Zweatlana hat Ende Juni ihre zweite EP Minty Dreams mit zwei Videos rausgebracht; und trifft damit den melancholischen Nerv dieser Zeit. Volle und tiefe Klänge, unzählig geschichtete Ebenen an Sounds und Stimme. frohfroh-Autorin Marie hat die Künstlerin zum Interview getroffen und mit ihr über Farbkonzepte, das neue Album und über Trennungs-Songs gesprochen.
Zweaty, so wie ‘sweaty’, nur mit Z, ist gebürtige Freiburgerin und in einem winzigen Dorf im Schwarzwald aufgewachsen. Dort hat sie schon sehr früh mit Klavierunterricht angefangen und kurz danach selbst komponiert. Obwohl sie bis heute keine Noten lesen kann (weil sie immer sofort alles auswendig konnte), war ursprünglich geplant, klassische Klavierkomposition zu studieren.
Aber es lief anders: Mit 16 bekam Zweaty eine Gitarre in die Finger und brachte sich selbst das Spielen bei, fing an zu singen und Songs zu schreiben. Ein Jahr später kaufte sie ihr erstes Equipment, um die selbstgeschriebenen Songs aufzunehmen. In die Technik konnte sie sich in der ländlichen Abgeschiedenheit des Schwarzwaldes gut reinfuchsen. Und im Laufe der Zeit wurden es mehr Instrumente, mehr Equipment, mehr Technik.
Fuhrpark an Zeug
Mittlerweile hat sie auf der Bühne “einen ganzen Fuhrpark an Zeug” stehen, um möglichst viel Sound zu machen. Zwischen Keyboard, Gitarre, Synthesizer, Mic, Effektgeräten, Mischpult und Loopstation steht die Künstlerin mit ihrer Stimme: “Ich wollte immer alleine Musik machen, fand das aber so langweilig immer am Klavier zu sitzen und zu singen und zu spielen oder halt mit der Gitarre. Darüber bin ich auf die ganze Loop Station-Geschichte gekommen.”
Wenn Zweatlana einen Live Gig spielt, wird oft davon ausgegangen, sie komme mit einer Band. Dann sagt sie: “Ich bin die Band.” Und bisher hat sie auch noch nie jemanden getroffen, der ihr Setup verstanden hat: “Ich bin immer noch die Einzige, die so richtig checkt wie es funktioniert…”
Multikomplex und Multitalent
Inzwischen mixt das Multitalent alles live auf der Bühne. Dafür hat sie ein eigenes Mischpult, mit dem sie alle Spuren, bevor sie in die Loop Station gehen, schon mal durchmixt, sodass am Ende eine Spur wieder rauskommt:
“Ich wollte immer den Sound von einer Band kreieren, ohne eine Band zu haben.”
Eine Frau zwischen Pop, Hip Hop, Rap, Klassik und Choral. Genretechnisch lässt die Künstlerin sich nur schwer einordnen, sie bewegt sich lieber in den Welten dazwischen. Am Ende ist es vielleicht Pop mit klassischen Einflüssen, aber immer auch elektronisch und experimentell, mit einer unverkennbaren Stimme. Wenn man sie eine Weile beobachtet, weiß man, dass noch vieles andere kommen kann: “Ich will ich mich aktiv keinem Genre zuordnen.” Denn das würde einen Druck erzeugen, dem sie gerecht werden müsse und würde sie daran hindern, wie bisher, einfach ihr Ding zu machen.
Ihre erste EP, die Orange EP, hat Zweatlana abgeschieden in der Natur im Schwarzwald produziert und dann 2020 in Freiburg rausgebracht. Das Farbkonzept war ein knalliges Orange mit Wiedererkennungswert, der Sound eher elektronisch. Damals hat sie erst mit dem Produzieren angefangen und hatte “Bock auf alle geilen Sounds, die es so gab”. An einem Album arbeitet sie immer auch konzeptionell und künstlerisch, vor allem auch sehr visuell. Im Gesamten ergibt sich ein gut aufeinander abgestimmtes Bild. Das Orange war damals die Farbe für den Sound, den sie spielte. Musikalisch war das auch ein Ausflug zu Rap und HipHop.
Zurück nach Leipzig
Im März 2020 kam Zweatlana dann zurück nach Leipzig. Mit dem aktuellen Album wollte sie “back to the roots”, zurück zu ihren Wurzeln. Dafür legte sie den Fokus auf das, was ihre Musik eigentlich ausmacht und sei vor allem ihr Chorgesang. Auf der Minty Dreams EP erwarten uns also wieder Gesang und Klavier und die unverkennbaren Chöre aus Zweatys Stimmen.
Dazu legt die Künstlerin ihre Stimme in vielfachen Tonspuren übereinander, wodurch die vollen und tiefen und vor allem sehr harmonischen Klänge entstehen, so als stünden wirklich ein paar singende Zweatlanas im Raum. Das hat sie schon von Anfang an gemacht, also ab dem Zeitpunkt, an dem sie aufnehmen konnte. Diese klassischen und mehrstimmigen Elemente sind zu ihrem Markenzeichen geworden.
Farbkonzept: minty, zart und dreamy
Auch das neue Album verfolgt ein ganz klares Farbkonzept: mint. Und dreamy. Minty dreams eben. Viel rosé und mintgrün, zarte Farbtöne mit einem leichten Hang zum Düsteren. Dazu Rauch, Nebel, schwarz, in den Videos viel nude und Haut. Wolkiger Sound und zartbittere Ästhetik sind in dieser EP bewusst miteinander zusammen- und in Beziehung gesetzt; sie verschmelzen zu einem eigenen Werk.
Die ganzheitlichen Farbkonzepte ergeben sich für Zweatlana beim Produzieren einer EP quasi von allein: “Das ist der Sound und das ist die Farbe dazu.” Zweatlana ist Synästhetin, ihre Buchstaben, Zahlen und Töne sind mit Farbwahrnehmungen verknüpft. Deshalb sind ihre Kompositionen grundsätzlich farblich, “weil das halt mein System ist.”
Manchmal versuche sie auch, Harmoniefolgen zu finden, die zu einer Farbfamilie passen, aber “man trifft eh nie den Farbton, den man treffen will.” Meistens ergibt sich ein stimmiges Bild von allein, während des Produktionsprozesses oder durch die fertige Komposition.
Kollektive Intimität persönlicher Erfahrungen
In der aktuellen EP geht es um gescheiterte zwischenmenschliche Beziehungen. Während sie das Album konzipierte, waren Beziehungen und Trennungen für Zweatlana ein omnipräsentes Thema, sowohl bei ihr selbst als auch in ihrem Umfeld: “viele Leute haben da sehr ähnliche Erfahrungen gemacht”, sagt sie. Das neue Album soll den Menschen um sie herum Songs geben, um diese Erfahrungen auszudrücken und teilbar zu machen.
Und: “Ja, davon gibt es schon sehr viele, also Songs um Trennungen oder beschissenes zwischenmenschliches Verhalten”, deshalb könne man denken, die Welt brauche das nicht mehr. Aber dieses Album kristallisiert auf eine besondere Art und Weise die kollektive Intimität persönlicher und schmerzhafter Erfahrungen. Sie zeigt darin die momentane Unfähigkeit unserer Zeit, zwischenmenschliche Beziehungen zu führen, worin doch jede Zeit ihr ganz eigenes Scheitern hat. “Diese ganze Wut auch mal loszuwerden, das fand ich irgendwie total spannend” und war für Zweatlana in dieser Direktheit neu. Im Gegensatz zu ihren früheren, eher kryptischen Texten ist sie diesmal dabei, den Prozess konkret zu benennen und authentisch rüberzubringen, was sie und ihr Umfeld denken und fühlen.
Nicht nur Sängerin
Die Künstlerin macht natürlich nicht nur Musik für ihre Freund:innen, sondern träumt (klar) auch davon, Berufsmusikerin zu sein. An den Punkt zu kommen, an dem sie davon leben kann, Leute zu erreichen und ihnen etwas zu geben. Aber eigentlich will sich Zweaty nicht zwischen Liveauftritten oder Produzieren entscheiden müssen. Das sind unterschiedliche Prozesse, die sie als Zweatlana miteinander vereint:
“Natürlich verstehe ich mich auch als Musikerin, aber ich verstehe mich in erster Linie als Künstlerin.”
Sie macht ihre Musikvideos und Fotos größtenteils selbst, ist beim Konzept immer mit dabei und erschafft das komplette Artwork und natürlich den Sound dahinter. Zweatlana nennt das ihr “Gesamtkonzept” und sie mache alles davon voll gerne, nichts wolle sie weglassen.
Manchmal gibt sie auch Arbeit ab – das neue Video ist zum Beispiel zusammen mit einer Filmstudentin entstanden, die Zweatys Ästhetik verstanden habe. Aber die Künstlerin könnte nie ihre Finger irgendwo ganz rauslassen. Man täte Zweatlana also Unrecht, sie auf ihre Stimme zu reduzieren: “Ich mache viel mehr, ich bin nicht einfach nur Sängerin.”
Konzert am 22. August in Dresden
Daraus ist in den letzten Jahren ein extrem cooler Look entstanden, der sowohl soundtechnisch als auch visuell, ein sehr feines ästhetisches Gespür durchscheinen lässt. Momentan hat Zweatlana aber vor allem eins: Lust zu spielen und endlich wieder auf der Bühne zu stehen.
Wer sie, ihren Sound und das ganze Setup live auf der Bühne erleben möchte, hat am Samstag, den 22. August die Chance dazu: Zweaty spielt beim GrooveGarden Festival des Dresden Open Air – Kultursommer 2021.