Auf den Vorbericht folgt der Nachbericht: Die Konzertreihe Bells Echo fand am 4.11.2022 im UT Connewitz, dem historischen Lichtspielhaus im Süden Leipzigs, statt. Unsere Autorin war vor Ort und begeistert – und auch wieder nicht. Lest selbst.
Schon vor Einlass sammeln sich etliche Menschen vor der Tür, mit und ohne Ticket – eine Karte an der Abendkasse kostet 40 Euro, steht auf einem weißen A4-Zettel am Eingang. Die letzten Tickets kann man also noch ergattern. Exakt um 19 Uhr wird die Tür dann geöffnet, denn um 20 Uhr wird der erste Act beginnen: das Duo Corecass. Deren Instrumente können in der Zwischenzeit im Innenraum betrachtet werden, es stehen einige Gitarren, eine Harfe und ein E-Piano verheißungsvoll auf der Bühne.
Corecass mit Konzertharfe und E-Gitarre
Das Duo beginnt das Konzert mit Vogelzwitschern und Harfenklängen. Der Sound umhüllt das Publikum, das größtenteils auf dem Boden sitzt. Alle im Raum befinden sich nun klanglich auf einem Waldspaziergang, in einer Landschaft – dessen Himmel sich verdunkelt, als die beiden Musiker:innen bedrohlich-technoid werden, um anschließend kathedral und damit noch mächtiger zu werden. Orgelklänge dominieren weite Parts. Immer wieder kommt es dazwischen zu reduzierten Phasen, in denen der Raum zu hören ist. Beziehungsweise eben nicht zu hören ist: Kein einziges Flüstern, Husten oder Rascheln, es herrscht absolut konzentrierte, respektvolle Stille.
Der Waldspaziergang wird unterdessen zur Mondwanderung, das Set verwandelt sich von erhaben zu demütig – und bleibt dabei dramatisch und spannend. Die zwei Musiker:innen schaffen es, dass eine monströse, dennoch dynamisch differenzierte, Soundfülle entsteht. Nach 40 Minuten verlassen Corecass unter lautem Applaus die Bühne, die für die Leipziger Pianistin Moritz Fasbender umgebaut wird.
Fasbender: ironisch, klassisch, ergreifend
Moritz Fasbender beginnt fast stummfilmmusikartig und spielt mit dem Rücken zum Publikum am Klavier, nach und nach werden ihre Synthesizer eingesetzt. Ihr Set ist virtuos-abgefahren, zwischen den Stücken sind selbstironische Audios mit einem Sprecher als eine Art Kommentar eingebaut.
Ihr Part ist teilweise mehr klassisch als elektronisch. Viel klarer, bebender Klaviersound kann sich entfalten, der immer wieder gebrochen-motivbezogen, assoziativ-experimentell wird. Mit „Gravity Gain“, einer Gefühls-Klimax mit starken treibenden Beats und für mich ihr stärkstes Stück an diesem Abend, beendet Moritz Fasbender eindrucksvoll ihren Auftritt.
Der Raum des UT Connewitz, die Visuals, das Publikum und Fasbender: It‘s a match made in heaven. Frenetischer Applaus – danach geht es ein letztes Mal für das zahlenmäßig angewachsene Publikum selig und erfüllt nach draußen zur Raucherpause oder an die Bar. Umbaupause.
Zwischenfazit: Die Veranstaltung ist perfekt getaktet, auf die Minute genau wird der Timetable eingehalten. Hochprofessionell (was auch sonst), aus einem Guss, visuell perfekt ineinander übergreifend und abgestimmt. Zwei Visualkünstler:innen sind mit dabei und projizieren ihre Artworks im alten Lichtspielhaus durchgängig bis an die Decke. Es fühlt sich fast zu perfekt für eine Live-Veranstaltung an. Oder einfach sehr gut geplant, einstudiert und on top ein Stagemanagement, das nichts dem Zufall überlässt.
Headliner Ben Frost als Fluchtpunkt
Ben Frost, der Höhepunkt für alle Liveact-Fans und inoffizieller Headliner des Abends, kommt (pünktlich) auf die Bühne – das UT ist mittlerweile komplett voll und ein neues Lichtkonzept markiert das grande-grande Finale: Es ist dunkel, neblig, satt blaues Clublicht strahlt die Bühne an. Applaus, Aufstehen, die meisten scheinen nun bereit für Bewegung zu sein – finally.
Schon das Intro donnert, dröhnt und könnte das Publikum wirklich verschmelzen lassen, zu einer vor der Bühne stehenden und tanzenden Masse. Der Bass fährt durch den kompletten Körper. Frost pendelt am über zwei Meter langen Set-Tisch an seinen Maschinen hin und her und brettert schließlich los.
Es ist vor allem eins: extrem laut. Ein körperliches Gewitter, ein spürbarer Druck von Sound, wenn man es positiv ausdrücken wollen würde. Es ist offenbar alles am Anschlag – und damit immersiv, ganz sicher auch genial – aber nicht nur für mich zu viel. Zu viel Dezibel. Einige halten es trotz Gehörschutz nicht aus, auch ich nicht. Beim Rausgehen, man könnte auch sagen Flüchten, sagen mir zwei Gäste: „Wir hatten uns am meisten auf Ben Frost gefreut. Aber es ist einfach viel zu laut.“
Ich bin nicht unbedingt sauer oder enttäuscht, Bells Echo war hochkarätig, inspirierend, berührend und ich bin dankbar für die zwei Musikperformances, die ich erleben durfte. Aber das Ende der Veranstaltung war – leider – unaushaltbar erschlagend. Fazit: 6.6/10. Schade.
Alle Bilder: Klaus Nauber