Das nächste (lang ersehnte!) Porträt unserer Spot on-Reihe ist da. Diesmal stellen wir Dennis aka AGYENA vor – welchen Vibe Autorin Paula beim Treffen mit ihm aufgesogen hat, welche Erfahrungen er im Nachtleben gesammelt hat und welche Einflüsse seine Musik geprägt haben und prägen, das alles lest ihr bei uns. Und einen neuen Spot on-Mix gibt es auch noch.
Bevor ich Dennis das erste Mal getroffen habe, wollte ich in ein paar Sets von ihm reinhören. Das handhabe ich meistens so: Einen musikalischen Eindruck gewinnen, vielleicht kurz googlen, aber nicht zu viel – ich halte Interviews gerne als offene Gespräche, um einen besseren Eindruck von dem Menschen selbst zu gewinnen.
Soundcloud-Recherche
Aber back to the beginning, ich öffne Soundcloud. Was mich erwartet ist vielseitig und überraschend. In AGYENAs Sets begegnet mir Techno, House und Disko, Percussion-Sounds und waviger 80s Vibe. Dabei schafft es Dennis, dass alles ein stimmiges Gesamtbild ergibt, trotz der offensichtlich vielfältigen Einflüsse auf seine Musik wirkt nichts zusammengewürfelt, die Sets transportieren etwas ganz Eigenes. Das hier soll kein Review werden, gleich zu Beginn aber eine Einladung, sich auf die fantastischen Sets von Dennis einzulassen – it’s a vibe! Und mit dem vorweg kommen wir zu unserem Spot on #6: Dennis aka AGYENA.
Vor dem Gespräch sitzen wir am Fenster, rauchen, sprechen über Psychologie. In Leipzig lebt Dennis seit 6 Monaten, vorher hat er in Berlin gelebt, ursprünglich kommt er aus Nürnberg. In allen drei Städten hat er sehr unterschiedliche Erfahrungen in der Clubkultur gesammelt.
Das erste Kollektiv, in dem er Erfahrungen gesammelt hat, war das Kollektiv Musikverein, heute ist er Teil des Pulsår Kollektivs, das Partys in verschiedenen Clubs in ganz Deutschland hostet und in Nürnberg jährlich ein Festival veranstaltet.
Aktuell schreibt er außerdem seine Masterarbeit im Gebiet der kognitiven Neurowissenschaften. Später sitzen Dennis und ich auf meinem Balkon, essen Pizza. Dennis ist bedacht, lässt sich Zeit beim Formulieren der Antworten. So divers und experimentell seine Sets sind, so eng verknüpft ist seine Musik für ihn mit der eigenen Identität, die er als queere, Schwarze Person stetig sortiert in einer heteronormativen, weißen Gesellschaft, in der marginalisierte Menschen unterrepräsentiert sind. Unser Gespräch ist sehr persönlich, er ist aufgeschlossen und gibt mir die Chance, den Menschen hinter AGYENA kennenzulernen.
“eine Art Anpassungsversuch…”
Bezüglich der Musik, die er macht, möchte Dennis sich nicht festlegen: “Ich möchte mich dabei gar nicht so sehr limitieren und es symbolisiert tatsächlich ein bisschen den Weg der Selbstfindung für mich. Ich habe das ganz lange nicht verstanden, aber ich hatte das Gefühl, ich sollte dies oder jenes spielen und tun, weil Leute das von mir erwarten, vor allem hinsichtlich meiner Hautfarbe. Da lief denke ich ganz automatisch eine Art Anpassungsversuch ab, was ich dann irgendwann, als mir das bewusst wurde, aktiv abgelehnt hab.”
Müsste er sich einordnen, dann wäre das wohl irgendwo in Richtung House und Elektro, wobei er gerne cross-genre experimentiere. 80s und New Wave haben ihn geprägt, was heute noch in seinen Sets hörbar ist.
Musikmachen ist für ihn ein emotionaler Prozess, Identitätssuche und das mischen komplexer Melodien als Ausdruck seiner Selbst.
Wann ist Kunst das nicht, könnte man fragen. Um das zu verstehen, hilft es, weiter vorn zu beginnen.
Aufgewachsen ist Dennis in Nürnberg. Die ersten Berührungspunkte mit Musik, die er selbst macht, findet er als Kind, zunächst im Posaunenchor, später als Mitglied einer Percussiongruppe.
Die Clubszene in Nürnberg ist klein, Repräsentation von queeren Identitäten und Personen of Color ist gering, sodass ihm die Idee, aufzulegen, zunächst gar nicht kam. Heute kann er diese Tatsache klar als strukturelles Problem benennen, damals war es ein unbestimmtes Gefühl, bis er mit 18 in Berlin erstmals eine diversere Clubszene erlebt. Als Dennis anfängt, aufzulegen, schwingt also das Gefühl mit, etwas zur Clubszene in Nürnberg beitragen zu wollen. Zu Beginn ging es dabei weniger bewusst um seine queere Identität und die Tatsache, dass seine Haut dunkler war – später verstand er, dass diese beiden Dinge untrennbar mit seiner Musik und seiner Identität als DJ verstrickt sind.
Kraftwerk, Depeche Mode, Bronski Beat
“Vor allem als ich die ersten Male in Berlin feiern war und durch die Schwulenpartys gemerkt habe: Da fehlt irgendwas in Nürnberg. Ich hab’ so einen gewissen Vibe vermisst. Heute würde ich das der sichtbareren Diversität in Berlin zuschreiben, sowohl im Publikum als auch der Musik. Das hat mir in Nürnberg gefehlt und ich wollte das dahinbringen. Als ich angefangen habe, habe ich das größtenteils für mich allein gemacht, ich habe hier und da mal in Bars aufgelegt und ging dabei oft in die 80s/New Wave Richtung.
Ich weiß noch, Kraftwerk hat mich unglaublich fasziniert, während meiner Jugend stand auch sehr auf Synthie Pop, wie z.B. Depeche Mode und Bronski Beat. Ich hab‘ mich stark mit Musik identifiziert, mit der sich – in meiner Wahrnehmung zumindest – People of Color sonst nicht so stark identifizieren.”
Politisierung
Später beschreibt er seine eigene Politisierung durch das Kollektiv Musikverein in Nürnberg, ein freies Veranstaltungskollektiv, welches Konzerte, Partys und andere Kulturveranstaltungen oft mit queerfeministischen Fokus organisiert.
Orchid
Die Party-Reihe “Orchid” sei für Dennis von besonderer Bedeutung gewesen. Dort habe er das erste Mal das Gefühl gehabt, in den Diskriminierungserfahrungen, die er machte, verstanden zu werden und Rückhalt zu haben: “Das war der erste Raum, in dem ich mich sicher gefühlt hab, in dem ich awareness erlebt hab. Ich habe dort Zuhörer*innen gefunden, die teilweise meine Erfahrungen besser benennen konnten als ich. Das war dann eigentlich auch der Punkt, an dem ich festgestellt habe, dass ich mich tiefer mit Marginalisierung und strukturellen Unterdrückungen und deren Auswirkungen auseinandersetzen muss.”
Im Zuge dessen kamen neue musikalische Einflüsse ins Spiel, er hört elektronische Musik, die von Personen of Color gemacht wird, später lernt er einen Begriff kennen, der seine Musik nachhaltig prägen wird:
Afrofuturismus.
Entstanden als popkulturelle Strömung in den 90er Jahren entwickelte sich Afrofuturismus als Kulturästhetik, die rassistische Strukturen anhand futuristischer Elemente kritisiert und in Science Fiction eine Welt frei von Rassismus entwirft. Mit der Auseinandersetzung damit findet Dennis wiederrum Worte, Inspiration dafür, seinen eigenen Erfahrungen und auch der Suche nach der eigenen Identität über Musik zu kanalisieren.
Techno, House: Gefühl von Freiheit
Bei allen strukturellen Problemen, die wir nicht ausblenden dürfen, sind Techno und House die Musik einer Bewegung, die gerade in den 90ern in Berlin für viele Menschen, ein Gefühl von Freiheit entstehen ließen. Die Nächte auf Berlins Tanzflächen boten Dennis erstmals die Möglichkeit, “zu verschwinden” – er hatte das Gefühl, es spiele zumindest für den Augenblick keine Rolle, wer er war, er habe sich tatsächlich frei gefühlt.
“Die Tanzfläche ist für mich heilig.”
Er sagt weiter: “Zum einen aufgrund der Erfahrungen und Emotionen die man teilt. Zum anderen ist für mich wichtig, dass ich dort untergehen konnte, sowohl in meiner queeren sowie Schwarzen Identität, und sogar in meiner deutschen Identität: Das ist auf der Tanzfläche alles sekundär.”
Einen Moment lang nicht auf Aussehen, sexuelle Orientierung oder anderes reduziert zu werden, verbindet Dennis mit Eskapismus. Für ihn als Schwarzen Schwulen hat das jedoch eine andere Bedeutung als für weiße Menschen, für Heteros, sogar für weiße homosexuelle Menschen, die feiern gehen. Gern wird von Hedonismus gesprochen, ein Ausbrechen aus dem Alltag, ein “Befreien” – der Akt der Befreiung für marginalisierte Menschen bedeutet jedoch etwas anderes, was die Notwendigkeit von safer spaces noch dringlicher macht.
Denn Dennis erkennt auch in der vermeintlich freien, toleranten Clubkultur strukturelle Probleme:
“Aber natürlich ist das Gefühl von Freiheit, was man auf der Tanzfläche bekommt, auch begrenzt, und mit den strukturellen Problemen muss man sich theoretisch auseinandersetzen. Eskapismus öffnet die Tür. Um dann aber wirklich zu verstehen, was die Mechanismen sind, wie man sie überwindet und vielleicht potentielle Chancen darin sieht – dazu muss man sich bewusst damit auseinandersetzen. Irgendwann muss man die Musik ausmachen und darüber sprechen. Denn es sind ja immer nur safer spaces, nie ein safe space. Letztendlich komme ich dann jetzt eben auch am Punkt der Intersektionalität an. Ich bin in der Berliner Clubszene angekommen, hab gespürt, dass das Schwul-Sein dort keine Rolle gespielt hat – das Schwarz-Sein war dann eben aber doch wieder ein Ding. Irgendwo ecke ich trotzdem immer an. Und allein dadurch, dass diese Freiheit immer einen Beigeschmack hat, ist es eine andere Erfahrung.”
Es ist nicht mehr 1990, wir sind an einem Punkt sind, an dem wir feststellen: Es ist schön, dass wir diesen Freiraum haben, ihn schaffen und nutzen können – aber damit hört es eben nicht auf.
A G Y E N A
Und damit kommen wir bei der Musik an, die Dennis selbst macht, bei AGYENA. Im Gespräch denkt er lange über Antworten nach, vor allem wenn es um Verortung geht, musikalisch, in der Zukunft.
“Das spiegelt letztlich ja auch die Unsicherheit wider darüber, wie wenig Ankerpunkte ich im Laufe meines Lebens hatte, vor allem durch fehlende Repräsentation in der Gesellschaft”, erzählt er.
Foto von Paula Charlotte Kittelmann
“Menschen, die sich nicht repräsentiert fühlen, können nicht auf Erfahrungen anderer zurückgreifen. Diese Erfahrungen braucht man aber, um sich nicht orientierungslos zu fühlen. Beispielsweise die Tatsache, dass ich in Nürnberg eigentlich nie einen Schwarzen DJ gesehen habe, ist die implizite, strukturelle rassistische Hürde, die sich dann bei mir als Selbstzweifel manifestiert hat:
“Will mich als Schwarzen DJ überhaupt jemand sehen?”
Wie er Musik erlebt, die er selbst macht, unterscheidet sich davon, wie er Musik auf der Tanzfläche konsumiert. Musikmachen sei für ihn ein emotionaler Prozess, anhand dessen er Gefühle ausdrücken könne:
“Da lege ich nicht als Schwuler auf, bin nicht als Schwarzer da. Es ist ein Feld, in dem die aufgesplittete Identität sich trifft. Ich hab‘ es schon immer geliebt Ideen, Genres miteinander zu verbinden – weil sich in mir Vieles verbindet und trifft. Und das ist was Schönes, da will ich keine Abstriche machen. Generell sehe ich in der Intersektionalität auch eine Chance für Verbindung, in einem Set, so eine Art künstlerisches Narrativ.”
…verbinden, spüren, zeigen
Seine eigene Musik ist Mittel, sich selbst zu verbinden, zu spüren und zu zeigen, ohne das Gefühl, “verschwinden zu wollen”. Das Spannungsfeld, indem er sich bewegt, ist komplex: Es darf nicht vergessen werden, was es heißt, mit Diskriminierungsoberflächen zu leben, auch immer wieder darauf reduziert zu werden, welche Farbe seine Haut hat – auf der anderen Seite aber vielschichtig gesehen zu werden, wie jeder Mensch in seiner Identität.
Und in fünf Jahren?
Ich frage Dennis, wo er sich selbst in fünf Jahren sieht. Auf persönlicher Ebene hoffe er, seine wissenschaftliche Herangehensweise mehr mit dem Musikmachen vereinen und so seiner Experimentierfreude noch mehr Raum geben zu können. Gesamtgesellschaftlich wünscht sich Dennis, dass junge, schwarze, queere Menschen sich stärker repräsentiert fühlen, als er es selbst tat.
“Im Laufe der Zeit merkt man dann, dass man das nicht nur für sich tut, sondern auch für die Menschen, die eine*n sehen – und sich dann vielleicht auch repräsentiert fühlen. So kann man diesen Menschen den Weg wieder ein Stück ebnen.”
Spot on #6-Mix
Und nun zu einem weiteren Highlight: Dem Spot on-Mix von AGYENA für frohfroh. Danke daür!
PS:
Das komplette Interview mit AGYENA lest ihr drüben bei DJ LAB. Klick!