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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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Doppelschlag

08. November 2010 / Kommentare (4)

Am vergangenen Wochenende wurden zwei neue Platten gefeiert, die stilistisch nicht weit von einander entfernt sind. Pyjama Pyrat & Mute-Nation debütieren mit einer Veröffentlichungsserie. Alphacut legt die Nummer 21 nach.

„Encephaleon 1“ heißt das Debüt von Pyjama Pyrat & Mute-Nation, zwei Leipziger Drum’n’Bass-Protagonisten aus dem Ulan Bator-Umfeld. War Pyjama Pyrats Vorgänger-Projekt Styleconfusion eher im Drum’n’Bass verwurzelt, so schreitet er mit Mute-Nation in Richtung Dubstep und Grime. Ein Sound, der in Leipzig zwar längst angekommen ist, aber allzu viele Produzenten scheint es hier nicht zu geben, die sich an eine Veröffentlichung trauen. „Encephaleon 1“ könnte insofern vielleicht auch eine Initialzündung sein.

Auf vier Teile ist die Serie angelegt – alle halbe Jahre soll eine neue Folge kommen. Encephaleon ist übrigens der Fachbegriff für Gehirn eine Gehirnkrankheit, die durch eine Bleivergiftung verursacht wird. Ist das sogar ein Verweis zu dem Blei-Hanf, das vor zwei Jahren durch Leipzig geisterte? Dass hier ein Dubstep-Album entsteht, wurde schon bei einer Ulan Bator-Jahtari-Party angekündigt. Ein Jahr später ist jetzt also soweit.

Und „Encephaleon 1“ ist fast schon episch in den Sounds. Elegisch im Tempo und selbstbewusst in seinem Pathos. Juliane Wilde und Instruktah D. sind als Sänger dabei. Was besonders auffällt ist der Pop-Charakter hinter den Tracks. Das ist nichts zwingend für den Club. Einmal durch die Vocals, aber vielmehr noch durch die Arrangements. Die Tracks stecken voller Brüche.

Das ist einerseits spannend, andererseits überladen diese Wendungen die einzelnen Stücke immer wieder auch. Schroffe verzerrte Sounds treffen filigrane Melodien, riesige Wobble-Bass-Wellen schieben nach vorn und ab und an ist auch der Autotune-Effekt mit dabei. Das klingt nach TripHop mit neuen Mitteln – ähnlich bedrückend und düster, aber in den Sounds eben doch sehr Dubstep-beeinflusst.

Eigentlich stimmt vieles an „Encephaleon 1“, nur die Überladenheit und die etwas zu saubere Atmosphäre zwischen Tönen nehmen diesem Einstand ein wenig von der klanglichen Faszination. Das könnte noch etwas rougher klingen. Und etwas entschlackter.


Alphacut-21Damit rüber zu Alphacut Records, die in den 20er-Nummern ganz auf Weiß setzen. Weißes Vinyl, weiße Hülle. Weiß auch der viele Schnee, der in Estland und Finnland im Winter liegen dürfte. Von dort kommen nämlich Dejaru und Paranoid Society her. Die Esten spielen zudem noch mit „White Lies“. Ein reduzierter rhythmischer Track, freudig tänzelnd und irgendwie mit einer etwas ironisch klingenden Poesie kokettierend.

Zumindest haben die Fanfaren in der Mitte auch etwas Hymnisches, dem der Schalk jedoch eindeutig anzuhören ist. Dejaru wirkt dazu wie ein strenger Gegenpart. Düster und rastlos, sehr loopig in den Zwischentönen. „Black Mask“ heißt das Stück und es rundet die Dramaturgie dieser Platte klanglich und mit seinem Titel ab. Auf jeden Fall ist Alphacut gerade wieder mit hohem Puls unterwegs.

Alphacut Records Website
Ulan Bator Website
Encephaleon Facebook
Mehr zu Alphacut Records bei frohfroh

CommentComment

  • Jens / 09. November 2010 / um 13:43
    Hey Dana,

    jetzt verstehe ich deinen Hinweis mit dem Albumtitel. Ja, da habe ich mich tatsächlich in den Zeilen geirrt. Sorry.
    Was die »normative/objekte« Beschreibung von Musik angeht. Im kreuzer ist sie leider auf 800 Zeichen beschränkt. Bei frohfroh bin ich freier, aber das soll auch nicht in Wortschlachten enden. Insofern versuche ich es überschaubar zu halten. Die grobe Einordnung in Dubstep von der Klang-Ästhetik her und TripHop in der Dramaturgie her findet aber hier durchaus statt. Und mein Eindruck des cleanen Sounds kommt einfach auch aus einer gewissen Höreinfahrung zustande. Da klingt dieses Album eben auch etwas anders bzw. eben genau zwischen die beiden eben genannten musikalischen Polen. Aber hey, es soll mir jetzt hier nicht um alle Details gehen. Ich finde es super, dass du so dezidiert eine Meinung zu genau dieser Beschreibung hast.
    Schöne Grüße
    Jens
  • Dana / 09. November 2010 / um 12:06
    Lieber Jens,
    vielen Dank für Deine Antwort! Da Du nachgefragt hast, nicht aber um darauf herumzureiten, dann doch noch einmal zu den „normativen Setzungen“. Natürlich habe ich mich spontan hinreißen lassen zu dem Kommentar, den ich geschrieben habe – und insofern bin ich frohfroh für die Möglichkeit zur Diskussion, und vielleicht ist es ja – so lese ich zumindest Deine Antwort – auch für Dich spannend, recht unmittelbare„Leserreaktionen“ zu bekommen. Wenn ich jetzt aber darüber nachdenke, wie bei mir dieser Eindruck entstanden ist, dann muss ich sagen, dass es vor allem daran liegt, dass ich in Deinen beiden Rezensionen zu Encephalon (hier und im Kreuzer) letztlich weniger über die besprochene CD erfahre als über Deinen eigenen Geschmack, was ja völlig okay ist. Enttäuschend (da normativ) wird es für mich allerdings in dem Moment, wenn das eigene Geschmacksurteil dafür benutzt wird, die besprochene Musik insgesamt als schlecht gemacht abzuwerten, etwas wofür es meiner Ansicht nach Argumente braucht, die über den eigenen, ja immer subjektiven Höreindruck und die damit verbunden Vorlieben hinausgehen. In Deinem Text im Kreuzer, in dem die „Ideen“ und „Zutaten“ (welche?) als gut (warum?) bewertet werden, aber die Umsetzung (wie konkret?) und damit letztlich auch das Ergebnis als schlecht, da für Deinen Geschmack zu clean, empfinde ich dies noch viel stärker, vielleicht auch ob der notwendigen Kürze des Beitrags.
    Das ist zumindest mein – ebenso subjektiver – Lesereindruck, der, soviel sei gesagt, nicht gerade beflügelt wird durch die schlicht falsche Übersetzung des gewählten Albumtitels (siehe oben) und die daraus abgeleitete doch recht platte (Entschuldigung!) und weit hergeholte Assoziation zum „Blei-Hanf“.
    Nichtsdestotrotz Respekt für die stete und konsequente Arbeit zur „Dance Music from Leipzig“!
    Viele Grüße und frohes Schaffen
    Dana
  • Jens / 08. November 2010 / um 16:48
    Liebe Dana,

    danke für deine Gedanken. Brüche und Wendungen implizieren natürlich eine Heterogenität und damit ein Überlagern bzw. Aneinanderreihen von mehreren Elementen. Genau dadurch entsteht bei mir auch das Eindruck des Überladenen. Ich habe diese Schichten nur nicht extra erwähnt.
    Ansonsten bin ich nicht sicher, ob ich deinen zweiten Einwand recht verstehe. Denn die Beschreibung der Musik ist ähnlich wie bei den anderen Texten. Eine grobe stilistische Einordnung mit der Beschreibung von auffälligen klanglichen Dingen. Was meinst du mit normativen Setzungen? Dass Dubstep und TripHop als Begriffe fallen?
    Letztendlich ist das natürlich ein subjekter Eindruck, den ich hier vermittele. Es ist auch als Diskussionsgrundlage anzusehen.
  • Dana / 08. November 2010 / um 16:16
    Lieber Jens,

    mein Hörereindruck ist ein gänzlich anderer - bedrückend kann ich die Musik nicht finden, eher im Gegenteil! Aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich (nicht) streiten. Auch die von Dir mehrmals betonte Überladenheit kann ich in der Musik nicht hören - kann sie allerdings auch in Deinem Text nicht nachvollziehen - ich meine, wie wird aus "Wendungen" und "Brüchen" eine "Überladenheit" der Stücke? - Bräuchte es da nicht ein Zuviel an Elementen, die einander überlagern usw.? Sind Brüche und Wendungen nicht eher Ausdruck von Heterogenität, ...(was man ja nicht gut finden muss, aber rein sprachlogisch verstehe ich Deine Argumentation nicht.)

    Darüber hinaus:
    "Encephalon Gehirn. — Encephalopathia gr. pathos Leiden, Gehirnkrankheit. Encephalopathia saturnina Gehirnerkrankung, durch Bleivergiftung: Zittern, Krämpfe, Blindheit, geistige Störungen."
    - (!) -

    Ich lese sehr gern bei Dir/Euch - allerdings frage ich mich manchmal, warum bei einigen Artists eine Beschreibung der Musik, des Covers etc. im Vordergrund steht, während bei anderen Artists scheinbar nichts ohne Vergleiche und normative Setzungen geht - wie eben hier im "Doppelschlag" gut zu beobachten. Das finde ich schade, vor allem da die dann doch im Vergleich eher kleine Leipziger Musiklandschaft einen Blogger gut gebrauchen könnte, der beschreibt und so auf ganz unterschiedliche Sachen aufmerksam und Lust macht - unabhängig vom eigenen Geschmack, dessen Ausdruck auf jeden Fall ja seine Berechtigung hat, aber ginge nicht beides? Vor allem da hier eben keine Riege von miteinander konkurrierenden oder einander ergänzende "Kritiker" gibt, die dem interessierten Leser/Hörer auch unterschiedliche "Geschmäcker" näher bringen? Oder habe ich frohfroh falsch verstanden? Ich dachte, es geht Dir/Euch darum, aufmerksam zu machen auf das, was es in Leipzig zu entdecken gibt...?

    Schöne Grüße
    Dana

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