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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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Two Play To Play – Auftakt – Interview mit Martin Kohlstedt

23. November 2017 / Kommentare (0)

Klassik und freie Szene, U und E – die neue Reihe „Two Play To Play“ möchte Brücken schlagen und bringt Musiker aus verschiedenen Sphären zusammen. Wir begleiten das Projekt und haben einführend mit Martin Kohlstedt gesprochen.

Bisher brachte die Audio Invasion neue Perspektiven aus Pop und Elektronik ins Gewandhaus. Doch das Kuratorenteam dahinter wollte einen neuen Raum für den gegenseitigen Austausch schaffen, der länger als eine Nacht anhält. So etwas lässt sich jedoch nicht von Heute auf Morgen planen, vor vier Jahren keimte die Idee auf, dann wurde sie in den auf Jahre hinaus geplanten Gewandhaus-Kalender eingetaktet.

In dieser Spielzeit ist es nun soweit: „Two Play To Play“ geht in die erste Runde. Die Reihe bringt Musikerinnen und Musiker des Gewandhauses und der freien Szene zusammen und lässt sie gemeinsam ein Stück entwickeln, das am Ende uraufgeführt wird. Das erste Experiment wagen der GewandhausChor mit seinem künstlerischer Leiter Gregor Meyer sowie der in Weimar lebende Pianist Martin Kohlstedt.

Das Clash-Setting ist durchaus spannend: Hier ein semiprofessioneller Chor mit langer Tradition und einem experimentierfreudigen Leiter, dort ein emotional improvisierender Solitär, der vor wenigen Tagen erst sein drittes Album „Strom“ veröffentlicht hat. Was für Reibungen und Überschneidungen solch eine Zusammenarbeit erzeugen kann, lässt sich jederzeit mitverfolgen. Die Reihe ist keine Blackbox – mit einem Blog, öffentlichen Proben und einem Künstlergespräch auf der Bühne ist das Publikum nahe an der Entwicklung dran.

Und auch wir sind dabei: frohfroh ist Medienpartner von „Two Play To Play“ und begleitet die Reihe über die gesamte erste Spielzeit. Wir sind bei den öffentlichen Proben dabei und berichten natürlich auch von der Uraufführung am 8. Juni 2018. Zum Auftakt haben wir mit Martin Kohlstedt gesprochen.Kam die Anfrage aus dem Gewandhaus für dich überraschend – oder gab es schon einmal Berührungspunkte mit einer Institution der klassischen Musik?

Überraschend ist das richtige Wort. Ich fühlte mich erstmal wie vor einem weißen Blatt Papier, als die Anfrage kam. Ich konnte mir auf Anhieb viel vorstellen und auch ganz viel nicht. Ich war erstmal hin und her geworfen und wusste gleichzeitig, was es wohl für eine Arbeit wird, wenn ein intuitiver Kopf auf die hoch perfektionierte Klassik trifft. Wie das miteinander reagieren kann – ob es das will. Es ist ein sehr schöner Moment gewesen, als ich Gregor kennenlernen durfte. Er hat mich in Weimar besucht und da war alles ziemlich schnell auf einem guten Kurs, weil ich gemerkt habe, dass der Gewandhauschorleiter ein eigenes Vokabular hat, bei dem auch ich mit meiner intuitiven Art anknüpfen kann. Da wurde die perfekte Brücke zwischen mir und dem gesamten Chor geschlagen.

Es gab also noch keine Zusammenarbeit mit anderen Häusern oder Ensembles?

Ich habe natürlich schon in vielen klassischen Häusern gespielt, wahrscheinlich einfach aus dem Grund, weil ich am Piano sitze. Und da haben sich schon viele solche Cross-over-Geschichten – wenn man das mal so hässlich ausdrücken darf – ergeben. Aber es gab tatsächlich noch nicht den richtigen Ansatz. Im Iran habe ich schon einmal gemeinsam mit klassischen Komponisten gespielt, aber die Arbeit mit einem Chor war bisher nur ein filmmusikalischer Traum.

Wie war das Gefühl, als das Gewandhaus anfragte – war da auch eine erdrückende Ehrfurcht dabei?

Ich habe es eigentlich als Ehre empfunden. Ich war sehr glücklich, dass ich dafür ausgewählt wurde. Vor zwei Jahren hatte ich zur Audio Invasion im Hauptsaal gespielt – scheinbar hat das etwas hinterlassen, so dass dieser Gedanke zustande kam, gemeinsam das Publikum vom Gewandhaus ein Stückweit zu verjüngen. Man liefert quasi das Symbol zwischen den Welten und das fand ich ganz schön.Es gibt zur „Two Play To Play“-Reihe einen Blog, der eure Stationen dokumentiert. Im Interview nach dem ersten Treffen mit Gregor meintest du, dass du froh warst, dass du bei ihm nicht erst „klassische Betonwände“ einreißen musstest. Was sind für dich „klassische Betonwände“?

Man muss schon sagen, dass der allgemeine Klassiker ein wahnsinnig perfektionierter Handwerker ist, der in einem hierarchischen, oft auch unfreien System abliefern muss. Das ist keine Haltung von mir, das ist die harte Linie des Klassikers, um in täglicher Übung auf den perfekten Punkt hinzuarbeiten. Ich kultiviere genau das Gegenteil und das kann natürlich nur Reibung erzeugen. Ich versuche absichtlich zu vergessen, worum es beim Musikmachen geht und lasse es live völlig improvisiert aufeinander klatschen, spiele teilweise bis hin zum Unsauberen und versuche das Scheitern zu provozieren.

„Klar, da gab es Bedenken – und die gibt es immer noch.“

Mal sehen wie es ist, das erste Mal gemeinsam in der Chorprobe zu stehen. Mit Gregor selbst war es bisher eine total schöne Sache. Wir haben uns von Anfang an auf Augenhöhe erwischt und geben Fifty-Fifty in das Projekt hinein. Fifty-Fifty Partituren und Freiheit klatschen aufeinander. Wir sind guter Dinge, aber es sind trotzdem noch 70 Menschen daran beteiligt, die ausführen – und da bin echt gespannt, wie das funktioniert.

Bisher gab es nur die Konzeptionstreffen mit Gregor oder hast du auch schon mit dem Chor sprechen können?

Es gab noch kein privates Sprechen mit dem Chor, ich habe ihn live im Gewandhaus gesehen und mich von diesem Bild erdrücken lassen und die Ehrfurcht in mich hineinfließen lassen. Im Dezember werden wir sicherlich das erste Mal aufeinandertreffen. Gregor und ich wollten vorher aber erstmal eine gemeinsame Richtung entwerfen und mit einer Attitüde auftreten, damit das nicht im Sande verläuft. So schnell kommen 70 Leute ja nicht auf einen Punkt.Du arbeitest eher intuitiv und aus Emotionen heraus, der Gewandhauschor braucht dagegen viel Struktur – wie gehst du aktuell in der Konzeption damit um? Wie lässt sich das vereinbaren?

Die Arbeit besteht genau darin, wie man die Partituren so schreiben kann, dass es Formeln mit offenen Variablen sind. Ich hatte den Wunsch, dass man live fühlt, wie lange sich etwas gut anfühlt und wann man in den nächsten Part übergeht. Gregor und ich werden auf der Bühne viel kommunizieren müssen, damit das gut geht.

Wir haben schon viele Stücke von mir mit seinen Ideen verwoben und auch andersherum. Wir lassen teilweise auch ganz intuitive Flächen entstehen. Zum Beispiel Sprachexperimente, wir haben vor, dass es für den Chor freie Aufgaben geben soll. Jeder flüstert dann etwas, was er für richtig hält und dann klingt das wie ein Wind oder ein Meer. Wir versuchen, ein paar Grenzen auszuloten und schauen, was passiert.

Experiment wäre das falsche Wort, weil wir es schon zu einer durchdachten Sache bauen, aber momentan wird noch viel experimentiert. Das ist schön zu sehen, was da gelingen kann und gleichzeitig sagt Gregor: Spiel das doch mal fünfmal hintereinander und dann merke ich, wie sich mein Gehirn dagegen wehrt, weil es die ganze Zeit nach Freiheit strebt. Aber auch andersherum, wenn ich dann meine: Gregor, mach dich doch mal locker, lass das mal laufen. Mit 70 Personen wird das natürlich noch eine ganz andere Aufgabe sein. Aber wir versuchen zu schauen, was in der verfügbaren Zeit an Kompromiss und Improvisation möglich ist.

Es ist auch ein Musterprojekt für die Kompromissbereitschaft. Wie kann man die Balance zwischen Kompromiss und künstlerischen Reibungen halten, ohne dass es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausläuft, der dann vielleicht gar nicht so spannend ist?

Bei 90 Prozent aller mathematisch konzipierten, rational perfekten klassischen Chöre ist es wahrscheinlich so, dass es nicht viel zu ruckeln gibt. Jetzt habe ich glücklicherweise Gregor Meyer gefunden, ein Mensch, der es irgendwie geschafft hat, auf der einen Seite, genau das wie der Hirte anzuleiten und zugleich ein normales zeitgeistiges Vokabular zu pflegen mit der man auch diese Offenheit nutzen kann. Und mit dem man bestimmte Dinge ausprobieren und der auch ein bisschen mitscheitern kann. Das ist personenbedingt, der Chorleiter ist dabei einfach eine wichtige Position zwischen mir und dem Chor.Kannst du aus dem bisherigen Verlauf abschätzen, was dich aus der Klassik so inspiriert, dass du es für deine künftige Arbeit vielleicht selbst aufgreifst?

Was ich an der festen Notenform schon immer faszinierend fand, ist die extreme Verlässlichkeit, die damit einhergeht. Ich fahre eigentlich immer wie ein Irrer mit einem Bus und lenke das Ding von links nach rechts und das kann auch mal in den Graben fahren. Aber wenn feststeht, in welcher Form ich zu spielen habe und ich das auswendig wiedergeben kann, dann ist da viel Unterbewusstsein aktiv. Die Hände wissen in dem Moment sowieso was sie tun sollen. Und dieser automatische Ansatz es wiederzugeben, ist eine ganz andere Perspektive auf die Musik. Da hat sich vorher schon jemand Gedanken darüber gemacht. Ich muss nicht mehr ins kalte Wasser und kann ganz penibel auf gewisse Dinge in der Wiederholung achten.

Manchmal bin ich dadurch etwas rausgezoomter. Ich finde, gerade dieser Wechsel zwischen dem tief eintauchen und rauszoomen hat eine richtige Sucht hervorgerufen. Es macht völlig Sinn, teilweise die Dinge festzuhalten, sie als Floskel wiederzugeben, sie dann aber auch von außen zu betrachten. Wenn man einfach das spielt, was da steht, wird man kurz vom kreativen Irren zum Handwerker und Programmierer. Das ist ein spannender Ansatz gerade für mich, der mich auch fördert.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit bisher vorstellen?

Wir haben die Guides von meiner Seite, das sind vorgebaute Instrumenals, die wir mit in die Proben nehmen werden. Gleichzeitig haben wir auch schon Partiturfetzen, die momentan noch als Patterns oder Legosteine herumliegen, weil die Länge noch nicht feststeht. Dann schauen wir mit der ersten Probe gemeinsam, was für Längen das annehmen kann und ob wir noch unfreier werden müssen, damit das alles aufführbar ist.

„Momentan sind wir guter Dinge, dass wir ein Fifty-Fifty-Verhältnis hinbekommen, aber wir werden sehen. Ich bin schon sehr aufgeregt.“

Du hast vorher mit Marbert Rocel und Karocel in einem Bandkontext gespielt, lässt sich diese Bandzusammenarbeit mit der Arbeit an so einem Projekt vergleichen?

Bei Karocel war sehr viel improvisiert, bei Marbert Rocel sehr viel konzipiert. Das ist vielleicht ein guter Vergleich. Während wir bei Karocel das Laufenlassen gepflegt haben, haben wir bei Marbert Rocel an eine Songstruktur gedacht. Das kann man vielleicht in einer kleineren Dimension auf dieses Projekt übertragen, nur dass es eben noch einmal 600 Kilometer weiter entfernt ist. Die eine Seite bekommt Angst, wenn Freiheit im Spiel ist, die andere Seite bekommt Angst, wenn ein Konstrukt im Spiel ist.

Jetzt nähert man sich und kommuniziert darüber. Es ist nicht so, dass man da blind in dem Feld des anderen ist. Aber allein die Zählweisen: Aus der elektronischen Musik kommen wir mit sehr geraden Zählzeiten, die Klassik kommt dagegen mit runden Zählzeiten. Allein das ist schon sehr anders. Aber es ist richtig: In einer Band ist dieses aufeinander Achten und Kommunizieren auch vorhanden.

Du spielst dieses Jahr wieder auf der Audio Invasion, der Auftritt markiert als Porträtkonzert den öffentlichen Beginn des Projektes. Bereitest du dich auf das Konzert noch einmal anders vor, als bei den sonstigen Auftritten?

Das neue Album „Strom“ spielt natürlich eine große Rolle. Seitdem ich nun auch die elektronischen Instrumente auf meinen Aufnahmen pflege, hat es auf jeden Fall noch einen neuen Ansatz bekommen. Es gibt nicht mehr nur dieses eine Universum Klavier für mich, sondern ich habe es ausgeweitet. Bei der Audio Invasion werde ich mich noch einmal im kompletten Alleingang vorstellen. Ich bin morgens 1 Uhr im Hauptsaal und kann den dann langsam auffüllen. Und vielleicht sitzen mir auch schon ein paar der Chorleute vor mir und ich kann mich ihnen damit vorstellen.


„Two Play To Play“ – Termine 2017/2018:

25. November 2017 – Porträtkonzert Martin Kohlstedt im Rahmen der Audio Invasion
12. Dezember 2017 – Gespräch Gregor Meyer & Martin Kohlstedt
24. Januar 2018 – Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
14. März 2018 – Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
11. April 2018 –Öffentliche Probe, Gewandhaus Chorprobensaal
6. Mai 2018 – Konzert im öffentlichen Raum
8. Juni 2018 – Uraufführung, Gewandhaus Mendelssohn-Saal


Foto-Credits: Patrick Richter (Bild Martin Kohlstedt), Christian Rothe (Bilder Gregor Meyer und Martin Kohlstedt), Karen Laube (Gewandhaus, Großer Saal)

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