Die besten elf Releases aus zehn Jahren frohfroh – keine leichte Aufgabe. Jens hat sie trotzdem gekürt.
10 Jahre, 11 Releases. Die „Besten“ noch dazu. The one and only. Wie soll das funktionieren? WordPress spuckt mir 800 Einträge in der ReleasesReleases-Rubrik aus. Mir ist schnell klar, dass dies eine unangenehmere Aufgabe wird, als anfangs gedacht. Um es vorweg zu nehmen: Diese Liste ist keine objektive Wahrheit. Um Objektivität ging es in den frohfroh-Rezensionen aber auch nur bedingt. Es durfte sich in ihnen immer eine Meinung, ein Geschmack widerspiegeln. Dies hier ist also ein Vorschlag von mir.
Das Warm-up
frohfroh ist vor zehn Jahren nicht aus dem Nichts entstanden. Rückblickend inspirierten besonders vier Platten, mehr und intensiver über elektronische Musik aus Leipzig zu berichten. Alle vier kamen 2008 heraus. Kassem Mosses EP »Aqueous Haze (The World Dissappeared Into An) gehört mit dem rough-verschrobenen Techno-Track »578« dazu. Aber auch »Einfach Gewinnt«, eine frühe Hymne von Mod.Civil – inklusive Klaus Kinski-Sample und Marko-Fürstenberg-Remix.
Außerdem Daniel Stefaniks wunderbares Dub-Techno-Album »Reactivity«, releast bei Statik Entertainment, einem Leipziger Label, das bereits seit 1994 Platten veröffentlichte. Und natürlich überraschte 2008 auch die erste Platte von Kann Records, »Kann 00«. Ein Pilot, außerhalb der klassischen Katalognummern. Die Tracks überzeugten dann aber doch sehr – nicht nur in Leipzig.
Die Peaktime
2009
Various Artists »Ortloff Eins« (Ortloff)
Galerie, Off-Party-Spot und seit 2009 Label – Ortloff muss hier unbedingt erwähnt sein. Die Nummer 1 sah in der pinken Vinyl-Version nicht nur unfassbar gut aus. Sie präsentierte mit Tracks von Marko Fürstenberg, Cheslo, Mod.Civil, Sevensol & Bender zugleich eine Mini-Werkschau der gerade neu aufblühenden Leipziger House- und Techno-Szene.
2010
Praezisa Rapid 3000 »Mandy Sagt Das Ist Naturmusik« (Doumen Records)
Praezisa Rapid 3000 und ihr Doumen-Label tauchten mit dieser EP zum ersten Mal auf dem Radar auf. Und sie begeisterten mich sofort. Ihr schräger, vielfältiger Leftfield-/Electronica-Sound zeigte schon damals, dass in Leipziger Schlafzimmer-Studios nicht nur House und Techno entsteht. Aber auch Praezisa Rapid 3000 sind der Geradlinigkeit nicht abgeneigt.
2011
Various Artists »O*RS 1600« (O*RS)
2011 Filburt gründete sein eigenes Label O*RS – und zwar eines, das sich musikalisch wenig um Genres und Formate scherte. Die erste Compilation brachte alte Helden mit Newcomern zusammen. Llewellyn etwa, das Disco-Nebenprojekt von Lake People. Und dazu: »Die Trompeten Von Mexico«, eine extrem positive House-Hymne von Mille & Mr. Hirsch.
2012
Here Is Why »HRSY« (Riotvan)
Um Pop geht es bei frohfroh weniger, bei Here Is Why machten wir aber gern eine Ausnahme. 2012 hatte das Quartett sein Debüt-Album fertig, veröffentlicht vom gerade gestarteten Riotvan-Label. Und die Hommage an die Wave-Achtziger ging voll auf. Selbst heute holen mich viele der Songs ab – emotional und musikalisch. Schade, dass es nicht weiterging.
2013
Felix K »Escapisms« (Alpha Cutauri)
Abseits der geraden Bassdrums hat LXCs Label Alphacut Records super viel Input für unsere ReleasesReleases-Rubrik geliefert. Besonders addicted war ich beim Start seines Sub-Labels Alpha Cutauri. Drei Platten auf einmal, alles deutlich langsamer, experimenteller, ambienter. Hardwax war auch sofort into und übernahm den Vertrieb.
2014
Kassem Mosse »Workshop 19« (Workshop)
Ok, ich bin Fanboy von Kassem Mosse. Mindestens ein Release von ihm muss also rein in diese Liste. Es ist sein erstes Album, stellvertretend für viele andere EPs und Alben von ihm. Ich mag bis heute diese besondere, diffus-melancholische Atmosphäre seiner Tracks sowie die ungeschliffenen, unperfekten Sounds. Auch »Workshop 19« ist voll davon.
2015
Kator »Get Stacked« (Defrostatica)
Lange war davon die Rede, 2015 ging es dann tatsächlich los: Booga startete sein eigenes Label Defrostatica und brachte mit Juke, Footwork und anderen Bass-Spielarten neue Nuancen in die Leipziger Szene. Zum Start featurede er mit gleich zwei Platten den Leipziger Producer Kator – und der legte herrlich hektisch und deep vor.
2016
Philipp Matalla »Kiba« (Kann Records)
Dies ist einer meiner All-Time-Favourites von Kann Records. Und ja, ich bin auch ein Matalla-Fan. Allein der 9-minütige Titeltrack steckt so voller weirder und zugleich deeper Sounds, das ich ihn gern auf Repeat laufen lasse. Aber die ganze EP ist großartig. Auch wegen des organisch-klingenden, eher forschenden denn funktionalen Grund-Vibes.
2017
Perm »Jets« (Holger)
Eintauchen in zeitlose, verspult-reduzierte Techno-Loops – mit Perm gelingt dies quasi immer. Er hat mich bisher mit jeder Platte begeistern können. Bei seinem Ausflug auf dem Leipziger Holger-Label war erstmals Perms dubbige Seite zu hören. Alles klingt hier gedrosselter, sphärischer, teilweise breakiger. Wie ein Gleiten im Jet-Stream.
2018
Severnaya »Polar Skies« (Fauxpas Musik)
»Polar Skies« ist ein Album, das sich super zum Arbeiten hören lässt. Immer dann, wenn man den Stress kontern möchte. Ambient in seiner klassischen Form, in einem Mix aus stehenden und schwebenden Sounds – und dem perfekten Sunrise-Track, »Terramodis«. Fauxpas Musik, ein mittlerweile von Leipzig aus betriebenes Label, hat das Album veröffentlicht.
2019
Various Artists »Connwax 06« (Connwax)
Wenn ein Leipziger Label die Techno-Underground-Kultur der letzten Jahre am Leben gehalten hat, dann wohl Connwax. Whitelabel, Vinyl Only und immer ein direkter Draht nach Berlin. Die 06 featuret neben Tracks von zwei About-Blank- und Tresor-Residents auch zweimal Leipzig – mit unglaublich treibenden, darken und einnehmenden Tracks von X/319 und Fragmentiert. Die Zukunft kann kommen.
Die Afterhour
Und da eine gute Party-Nacht bestenfalls entspannt ausfadet, gibt es on top vier ruhige Platten extra – in jeweils drei Adjektiven beschrieben.
#1 Throwing Shade »OM Shade« (Ominira) – Mystisch, ätherisch, wavig.
#2 Timoka »Tulgey« (Holger) – Divers, entrückt, offenherzig-verspielt.
#3 Noisy Answer »Noisy Answer« – Kontemplativ, schwebend, aufleuchtend.
#4 Mary Yalex »Beyond Borders« – Deep, naturalistisch, sinfonisch.