Zwischen zwei Bassdrums bleibt meist wenig Platz für Diskurse. In dieser Woche kamen aber zwei spannende Themen auf.
Nicht unbedingt mit Leipzig-Bezug. Doch allgemein genug, um sie auch auf die lokale Ebene herunterzubrechen. Die aktuelle Groove-Ausgabe thematisiert über fünf Doppelseiten die sich verschärfenden Tendenzen zu immer höheren Künstlergagen, Pop-Star-adäquaten Entourage-Wünschen, einer globalen Monopolisierung der Agenturen und Top-DJs.
Der „Techno-Kapitalismus“ ist nicht neu und nicht per se verwerflich. Nur hat er in den vergangenen Jahren wohl noch einmal an Irre gewonnen. Wenn die Artist Alife-Bookerin Katrin Schlotfeldt (Chris Liebing, Loco Dice, Tale Of Us vertritt sie) meint, dass „wenn eine Anfrage aus Plauen kommt, können wir da keinen Großen hinbuchen,“ lässt sich natürlich entgegenhalten, dass Leipzig nicht Plauen ist. Aus Sicht der global aufgestellten Agenturen dürfte der Unterschied jedoch nur marginal ausfallen.
Einen Sven Väth oder Ricardo Villalobos gibt es demnach nur in einem Festival-Rahmen wie dem Think zu erleben. Oder eben weiter entfernt auf einem anderen großen Festival mit quasi jährlich identischen Line-ups. In der Distillery spielte Richie Hawtin zuletzt 2006. Andererseits: wer braucht die Hawtins und Väths wirklich? Der gemeinsame Nenner. Ist auch wichtig, gehört zum Pop, zum Mittelmaß.
Die interessanten Wagnisse und Neuauslotungen finden jedoch woanders statt. Hier wird es aber auch zunehmend problematisch für die Clubs und Veranstalter. Denn anscheinend steigen auch die Gagen für Underground-DJs und Soundcloud-Newcomer exponentieller als zuvor.
Allerdings scheint in dem Bereich noch mehr Verhandlungsspielraum zu bestehen, immerhin ist Leipzig nicht arm an derartigen Party-Line-ups. Dies bestätigen auch einigen Aussagen in der Groove: von den globalen Bookings der Großen profitieren die Underground-DJs auf der Suche nach regelmäßigen regionalen Auftrittsmöglichkeiten.
Ganz aus dem Rahmen der fortschreitenden Professionalisierung der Clubkultur fallen die Nebenher-DJs. Die Leipzigerin Smilla weist im aktuellen kreuzer daraufhin, dass „Nicht-Berufs-DJs“ kaum noch Slots in den Clubs bekommen. Sie würden eher an die DJs vergeben, die mit den Gagen ihre Miete zahlen müssten.
Wie auch immer: aus Leipziger Sicht scheinen die sich hochschaukelnden Kapitalismus-Gedanken der Groove weit entfernt. Es gibt keinen Mega-Club vor Ort. Und bis auf Moon Harbour, Matthias Tanzmann und Daniel Stefanik kaum einen Ibiza-Akteur.
Aber: Clubmusik ist wieder nahe am Pop. Darauf deutet auch der zweite interessante Beitrag in dieser Woche – veröffentlicht ursprünglich im Conne Island-Newsflyer, re-issued von Das Filter.
Mariann Diedrich sieht das noch recht junge Boiler Room-Format als „zeitgenössisches Pendant des früheres Top of the Pops“. DJs und Live-Acts im schön geordneten, virtuellen, jederzeit klickbaren Pseudo-Club-Kontext. Spannend ist hier aber weniger die Weiterführung der Pop-Mechanismen und die abnehmende Experimentierlust des Formats, sondern die Veränderung des Erlebnisraums Club durch die digitale Social-Media-Durchdringung.
Alles ist verfügbar. Sogar der Club mit allen erdenklich guten Acts. Das Ober-Line-up, ständig abrufbar für das „Kollektiv Online“. Mariann Diedrich dazu: „Das Bekenntnis dieser Generation entblößt sich, wenn Clubschwärmer das musikalische Nachtleben, welches sie bekanntlich als Refugium vor der gesellschaftlichen Realität für sich beanspruchen wollen, freiwillig einem medial-öffentlichen Voyeurismus übergeben und das Bedürfnis nach Entkoppelung dem Online-Wahn des Zeitgeistes untergeordnet wird.“
Kameraverbot für den ungestörten Exzess hier, gestylte Inszenierung für die weltweit ausstrahlende Webcam da. Eine super Dichotomie. Und weiter: „Momentan verlagert sich der Diskurs auf eine […] viel öffentlichere Ebene, wenn nun selbst die Grenzen des subkulturellen Biotops aufgegeben und die finale Banalisierung und Trivialisierung der Clubmusik ohne Wimpern zucken tot gefeiert werden.“
Hier frage ich mich aber, ob nicht eher die digitale Eigendynamik durch Smartphones und Social Media einen größeren Einfluss auf die genannten Thesen hat als ein Format wie Boiler Room. Die Aufhebung der privaten Grenzen und der subkulturellen Refugien liegt maßgeblich in den eigenen Partygasthänden.
Boiler Room spielt der Pop-Werdung und Professionalisierung der Clubkultur in die Karten – Top of the Pops trifft es hier sehr gut. Das Erlebnis Club gerät jedoch durch tausendfaches privates Broadcasten und Selfien ins Triviale.
Die Woche zeigte: es ist durchaus viel Diskursraum zwischen zwei Bassdrums.