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Friederike
Friederike beschreibt sich ungern kompakt in einem Dreizeiler. Dazu ist das Leben zu vielfältig und das Wort zu groß. Ein paar Konstanten gibt es doch – die elektronische Musik und das Schreiben, beides facettenreich.

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Slave to the Rhythm in der Residenz

02. Mai 2018 / Kommentare (0)

Die Performance „Slave to the Rhythm“ vom Choreograf Hermann Heisig setzt sich derzeit in der Residenz vom Schauspiel Leipzig mit der Verbindung von Musik und Bewegung auseinander. Als akustische Quelle holte er sich die Arbeit von Kassem Mosse dazu. In dieser Woche gibt es die Aufführung nochmals in der zweiten Welle zu sehen.

Der 1981 in Leipzig geborene und in Berlin lebende Choreograph, Tänzer und Performer Hermann Heisig setzt sich in seinen Arbeiten vornehmlich mit Reibungseffekten von Körpern in sich, miteinander und mit ihrer Umwelt auseinander. Ihn interessiert das Umständliche und so folgt er der paradoxen Logik, sich in einer Zeit der Entkörperlichung mit Tanz zu beschäftigen. Er blickt auf zahlreiche Kollaborationen zurück, darunter mit der Band Brockdorff Klanglabor. In „Slave to the Rhythm“ produzierte Kassem Mosse den Sound zur Performance, der innerhalb dieser abgespielt und vielmehr als Quelle der Bewegung genutzt wird. Bei der Uraufführung im April war der Sound-Virtuose mit einem DJ-Set nach der Vorstellung dabei.

Im Bühnenraum verteilen sich in den Ecken der Tanzfläche fünf weiß-lackierte Holzkisten, davon zwei in Quaderform, zwei stufenförmig und ein Prisma. Im linken vorderen Teil spielt sich eine Darstellerin auf dem Synthesizer eintönig, auf nur wenigen Tasten entlang. Ein Anspruch auf Vielfältigkeit oder Variation existiert nicht. Nur streng blickt sie über ihre Brille. Kein Lächeln gefährdet die roten Lippen.

Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer schreiten auf die Bühne. Glitzerjacken, Leggings, Plissee-Rock und Sneaker kleiden sie in schwarz, weiß und grauer Farbauswahl. Die Anweisungen beginnen. Die Bewegungen erfolgen im Rhythmus des Klatschens, der Tanz zur Monotonie des Sounds. „Breath in, Breath out“ und nicht zu vergessen beim synchronen Auf- und Abschreiten: „Enjoy“. Töne dringen ins Nervensystem der Tanzenden ein, um unmittelbar Befehle auszuführen. Die Körper bewegen sich im Takt, wie sich Soldaten zur Marschmusik bewegen. Durch die drei Elemente Zeit, Raum und Körperkraft wird die bloße Bewegung zur künstlerischen, musikalischen Leistung – so der Ansatz von Emilé Jaques-Dalcroze. Dabei werden in Dalcrozes rhythmischer Gymnastik durch die Ausbildung des Nerven- und Muskelsystems sowie des Hörens die Elemente so eingesetzt, dass Musik plastisch realisiert wird.

Der Schweizer Musikpädagoge erhob diesen Ansatz zur Erziehungskunst im Kontext der Lebensreformbewegung des 20. Jahrhunderts. So bedinge Musik und Rhythmus nicht nur körperliche Bewegung, sondern ebenso seelische. Die Bewegung gelte als Ausdruck eines freieren Lebensgefühls, ebenso als Ursprung der geistigen Freiheit. Damit einher ging die Suche nach dem „neuen Menschen“ in der Gegenbewegung zur modernen Welt und war Antwort auf die Sinn- und Identitätskrise als Folge des technischen Fortschritts und der Beschleunigung des Lebens.

Jeder einzelne Schritt wird von der lehrerhaften Akteurin angewiesen, jeder Schritt ist synchron – Abweichungen existieren nicht – Freude auf Zuruf. Auch wenn die Performenden mit letzter Kraft ein Lächeln erzwingen, als sie bereits zum zwanzigsten Mal händehaltend vor- und zurück schreiten und die Zuschauenden in erschöpfte Gesichter blicken. Die Tänzer verschwinden nach und nach von der Bühne bis nur noch einer übrig bleibt. Musik aus. Der Gebliebene tanzt und tanzt und tanzt.

Rhythmus als Quelle von Freude und Kraft – so die Dalcroze-Methode.

Mit weißen Gymnastikbällen in den Händen schreiten die PerformerInnen wieder auf die Bühne, rhythmisch werfen sie die Bälle hoch und runter. Eine Darstellerin tanzt mit der Holzkiste im Off. Die Homogenität bröckelt. Die Gruppe baut aus den weißen Hindernissen eine Rutsche – „The Risk“. Jeder gleitet im eigenen Ausdruck herunter, bis sie „The Risk“ gemeinsam nehmen. Dicht verschlungen ineinander schlafen sie ein. Das Licht wird heller, der Sound erinnert an Vogelgezwitscher.
Die Gruppe spaltet sich. Mitten dominieren im vormaligen monotonen, singulären Sound. Das einst klar Rhythmische wird flächig, das Klangspektrum breiter. Während die einstige Anweisende mit einer Tänzerin in einer Ecke sich zueinander spiegelnd bewegt, tanzen die anderen ekstatisch, unrhythmisch, schlagen sich, bekriegen sich, entkleiden sich teilweise. Das ganzheitliche System der Elemente gerät außer Kontrolle. Die vier Tanzenden positionieren sich in einer Reihe vor dem Publikum. Durch langsame, rhythmische und homogene Bewegungen fungieren die Körper als Betrachtungsfläche. Die Vorstellung endet.

Das System aus Sound und Bewegung erzeugt innerhalb seiner Wirkung eine Ganzheitlichkeit, die es dem Zuschauenden erschwert, beides zu trennen, sich zu fokussieren oder gar zu unterscheiden, ob die Töne aus dem Off kommen. Zufällig oder auch bewusst wird bei der Produktion die Wirkung monotonen Sounds und die damit einhergehende monotone Bewegung, die auch vom Clubs-Dancefloor bekannt ist, aufgegriffen. Gerade bei Techno können Tanzende hierbei einen Trance-Zustand erreichen und eine gefühlte geistige Freiheit erfahren. Doch sind gerade Kassem Mosses Sounds sonst eher untypisch für Stetigkeit und wiederkehrende Elemente. Er nutzt hier also vielmehr die Bandbreite seiner Sound-Variationen. Das Spektrum wird auch in der zweiten Hälfte der Produktion angewendet, als die Homogenität bricht, die Rhythmik außer Kontrolle gerät und das ganzheitliche System zerfällt. Sehenswert und hörenswert – finden wir.

Fotos: Rolf Arnold

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