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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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„Wir wollen nichts blenderisch verkaufen“ – Interview im Vary

13. Januar 2016 / Kommentare (0)

Seit letztem Herbst hat Leipzig einen neuen Plattenladen. Doch Vary ist mehr als nur ein paar Plattenregale. Wir waren zum Interview in der Eisenbahnstraße.

Um genau zu sein war ich bereits im November dort – zwei Wochen nach der Eröffnung. Durch unser Crowdfunding lagen die Aufnahmen des Interviews allerdings länger herum als geplant. Nun endlich ist es soweit und ihr könnt das Interview mit Pascal (Skor Rokswell / Skor72), Julian (Remark / Rufus Grimes) und Falk (Shape) lesen. Mittlerweile sind aber die Plattenregale voller und es gibt ein eigenes Leipzig-Fach.

Um es vorweg zu nehmen: Der Laden ist eine immense Bereicherung für Leipzig. Optisch, inhaltlich und netzwerktechnisch. Viel Platz zum Verweilen und Reden sowie eine eklektische und fein sortierte Vinyl-Auswahl. Besonders gespannt bin ich auf den kulturellen Rahmen, den das Vary ebenfalls mit eigenen und von außen kuratierten Inhalten füllen möchte. Aber lest selbst. Zum parallelen Hören empfehlen wir folgende hauseigene Mixe:

Bei Ashore habe ich gelesen, dass vor einem Jahr die Idee für Vary kam – hattet ihr vorher schon einmal etwas mit Plattenläden oder Cafés zu tun oder ist das hier komplett Neuland für euch?

Pascal: Nicht komplett, aber innerhalb solch eines institutionellen Rahmens schon. Aber wir sind mit dem Medium Vinyl schon lange vertraut – durch das eigene Sammeln und Auflegen.

Wie kam konkret die Idee zu einem Plattenladen in Leipzig?

Falk: Ein bisschen aus dem eigenen Bedürfnis heraus, hier selber einen Laden zu haben. Als langer Plattenkäufer merkt man, was man selbst für Bedürfnisse an einen Plattenladen hat. Wir wollten einfach einen Platz an dem man sich wohlfühlt und wir hatten Lust, gute Musik zu präsentieren. Wir sind langjährige Veranstalter und Plattenkäufer und die Idee eines Ladens war der gemeinsame Nenner für uns nach allem, was wir vorher zusammen gemacht haben. Bei Pascal stand ein Job-Wechsel an, bei mir war das Studium zu Ende – es gab einfach einen Punkt an dem wir uns gefragt haben, was wir gemeinsam machen können mit all den Soft Skills, die man sich als Konsument, Veranstalter und DJ über die Jahre antrainiert hat.

Julian: Wichtig war uns auch, dass wir so etwas wie eine Basis aufbauen von der aus wir agieren können, die aber auch von anderen Leuten angenommen werden kann – ein Ort zum Treffen von Leuten, die die gleichen Interessen haben, aber auch ein Ort für Menschen, die vielleicht gar nicht so musikaffin sind wie wir, die es bei einem Kaffee gemütlich angehen möchten, dann aber über die Musik, die bei uns läuft oder die wir empfehlen, doch Interesse an Vinyl bekommen. Abseits von dem Laden gibt es natürlich noch Veranstaltungen, die wir machen. Es ist uns wichtig, dass das Ganze schon auch in einem kulturellen Rahmen gesehen wird.

Pascal: Im positiven Sinne wollen wir eine Angriffsfläche schaffen. Es ist ja so ein negativ behaftetes Wort, aber wenn man ein wenig anders darüber nachdenkt, ist es oft so, dass Labels, DJs, Veranstalter, Produzenten und Künstler vom Charakter meist eher introvertiert sind und dass ganz viel in einem Atelier, Office oder Wohnzimmer passiert und dass das nie richtig greifbar wird für Leute, die sich über den Konsum hinaus vielleicht noch nicht mit der Kultur beschäftigt haben. Da möchten wir gern eine gewisse Zugänglichkeit schaffen, damit Leute hierher kommen und uns fragen können, wenn sie in irgendeinem der hier relevanten Bereiche aktiv werden und sich vernetzen wollen.

Aus welchen kulturellen Bereichen kommt ihr, wo wart ihr bisher aktiv?

Pascal: Ich bin aus Erfurt hierher gezogen, acht Jahre hatte ich dort gelebt und bin viel nach Berlin gependelt durch meine Arbeit. 2008 hatte ich eine monatliche Reihe in Erfurt gestartet, die mit Live- und DJ-Abenden bis zu meinem Wegzug lief.

Falk: Ursprünglich komme ich aus der Nähe von Jena, später bin ich dorthin gezogen und war dort Veranstalter im Kassablanca – bis jetzt noch. Ich komme auch ein bisschen aus dem HipHop-Background, aber spätestens durch das Kassa habe ich mit allen möglichen verschiedenen Spielarten zu tun gehabt und mich auch davon infizieren lassen, dass die DJs dort immer viel breiter auflegt haben – sei es das Krause Duo, die Wighnomy Brothers oder der Légerè. Die haben an einem HipHop- oder Techno-Abend nie nur das eine gespielt – das hat mir sehr gefallen, das waren spannende Momente, wenn die ausgebrochen sind. Für mich ging es vom HipHop zu etwas Drum & Bass, UK Garage, später auch Dubstep sowie housige und technoide Sachen.

Und du bist auch aus Thüringen, Julian?

Julian: Aus Karlsruhe komme ich. Dort habe ich auch angefangen, Grafik zu studieren und bin dann nach Leipzig gewechselt. In Karlsruhe habe ich aber schon den „Beat Klub“ gemacht. Das war eine Veranstaltungsreihe, die sich mit Beats beschäftigt, also den HipHop-Instrumentals. Es durfte aber auch anderes dort laufen und war offen für das, was diese Kultur mit geformt hat – Funk, Disco, Soul. Als ich nach Leipzig kam, habe ich beim Looprausch mitgemacht.

Danach gab es hier und da noch einzelne Veranstaltungen. Seit acht Jahren mache ich auch selbst elektronische Musik und habe in Leipzig eine gute Vernetzung gespürt, die für mich vorher in Karlsruhe nicht so intensiv war. Hier hat es sich besser angefühlt und wir sind mittlerweile bekannt mit allen lokalen Beatmakern. Es ist uns auch ein Anliegen, das hier mit zu pushen – wie genau, dass wird sich mit der Zeit zeigen.

Hattet ihr vorher schon einmal einen ähnlichen Laden gesehen, der euch inspiriert hat?

Pascal: Nicht in der Konstellation. Klar, gibt es mal irgendwo eine Kaffeemaschine hinter dem Tresen eines Ladens, aber in der Form wie hier nicht. Es war eher das Bedürfnis, selbst so etwas zu haben. So profan es sich anhören mag: Oft ist es bei Dingen so, die niemand sonst macht, obwohl man sie sich aber selbst wünscht, dass man sie einfach selbst machen muss, wenn man sie wirklich will. So ging es uns schon vorher bei vielen anderen kleinen Dingen.

Ich habe in Erfurt beispielsweise die Sorte von Veranstaltungen vermisst, die wir dann selbst gemacht haben. So ähnlich ist es auch mit dem Laden hier. Auch wenn das Bedürfnis und die Idee als Spinnerei schon länger in unseren Köpfen schlummerten, gab es einen Schlüsselmoment an meinem Geburtstag im letzten Jahr. Ich hatte die beiden zum Auflegen eingeladen und als wir nach der Sause gefrühstückt hatten, lief eine gerade neu herausgekommene Platte. Und als ich fragte, ob sie die auch schon hätten, fiel ihnen auf, dass sie gar nicht wüssten, wo in Leipzig sie die hätten kaufen können.

Beim Verabschieden meinten die beiden dann im Scherz, dass wir wohl doch noch einen Plattenladen aufmachen sollten. Ich habe dann hinterher gerufen: „Wenn ihr noch jemanden braucht, der guten Kaffee kocht, dann könnt ihr ja an mich denken.“ Ich hatte eh schon länger darüber nachgedacht, meinen Job zu kündigen und den Sachen die volle Aufmerksamkeit zu schenken, die ich vorher nur nebenbei gemacht hatte.Was waren Anforderungen an den Raum, den ihr gesucht habt?

Falk: Im Vergleich zu den Läden, die wir bisher kannten, sollte der Raum dazu animieren, einfach ein wenig länger sitzen bleiben zu können. Wenn du so eine kleine schmale dunkle Kammer hast, gehst du mal rein, guckst durch die Platten und trinkst vielleicht mal einen Kaffee, aber willst eigentlich so schnell wie möglich wieder los. Schön, dass dies hier teilweise wirklich schon funktioniert. Die Leute sind zwei, drei Stunden hier, chillen und trinken ein paar Kaffees. Ansonsten sind es eher die gesetzlichen Vorschriften auf die man achten muss und dass es bezahlbar bleibt.

Julian: Vom Funktionalen her war es auch wichtig, dass wir unseren Plan mit den drei Säulen Café, Plattenladen und Veranstaltungsraum für kleine Sachen auch umsetzen können. Wir wollten, dass hier 40 Leute Platz finden, wenn mal ein Screening oder ein Vortrag läuft. Mit drei Tischen in einem bistroartigen Zustand wäre das natürlich eine ganz andere Geschichte. Das wird aber alles noch richtig zum Tragen kommen und sicher wird dann auch verstanden, warum wir ein bisschen mehr Luft und Platz haben. Aber abseits der funktionalen Ebene ist für uns auch schön gewesen, viel Licht zu haben und den Platz zu genießen.

War es schwer, den Ort zu finden oder hattet ihr mehrere zur Auswahl?

Pascal: Es lief eher nacheinander. Es war nicht so, dass wir simultan sechs verschiedene Sachen offen hatten aus denen wir uns dann bewusst für eine entschieden hätten. Wir waren immer sehr auf eine Sache konzentriert und haben versucht, schnell zu entscheiden. Bei machen Angeboten hat es von unserer Seite her nicht geklappt, bei anderen von der gegenüberliegenden Partei nicht. Uns war wichtig, dass wir so viele Dinge wie möglich an einem Ort machen können und so wenig wie möglich auslagern müssen.

Generell war es uns ein Anliegen, möglichst viele Dinge inhouse zu gestalten. Julian hat die ganze Gestaltung für alles Visuelle übernommen, wir konnten auch viel vom Ausbau her selbst machen. Zwar schon auch mit der Hilfe von vielen anderen Leuten, aber eben mit viel autodidaktischem Geschick.

Das Label, das der Laden auch beherbergt, soll so viel wie möglich hier umgesetzt werden, sei es beim Vernetzen und Planen mit den Leuten oder beim Coverdruck. Klar, die Abendveranstaltungen, bei denen ein paar hundert Gäste bis frühmorgens tanzen möchten, kann man hier schlecht umsetzen. Das ist uns natürlich bewusst und es fühlt sich auch gut an, mit so etwas an einem anderen Ort sein. Aber grundlegend ist es ganz angenehm, so wenig wie möglich woanders machen zu müssen.

Abgefahren, dass ihr nun genau im aktuellen Leipziger Hot Spot gelandet seid. Hattet ihr vorher eine Beziehung zu der Straße und der Gegend hier?

Julian: Die Leute vom Riso Club in der Hermann-Liebmann-Straße sind Bekannte und Freunde von uns. Mit den Leuten vom Goldhorn sind wir auch gut bekannt. Die Connection war schon da, wir wohnen aber alle nicht hier. Es war auch kein Kalkül, hierher zu kommen. Die Räumlichkeit hat sich einfach als lukrativ und wohlfühlend ergeben und dann haben wir es einfach gemacht.

Pascal: Es ist trotzdem schwierig. Nicht falsch verstehen: Es ist klar, dass uns in der Außenwahrnehmung viele ein Kalkül unterstellen, dass wir bloß auf den Hype dieser Straße setzen und darauf warten, dass sie noch weiter aufblüht. Auf der anderen Seite gibt es hier aber auch nicht die Hundertschaften an Laufpublikum, die über eine Karl-Heine- und Zschochersche Straße oder im Zentrum durch die Südvorstadt flanieren.

Hier wohnen natürlich viele Studenten in den Parallel- und Querstraßen, aber es ist trotzdem noch immer eine roughe Gegend – vom Look und dem Gefühl. Wenn du hier auf die Straße gehst, hast du an den kleinen Parks und Straßenecken noch immer die Hustler stehen und im Casino gegenüber stehen mal sechs Sixpacks vor der Tür. Das wirst du auf der Könneritzstraße im schönen Schleußig sicher seltener sehen. Wir sind da irgendwo zwischen dem Gefühl, hier was Sinnvolles zu dieser Ecke beizutragen und dem Stenkern, die Gentrifizierung im Viertel mit anzutreiben.Gab es diesen Gegenwind tatsächlich schon?

Pascal: Mehrheitlich gibt es positives Feedback. Die Leute kommen hier rein und sind angetan, wie sich die Räume hier und draußen entwickeln und sind dankbar, dass es so etwas hier in der Ecke gibt. Aber es gibt auch Leute, die im Vorbeigehen nuscheln, wie furchtbar sie es finden, was wir hier machen. Aber die lassen sich wahrscheinlich selten für ein Interview anhalten und sind zu einem Dialog bereit. Ich glaube, da geht es mehr darum, kurz mal seinen Unmut kundzutun. Es hat sich jetzt aber auch nicht gehäuft. Im Vergleich zu dem Zuspruch, den wir bekommen, ist das verschwindend gering. Aber ich will nur sagen, dass es stattfindet – es gibt nicht nur Fans von der Sache hier.

Julian: Es ist auch ein starker Kontrast zu allem, was hier sonst ist. Es gibt nichts Vergleichbares und alles, was vielleicht ein ähnliches Publikum anspricht, ist auch meist noch kontrastreicher. Das meine ich ganz ohne Wertung. Wir gehen ja auch gern genau dorthin. Aber natürlich fallen wir im Vergleich etwas auf. Im Endeffekt ist es ja jedem selbst überlassen, wo er sich aufhält. Und wer dialogbereit ist, wird auch feststellen, dass wir nette Kerle mit einer guten Intention sind. Dass wir alles selbstgemacht haben und nicht etwas Schlechtes im Sinn haben.

Das ist schon ein Dilemma – einerseits super, dass es hier aufblüht, andererseits ist das aber auch nur Teil eines wiederkehrenden Ablaufs.

Pascal: Ich weiß nicht. Auch wenn ich im privaten Rahmen oft vorschnell im Fällen von Urteilen bin, würde ich schon ein wenig mehr Zeit lassen, bevor ich jemandem meinen Stempel irgendwo draufpacke. Wir haben jetzt seit kurzer Zeit erst geöffnet, wir werden nicht die fiesen Beck’s- und Heinecken-Leuchtkästen dran schrauben und bestimmt auch nicht die von Absolute Vodka gehosteten Vodka-Cocktail-Partys im Garten schmeißen und Scooter einladen.

Es geht im Kern darum, dass sich die Sache selbst trägt. Keiner hat vor, Millionär zu werden oder überhaupt irgendwas unfunky für die Gegend zu machen. Es soll schon etwas Stabiles sein, nicht nur ein temporäres Projekt. Wir nehmen es so ernst, wie es das unserer Auffassung nach nötig ist, damit es nachhaltig und auf einem bestimmten Level läuft. Auf der anderen Seite finde ich es auch schwierig, eine komplette Non-Profit-Sache zu machen, bei der jeder von uns dreien seine drei, vier Tage irgendwo anders arbeiten muss, um das hier tragbar zu machen. Es wäre nicht schlimm, wenn es so wäre, aber das Ziel ist, dass wir perspektivisch damit und davon leben zu können.

Julian: Wir haben auch alle einen kredibilen Hintergrund. Wir verkaufen nur Musik, die wir auch gut finden, picken uns da die Perlen heraus, die wir an die Leute bringen wollen. Wir kommen aus einem künstlerischen Hintergrund, sind selbst DJs und wir wollen nichts blenderisch verkaufen.

Wirklich spannend, dass ihr da in der kurzen Zeit bereits solche Bedenken um eine Außenwahrnehmung habt.

Julian: Es ist eine realistische Auseinandersetzung mit der Umgebung hier. Man muss ja auch realistisch bleiben – hier weht ein anderer Wind. Hier so ein Ding aufzumachen, ist einfach ein grundlegender Kontrast zu allem anderen. Und dass wird vielleicht deshalb auch stark und intensiv wahrgenommen. Aber nichtsdestotrotz: Es gibt mehrheitlich eine gute Response und wir genießen es auch gerade. Das ist ja der Laden, den wir uns gewünscht haben und wir sind davon überzeugt, dass es gut sein wird.

Aber ich war erstaunt, dass es für euch bereits so ein Thema ist – als ich davon zum ersten Mal gehört hatte, dachte ich: Wow, geile Ecke, geiler Style.

Pascal: So geht es uns meist auch. Das ist auch das, was bei allen außerhalb von uns dreien ankommt. Aber ich finde es immer auch wichtig, eine kritische Auseinandersetzung zuzulassen.

Julian: Es ist auch eine Reflektion der eigenen Arbeit. Man muss sich immer in den Kontext mit der Umwelt setzen. Wir sehen natürlich auch, dass es Kritik geben kann. Aber wir machen unser Ding so, wie wir es geil finden. Es soll nichts abprallen, wir wollen offen bleiben für konstruktive Kritik. Was waren große Herausforderungen auf dem Weg von der ersten Idee bis heute?

Pascal: Für mich war es der Kontrast zum vorherigen Leben. Davor hatte ich immer ein sehr konkretes Bild davon, wie mein Tag, meine Woche und mein Monat aussehen werden. Auch wenn sich Termine geändert haben und ich immer wieder mit neuen Leuten zu tun hatte, war die ganze Zeit von einer gewissen Stringenz geprägt. Und auch zu wissen, welche Summe auf deinem Konto landet, weil es einen Arbeitsvertrag gibt, der das fest regelt. Es war einfach leichter zu spiegeln mit dem, was am Ende des Monats auf dich zukommt.

Davon einen Schritt wegzugehen, war zumindest für mich einer der größten Steps, weil ich von meinem Elternhaus krass auf Sicherheit und Kontinuität gepolt wurde. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mir und allen anderen eingestehen konnte, dass das nicht mein Weg ist und ich mich mit der Ungewissheit wohler fühle als mit der Gewissheit, Dinge tun zu müssen, die mir vielleicht nicht für immer liegen.

Falk: Bis jetzt lief aber auch alles recht gut. Natürlich gibt es auch Sachen auf die man sich vorher einstellen muss. Etwa, dass man beim Ausbau auch bis spät abends in der fiesen Staubluft da ist, aber ich mache es gern, weil ich weiß, wofür ich es mache. Das ist eine andere Arbeitsqualität. Es braucht auch ein gutes Team. Wenn man es zu dritt macht, muss eine große Ehrlichkeit, Vertrauensbasis und eine gute Kommunikation da sein. Aber das hat bei uns von Vornherein direkt geklappt und deswegen ist bisher alles gut abgelaufen.

Pascal: Ich glaube, wir hatten eine relativ nüchterne und realistische Einschätzung der Sache. Wir haben keine Luftschlösser geträumt, haben aber auch nicht zu tief gestapelt. Als klar war, dass wir es machen, kam von so vielen Leuten der Spruch „Ah, das wollte ich schon immer mal machen, hat aber nie geklappt“. Ohne eine Form von Respektlosigkeit dachte ich da aber: Ja, mach es halt, es ist auch kein Hexenwerk. Du mietest eine Fläche, du bringst im besten Fall ein paar Jahre Background-Wissen und Authentizität mit.

Es gab keinen Punkt an dem wir dagesessen haben und dachten, dass damit keiner rechnen konnte und dass es unpackbar sei. Natürlich gab es ein paar Sachen, die uns gechallenged haben und bei denen wir schauen mussten, ob wir das auf einer Fertigungsebene oder einer monetären Ebene gestemmt bekommen, aber es hat auch keiner geplant, dass hier ein Marmorboden liegen muss und wir mit einem Stock von 5.000 Platten öffnen. Weil wir eben keine 16 oder 18 mehr sind, konnten wir es wohl relativ gut einschätzen, was das für ein Spektrum an Aufgaben mit sich bringt und ob man die in der Konstellation gewuppt bekommt.

Julian: Ich hatte auch von Anfang an das Gefühl, dass trotz der breiten Spektren der einzelnen Charaktere, was beispielsweise auch in der Musik auftaucht, die Schnittmenge immer so groß war, dass der andere nachvollziehen kann, was der eine nun daran gut findet, auch wenn man selbst gar nicht so tief drin steckt. Das hat mir das gute Gefühl gegeben zu wissen, dass man sich da zumindest auf einer ästhetischen und gestalterischen Ebene nicht in die Haare kriegen wird, weil wir alle einen relativ gleichen Geschmack haben. Es ist auch ziemlich wichtig, um eine Kontinuität im Zusammenarbeiten aufzubauen, dass man sich auf die Meinung und den Geschmack des Anderen immer verlassen kann.

Pascal: Ja, eine gesunde Menge an Überschneidung und Ergänzung. Die musikalischen Bereiche, die jeder von uns nicht abdeckt, deckelt irgendwie dann der Andere und so ist auch mit den Fähigkeiten. Beim Ausbau hat sich gezeigt, dass der eine besser streichen, der andere besser verspachteln kann und der dritte hatte mehr Ausdauer bei Dingen, die mehr Kontinuität und Geduld gebraucht haben. Es gibt wenige Sachen, auf die gar niemand von uns keinen Bock hat bzw. bei denen wir uns kloppen müssen, wer sie nun übernimmt.

Ist der Laden jetzt so, wie ihr ihn euch vorgestellt habt oder gibt es noch ein paar offene Stellen, die noch Zeit zum Wachsen benötigen?

Julian: Letzteres trifft da zu. Wir sind sehr zufrieden. So wie es jetzt ist, finden wir es sowohl funktional als auch ästhetisch gut, aber natürlich wird da noch viel dazukommen. Am Finalschliff sind wir noch nicht angekommen, aber so wie es jetzt ist, ist es ein sehr guter Abschluss mit der Eröffnung gewesen. Auch der Stock an Platten wird sich kontinuierlich weiter ausbauen – das passiert ja die ganze Zeit. Das gleiche gilt für die Veranstaltungsreihen. Um von außen zu verstehen, dass wir ebenfalls als Kulturraum agieren, als Raum, der auch Inhalt generiert und nicht nur verkauft, wird auch erst im Laufe der Zeit deutlicher. Und an den Veranstaltungen werden wir auch wachsen und schauen, wie wir noch mehr draufsetzen können.

Pascal: Es ist in keinem Fall ein Kompromiss. Manche Dinge sind momentan noch nicht auf den ersten Blick wahrnehmbar, entstehen aber derzeit noch. Das Label etwa, das an dem Laden dranhängt. Wir wollten nicht gleich zur Eröffnung alles Pulver verschießen mit eigener Platte, Vortrag und Screening. Es ist noch einiges an Potential für mehr da.Gibt es bei der Plattenauswahl einen besonderen Fokus auf ein paar Genres oder zählt auch hier ein breiteres Spektrum?

Pascal: In erster Linie geht es um gute Musik nach unserer Interpretation. Das ist natürliche eine komplette Definitionssache und auch so sehr wir alle drei mit HipHop und allem, was sich daraus entwickelt hat, groß geworden sind, so sehr es sich bei jedem etwas anders weiterentwickelt. Keiner von uns hat irgendwelche dogmatischen Vorstellungen, wie das letztendlich auszusehen hat. Wir hatten kein Excel-Sheet in dem stand, dass wir 200 Rap-LPs, 100 Jazz- und Soul-Platten, 50 Pop und 50 Broken Beat-Platten brauchen, sondern wir haben das eingekauft, was wir gut fanden.

Bei den Leipziger Labels wählt ihr auch aus?

Pascal: Wir versuchen schon, so breit wie möglich lokale Strukturen zu unterstützen. Das fängt nicht nur bei den Platten an. Wir haben die Plattenregale in der Behindertenwerkstatt der Diakonie bauen lassen. Auch unserer Kaffeemaschine haben wir nicht über eBay in Hamburg gekauft, sondern bei einem lokalen Partner, der einmal mit dem nötigen Hintergrundwissen und auch mit der entsprechenden Hardware auffahren konnte. So zieht sich das durch alle Bereiche bis hin zur Musik, wo unser Fokus schon darauf liegt, die supportenswerten Leute zu unterstützen.

Falk: Ich finde schon, dass durch die Bank alle Labels aus Leipzig coolen Kram herausbringen. Da muss definitiv viel davon rein. Man muss halt auch schauen, wie viel sie selbst noch vorrätig haben. Mit Tilman vom Ortloff und Alex von Kann Records habe ich neulich gesprochen, um zu erfahren, was man noch bekommen kann und die sind von ihren Platten so viel über die Vertriebe losgeworden, dass eigentlich nur noch von den letzten drei Releases was da ist. Wir versuchen es so gut wie es geht und schon mit einem gewissen Filter auf das, von dem wir denken, dass das gut funktioniert. Wir können sicherlich nicht von allen etwas reinnehmen, weil wir auch nicht alles auf Kommission machen wollen.

Julian: Abseits des Supports steht natürlich der Geschmacksfilter von uns dreien über allem. Wir wollen nur Musik anbieten, die wir auch gut finden und fühlen und die wir verkaufens- und anbietungswert finden. Es ist nicht so, dass wir alles reinnehmen und auf einer falschen Art Sachen an die Leute bringen.

Pascal: Es ist nichts kalkuliert und ich glaube, jede Platte, die hier im Regal steht – egal ob von regionalen oder internationalen Künstlern – würde man in einer unserer Plattentaschen auch finden. Es hat letztendlich etwas mit Authentizität zu tun und da gibt es genug in Leipzig, mit dem wir uns identifizieren können. In allen Genres, egal ob der organische House-Kram oder der etwas straffere Techno aus dem IfZ-Umfeld oder die ganzen Rap-Sachen, die Leipzig beherbergt. Aber eben auch neuere moderne gebrochene Sachen, wie die Defrostatica-Platten.

Julian: Äquivalent zu den Leipziger Labels verhält es sich auch zu den Leipziger Verlagen. Da müssen wir schauen, inwieweit wir künftig auch Magazine reinnehmen. Die Anbindung an die visuelle Kunstszene ist auf jeden Fall groß.Noch einmal zu eurem Label – das ist schon langfristig angedacht?

Pascal: Vielleicht mehr ein Imprint als ein Label. Diese Begrifflichkeit bietet eine Menge Angriffsfläche zum Sich-Lustigmachen. In vielen Rap-Texten passiert das ja: Was dir jetzt noch fehlt, ist ein Label und eine Klamottenmarke. Es soll dann passieren, wenn es sich richtig anfühlt. Wir werden jetzt nicht, um einen Rhythmus einzuhalten, jedes Vierteljahr eine Platte rausbringen, aber wenn es passiert, soll es schon richtig passieren.

Und soll es musikalisch auch various ausfallen?

Pascal: Ja, die erste Platte wird erstmal einen guten Einblick darüber geben, was musikalisch hier abgedeckt wird.

Falk: Es wird eine Compilation, ja. Mit Fokus auf HipHop- und Beat-Geschichten.

Pascal: Vielleicht ist dann die zweite Platte aber eine EP, der künstlerisch ein breites Spektrum abdeckt oder die musikalisch in eine Richtung geht, aber von unterschiedlichen Leuten kommt. Es gibt kein festes Regelwerk unsererseits.

Zum Schluss ein Ausblick auf das Programm. Was habt ihr konkret vor – Vorträge und Film-Screenings wurden schon angesprochen?

Falk: Ja, die beiden Dinge plus Instore-Gigs und Veranstaltungen außerhalb. Das sind schon eine Menge ambitionierter Sachen. Die ganze Idee des Mischkonzepts lässt viel zu, aber es soll trotzdem auch ein roter Faden drin bleiben. Es beschäftigt sich alles mit dem Kontext rundum die Musikkultur. Wir wollen verschiedene Facetten näherbringen.

Pascal: Es gehört ja alles miteinander zusammen. Das ist vielleicht nicht allen so bewusst oder sie hinterfragen das nicht weiter. Sie sehen einen Club und Künstler, die da spielen. Aber dass da 5 bis 10 Veranstalter sind, die ihre Abende hosten, wird nicht immer deutlich und wir möchten das Ganze etwas transparenter und greifbarer machen, indem man den Künstler einer Platte, die wir im Laden haben, hier auch mal treffen oder auf unserer Party spielen sehen kann oder dass man etwas zur Covergestaltung erfährt.

Seid ihr da noch offen für Input von außen, was die Veranstaltungen angeht?

Falk: Ja, jeder Zeit. Wir können nicht alles wissen. Jeder soll sich frei fühlen, seine Idee an uns heranzutragen. Wir müssen aber auch eine gute Möglichkeit haben, es uns anhören zu können, um uns ein konkretes Bild zu bekommen. Was nicht passieren wird, ist, dass wir die Räume vermieten werden für jemanden, der dann einfach freie Hand hat. Es soll schon immer zusammen mit uns geschehen.

Pascal: Es ist ein bisschen so wie mit den Platten von anderen Leuten. Entweder es passiert wirklich so, dass wir dahinter stehen können oder es passiert eben nicht. Eine Platte auf Kommission reinstellen, weil wir nur bedingt dran glauben, ergibt genauso wenig Sinn, wie die Fläche hier für etwas zu überlassen hinter dem wir nicht stehen. So sehr uns das Inhouse-Halten von Dingen am Herzen liegt – gar nicht so aus einem Protektionismus, sondern weil wir independent sein wollen – ist uns sehr daran gelegen, weiter Leute von außen dabei zu haben, um es abwechslungsreich zu halten. Und da darf sich jeder eingeladen fühlen.

Bild-Credits
Fotos Vary-Leuchtkasten und Platten-Digging: vanRAW
Restliche Fotos: Vary Inhouse

Vary
Eisenbahnstraße 7
04315 Leipzig
Mo-Sa: 10-20 Uhr

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