen. Die Aufteilung der Floors bleibt zwar klassisch (großer Floor Techno, kleiner Floor House), aber das Performative rückt in den Vordergrund, der Spaß bei der Sache. Sie wollen mehr bieten als „zehn DJ auf zwei Floors in einer Nacht“. Deswegen buchen sie auch viele Musiker, die live spielen. Das hätte eine ganz andere Dynamik und würde die Abwärtsspirale aus minimalen Genreverschiebungen über die ganze Nacht hinweg aufbrechen.
DJ Paris selbst sehen sich auch an der Grenze zur Performancekunst: Sie nehmen sich selbst nicht ernst, zappeln herum, ziehen eine Show ab und stampfen nicht stur ihre Beats hinter dem Mischpult ab. „Die meisten klassischen Technopartys bzw. DJs sind sehr monoton. Das wollen wir aufbrechen. So innovativ Leipzig auch ist, alles fährt oft in einer Schiene.“ Die Jungs leben eine gewisse Selbstironie und Schnelllebigkeit, die die jetzige Generation vor allem als Internetphänomen oft inne hat. Sie vertreten jenen Mangel an Ernsthaftigkeit, der im positiven Sinne gemeint wird.

Wie geht man bei dem Anspruch, mit klassischen Clubkonzepten zu brechen, nicht in den Möglichkeiten verloren? Œuvre konzentriert sich vor allem auf ein junges, zeitgenössisches Booking. Wesentlich bei der ganzen Sache ist außerdem immer wieder: Die ganze Crew bewegt sich in einem Freundeskreis, das heißt es herrscht eine ähnliche Dynamik, die sich nicht kategorisieren lässt.

Musikalisch ordnet sich die Crew irgendwo im zeitgenössischen House und Techno ein. Die DJs spielen kaum Tracks, die älter als drei Jahre sind. Beim Booking achten sie, ebenfalls ein zeitgenössisches Thema, auf einen ausgeglichenen Anteil an weiblichen DJs. Außerdem versucht Œuvre über den Tellerrand üblicher Bookings hinaus zu schauen. In Leipzig gäbe es oft sehr ähnliche, fast festgefahrene Bookings. Die Crew möchte auf ihren Partys Acts, die in Leipzig nicht explizit bekannt sind – überregional und eher noch unbekannt eben.

„Das klassische Booking auf der ganzen Welt läuft doch oft so ab: Es gibt einen (Berghain)-Resident und ein paar Leute aus der Region.“

Das empfindet die Œuvre-Crew nicht sonderlich spannend, es transportiere immer einen ähnlichen Sound. Ihr Anspruch ist es, „aus den neuesten Auswüchsen zu schöpfen.“Und wie geht es weiter mit der Crew als Gesamtwerk? Releases sind in Vorbereitung, Grafiken in Arbeit, es soll ein Magazin geben. Im Januar steht eine Ausstellung im Pögehaus an. Œuvre und seine vielen Schwerpunkte, mit dem Großteil bei der Musik. Übrigens, „die Crew“: Raedea, Sören Torney und Yngve stehen für Techno; DJ Paris spielen LoFi und Linus sowie DJ Haiwan fühlen sich in House und Ambient zu Hause. Den grafischen Part übernehmen Hanako & Laura und Jan ist für die Video-Designs verantwortlich.

Das klingt alles wie eine vielversprechende Utopie, alles ist möglich, nichts steht fest. Und zu ernst sollte man sich ohnehin nicht nehmen. Wie setzt man das Ganze aber konkret um?

Œuvre Drag Takeover
Die Œuvre Drag Takeover-Party im IfZ Mitte Oktober zeigte, dass es funktionieren kann. Denn auch wenn das Kollektiv auf den ersten Blick nicht unglaublich divers scheinen mag, kümmern sich die Mitglieder darum, dass Menschen, die „gezeigt werden müssen“ eine Chance gegeben wird, Psoriasis etwa. Sie schätzt die Motivation der Crew, Partynächte abseits des üblichen Inhalts zu gestalten, indem sie Menschen und Künstler*innen integrieren, die von diesem Publikum möglicherweise andernfalls wenig wahrgenommen werden: „Wir wollen, dass das, was du machst, auch das ist, was wir machen“, beschreibt sie das Konzept.

Psoriasis ist Dragkünstlerin aus Berlin und Kuratorin der Drag Takeover Show. Sie sieht die Bedeutung in der Kombination aus Oeuvre & Drag vor allem darin, dass queere Menschen und Menschen mit mehreren Diskriminierungsoberflächen die Chance bekommen, sich mitzuteilen, sich sichtbar zu machen.V.l.n.r.: Martini Cherry Furter, Alexander Cameltoe, Psoriasis, Billy Jean, Gieza Poke, Dollar Baby


 

„Das IfZ hat einen Stempel: techniod, weniger superfun, queer, bunt, crazy. Deswegen ist das Konzept, die Party, so gut: etwas Neues reinbringen in diesen Raum, hineingelassen werden.“ so Psoriasis. Sie und ihre PerfomerInnen machen highly political Art/Drag. Doch nie zu ernst, die Show ist immer mit ausreichend Witz gewürzt – „ein guter Mix, um den Leuten zu zeigen, was es für eine Bandbreite an Drag gibt. Es muss nicht immer eine wunderschöne Female-Illusion-Dragqueen sein.“ Psoriasis als Kuratorin ist vor allem Diversität auf der Bühne wichtig. Und der Hintergrund der PerformerInnen, ihr Ziel im Leben, dass sie für das brennen, was sie tun, dass sie damit im Publikum Emotionen hervorbringen können. Das sei gute Kunst. Und es ist wichtig, wenn man die Seele bei der Performance sieht.

Nicht alles muss alternativ oder anders sein, nicht alles muss abseits des Dragqueen-Stereotyps der Female-Illusion passieren. Was Psoriasis wichtig ist, ist der Funken Lebensnotwenigkeit. „Ich muss mich mitteilen, sonst kann ich nicht gut schlafen. Aus dem Grund, weil Menschen meine Geschichte sonst nicht hören. Aber die muss erzählt werden.“ Drag ist für Psoriasis die Möglichkeit, auf einer Bühne Probleme zu teilen, Geschichten zu erzählen, sich der Welt zu zeigen. Sie verkleidet das als Drag, es ist eine Ausdrucksform.

„Das ist nichts, was ich am Wochenende mache, um mich einfach zu betrinken und dann richtig crazy zu gehen.“

Deswegen ist ihr Drag-Charakter auch weniger Schauspielerei als vielmehr eine Erweiterung ihrer Selbst: „highly sensitive und super aggressive“ zwar, aber sie verstellt sich nicht.

Für die PerfomerInnen, die sie nach Leipzig mitgenommen hatte, würde sie die Hand ins Feuer legen. „Das ist Kunst, die sehr gut ist, die von Menschen gemacht wird, die sonst nicht viel Aufmerksamkeit in der restlichen Gesellschaft kriegen. Ich will ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken, weil sie es verdienen.“ Mit ihren Lieblingskids will sie neue Leute überzeugen, „das Publikum brechen, zusmashen.“

„Everything is drag.“ (Psoriasis)
Von ihnen würde sich auch keine wirklich als „Dragqueen“ bezeichnen. „Dollar Baby nennt sich Dragdesaster. Alexander Cameltoe nennt sich Dragthing. Martini Cherry ist Burlesque-Tänzerin und Schauspielerin, Billie Jean liebt es, sich hübsch zu machen und für andere zu tanzen. Gieza Poke ist eine superlaute Sportlehrerin.“ Psoriasis selbst bezeichnet sich als Drag-Monster. In der Perfomance der Gruppe, die hauptsächlich in Berlin als Teil des House of Presents, einem Kollektiv aus Drag-Künstler*innen, performen, gibt es Lipsync, Tanz, Lifegesang, Poetry und Spoken Word, Striptease. Das Dragkollektiv in Berlin vertritt viele unterschiedliche Dragstyles und -genres, das ist „alternativer Drag“, eine Varieté Show, eine Talentshow.
Gieza Poke versucht, so sagt sie, gar nicht aktiv, dem Stereotyp fernzubleiben. „Alle hier bringen ihre Ideen und Kreativität auf den Tisch, niemand von uns würde jemals denken ‚Oh, aber so und so sollte man es eigentlich tun, vielleicht mache ich es falsch.’“ Und Alexander Cameltoe schätzt besonders das am House of Presents und seinen PerformerInnen: „Es verändert sich immer, es entwickelt sich weiter. Und was für mich anders ist im Gegensatz zu anderen Kunstformen: Man zeigt sich dem Publikum gegenüber großzügig, dankbar. Es findet nicht alles still und leise im eigenen Kopf statt, man gibt den Leuten etwas zurück.“

Was für Martini Cherry an Drag, an dem Performen auf der Bühne, besonders interessant ist: Man hat etwas zu sagen, etwas für das man kämpft. „Drag is underground culture: People who are struggling actually. They perform to stay alive. They use Drag to give smile, to entertain people, to questionate people. That is the most interesting part for me. It is salvating to share this energy with people.“

Drag im IfZ
Die Spannung der PerfomerInnen gegenüber den Reaktionen des Publikums im IfZ stand vor der Show besonders im Raum. Sie alle seien daran gewöhnt, für ein Publikum zu performen, das sie kennen und welches sie kennt, was weiß, was es zu erwarten hat. Mit Jazzmusik, Popmusik oder gar Poetry ohne jeglichen Anker der Popsongs, die jeder irgendwie kennt und tief im Inneren irgendwie auch mag. Funktioniert das in einem Technoclub?

Und ob. Nachdem im Trakt I bereits zwei Stunden zu Techno gestampft wurde, feierten die Leute schon das Intro der Show und den Track „Samba de Janeiro“. Verschwitzte, aufgeschlossene und emotionsgeladene Gesichter rund um die 360°-Bühne.

Etwas, was man doch eher selten auf dem Techno-Floor des IfZ erlebt.

Psoriasis als Moderatorin mutete zwischenzeitlich an wie eine Animateurin im Feriencamp, eine skurril geschminkte zwar, die oben ohne mit zugeklebten Nippeln auf der Bühne steht und deren Alter Ego „highly sensitive and super aggressive“ ist. Die das Publikum aber ohne wenn und aber mitreißt. Die Emotionen der PerformerInnen wurden aufgesaugt und weitergegeben, ob es um Herzschmerz ging oder eine heiße Nacht, um #metoo in Spoken Word oder die Feuershow am Ende.

„I will just suppose some Jazz music. And set my ass on fire, you know. Casual night.“ hat Martini Cherry Furter vor der Show gesagt. Und nicht nur ihr Ass hat meiner Meinung nach im IfZ in dieser Nacht Feuer gefangen.

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