Insta-Shots, ein Schwenk durch die Menge, schwitzende Körper, Hände nach oben, geile Stimmung, toller Vibe – ein Bild aus alten Tagen? Throwback 2019? Na ja, nicht so ganz. Letzte Woche, vorletzte Woche, in Clubs, in WGs, 2020. Ist das richtig, annehmbar, vertretbar? Antoinette Blume hat ihre Gedanken zu “privaten” Raves in Leipzig aufgeschrieben.
Wir alle wollen feiern. Ich schließe mich da gar nicht aus, überhaupt nicht. Tanzen, ungehemmt, Menschen kennenlernen, rummachen, Drogen nehmen, Afterhour, Prehour, dunkel, laut, the heat of the moment spüren, da sein, frei sein, mit anderen. Die Sehnsucht ist groß, das Verlangen wurde im Sommer mit Treffen in Biergärten, Open Airs und Sessions am heimischen Wohnzimmertisch nur semi befriedigt.
Ich verstehe das zu gut, kein Zweifel. Ich habe aber kein Verständnis für Partys mit hundert(en) Leuten, “mit” und ohne Hygienekonzept – “mit” Codewort, wenn la policia aka dein Freund und Helferlein vor der Tür steht und die Masken schnell vom Hals über Mund und Nase wandern. Wir müssen dafür nicht vorwurfsvoll nach Berlin schauen, wir können diese Diskussion hier in Leipzig führen.
Was uns allen derzeit fehlt
Um eines vorweg zu nehmen: Veranstaltungen können stattfinden, wenn sie den Anspruch haben, das Miteinander so safe wie möglich zu machen. Dass das leider bedeutet, dass es keine Veranstaltung sein wird, die nur annähernd an “früher” rankommt, ist damit besiegelt. Das ist schade, das ist ein Verlust, das fehlt. In Anbetracht der Situation in Sachsen, in Deutschland, in den Nachbarländern, auf der Welt, sollte das jedoch irgendwie klar sein. Es sollte selbstverständlich sein, keinen fucking Egotrip zu fahren. Muss es.
Ich habe mich auch schon dabei erwischt, dass ich kurz davor war, mich für eine Party in Leipzig-Nord anzumelden. Irgendwas hielt mich dann doch davon ab. Einen Tag später wurden kurze Snaps in meinen Story-Feed gespült: ein Schwenk durch die Menge, schwitzende Körper, Hände nach oben, geile Stimmung, toller Vibe, mega voll.
Bisschen zieht es im Bauch, nicht wegen Corona, wegen the fear of missing out. Raven, Spaß haben, du bist nicht dabei. Andere erleben das, was du dir auch wünschst – und es liegt an dir, dabei zu sein oder eben nicht. Ähm, Stop mal – ist halt auch gerade Pandemie, ne? Es hält mich auch ein Solidargedanke ab, egotrippig, einfach weil “ich das jetzt will und brauche”, zu Partys zu gehen, wie ich das früher tun konnte. Trotzdem: the struggle is real.
Angebot und Nachfrage
Das Angebot ist rar, aber es ist vorhanden, da müssen wir uns nicht in die Tasche lügen. Es hat schon fast etwas Sakrales, in diesem „inner circle“ zu sein, zu wissen, wo eine private Party mit 50-100 vorangemeldeten Gästen stattfindet, sich anmelden zu dürfen. Fast gebauchpinselt fühlt man sich, in den Club der Furchtlosen aufgenommen zu sein, oder? “Du gehörst dazu”. Und dieses (warme) Gefühl ist per se nichts Falsches. Ihm nachzugeben schon.
Das Angebot zu schaffen, also diese als “privat” deklarierten Partys zu veranstalten, ist für mich zwar emotional nachvollziehbar – rational allerdings nicht. Und wer jetzt mit “es is‘ aber nix passiert!” um die Ecke kommt, bitte lasst es. Spiel mit dem Feuer, toll wenn nix passiert, ehrlich. Das System “privater Rave” ist jedoch prädestiniert dafür, aus dem Ruder zu laufen. Wer nach einer Nase Speed und einem halben Teil noch an Corona denkt, congrats! Den meisten geht’s wohl anders.
Um welchen Preis?
Ich möchte darüber reden, was in Leipzig passiert. Ich möchte sagen können, dass ich das nicht in Ordnung finde, ohne als Panikerin oder Heuchlerin abgetan zu werden, habe ich in der Vergangenheit doch auch schon mal mit mehr als zehn Leuten abgehangen. Ich möchte niemanden shamen, der zu diesen Partys geht, sie veranstaltet oder sie im Club stattfinden lässt. Allerdings müssen wir reden. Und uns bewusst machen: Das geht gerade einfach nicht klar.
Wir setzen, ja, wir alle!, aufs Spiel, dass risikoarme Veranstaltungen durchgeführt werden können, dass das mediale Bild die Szene als egoistisch, feierversessen, unsolidarisch und teilweise echt ätzend zeigt, dass wir wirklich zum Infektionsgeschehen beitragen. Ich muss hier glaube ich nicht erwähnen, dass auch junge Menschen an Covid-19 sterben, sich nach Monaten noch nicht von ihrer Erkrankung erholt haben. Und wir, die “Jungen”, Menschen mit Vorerkrankungen, Ältere und chronisch Kranke dem Risiko schwer zu erkranken oder zu sterben aussetzen. Falls das doch breaking News sind, bin ich froh, es hiermit geteilt zu haben.
Stay safe. And think of others.
Artwork von fragmentiert.