Der Name, die Partys, die Konzerte – viele von euch kennen Zacker als Initiator hinter den Leipziger Partyreihen Glitter und Trauma und No No No. Mit seinem neuen Projekt Bouygerhl widmet er sich nicht nur mit einem Blog und einem Archiv queerer Musik in ganz Deutschland, er betritt auch die Podcast-Bühne.
Wir haben Zacker zum Interview getroffen und wollten wissen, wie das Musikarchiv, das er betreibt, eigentlich funktioniert, welche Acts ihn in letzter Zeit besonders beeindruckt haben und wann es wieder Partys von und mit ihm geben wird.
ff: Erzähl doch bitte ein paar Worte über dich, wer bist du, was machst du?
Zacker: Ich würde mich klassisch als Veranstalter bezeichnen – das heißt, seit 20 Jahren organisiere ich in Leipzig Partys, Konzerte und Filmabende. Derzeit unter dem Label No No No. Mein Ziel ist es dabei immer, queere Musik in den Fokus zu rücken, bei allem, was ich als Veranstalter tue.
„Ich bin Musikliebhaber, Veranstalter – und habe Lust, Dinge loszutreten.“
Im letzten Jahr habe ich ein neues Projekt gestartet, das sich Bouygerhl nennt. Das ist ein Archiv, Blog und ein Podcast für queere Musik, für den gesamten deutschsprachigen Raum.
___No No No
Wann hast du angefangen, als Veranstalter zu arbeiten? Und warum, was hat dazu geführt?
2003 habe ich damit angefangen. Der Grund ist ganz einfach: Ich war und bin im Herzen ein Grufti. Und zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein Social Media wie wir es heute kennen, mit Facebook und Instagram. Es gab lediglich Online-Foren, in denen die Vernetzung nicht besonders gut war. Ich hatte also keine Anknüpfungspunkte für Veranstaltungen für mich als Grufti. Denn wenn ich in Schwulendiskos gegangen bin, wurde ich blöd angemacht und die Gruftiszene war nicht besonders homofreundlich. Der Start für mich war dann damals eine Gruftiparty für die schwul-lesbische Subkultur; schwul-lesbisch deshalb, weil es den Begriff „queer“ für mich persönlich zu dieser Zeit noch nicht gab.
Was war denn die allererste Party, kannst du dich daran noch erinnern?
Ja, das war die erste Zacker-Night. Ganz simpel, davon gab es sechs Stück, über drei Jahre verteilt. Und da war ich in einem Keller in der Kuhturmstraße, hinten am S-Bahnhof – dort haben wir zu zweit aufgelegt und wir wussten gar nicht, wer oder wie viele kommen würden und was an diesem Abend passiert. Wir hatten nur Flyer verteilt, mehr gab es damals einfach nicht, um Werbung zu machen. Damals hieß ich als DJ noch nicht Zacker, sondern DJ Acid Rock, oh Gott (lacht).
Und ab diesem Zeitpunkt sind Leipziger Clubnächte in etlichen Locations und Clubs nicht mehr ohne Zacker denkbar: No No No wird zu einer der bekanntesten Partyreihen, die fast alle kennen dürften, die Pre-Corona in der Szene unterwegs waren. Wir spulen ganz fix 20 Jahre vor: Dann kam Corona. Wie war diese Zeit für dich, was hat sich verändert?
Das erste Jahr hatte ich gar keine Probleme – diese Zeit war wie ein schlechter Traum. Natürlich habe ich auch Ängste gehabt, das möchte ich nicht verschweigen. Aber ich habe die Zeit auch genossen. Denn nach 20 Jahren war es einfach mal gut, durchzuatmen und die Routine, die sich eingeschlichen hat, wurde aufgebrochen. Ich hatte Zeit darüber nachzudenken: Was will ich eigentlich, wo will ich hin?
Das zweite Jahr war dann viel schwieriger. Da ging es mir überhaupt nicht gut, ich habe mich zurückgezogen. Auch wenn man Freunde hätte sehen können, habe ich niemanden getroffen und bin auch zu keinen Veranstaltungen gegangen, auch wenn sie kurze Zeit möglich waren. Ich habe dann für mich entschieden, dieses neue Projekt Bouygerhl zu starten – und das ist seitdem wie ein zweiter Job und hat mich aus der Krise gerettet.
„Das war mein Weg zu sagen: Hey, was gibt’s denn da noch, außerhalb der Clubkultur?“
Was sich seit Corona verändert hat, ist, dass ich nicht mehr so viel darauf gebe, oder mich danach richte, was andere über meine Veranstaltungen denken. Ich höre nur noch auf mich, denn ich kann nur mein Bestes geben. Das habe ich gelernt: Ich mache meine Veranstaltungen nicht, um anderen zu gefallen. Und wer Lust hat, macht mit.
__Bouygerhl
Wie funktioniert dein Musikarchiv für queere Künstler:innen? Wie viele Artists sind dort mittlerweile vertreten?
Das ist total verrückt, aber ja, wir sind mittlerweile bei 1000 Einträgen. Und ich habe noch viel mehr in petto, nur muss ich es erstmal schaffen, die Einträge zu machen. Um das Archiv herum hat sich noch so viel mehr entwickelt, dass ich das eigentliche Archiv derzeit etwas vernachlässige.
Angefangen hat das Ganze mit einer Exceltabelle mit 100 Acts, die ich als Booker für mich gepflegt habe. Es kamen immer mal Fragen, ob ich nicht wen kenne, für dies und jenes, eine Idee oder einen Kontakt habe – dann dachte ich, ich kanalisiere das und schreibe alles auf, was ich zu den Acts recherchiert habe. Das wurde dann zum Selbstläufer.
Mittlerweile ist es so, dass ich unheimlich viele Mails bekomme, mit Vorschlägen, auch von großen Plattenfirmen. Das Archiv ist also das Herzstück, aus dem dann die eigentliche Arbeit hervorgeht: Die Artikel, die Insta-Posts, Interviews, der Podcast… da passiert also ganz viel.
Wie viel Arbeit bedeutet es für dich, dieses Archiv zu pflegen und bekannt zu machen?
In der Phase, in der ich angefangen habe die ersten 800 Acts einzupflegen, da habe ich morgens um 8 Uhr angefangen und bin um 1 Uhr nachts ins Bett gegangen. Mein Mann hat den Abend dann alleine verbracht und mir war schon ganz schwummerig (lacht). Das war genau vor einem Jahr, denn im Februar kam die Mail vom Programmierer: Du kannst anfangen. Und heute bedeutet es, ich stehe früh auf und das erste was ich mache: Mails für Bouygerhl checken. Dann fahre ich zur Arbeit und mache meinen eigentlichen Job – und danach, wenn ich wieder Zuhause bin, starte ich wieder mit der Arbeit für das Archiv. Es ist momentan wirklich ein zweiter Job.
Welche Rückmeldungen bekommst du für deine Arbeit von Musiker:innen?
Das ist tatsächlich sehr zweigeteilt. Ich bekomme sehr viel positives Feedback aus der Branche, also von Labels, von Agenturen und Acts. Mein Ziel ist es jetzt, das Projekt auch an die Userschaft zu bringen. Dass die Leute das Konzept und den Mehrwert annehmen und für sich nutzen, den Podcast hören, die Artikel lesen und und und.
Die negativen Rückmeldungen sind weniger geworden. Viele verstehen nicht, warum ich das Label queer verwende und schreiben mir, für sie gibt es keine queere Musik – auch wenn sie sich selbst als queer identifizieren. Aber ich weiß, warum ich es mache und wie wichtig mir der Begriff und die Gesamtheit des Projekts sind.
Ich habe diesen Satz, der auch in deinem Podcast, über den wir noch sprechen werden, fällt, zuerst in einer Pressemeldung gelesen: „Identität ist Realität.“ Ist das ist dein Credo, dein Motto?
Das fasst alles gut zusammen und ist für mich die Antwort darauf, warum ich das Ganze mache.
„Ich bin der Meinung, dass es da draußen so viel mehr gibt als Mann, Frau, cis, trans, nonbinär, schwul, lesbisch, bisexuell, asexuell… jeder Mensch hat seine Realität. Und die gilt es, anzuerkennen, nicht zu verstecken und nicht in Schubladen zu stecken.“
__Podcast
Nächstes Thema: Dein Podcast. Wie großartig einfach… Top produziert, tolle Gäst:innen, krasse Gespräche. Warum mussten wir so lange darauf warten?
Ich wollte nie einen Podcast machen. Ich fand das Medium merkwürdig und habe keine Podcasts gehört, außer „Paardiologie“ von Charlotte Roche und Martin Keß-Roche. Ich habe aber gemerkt, dass das Thema Musik für mich nur funktioniert, wenn ich mit den Menschen wirklich rede. Ich habe bei schriftlichen Interviews gemerkt, dass eine Barriere bleibt und viele Zwischentöne verschwinden. Ich habe dann ein Interview mit dem Künstler Lie Ning hier in Leipzig geführt und das aufgenommen. Da war der Weg vom Audio-Interview zum Podcast nicht mehr weit.
Und mit welchem Team arbeitest du hier zusammen?
Durch Glück habe ich ein Produktionsteam in Leipzig kennengelernt, mit dem ich das Video-Interview In bed with Marcella produziert habe. Und genau die haben mich dann auch bei meinem Podcast in puncto Technik unterstützt. Ein Freund von mir ist Tontechniker, er mastert den Podcast für mich. Den Rest mache ich: Ich schreibe die Texte, ich konzeptioniere, ich fahre zu den Acts – na gut, mein Mann fährt mich – ich mache das Alles wirklich alleine.
Ich wünsche mir natürlich, dass es Leute gibt oder geben wird, die Lust haben, dazuzustoßen und auch Artikel für Bouygerhl zu schreiben und Interviews zu führen. Aber gerade mache ich alles selbst – ich werde aber zum Glück von tollen Menschen, die ich gerne um mich habe, unterstützt.
Auf welche Gäst:innen dürfen wir uns als nächstes in deinem Podcast freuen?
Als nächstes kommen Folgen mit Becks, eine talentierte Deutsch-Pop-Musikerin, die durch TikTok bekannt geworden ist, Bambi Mercury, eine Teilnehmerin von Queen of Drags, die Pop-Musikerin Wilhelmine und der Rapper Sir Mantis. Mit Bouygerhl werde ich langfristig aber über subkulturelle Musikacts hinausgehen, das darf ich schon verraten.
Was steht im Sommer bei dir an? Planst du Veranstaltungen?
Ich plane erst einmal nichts. Ich habe zwei Veranstaltungen absagen müssen und das hat mir sehr weh getan. Ich warte bis es wieder zu 100 Prozent geht, denn ich habe einfach wieder Bock auf indoor – also Keller, Schweiß, Beton, Sex, Techno, Indie, Dreck.
„Ich freue mich natürlich auch sehr darauf, wieder Live-Konzerte und Partys zu veranstalten – allein mit den Leipziger Bands aus meinem Archiv könnte ich ein zweitägiges Festival füllen. Aber erst, wenn es wieder geht.“
Eine Frage noch, die du sonst immer zum Ende einer Folge im Podcast stellst: Deine drei prägendsten Alben?
Um diese Frage bin ich lange herumgeschlichen, weil ich einfach zu viele Alben nennen müsste. Ein prägendes Album ist in jedem Falle Madonna – Erotica. Das war der Startschuss für mich als junger schwuler Boy. Das Cranberries-Album No Need To Argue ist auch eines der prägendsten Alben für mich, weil es für mich die erste Berührung mit trauriger Musik war. Das war das erste Mal, dass ich mich in eine traurige, wehmütige, schmerzvolle Welt begeben habe und es war der Start meiner Grufti-Zeit. Und dann, natürlich, das Debut von Anohni. Eigentlich müsste ich noch Roxette nennen, aber das wäre dann mein viertes Album (lacht).
Und gib uns, als letztes, doch gerne noch ein paar Namen queerer Künstler:innen mit, die dir derzeit im Kopf sind, und die wir unbedingt auschecken sollten..?
Wenn wir es auf Deutschland begrenzen, dann auf jeden Fall Lie Ning, mit der schönen, samtigen Stimme. Boah Robin, der leider, leider Leipzig schon wieder verlässt und nach Berlin ziehen wird, die Hamburger Band FLIRT und Unconscious Honey.
Zacker brennt für sein Projekt, für Musik, für Techno und für Queerness, und neuerdings auch für das Podcast-Machen, das wird in unserem Gespräch deutlich. Man möchte sich vor ihm und seiner unermüdlichen Kraft verneigen – und vor seinem Podcast, der einfach nur großartig ist. Empfehlung: Hört rein, ihr werdet nicht enttäuscht sein.
Die Fotos für unser Interview sind im Elipamanoke entstanden. Darüber freuen wir uns sehr und möchten Danke sagen – an Zacker für seine Archiv- und Veranstaltungsarbeit und an Bastian Steinbach für die Fotos – und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen. Im Keller. Mit Schweiß, der von den Wänden und der Decke tropft, im Dunkeln, mit Techno. Ganz bald.
** Der Name BOUYGERHL ist übrigens eine Hommage an Zackers erwähnte Lieblings-Musikerin, Anohni – “eine der progressivsten queeren Künstlerinnen unserer Zeit und unerbittliche Stimme im Kampf für Transgender- und Frauenrechte”, wie er schreibt.
Der Name sei eine lautmalerische Verschmelzung der Songtitel ‘For Today I Am A Bouy’ und ‘Bird Gerhl’ vom Album ‘I Am A Bird Now’ aus dem Jahr 2005 (veröffentlicht als Antony & The Johnsons). Die Songs handeln von Geschlechtsidentität und vom Hinterfragen, vollendet in einer mutmachenden Botschaft voller Selbstbewusstsein, Zuversicht und Kraft.
Die Worte ‘Bouy’ und ‘Gerhl’ sind dabei nicht binär zu verstehen – also stellvertretend für männlich oder weiblich – sondern bereits als Aufweichung in sich. **