Seit Mai gibt es einen neuen Platten- und Secondhand Laden in der Mariannenstraße – das Sleeve++. Unsere Autorin Marie hat den Laden und zwei der Betreiber*innen besucht.
Auf der Eisenbahnstraße herrscht wie immer reges Treiben und auch in der Hermann-Liebmann ist gut was los. Hier im Laden merkt man davon nicht so viel, höchstens mal ein Hupen. Es ist ruhig in der Mariannenstraße 74. Schön hier, Wohnviertelflair. Vor dem Haus steht noch ein großer Baucontainer, dahinter ist das Schaufenster des Ladens versteckt. Drinnen, wo es gemütlich warm ist, treffe ich zwei der Betreiber*innen: Lale und Robert.
Neuer Laden im Osten
Denn seit Ende Mai gibt es hier im Osten einen neuen Laden: Sleeve++. Dort kann man ausgewählte Secondhand Kleidung kaufen und nach neuen oder gebrauchten Platten stöbern. Die goldene Ladentür führt direkt in einen großen hellen Raum. Darin stehen vier schlichte Plattenregale, in denen man perfekt von oben diggen kann, eine gemütliche Couch und ein großer Tresen. Außerdem noch drei Plattenspieler zum Vorhören und wenn nötig noch einen hinter der Theke. Im Nebenraum gibt es drei große Kleiderstangen voll farblich sortierter Kleidung sowie Accessoires und Schmuck (von Leipziger Designer*innen). An den Wänden hängen momentan Holzschnitte von Charlotte Wagner, die sich sich mit queeren Themen auseinandersetzen.
Im Laden wirkt es angenehm aufgeräumt und trotzdem gemütlich, vielleicht wegen der Couch und der vielen Pflanzen. Man kann hier gut ungestört und unbeobachtet ein paar Stunden verbringen: Platten hören, auf der Couch rumsitzen, Klamotten anprobieren, quatschen oder etwas trinken. Alles mit Wohnzimmerflair. Außerdem gibt es einen Walkman, mit dem man sich Kassetten anhören und währenddessen im Laden umherlaufen kann. Dabei landet man vielleicht in der zur Umkleide umgebauten Dusche.
Fünf Köpfe, eine Idee
Hinter Sleeve++ stehen viele Menschen: Lale, Tami, Maik, Laurin und Robert. Einige dürfte man vielleicht besser unter ihren DJ-Namen kennen: T-Data von L1CK, Mjut-Resident DJ Maik, der als Teil von vokode und als Maik Grötzschel produziert, dessen Label Solid Rotation sowie Ease und Robyrt Hecht von Clear Memory, der unter diesem Namen ebenfalls produziert und mit YUYAY RECORDS ein eigenes Label betreibt.
Angefangen hat alles 2017 als der Plattenladen Possblthings in der Bornaischen Straße in Connewitz schließen musste. Robert hat dort viel und gern abgehangen und wollte nicht, dass es mit dem Laden zu Ende geht. Also kam ihm die Idee, ihn irgendwo anders wieder zu eröffnen. Auch Tami und Laurin waren oft dort und teilten Roberts Interesse, den Laden aufrechtzuerhalten.
“Ich habe mich dem Laden sehr verbunden gefühlt und wollte nicht, dass das aufhört.” – Robert
Die Platten sollten bei der Neueröffnung des Ladens aber nicht allein stehen, fand Robert. Er wollte ein neues Konzept. Und so kamen Lale und Maik dazu, die Bock hatten, Secondhand Kleidung zu verkaufen. Das hat gut gepasst: alle waren schnell bereit das Ladenkonzept auszubauen.
So richtig begonnen hat es dann mit zwei PopUp Stores, der erste 2017 und noch einer 2018, einer im Westen, einer im Osten Leipzigs. Dort konnten die fünf ihr Konzept in einer Off-Location schonmal eine Woche lang ausprobieren: es gab Klamotten und Platten und jeden zweiten Tag eine Veranstaltung. Weil das so gut ankam, haben sie danach intensiv Locations gescoutet.
Und so landeten sie schließlich über einen Freund in der Mariannenstraße 74. Das Haus stand seit 30 Jahren leer, war unrenoviert und dort war ein großer Laden frei.
“Es sah echt krass aus, kompletter Rohbau. Aber alle hatten Bock auf die Challenge, den Laden komplett kernzusanieren.” – Lale
Und das ist das besondere an diesem Ort: hier drin ist alles selbstgemacht und dadurch steckt viel Liebe im Detail. Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis der Laden 2020 endlich aufmachen konnte.: “Niemand hatte Ahnung, alle haben sich selbst angelernt”, sagt Lale und lacht. Dafür hat sich das Warten gelohnt: Die fünf konnten alles nach ihren individuellen Vorstellungen gestalten. Dieser DIY-Input und die Liebe zu guter Qualität ziehen sich durch den gesamten Laden.
Qualität statt Quantität
Das Sortiment ist klein aber fein. Es gibt Secondhand Platten und Neuware, von 2,50 bis 40 Euro. Die meisten Platten liegen zwischen zehn und 20 Euro aber auch unter zehn lässt sich hier was gutes finden. Robert will die Platten fair verkaufen, nicht auf den Discogs Hype einsteigen: “Wenn da eine Platte super rar ist, weil sie seit fünf Jahren nicht gepresst wurde oder so dann verkaufen wir die trotzdem so, dass man sie als Normalsterbliche*r noch bezahlen kann.”
“Wir wollen, dass man die Platte kauft, weil man sie gern hat, nicht weil sie teuer oder gesucht ist.” – Robert
Auch die günstigen Platten sind qualitativ hochwertig und präzise ausgewählt. Das ist Robert wichtig, dass es die auch gibt. Ähnlich ist es bei der Kleidung, hier gibt es keine markenorientierten Preise. Das ist ein Ansatz aus der Szene für die Szene, in der sich alle bewegen. Kein Wunder, dass Robert sagt: “Es ist ein Herzblut-Ding was wir da machen, aus einem inneren Antrieb, nicht um uns eine goldene Nase zu verdienen.”
Ort, Label, SecondHand oder Neuware: hier steht alles nebeneinander, das Genre gibt den Ton an. Auch die Kleidung ist nur nach Farben sortiert, nicht nach Preis, Größe oder Gender: “Wir machen hier ein inklusives Projekt” sagt Lale.
Elektronisches Angebot
Musikalisch ist das Angebot (im weitesten Sinne) auf elektronische Tanzmusik fokussiert. Die Genres (und so heißen auch die Fächer in den Regalen) sind Electro, Techno, House, Bass, Breaks, Synthpop, Wave, Disco und Funk. Dabei versuchen die fünf, den verschiedenen Fächern mit ihrem Know-How einen Tiefgang zu geben. Zu entdecken gibt es für die meisten Geschmäcker etwas. Kleidung und Platten – alles ist hier handpicked. Deshalb ist das Sortiment auch so persönlich. Momentan suchen die fünf speziell nach vergangener Musik, weniger aktualitätsbezogen, sagt Robert, “weil man das ja auch easy im Internet kaufen kann.”
“Wir suchen lieber nach Diamanten, die sich irgendwie in der Vergangenheit verstecken und übersehen wurden, das macht am meisten Spaß.” – Robert
Mein persönliches Highlight beim Plattenkauf sind aber definitiv die liebevollen und lustigen Texte auf den Sleeves. Robert und Maik hören sich jeden Track von vorn bis hinten an und schreiben dann eine ganz persönlichen Bewertung oder einen guten Tipp auf die Platte. Dass die beiden daran Spaß haben merkt man, wenn man einfach mal ein Regalfach durchliest. Da steckt viel Liebe drin.
Ort für kulturellen Austausch
Es gibt also einen Shop aber auch Ausstellungen, Veranstaltungen und Workshops. Sobald es wieder möglich ist, wollen die fünf verstärkt Kulturveranstaltungen umsetzen. Mit Fokus auf elektronischer Musik, Platten und Kleidung natürlich. Man darf gespannt sein auf Instore-Sessions, Flohmarkt, DJ-Workshops, Release Veranstaltungen und vieles mehr. “Unser Konzept soll Konsum, Kultur und Freizeit verbinden”, sagt Lale. Sleeve++ ist nicht nur ein kleiner alternativer Konsumtempel, sondern auch ein Ort für kulturellen und gemeinsamen Austausch.
“Wir wollten einen diskriminierungsfreien Raum schaffen, in dem Menschen sich gerne aufhalten, zusammenkommen und sich wohlfühlen.” – Lale
Sowohl ruhig und zurückgezogen nach Platten diggen als auch aktiv das Gespräch über Szene, Musik oder Kleidung suchen — beides ist hier möglich. In der luftig eingerichteten Ladenfläche kann man seinen Platz finden und einfach ungestört sein Ding machen, so wie man gerade Lust hat.
Plattenläden in Zeiten von Corona
Corona-bedingt haben die fünf bisher kaum Werbung machen können. Trotzdem ist das Konzept gut angekommen – und in Zeiten von Corona sind Plattenläden tatsächlich eine der wenigen Kulturstätten, die betrieben werden dürfen. Da ist ein Ort für kreativen Input und Austausch sehr relevant. “Das ist wichtig für die Szene”, sagt Robert, “hier kann man sich begegnen und mit Fremden ins Gespräch kommen. Und deswegen kann es davon nicht genug geben!” Trotzdem freuen sich alle darauf, wenn sie endlich normal eröffnen können.
Das Sleeve++ sollte definitiv auf keinem Platten-Digger-Spaziergang durch Leipzig fehlen. Vor allem zum Schlendern in kalten Monaten ist es mein Lieblingsspot um ein paar warme Stunden bei guter Musik zu verbringen. Was cool ist: der Laden ist immer bis 20 Uhr geöffnet, also kann man sich auch nach der Arbeit nochmal zwei Stunden Zeit nehmen um in Ruhe zu stöbern. Ich habe diesen Ort noch nie mit leeren Händen verlassen und freu mich schon im Sommer dort abzuhängen!
Sleeve++
Mariannenstraße 74, 04315 Leipzig, geöffnet von Mittwoch bis Samstag von 13 bis 20 Uhr.
Natürlich gilt im Laden: 1,5 Meter Abstand halten und nur mit Maske rein.
Mehr Infos gibt’s via Facebook & Instagram.
Header-Foto von Gregor Barth. Vielen Dank!