Daniel Stefanik ist längst zu einem Aushängeschild für die Leipziger Elektronik-Szene geworden. Mit seinem Debüt-Album „Reactivity“ betont er seine Liebe zu Dub mehr denn je – vielleicht als Resultat der vergangenen Monate.
Wie gern wird Städten von außen ein spezifischer Sound zugeschrieben: Berlin ist Techno, in Köln thront Kompakt, Hamburg gibt sich vielseitig mit einer Indie-Attitüde und Leipzig ist Deep House. Es dauert, bis solche Etiketten verblassen. Denn Deep House spielt hier schon seit gut fünf Jahren keine große Rolle mehr. Deutlich lässt sich dies an Leipzigs bekanntestem Label Moon Harbour Recordings beobachten. Der klassische Deep House-Sound der ersten Platten ist längst einer reduzierteren, stärker technobeeinflussten Form von House gewichen.
An dieser Entwicklung war Daniel Stefanik nicht ganz unbeteiligt. 2002 zog er von Dresden hierher, um an der HTWK Informatik zu studieren. Geboren und aufgewachsen ist er in Großenhain, nordöstlich von Dresden. Trotz Provinz kam er schon dort mit Detroit-Techno und den Berliner Dub-Techno-Helden Basic Channel in Berührung. In Leipzig war er anfangs mit diesen Präferenzen ein Exot. Frankman, Marlow und auch Matthias Tanzmann standen für den Leipziger House. Dennoch kamen sie bald ins Gespräch, insbesondere mit Matthias Tanzmann wurde mehr daraus. Zusammen produzierten sie Tracks, die auf Moon Harbour erschienen und Daniel Stefanik erstmals auch international in Erwähnung brachten. Seine erste eigene EP „Move Me“ folgte schließlich 2005. Stefanik wurde zum neuen Steckenpferd bei Moon Harbour, der im Minimal-Hype auch als DJ immer öfter gebucht wurde.
Zwischen Studio und Flughafen
2007 war das bislang intensivste Jahr für ihn. Nahezu jedes Wochenende reiste er quer durch Europa und spielte in renommierten Clubs. Für jemanden, der sich in erster Linie als Musiker und Künstler in seinem Studio austoben möchte, nicht immer ein Vergnügen. „Es ist ein Zwiespalt: Ich lege gern auf und empfand diese Zeit auch als Chance, aber nach so einem Wochenende ist man am Montag fertig von der Musik. Meist schafft man es erst Mittwoch und Donnerstag ins Studio und merkt, dass nichts richtig vorangeht. Dann ist schon Freitag und es geht wieder los“, beschreibt Stefanik das Dilemma zwischen Musiker- und DJ-Dasein. Zugleich blieb sein Studium auf der Strecke und erste Differenzen mit Moon Harbour keimten auf. Ende des letzten Jahres war Stefanik ausgelaugt und kaum bereit für neue Tracks.
2008 dann die Zäsur: Daniel Stefanik legt sein Studium vorerst auf Eis und trennt sich von Moon Harbour. „Es ist sicher nicht immer einfach mit mir, aber ich möchte schon, dass das Label künstlerisch hinter mir steht. Und wenn dann zu viele Kompromisse eingegangen werden müssen, kann man sich irgendwann selbst nur noch schwer mit dem Label identifizieren. Aber das finde ich gerade wichtig“, benennt Stefanik die Gründe für seinen Ausstieg.
Neue Energien
Abgebrochenes Studium, Label und Booking-Agentur weg – das sind nicht die besten Voraussetzungen für einen Neustart. Dennoch schien die Herausforderung neues Potenzial freizusetzen, wie Stefanik meint: „Auf einmal war ich frei im Kopf, ich hatte nichts zu verlieren. Ich produzierte einfach für mich und wollte schauen, wer es nehmen könnte.“ „Reactivity“ heißt Stefaniks erstes Album daher nicht ohne Grund. Und es wird auch wieder in Leipzig veröffentlicht, beim Label Statik Entertainment, das bereits zwei Dub-Techno-Platten von ihm herausbrachte. Und die acht Tracks sind weitaus weniger funktional für den DJ-Einsatz ausgelegt als bisher. Stattdessen bewegen sie sich in einem Spektrum von Electronica, Dub und Dub-Techno. Dass das Album trotz seiner Vielseitigkeit überaus homogen ausfällt, dürfte daran liegen, dass die Tracks innerhalb einer dreimonatigen Phase entstanden sind.
Generell entstehen in Stefaniks Studio viele Tracks in Jamsessions. Selten werden Elemente statisch arrangiert. Die hohe Musikalität der Stücke sieht Stefanik in seiner Schlagzeugausbildung als Kind begründet: „Ich musste nach Noten spielen und hatte Harmonielehre. Vieles passiert dadurch heute intuitiv, weil es in mir drin ist.“
Jena und Oh! Yeah!
Einen Ritterschlag im Vorfeld gab es von Stefan Betke alias Pole, einem der Electronica-Dub-Pioniere schlechthin. Zu einem Freundschaftspreis mischte er das Album ab und holte die restlichen zwanzig Prozent aus den Tracks heraus, wie Stefanik eingesteht. Auf einen Sound möchte er sich indes nicht festlegen. So erschien im November nicht nur das ruhige, dubbige Album „Reactivity“, sondern auch seine erste EP mit neuen Club-Tracks auf dem Jenaer Label Freude am Tanzen, dem er seit langem nahe steht.
Zusammen mit den befreundeten Producern Sven Tasnadi und Stefan Schultz alias Juno6 hat er zudem vor kurzen das Label Oh!Yeah! gegründet – als reine Plattform für eigene, abseitigere oder speziellere Tracks. Die Nummer 1 von Stefanik selbst überraschte denn auch durch ihren ungewöhnlich straighten Techno.
Wohin es noch gehen soll, dafür gibt es jedoch noch keinen Masterplan: Daniel Stefanik schätzt die freundschaftliche Nähe zu Freude am Tanzen und zum Leipziger Label Kann Records. Doch alles ist offen. Daniel Stefanik ist zuversichtlich: „Es gab Punkte, an denen ich dachte, ich höre auf, weil es mir zu viel wird. Aber ich muss zugeben, dass ich gerade wieder sehr glücklich bin.“
(Erstveröffentlichung im Kreuzer 1108)
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