Um Kunst geht es bei frohfroh fast nie. Obwohl es durchaus spannende, klangliche Überschneidungen gibt. Beispielsweise bei Diana Policarpo – sie beschäftigt sich in ihrer neuen Ausstellung mit einer hochspannenden, leider verkannten Komponistin, die in Leipzig geboren wurde.
Es ist eine ebenso faszinierende wie tragische Geschichte, die mit Johanna Magdalena Beyer verbunden ist. 1888 wurde sie in Leipzig geboren, mit 35 Jahren emigrierte sie in die USA. In New York prägte sie die „amerikanische Ultra-Moderne“ mit und gilt als eine der ersten Frauen, die in den 1930er Jahren mit elektronischer Musik experimentierte. Doch weder zu Lebzeiten noch nach ihrem Tod 1944 erhielt sie die Aufmerksamkeit und das Ansehen, das ihr in der Avantgarde-Szene eigentlich zusteht – auch nicht in der Musikstadt Leipzig.
Diana Policarpo möchte dies ändern. Die in Lissabon geborene und heute in London lebende Bildende Künstlerin, Noise-Musikerin und Komponistin widmet sich seit mehreren Jahren in verschiedenen Kunstformen dem Leben und Werk von Johanna Magdalena Beyer. Aus einem grundlegenden Interesse für Macht- und Genderstrukturen.
Für KV, den Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig, zeigt Diana Policarpo in der Ausstellung „Dissonant Counterpoint“ Sound-Installationen und Sound-Skulpturen, die Fragmente von Johanna Magdalena Beyer mit eigenen Kompositionen vereinen. Ihre Arbeitsweise ist also nicht rein dokumentarisch, sondern darauf bedacht, auf künstlerische Weise Korrelationen zwischen Geschichte und Gegenwart herzustellen. Einen Eindruck von Diana Policarpos Sound-Installationen vermitteln die Bilder unten sowie dieses Video von einer Ausstellung in Bielefeld.
Wir haben Diana Policarpo ein paar Fragen geschickt, unter dem Bild sind ihre Antworten.Wie bist auf auf Johanna Magdalena Beyer aufmerksam geworden?
Vor ein paar Jahren habe ich eine Platte gekauft, die 1977 von New World Records veröffentlicht wurde – eine Compilation namens „New Music for Electronic & Recorded Media – Women in Electronic Music“. Das erste Stück darauf ist „Music of the Spheres“, komponiert von Johanna M. Beyer und ich mochte es nach dem ersten Hören. Ich war super fasziniert, dass diese Komposition von 1938 war und es das erste Stück von einer Frau mit elektronischen Instrumenten ist. Es wurde vom Electric Weasel Ensemble aufgeführt, aufgenommen von Robert Schumaker und gemixt von dem großartigen Donald Buchla.
Larry Polansky und Amy C. Beal – beides Komponisten und Lehrer in Berkeley, Kalifornien – haben mir dann weitere Informationen zu Beyers Arbeit zukommen lassen. Das war 2015 als ich ein Stipendium bekam und ein Projekt an der Music Division of the Performing Arts Library in New York starten konnte.
Was ist das Faszinierende für dich an Johanna Magdalena Beyer?
Beyers Arbeiten enthalten frühe Formen von Noise, Ambient Drone und verspielten Schnipseln proto-minimalistischer Musik. Das finde ich sehr interessant. Ideen von wechselnden Schalldimensionen und Gedanken über die kosmische Resonanz von Elektrizität haben ihre Arbeit von früh an geprägt. Bei „Status Quo / Music of the Spheres“ dreht sich alles um die Vorstellung vom Improvisieren und dem Schaffen eine Kontrapunktes der Musik zum Wesen einer Person.
Beyer hatte die Vorstellung vom Menschen als eine Art Zentrum inmitten eines stürmisch wirbelnden Dings. Sie war 50 Jahre alt als sie das Stück vollendete. Es wurde auch bei der Guggenheim-Gesellschaft eingereicht, aber das Management gab ihr keine Chance, es sah in dem Stück ein richtungsloses Durcheinander, das aus der Feder einer Frau ohne genügend Fähigkeiten kam. Sie war eine herausragende Lehrerin und Komponistin, nur fehlten ihr die Möglichkeiten, ihre Arbeit zu zeigen oder aufführen zu lassen.
Nach dieser Erfahrung legte Beyer das Stück beiseite und führte ihre orchestrale Arbeit fort. Das war eine Oper über das Universum, überirdische Bewegungen, verschiedene Kulturen und über ihr Leben, das zu der Zeit von einer ständigen Krankheit und geopolitischen Bedenken geprägt war. Fragen zur Globalisierung, Produkten und Zirkulationen sind bereits tief verwurzelt. Beyer lebte in einer Gemeinschaft mit Künstlern und Aktivisten, die der Mittelpunkt ihres Lebens und aller Aktivitäten war.
Darüber hinaus ist „Music of the Spheres“ ein Konzept, das auf Pythagoras und seiner kaum erwähnten Frau Theano, die selbst Dichterin und Musikerin war, beruht – sie hatten eine vollständige Kosmologie rundum ihre Wahrnehmung der Weltvibration ausgearbeitet. Plato beschrieb es als Musik die von Sirenen kommt aber von Menschen nicht wahrgenommen wird. Andere Denker wie Johannes Kepler und Dane Rudhyar, der Beyers Lehrer in New York war, waren ebenfalls von diesen Theorien inspiriert, die sich auf die alte Idee der Harmonie als idealer Basis für moderne Kompositionsformen und der dynamischen Symmetrie der Natur.Warst du auf den Spuren von Beyer in Leipzig unterwegs?
Seit der Veröffentlichung der ersten Forschungen zu Beyer von John Kennedy und Larry Polansky im Magazin The Musical Quarterly haben nur wenige Leute die Arbeit an Beyers biografischen Skizzen, und ihrem kompositorischen Werk weitergeführt.
Das Frog Peak / Johanna Beyer Projekt hat in Eigenregie 22 Editionen mit ihren Kompositionen veröffentlicht – Solo, Kammermusik, Percussion, orchestrale und chorale Musik. Alles gewissenhaft mit Notizen und versehen Faksimile-Nachbildungen ihrer handschriftlichen Manuskripte. Ich durfte ein paar der Kopien und Dokumente sehen, die ein wenig mehr über das Leben von Beyer in Leipzig erzählen. Aber es gibt viele Löcher zwischen ihrem Leben vor der Emigration und dem ersten Jahrzehnt in den USA.
Was erwartet uns in deiner Ausstellung?
„Dissonant Counterpoint“ für den KV in Leipzig ist spezifisch auf den Ort ausgelegte Installation mit neun Audio-Kanälen und Licht- und Mixed Media-Skulpturen – sie alle verbinden historische Fragmente mit eigenen Kompositionen von mir.
Die Zusammenstellung der Elemente unterstützt das das theoretische Material, das die Ausstellung auch mit einbindet – die Forschung des Beyer-Archivs in New York etwa, zusammen mit dem Versuch, die Originalpartitur der politischen Oper nachzuempfinden. In gewisser Weise sind sie darauf ausgelegt, den Versuch zu vereiteln, revolutionäre Bedingungen vorzuschreiben. Es wird auch eine Publikation zur Ausstellung von Gloria Glitzer geben.
Dissonant Counterpoint
Diana Policarpo
Kuratiert von Anna Jehle + Juliane Schickedanz
Eröffnung: 09. November 2017, 19 Uhr
Laufzeit: 10. November – 30. November 2017
KV – Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig
www.kunstverein-leipzig.de
Kolonnadenstrasse 6
04109 Leipzig
Öffnungszeiten:
Di 18—22
Do 16—19
Fr 16—19
Sa 14—18
Foto-Credits:
Porträt Diana Policarpo: Yann Gibert
1. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, The Feminist Rock Salt (to Linda Benglis), 2015, Installationsansicht, W139, Amsterdam
2. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, Beating Back Darkness, 2014, Installationsansicht Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
3. Ausstellungsbild: Diana Policarpo, Sun in Cancer, 2016, Installationsansicht lAb Bielefeld