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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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New Labels On The Block – 110100100.global

05. Juli 2022 / Kommentare (0)

Weiter geht es mit unserer neuen Label-Porträt-Reihe. Dieses Mal steht 110100100.global im Fokus – ein Label, das künstlerisch und musikalisch Grenzen überschreitet und in Frage stellt.

„Home of Brainjazz“, so heißt 110100100.global seine potenziellen Hörer:innen auf dem eigenen Bandcamp-Profil willkommen. Entdeckt hatte ich es durch Zufall bei meinem monatlichen Bandcamp-New Arrivals-Check und war tatsächlich begeistert. Seit dem Start des Labels im Frühjahr 2021 ist der Back-Katalog rasant gewachsen. So sind bis heute bereits ein Dutzend digitale Releases erschienen. Und jedes öffnet ein neues Kapitel. Manchmal ist es nur ein Track, mal eine großes Album. Eine fixe Richtung gibt es nicht.

Umso passender ist der selbst gewählte Genre-Neologismus. Brainjazz kann alles sein – classic Electronica ebenso wie breitwandiger Dub-Electronic-Pop, sommerlicher Indie ebenso wie weirde Drum & Bass-Neuausformungen. Aber egal, in welche Sphären 110100100.global einlädt, es ist qualitativ immer auf einem hohen Niveau und mit einem guten Avantgarde-Touch. Dazu gibt es nice Cover-Artworks und eine erstaunlich aktive Community hinter dem Label. Aber davon erzählt uns Jakob, einer der Betreiber von 110100100.global selbst im Interview.

Hey Jakob, was hat es mit dem Namen 110100100.global auf sich – und wie kam die Idee zum Label und wer steckt alles dahinter?

Ich brauchte einen Ort, um meine Musik zu veröffentlichen. Außerdem habe ich neben dem Produzieren von Musik auch viel Spaß an den weiteren Prozessen, die der Musikmarkt mit sich bringt. Auch weil sie in meinen Augen eine weitere Ebene sind, kreativ zu werden. 110100100 ist binär für 420, was im Grunde eine minimal kleine Zielgruppe von „Stoner-Nerds“ anspricht. Das „global“ kam im Bezug auf das Internet und die weltweite Vernetzung hinzu– wie jene digitalen Wurzeln, die das Label inne hat. Und auch, weil wir die Idee cool fanden, dass der Name des Labels auch gleichzeitig die Web-Addresse ist. Ausgesprochen wird es also „Four-twenty global“.

Derzeit steckt neben den Künstlern, die ihre Musik bei uns veröffentlichen, noch eine wachsende Community auf Discord dahinter, welche das Label eher in eine dezentralisiertere Struktur bewegt. Im Kern sind es zurzeit aber nur ich und Lukas, die die Idee bereitstellen, saturieren und instand halten. 

Home of Brainjazz ist der Untertitel – wofür steht der Begriff Brainjazz für dich?

„Brainjazz“ ist im Grunde eine ironische Antwort auf die stetige Genre-Frage, welche wir versuchen zu etablieren – weil unsere Musik für Presse bisher schwer unterzukriegen war und da jene sich eigentlich weniger auf ein Genre bezieht, sondern auf dem persönlichen Fingerabdruck des jeweiligen Künstlers aufbaut. Das ist etwas, worauf wir sehr achten und Wert legen. Da kommen dann manchmal Mischungen wie Alternative-Folk mit Drum & Bass-Einflüssen zum Vorschein. Wie es scheint, fängt der Ausdruck im Netz in Bezug auf unsere Musik langsam Wurzeln zu schlagen. Intern und unter unseren Hörern ist der Ausdruck gängig. 

Für mich Persönlich bedeutet „Brainjazz“ so viel wie: Ein Umstand, in dem man einem stundenlangen Jazz-Drumsolo im Kopf irgendwie Raum geben muss. Oder auch: Einer totalen Überstimulation mit Ruhe begegnen, sich dem Chaos und der Verwirrung einfach ergeben und hineinlegen.

Das Artist-Roster featured viele Newcomer aus der ganzen Welt – wie entdeckt ihr die Acts?

Anfangs durch Soundcloud und persönliche Kontakte, doch mittlerweile hauptsächlich durch unseren Discord-Account. Da unsere Musik meist auch von kreativ aktiven Menschen gehört wird und diese sich dann davon begeistern lassen, treten sie einfach durch unsere offene Tür und werden Teil an dem Projekt. Auch wird sich viel auf dem Server ausgetauscht und gemeinsam an Musik gearbeitet und geholfen. Daraus ist ein gewisses Perpetuum Mobile entstanden: Je mehr wir durch veröffentlichte Musik an Zulauf bekommen, desto mehr können wir wiederrum veröffentlichen. Für 2022 sind wir mit den eigentlichen zwei Releases pro Monat jetzt schon ausgebucht.

„Das Beste daran ist, dass alle Künstler auch gleichzeitig aktive Fans sind, das erschafft einen Familien-Charakter.“

Was war dein persönliches Label-Highlight bisher?

Da gibt es einige. Zum einen das „Berlin Atonal-Set“ von |||||||||||||||||||| (Barcode) und Thomas Collet, wo viel Arbeit drin gesteckt hat. Da sind teilweise Mitglieder aus Rumänien extra nach Berlin gekommen, um sich den Auftritt anzuschauen. Oder dass sich durch die stetige Interaktion ein gewisser Sound entwickelt, wie bei einem unserer letzten Releases namens „IP000“ von Address. Das ist quasi ein Künstlerprojekt, wo jeder einen Track „ghostwriten“ konnte, welcher dann als anonymisierter Titel innerhalb des Albums unter „Address“ veröffentlicht worden ist. Innerhalb von nur drei Wochen hatten wir von 20 Künstlern circa 30 Stücke parat. Es war absurd, wie groß das interne Interesse war. Auch dass es am Ende klingt, als könnte es wirklich nur von einer Person stammen.

Gibt es 110100100.global auch live zu erleben?

Ja, wir planen für November eine Produktion in Deutschland. Bis dahin kann man „Barcode“ und „Xidid“ im Juli in Nürnberg auf dem It Isn’t Happening-Festival erleben.

Du machst auch selbst Musik? Unter welchen Namen?

Genau, selber kann man meine Musik unter „Grand Inc“ finden. Aber auch sonst bin ich oft als Mischer oder in Produktionen von anderen Künstlern auf dem Label beteiligt.

Der erste Release auf 110100100.global ist von Barcode, von denen auch viele Tracks auf Bandcamp zu finden sind und die auch ein Event mit dem Berlin Atonal hatten – was genau hat es damit auf sich?

Im Grunde erklärt sich Barcode sehr mit dem Beitrag, der über genau dieses Set beim FACT Magazine geschrieben worden ist. „Barcode“ ist die ironische These des modernen Künstlers, welcher sich selbst als Produkt vermarktet und es durch seine Musik bewirbt. Bei Barcode fehlt nun aber genau die Information des Produkts – die des Künstlers –, welche andauernd durch neue Singles beworben wird. Durch diese Lücke entsteht eine gewisse Nachfrage, in der sich der Hörer anhand der übrigen vorhandenen Information – der Musik – ein eigenes Bild des Künstlers – des Produktes – erschafft. Im Grunde ist es ein Spiegel, der den Leuten ihre eigene Fantasie verkauft und sie anregt, selber kreativ zu werden.


110100100.global – der Back-Katalog:

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