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Henning Fangmann
ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Spirit Legal in Leipzig. Er berät Kreativschaffende und Unternehmen in allen Fragen des Urheber-, Medien- und Wettbewerbsrechts.

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Kraftwerk vs. Moses Pelham – was ist bei Sampling noch erlaubt?

30. April 2020 / Kommentare (1)

Ein 2 Sekunden kurzes Sample schreibt über 20 Jahre Rechtsgeschichte. Das heutige Urteil des BGH im Streit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham hat das Potenzial, die elektronische Musikszene nachhaltig zu verändern. Es geht um nichts Geringeres als die Grundlage einer gesamten Musikrichtung. Rechtsanwalt Henning Fangmann ordnet den Fall für uns ein. 

Ein Paukenschlag ertönte heute aus Karlsruhe. Dort verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil im Streit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham. Das Gericht entschied dabei über die Zulässigkeit des Samplings – und damit auch über die Zukunft der elektronischen Musik, wie wir sie bisher kennen. Wie passend, dass dabei ausgerechnet deren deutsche Gründungsväter involviert waren.

Was war passiert?

Dem Urteil ging ein 21 Jahre andauernder Rechtsstreit voraus. Moses Pelham, bekannt als Musikproduzent, Rapper und Nasenbrecher Stefan Raabs, produzierte und komponierte in den 90er-Jahren nahezu alle Songs von Sabrina Setlur, darunter auch den Track „Nur mir“.

Für den Beat des Liedes wurde ein Ausschnitt aus einem Stück der Technopioniere Kraftwerk genutzt. Es handelte sich dabei um ein zweisekündiges Sample aus deren Song „Metall auf Metall“ aus dem Jahr 1977.

Als Sample werden Töne oder Tonfolgen bezeichnet, die einem bereits bestehenden Musikstück entstammen. Werden diese Ausschnitte in ein neues Musikstück eingefügt, spricht man von Sampling. Meist wird das Sample dazu bearbeitet, indem etwa die Geschwindigkeit oder Tonhöhe verändert oder das Sample fortlaufend wiederholt wird. 

Auch die von Pelham genutzte Tonfolge, die wie aufeinandergeschlagene Metallstücke klingt, wurde geloopt und leicht verändert und lag dem ganzen Song als Rhythmus zugrunde. Um Erlaubnis gebeten wurde Kraftwerk vorher aber nicht. 

Kraftwerk, die übrigens in einigen ihrer Stücke selbst Samples nutzen, war davon nicht gerade begeistert. Deren Gründungsmitglieder Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben haben daher im Jahr 1999 Klage erhoben und wollten vor allem erreichen, dass der Song nicht mehr verbreitet werden darf und Moses P. Schadensersatz für die Nutzung zahlt. 

Was folgte war ein wilder Ritt durch die Instanzen um die Frage zu klären, ob überhaupt und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen die Nutzung des Samples ohne Zustimmung von Kraftwerk zulässig ist.

Grundsätzlich ging es dabei um die Abwägung zwischen den urheberrechtlichen Ansprüchen Kraftwerks auf der einen und dem durch die Kunstfreiheit geschützten kreativen Schaffen Pelhams auf der anderen Seite. 

Es steht viel auf dem Spiel

Es geht als um Grundsätzliches. Und um die Zukunft einer ganzen Branche. So offenbart ein Blick auf die laut der Website www.whosampled.com meistgenutzten Tracks den maßgeblichen Einfluss von Sampling auf ganze Musikrichtungen.

Weit oben steht dabei der Amen Break, ein über vier Takte reichender Ausschnitt aus dem Song „Amen, Brother“ der Band The Winstons von 1969. Dieses treibende Schlagzeug-Sample liegt als Rhythmus nahezu allen Drum’n’Bass Beats zugrunde. Gleiches gilt für den Think Break, einen Ausschnitt aus dem Lied „Think (About It)“ von Lyn Collins. Ohne Sampling dieser Tracks wäre Drum’n’Bass vermutlich nicht entstanden. Dies ist die kulturelle Seite.

Auf der juristischen Seite steht die Rechte von Komponisten und Producern aus dem Urheberrechtsgesetz. Dem Produzenten eines Albums stehen an den Aufnahmen bestimmte Rechte zu. Das ist das sogenannte Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers. Dahinter verbirgt sich vor allem das Recht, zu entscheiden, wer in welcher Art und Weise die Aufnahmen nutzen darf. Dabei sind selbst einzelne Töne geschützt und dürfen grundsätzlich nicht einfach ohne Zustimmung des Produzenten verwendet werden. 

Das Urheberrecht sieht aber selbst auch Einschränkungen dieses Rechts vor, insbesondere durch das Recht auf freie Benutzung und das Zitatrecht. Im Rahmen dieser Einschränkungen muss auch die Kunstfreiheit der Sampler berücksichtigt werden. Es stellen sich also viele urheberrechtliche Einzelfragen, die zum Teil sehr komplex sind.

Hinzu kommt eine Änderung des Urheberrechts auf europäischer Ebene aus dem Jahr 2002. Diese führte dazu, dass sich sich im vergangenen Jahr auch schon der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall befasst und manchen Vorschriften des deutschen Urheberrechts für europarechtswidrig und nicht anwendbar erklärt hat.

Das heutige Urteil

Heute hat der BGH zwar noch keine endgültige Entscheidung getroffen, sondern die Sache nochmal an das OLG Hamburg zurückverwiesen. Dabei hat er dem OLG aber Leitlinien mit auf den Weg gegeben, wie dies den Fall zu beurteilen hat. Die schlechteren Siegchancen hat dabei Moses Pelham.

Nach den europarechtlichen Änderungen im Jahr 2002 ist laut BGH die Verbreitung des Samples ohne Zustimmung von Kraftwerk nur dann rechtmäßig, wenn der durchschnittliche Musikhörer das Original im neuen Song nicht wiedererkennen würde. Im Fall von „Nur mir“ ist das aber nach Ansicht des BGH so.

Damit blieb Moses Pelham nur noch der Notanker des urheberrechtlichen Zitatrechts. Aber auch dies hat der BGH abgelehnt, da aus seiner Sicht für die Hörer nicht erkennbar war, dass der dem Beat zugrundeliegende Loop aus einem anderen Song übernommen wurde. Zudem wurde Kraftwerk nicht als Quelle des Samples benannt.

Auswirkungen auf Sampling und die Szene

Das Urteil dürfte für alle Producer elektronischer Musik große Auswirkungen haben. Der BGH hat klargestellt, dass Sampling nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Dies ist von nun an nur noch in vier Konstellationen der Fall. 

Erstens, das Sample ist ein Zitat. Dazu muss der Originalausschnitt wiedererkennbar im neuen Song eingebaut werden, mit dem Original interagieren und die Quelle des Ausschnitts etwa im Booklet oder der digitalen Beschreibung benennen. 

Zweitens, das Sample wird so stark bearbeitet und verändert, dass es in dem neuen Beat nicht mehr wiederzuerkennen ist. Wann diese Voraussetzung erfüllt sind, lässt sich pauschal kaum sagen.

Drittens, das Sample wird selbst nachgespielt. Das dürfte in der Praxis wohl nicht realistisch sein.

Und viertens, die einfachste und verbreitetste Lösung: Man holt sich vor der Nutzung die Zustimmung der Rechteinhaber ein. Das kann zwar den Schaffensprozess verzögern oder sogar das Sampling unmöglich machen, wenn die Interpreten die Zustimmung verweigern. Es ist aber auf jeden Fall der sicherste Weg. 

Ausblick

Nun liegt der Ball also wieder beim OLG Hamburg. Eine Entscheidung des Gerichts ist frühestens Mitte nächsten Jahres zu erwarten. Danach kann sich Moses Pelham überlegen, ob er noch Chancen sieht, mit dem Fall wieder vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Headerbild von Robert Handrow.

CommentComment

  • Christoph / 30. April 2020 / um 20:57
    Ist der vierte Fall nicht bereits in den USA Standard? Weiß da jemand genaueres? Es gab meines Wissens viele Musikproduzenten v.a. im Hip Hop, die Samples neu eingespielt haben, um Rechtsstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen.

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