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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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„Es entwickelt sich latent launisch“ – Delhia de France

04. Juni 2014 / Kommentare (0)

Pentatones-Sängerin Delhia de France ist mit dem Start ihrer Solo-EP-Trilogie eine ordentliche Überraschung gelungen. Worum es geht, sagt sie im frohfroh-Interview.

Neulich erst gab es einen Pentatones-Auftritt in der Distillery bei dem erste Stücke des noch unveröffentlichten, mit Robot Koch produzierten Albums vorgestellt wurden. Letzte Woche erschien dann recht überraschend „Suavium“, der erste Teil einer EP-Trilogie, die sich „auf ästhetische Weise mit Deformation und Veränderung des Körpers sowie körperlicher Wahrnehmung“ beschäftigen soll – mit dem Kuss als Motiv.

Im Lateinischen gibt es drei verschieden nuancierte Bedeutungen des Kusses: den Liebeskuss (Suavium), den Zuneigungskuss (Basium) sowie den freundschaftlichen Kuss (Osculum). Ein mächtig aufgeladener konzeptioneller Überbau also, der audiovisuell durch begleitende Song-Videos mit unterschiedlichen Visuals-Künstlern umgesetzt werden soll.

Unabhängig von der verbindenden Konzeption vereint der erste Teil „Suavium“ sechs dunkel gedimmte, zwischen Electronica und Pop chargierende Songs, die Delhias Stimme einen pulsierenden Kontra-Rahmen geben. Gänzlich anders als bei den Pentatones oder ihren Vocal-Beträgen für Douglas Greed oder demnächst Steve Bug.

Für mich das erste Mal, dass es komplett passt – die selbstbewusste Getragenheit der Arrangements, die warmen und doch unberechenbaren Sounds – inklusive der Harfe von Julia Pritz, Delhias weniger ausholende Stimme.

„Holy Ghost“, „Share A Breathe“ und „The Book“ wagen sich wirklich weit ins Experimentelle. Mit „Suneater“ und „Unconcealable“ wird später das songwriterische Pop-Potential deutlich, in dem sogar die Grundwehmut der Stücke verlassen wird. Eine große Überraschung. Und ein Anlass, Delhia selbst zu Wort kommen zu lassen.


Eigentlich habe ich als nächstes das Pentatones-Album erwartet – nun plötzlich der Start einer groß angelegten Solo-Trilogie. Ein spontanes Projekt scheint es aber nicht gewesen zu sein.

Das schwelte schon eine Weile vor sich hin. Ich muss das natürlich alles mit Pentatones koordinieren. Aber ich konnte auch nicht mehr warten, bis das neue Album released wird, was am Ende vielleicht strategisch klüger gewesen wäre. Ich habe schon viel zu lange darauf gewartet, endlich loszulegen und nun hab ich es einfach getan und es fühlt ich gut an.

Dass das Ganze nun zu einem konzeptionellen Projekt herangewachsen ist, hat sich dabei eher von selbst ergeben. Es ist ein Prozess geworden und ich möchte mich darauf einlassen. Nach all den Kooperationen und der Bandarbeit der letzten Jahre war es mehr als überfällig, aber ich habe eine Weile gebraucht, mich auch wirklich zu trauen.

Natürlich ist man nie allein, auch wenn ich das anfangs dachte und das genau der Grund meines langen Zögerns war. Ich habe viele unglaublich talentierte Künstler und Freunde, die bei diesem Projekt mitarbeiten – sei es musikalisch-mixtechnisch oder für Artwork und Videos. Dafür bin ich wirklich sehr dankbar die Möglichkeit zu haben meine Ideen umzusetzen.

Das ist nicht immer einfach und nervt teilweise, wenn man mit einem Low-bis-eher-No-Budget arbeiten muss. Aber so ist es einfach gerade und es fordert einen auch heraus, effektiver und minimaler zu denken.

Eine der Kernfragen der Trilogie ist: wie viel Experiment braucht Popmusik und wie viel Pop braucht experimentelle Musik? Hast du für dich schon eine Antwort darauf gefunden?

Ich glaube nicht. Das wäre ja auch langweilig. Tatsächlich bin ich ein sehr ambivalenter Mensch. Mir wird schnell langweilig und ich brauche die Abwechslung und Herausforderung. Das hat auch was damit zu tun, die eigenen Gewohnheiten und Hörgewohnheiten zu hinterfragen bzw. auch den Zuhörer eben genau dazu zu bringen.

Manchmal frage ich mich auch, ob ich dies oder jenes musikalisch wirklich machen kann, weil es stilistisch zu weit auseinander geht. Aber ich sehe Delhia ein bisschen als Spielwiese und versuche das nicht all zu sehr zu bewerten. Ich verzweifele manchmal daran, aber eigentlich möchte ich nicht daran glauben, das Dinge so oder so sein müssen damit sie funktionieren, von der Industrie gefeiert werden oder verkäuflich sind.

Dass etwas so und so klingen oder aussehen muss, damit man es hier oder dort einordnen kann. Vielleicht ist das völlig naiv, aber was soll’s. I try.

Werden sich die drei Teile musikalisch spürbar unterscheiden – ein Liebeskuss unterscheidet sich ja auch von einem freundschaftlichen Kuss?

Ja das habe ich vor. Aber es ist gar nicht so einfach, dass trotzdem irgendwie unter einen Hut zu bringen, da ich am liebsten alles machen würde. Doch auch das wird sich ergeben. Und wohin die musikalische Reise, das lasse ich passieren. Es kristallisiert sich so langsam heraus. Kann sich aber andererseits auch morgen wieder ändern. Latent launisch.

Ich habe noch ein paar sehr ruhige Stücke, nur mit Klavier und dann wiederum auch den Drang mich wieder mehr mit Clubmusik zu beschäftigen. Ich vermisse das Roughe, das Ausrasten, treibende Beats. Dann ist da noch meine erste Liebe HipHop. Die vergisst man ja bekanntlich nie und die klopft immer mal wieder an meine Tür und bleibt für ein paar Tage.

Und die Grand Dame Pop, die thront über allem und ja, die ist tricky – aber das ist auch gut so. Vielleicht besteht der Unterschied in den EPs auch eher in einem Gefühl? Oder einer Geschichte? Ich weiß es nicht. Das die erste EP „Suavium heißt, ist Absicht: die Songs sind teilweise etwas älter und haben mit dem Abschied einer Liebe zu tun. Ein letzter leidenschaftlicher Kuss sozusagen.Welche Rolle spielt die Harfistin Julia Pritz – ist sie beim Songwriting auch mit involviert?

Mit Julia habe ich erst angefangen die Tracks live umzusetzen. Und klar, wenn man dann zusammen probt, kommt es auch dazu, dass man anfängt zusammen zu schreiben. Das ist dann ähnlich wie bei Pentatones: wir jammen zusammen und daraus entstehen Songs, die ich arrangiere und ausproduziere bzw. Lines zu denen ich schreibe. Manchmal produziere ich die Tracks auch direkt so, dass die Synthies von Julia mit der Harfe übernommen werden können, wobei ich die Harfe zumeist auch noch einmal im Ableton mit Effekten bearbeite.

Julia überrascht mich dabei immer wieder. Sie hat ein unglaublich gutes Gespür für Melodien und ein kompositorisches Talent. Das ist nicht selbstverständlich für jemanden, der es gewohnt ist, klassische Stücke mehr oder weniger rigide nach recht konkreten Anweisungen zu spielen. Aber sie kann gut loslassen und wahrscheinlich ist es auch etwas der Hunger nach anderer Musik als nur klassischer. Neulich hat sie beispielsweise einen HipHop-Groove samt Bass ausgepackt. Ich konnte es fast nicht glauben, dass das jetzt von diesem weißen Harfenmädchen kommen soll.

Was ist meist zu erst da – deine Gesangsparts oder die Sound-Arrangements?

Zumeist mindestens eine Line oder ein Beat. Darauf improvisiere ich den Gesang und schreibe dazu. Oder ich habe Lyrics, die ich unbedingt verwenden will. Dann passe ich sie darauf an. Aber hauptsächlich beginnt es mit einem Gefühl und dann lasse ich es meistens einfach passieren. Es ist eine Art Zuhören oder in sich hinein hören. Zumindest in den besten Momenten bzw. am Anfang. Das Arrangieren und Produzieren empfinde ich dann oft eher als Arbeit. Aber man muss in dieses Trancegefühl kommen, richtig vertieft sein und am besten den Kopf ausschalten. Das klappt mal mehr mal weniger gut.

Es schwingt bei den Solo-Stücken eine nächtliche Melancholie, eine einsame Stille mit – ist die Nacht deine Zeit zum Produzieren?

Ja, an sich schon. Obwohl ich versuche tagsüber zu arbeiten, komme ich doch immer wieder zu diesem nokturnen Rhythmus zurück. Wenn die Welt schläft, dann kehrt eine gewisse Ruhe ein, eine bestimmte Energie. Dann arbeite ich am liebsten. Dann bin ich für mich.

Die Inszenierung und der konzeptionelle Überbau sind ja wichtige Elemente bei den Pentatones und deiner Solo-Arbeit – woher kommt die Faszination dafür?

Das ist wohl der Kunsthochschulen-Background, wir haben ja fast alle Kunst oder Gestaltung studiert. Bei Pentatones muss man dazu sagen, da LeSchnigg und Hannes beide auch als Performance-Künstler bzw. Bildende Künstler tätig sind, schwingt quasi das Inhaltlich-Konzeptionelle stets mit.

Bei mir auch teilweise, aber ich würde sagen, es ist eher der enorme Hang zu Ästhetik und einem ästhetischen Gesamtbild, sowie der Drang zu einer gewissen Andersartigkeit und einer Faszination für Fremdes. Es fühlt sich an wie eine Sehnsucht, eine getriebene Neugier, eine Welt um sich zu bauen wie ich sie empfinde oder sie sehe bzw. mir vorstellen möchte.

Du lebst nicht mehr in Leipzig – wie kommt es?

Ich habe fünf Jahre in Leipzig gewohnt und es war wirklich schön. Da ich eh oft gependelt bin zwischen Thüringen und Berlin hat das gut gepasst. Aber Leipzig war einfach nie wirklich meine Stadt. Vielleicht hätte ich mich auch mehr integrieren sollen. Manchmal hatte ich das Gefühl alles was passiert geht an mir vorbei …

Ich mag Leipzig und dann kommt es mir wieder provinziell vor, die Eigenbrötlerei und Fuckoff-Attitude abseits des Berlin-Hype-Rummels. Aber die kann ich auch in Thüringen haben – dort gibts wenigestens Berge. Nein wirklich, es war eine schöne Zeit, und es gibt einiges, dass ich vermisse, aber irgendwie war es eher eine Transitphase.

Berlin finde ich einfach kulturell spannender. Und dort habe ich auch einen großen Freundeskreis sowie einen Teil meiner Familie. Ich komme natürlich gern zurück, besonders jetzt im Sommer, und Pentatones treffen sich hier auch zum Proben.

„Suavium“ erscheint auf Lebensfreude Records, vorerst nur digital – bei Bandcamp zum selbst definierten Preis.

Delhia de France Website

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