Rauschen mit Klavier und vielem Dazwischen – Friederike Bernhardts Musik lebt maßgeblich auf der Theaterbühne. Und darüber hinaus? Ein Interview.
Es war ein Zufall, wie so oft. Bei Soundcloud, Bernhardt. heißt das Profil, darauf gleich zu Beginn eine dramatisch und eingedunkelt schwingende Ballade und fast zwei Dutzend weitere Tracks, Fragmente, Theatermitschnitte. Ein Fall für „Neues aus der Wolke“? Schnell wird klar, dass das Format nicht passt. Und dass es doch irgendwie hier an sich schon rein passt.
Mir war immer unklar, warum der ICE auf der Fahrt nach Berlin in Lutherstadt Wittenberg halten muss. Für Friederike Bernhardt, logisch. Dort kommt sie her, studierte Klavier am Conservatoire Nationale Toulouse, später Dramaturgie und Elektroakustische Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig.
Eine andere Welt. Bühnenmusik. Viel in der Hartmann-Intendanz hat sie komponiert, aber auch in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin und aktuell in Stuttgart. Spätestens seit Niklas Kraft als Talski und mit Pandt hat sich mein staubiger Blick auf den Hochschul-Output verändert. Friederike Bernhardt trägt auch dazu bei. Daher ein ausführlicheres Einführungsinterview.
Erst Klavier, später Dramaturgie und Elektroakustische Komposition – hast du ein Ziel vor Augen, wo du künstlerisch hinmöchtest oder haben sich die verschiedenen Felder nach und nach ergeben?
Das sind eher Handwerke als Felder die ich in dieser Reihenfolge lernen durfte und mit denen ich weniger künstlerische Ziele verfolge als vielmehr Zustände, Nächte, Sehnsüchte oder Tiere abstrahiere. Das Klavier war schon immer da, das mit dem Theater kam eher aus Versehen, die Elektroakustik ist genau genommen irgendwo dazwischen. Ein sehr freundlicher Vermittler sozusagen.
Inwiefern Vermittler? Kann die Elektroakustik besser auf Theatralik eingehen?
Vielleicht, vor allem aber auf mich. Ich habe mit ihr mehr Möglichkeiten, den Raum zu übernehmen oder zu untergraben als mit einem Klavier – von dem ich noch immer ausgehe. Das kann freilich jeder Musiker, dem man eine Steckdose und ein paar Kabel auf die Bühne legt. Das Wort Vermittler meint mir nur einen kleinen privaten Dolmetscher zwischen beidem. Ich habe vom Klavier sehr viel, vom Theater überhaupt keine Ahnung. Die Elektronik übersetzt mir mal meine Gewohnheit, mal einen unaussprechlichen (deswegen Aufführungsverbot einführen, bitte) Kleist, mal lediglich das kollektive Bedürfnis nach einer gewissen Lautstärke.
Deine Arbeiten sind demnach eng verzahnt mit dem Theater. Aber nicht nur, oder?
Doch, eigentlich schon. Zum Erfinden von zusammenhängenden und sinnvollen Tönen ist dieser Raum für mich der luxuriöseste, den es gibt. Daher ist eigentlich in den letzten Jahren jede Musik irgendwo zwischen Bühnenbildern, schreienden Schauspielern, Nebelmaschinen oder unprofessionell belegten Kantinenbrötchen entstanden.
Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit Regisseuren, Schauspielern, Bühnenbildner etc. vorstellen: Bist du von Anfang an mit eigenen Ideen involviert oder übersetzt du die Vorstellungen der Bühnenleute?
Früher als ich noch jung war, habe ich weit vor Probebeginn komponiert oder skizziert, mir Themen und Songs überlegt. Mittlerweile komme ich lieber nackig, frei, unbefleckt, unbedarft, rein, tolerant und weltoffen in die Proben, ich bin dann leichter zu beeindrucken.
Soll heißen, ich beobachte gern so lang ich kann und fange verhältnismäßig spät an, mir Musik auszudenken – bzw. hat es dann nicht mehr viel mit Denken zu tun, was das Schöne daran ist. Und klar sind es, musikalisch gesehen, eigene Ideen, aber so empfinde ich nicht. Hin und wieder übersetzt jeder jeden.
Wer wann wen wozu inspiriert, erlebe ich als sehr fluktuierend, deswegen hat der Raum im sich-gegenseitig-Bedingen etwas Beflügelndes, in seinen dadurch entstehenden Abhängigkeiten auch etwas Toxisches. Der Rest is in between und in the middle of wasweißich, ich möchte das gar nicht rausfinden.Auf deinem Soundcloud-Profil befindet sich neben den Theaterstücken auch eine Playlist namens „pre//juice//dis“ mit sehr song- und track-ausformulierten Stücken. Stammen die auch aus einem Theaterstück oder entstehen auch unabhängig davon Stücke? Für eine Platte als Album oder EP?
„Happy Battle“ habe ich ursprünglich für Hebbels Nibelungen-Brunhild (Zonen-Moni) geschrieben, der Songtext ist original 1861, übersetzt. Leider kam es nicht zur Premiere dieses Stücks. Die Fehlgeburt wollt ich dennoch gern überwinden, daraus entstand der Hit.
Der zweite Track entstand unlängst auf einer bayrischen Probebühne. Der Souffleur sperrte mich (eventuell) aus Versehen ein und ich verbrachte die Nacht inmitten der Schaumstoffleichen eines argentinischen Puppenspielers. Ich war sehr beleidigt. Und ja, ich bastele auch unabhängig vom Theater an verschiedenen Sachen, ich bin nur so fürchterlich langsam. Man kann aber bereits jetzt gespannt auf ein Album warten, das 2019 erscheinen wird.
Das Tolle am Theater ist ja die Direktheit und dass die Aufführungen nicht konserviert werden können – dein Werk hat also immer etwas Flüchtiges, Unmittelbares und zugleich temporär Begrenztes. Bei Soundcloud werden deine Stücke aus dem Kontext gerissen und zu Fragmenten. Verlieren sie da an Spannung oder meinst du, sie können durchaus für sich stehen?
Ich glaube nicht. Hochladen wollt ich sie trotzdem, ich will ja auch nicht sterben. Zudem ist die Musik zu selten durchkomponiert – bei Apparats „Krieg & Frieden“-Album funktioniert das zum Beispiel toll – daher passt Fragment tatsächlich sehr gut.
Es ärgert mich ab und zu, dass meine Musik zu jeder Derniere verschwindet und ich es grundsätzlich versäume, sie mitschneiden zu lassen. Es ist aber auch gut so. Die Musik hat ihren Sinn nur in dem Raum, für den sie gemacht ist.
„Endspiel“ ist eine Ausnahme. Ich verbinde damit sehr viel, eine MP3-Datei ist in Anbetracht dessen ein sehr rumpeliger Platzhalter. Würde ich das losgelöst von der Arbeit hören und natürlich sofort beurteilen, würde ich mich fragen, ob ich da ernsthaft nur vier Akkorde aneinandergereiht habe (es sind sieben). Zum Glück höre ich das aber nicht losgelöst und mag also auch den Platzhalter.
Gibt es einen bestimmten Stil oder bestimmte Elemente, die für dich immer wieder wichtig sind – egal in welchem musikalischen Kontext?
Über Stil kann man nur bei anderen reden, Elemente ja, im Sinne von Techniken. Ich kenne mich musikalisch mittlerweile zu gut – sowas ändert sich ja zum Glück hin und wieder – und bin gern schon mal im Voraus von einer Idee gelangweilt. Ich weiß, wie meine Finger auf Tasten klingen, was und wie wer wann aus welchem Effektgerät kommt oder wann mir wohl der Bläsereinsatz einfallen wird.
Aber ich habe mich in ein zwei Geräte und zwei drei Plugins verliebt, die mich darin ganz gut aushebeln bzw. die mir dabei helfen, mich selbst zu veralbern oder wenigstens von mir zu distanzieren. Über nicht-vorhersehbare-und-schwer-beeinflussbare Parameter, wie Gott das eben so macht.
Ich würde natürlich nie verraten um welche Geräte es sich handelt, denn wenn ich noch einmal öffentlich zugebe, dass ich meinen Korg Trinity sehr lieb habe, werde ich gemeuchelt. Und im Theater: Terzen. Ich mag es sehr, wenn Schauspieler singen. Das können sie am besten in Terzen.
Bist du ein gläubiger Mensch und spielst du mit einer spirituellen Ebene des Loslassens?
Oder müsste es heißen, nicht und, dann würde ich mich ertappt fühlen. So hingegen bin ich ein gläubiger Mensch.
Wo siehst du deine konkreten Berührungspunkte zur elektronischen Musik – hauptsächlich in der Avantgarde?
Ich weiß gar nicht, was momentan zur Avantgarde zählt. Beim Festival für Elektroakustische Musik am ZKM in Karlsruhe vor drei Jahren hatte ich den Eindruck, die Raffinesse der für die Kompositionen angewandten Technik bestimmt das Ausmaß an Avantgarde, um nicht zu sagen das vermeintlich künstlerische Niveau. Vor allem unabhängig von Sinnlichkeit.
Vielleicht gehört eine gewisse Verschnurpseltheit derzeit noch zu einem guten Ton oder einem allgemein gängigen Verständnis von Avantgarde, da spiele ich ja auch sehr gern mit. Vielleicht stimmt das aber auch gar nicht.
Und abseits der Avantgarde – verfolgst du, was an elektronischer Musik entsteht? Experimentelle oder cluborientierte Sachen?
Mit cluborientierten Sachen kenne ich mich nicht aus, stelle dahingehend zwar erstaunlich regelmäßig einen ausgeprägten Hang zum Obszönen fest, habe das aber auch fünf Minuten später wieder vergessen. Mittlerweile stehe ich jedoch dazu – hört man öfter von Frauen die auf die 30 zugehen.
Und die ordentliche Seite ist vielmehr ein Nacharbeiten als Verfolgen. Lachenmann doch noch einmal genauer hören, sich heimlich dafür interessieren wie Ferneyhough für Streicher schreibt oder googlen was an Ikeda experimentell sein soll. Eher aber mit einer gewissen Sensationsgeilheit als einem ernsthaft musikalischen Interesse. Letzteres habe ich zum Beispiel für Schostakowitsch. (s Streichquartette!).
Derzeit arbeitest du viel am Schauspiel Stuttgart – zu welchem Stück sollten wir runterfahren?
Zu „Onkel Wanja“ oder „Die Reise“. Näher und bald: zur Premiere von „Der Geizige“ am 25.9. am Deutschen Theater Berlin. Hin!