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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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New In – Sep / Oct 22

09. November 2022 / Kommentare (0)

Wir haben uns durch die neuesten Leipzig-Releases der letzten beiden Monate gewühlt – und viel Gutes gefunden. Am besten nehmt ihr euch Zeit, es sind insgesamt 16 EPs.

Carlotta Jacobi „Connwax 09“ (Connwax)

Am Anfang wird es düster und hypnotisch. Im September kam die neue Connwax-EP heraus. Die erste seit über zwei Jahren. Auf ihr entfaltet Carlotta Jacobi in zwei Tracks ihren hoch komprimierten Techno-Sound. Sie legt nach und nach neue minimale Nuancen frei und entwicklt so einen mächtigen Sog an düsterer Energie. Klar, das kann auch schnell too much sein und es braucht das richtige Setting dafür. Doch in ihrer Konsequenz schlägt sie einen Bogen zum Basic Channel-Sound, der ebenfalls super kompromisslos und zugleich sehr filigran lospeitschte. Mit Oliver Rosemann und Arnaud Le Texier erweitern dann noch zwei Remixer das Jacobi-Spektrum. Einmal scharfkantiger, einmal brutaler antreibend.

Mein Hit: „Extended Space“. Why: Weil diese dunkel umherschwingenden Synth-Schrauben so viel Energie entfalten.


Turk Turkelton „Greatest Bass“ (Habibi Bass)

Habibi Bass? Haben wir bisher noch gar nicht vorgestellt – shame on us. Denn das Leipziger Label hat sich seit seiner Gründung im Mai 2020 mit nur einer Handvoll Releases eine enorme Fanbase erspielt. Stilistisch bewegt sich Habibi Bass zwischen Classic Electro, Ghettotech, Techno und Electrofunk – durchaus breit und eher analog, dazu ein gewisser Retro-Funk. Zuletzt kam eine EP des Kölner Producers Turk Turkelton heraus, die in vier bouncy und funky Tracks die 80s abfeiert. Mit lauter klassischen Oldschool-Sounds, einigen HipHop-Referenzen und einem angenehmen entwaffnenden Positivismus. Nice, aber ohne wirklich neuen Twist. Aber checkt auch mal den restlichen Label-Katalog.

Mein Hit: „The Beat That Ended“. Why: Weil der Beat danach gar nicht endet.


DJ Unisex „Chromatic Stimulations“ (Self Learning System)

Ähnlich oldschool und analog-pluckernd ist die dritte EP von Self Learning System. DJ Unisex nimmt uns hier mit auf eine obskure Reise durch dunkle retro-futuristische Soundwelten. Bei ihm gibt es aber dramaturgisch eine andere Spannung – viel reduzierter und recht trippy entfalten sich seine Tracks, was sehr gut kommt und dem Machine Funk eine zeitgenössische Note verleiht. Vor allem die Intro- und Outro-Tracks sind echte Killer.

Mein Hit: „Desire“. Why: Weil die manisch-hektischen Synth-Schleifen einen direkt fesseln.


Philo & Dreadmaul „Do It Right / Shame Bats“ (Defrostatica)

Damit zu Defrostatica. Das Leipziger Breaks-Label hat 2022 einen extrem hohen Output hingelegt – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Ende September kamen zwei Ergebnisse aus einer gemeinsamen Session von Philo und Dreadmaul heraus. Die beiden haben in der Pandemie mit gemeinsamen Produktionen begonnen und ihre Zusammenarbeit weiter vertieft. Und da hat offenbar einiges gefunkt: „Do It Right“ nimmt sich unheimlich viel Zeit für ein sphärisch mäanderndes Intro, um dann plötzlich zu einem sehr hymnischen, sehr einnehmenden Jungle-Track zu mutieren. „Shame Bats“ knallt dagegen mit gerader Bassdrum und rougheren Rave-Elementen durch die Anlage. Zwei sehr gegensätzliche, aber sehr starke Tracks.

Mein Hit: „Do It Right“. Why: Weil hier story-mäßig sehr großes Kino aufgefahren wird.


Sun People „Into The New“ (Defrostatica)

Mitte Oktober kam dann auch direkt der nächste Release von Defrostatica. Sun People aus Graz ist kein Unbekannter bei dem Label. Und er erweitert das eh schon offene Soundspektrum von Defrostatica noch einmal deutlich. Seine „In The New“-EP mergt ultra präzise und super schnell uplifting Jungle-Vibes mit Techno und dubbigeren Momenten. Dies ergibt in nur vier Tracks eine unglaublich vielschichtige und pulsierende EP mit einigem Dancefloor-Hit-Potenzial. Mehr Worte braucht es dazu gar nicht. Wow!

Mein Hit: „State Of Flux“. Why: Weil es sich so komprimiert und powerful losreißt und sich der Sonne öffnet.


Square7 „Cosmic Chaos“ (Self Learning System / Defrostatica)

Ende September veranstalteten Defrostatica und Self Learning System übrigens zusammen eine Party in der Distillery. Vorab erschien dazu eine gemeinsame EP, auf der Square7 (alias Booga) einen lässig tänzelnden, fast schon wavigen Jungle-Track beisteuert, der von Sun People und Friedrich Ernst geremixt wurde. Während die Defrostatica-Fraktion eher düster und treibend zwischen Techno und Jungle entlanggleitet, geht der Self Learning System-Part voll auf dubbigen Electro-Funk. Das matcht so gut, davon kann es gern noch mehr geben.

Mein Hit: „Cosmic Chaos“. Why: Weil das Original mit sehr eigener Sound-Ästhetik beide Labelwelten bestens verbindet.


Klinke Auf Cinch „Void EP“ (Old New Records)

Nach all den eher hektischen Sounds Bock auf etwas Deep House? Dann sollte die neue Old New Records-EP passen. Anfang September released ist „Void“ ein perfekter Spätsommer-Open-Air-Track. Mit seinen souligen Vocals, Gitarren- und Trompeten-Einschüben wird hier nahezu perfekt die Deep House-Klaviatur abgespielt. Aber mit einem angenehmen Understatement. Der „Club Edit“ betont dann die Dancefloor-Euphorie nochmals stärker, während die Remixe von Metaboman, Siggatunez und Kaep mehr forschend herangehen und den Dancefloor nicht vordergründig im Blick haben.

Mein Hit: „Void (Kaep Remix)“. Why: Weil hier mit dezenten Deplatzierungen eine komplett neue Welt geöffnet wird.


Robyrt Hecht „Yskayan Knowledge“ (Yuyay Records)

Ok, das war es aber auch schon wieder mit Deep House – es geht zurück zu verspieltem Electro. Robyrt Hecht ist mal nicht auf Clear Memory zu hören, sondern auf seinem eigenem Yuyay-Label. Immerhin das erste Mal seit über zwei Jahren und auf Vinyl. „Yskayan Knowledge“ liefert sechs pulsierende Electro-Tracks, die mal mystisch, mal funky klingen. Herausgekommen ist ein Mini-Album, bei dem es auch inhaltlich eine zweite Ebene gibt, bei der es um das Teilen von Wissen einer unbekannten Spezies geht. Nice one!

Mein Hit: „Knots“. Why: Weil das gedrosselte Tempo und die Glitches hier eine sehr schöne Spannung erzeugen.


Jotel California „Airwavez EP“ (Inch By Inch)

Was übrigens auffällt: Der Trance- und Rave-Hype der Dancefloors findet bisher kaum auf Leipziger Label-Ebene statt. Eine Ausnahme ist hier aber die letzte Inch By Inch-EP – wenn auch nur beim Intro-Track der „Airwavez“-EP. Der Berliner Producer Jotel California ist sonst eigentlich auch eher im Electro unterwegs. Bei „Airwavez“ ist ihm aber ein sehr zeitgenössisches Breaks-Trance-Stück gelungen, das auch ganz unironisch funktioniert. Beim Rest der EP pluckern dann jedoch die Electro-Beats und Basslines wieder munter vor sich hin – wobei auch hier ein paar interessante Sound-Merges auszumachen sind.

Mein Hit: „Manta Fever“. Why: Weil hier tatsächlich Electro und Big Room-Elemente aufeinanderprallen.


Data Theft „Data Theft“ (Rat Life Records)

Und noch einmal peitschende Electro-Breaks-Hybride. Dieses Mal von Rat Life Records, dem Label von Credit 00. Er hat Data Theft für eine 6-Track-EP eingeladen, auf der sich die Genres pulverisieren. Zwar geht es recht classic mit Electro los, doch ab dem zweiten Track lösen sich die klaren Bereiche auf. Da werden Amen-Breaks in einem seltsam blutleeren Kontext losgelassen, da rasseln dubbige Breaks-Loops vor neurotischen Soundschleifen und zum Schluss bohren sich fies tief drückende Beat-Experimente direkt ins Ohr. Definitiv eine EP, die nachhallt.

Mein Hit: „Amen Code“. Why: Weil diese unterkühlte Atmosphäre dem Amen Break noch einmal ganz andere Wendung gibt.


Jinge „Cygnis“ (Planet Almanac)

Oha, diese EP wäre mir beinahe untergegangen. Dabei markiert sie das Comeback des Leipziger Labels Planet Almanac. Fünf Jahre nach dem letzten Release gibt es nun endlich wieder Sounds vom Almanac. Wer es nicht mehr auf dem Schirm hat: Das Label wurde 2015 von DJ Shikoba gegründet und ist eine Plattform für experimentellere Sounds – für Performances und special Dancefloors. Auch die „Cygnis“-EP startet fordernd und faszierend zugleich. Der derzeit in Teheran lebende Producer Jinge vertont mit verschiedenen Instrumenten, Effektgeräten und Synths einen fiktiven Ausflug in den Dschungel. Geheimnisvoll und durchaus bedrohlich klingt das zum einen, aber genauso ist es voller Leben und Überraschungen. Dass der 13-minütige Track einiges an interessantem Remix-Material bereithält, zeigen die vier Remixe zu „Cygnis“. Carlotta Jacobi reduziert die Atmosphäre maximal und überträgt es in einen Techno-Sog. Nikoslav Nachhall und Gilb’R spielen dagegen mehr mit House-Elementen, was noch genügend Raum für die vielen Sounds des Originals lässt. Tolle EP zwischen Club und Galerie.

Mein Hit: „Cygnis (Gilb’R’s Ornamental Monster)“. Why: Weil hier ein unglaublich guter Deep House-Track entstanden ist.


Kontinum / Eulogy „Sectarian II“ (Proseleytizing)

Ja, nach Connwax ist auch mal wieder Zeit für Techno. Proselytizing ist ein weiteres Leipziger Label, das wir noch nicht auf dem Schirm hatten. Nun also hier ein paar erste Worte. Denn Anfang Oktober erschien dort eine Split-EP mit zwei verschiedenen Techno-Ansätzen. Kontinum startet straight und düster. Eulogys zwei Tracks öffnen sich dagegen auch einer breakigeren Seite. Was sie alle eint, ist eine dystopische Grundstimmung mit rau-verschraubten Synth-Sounds. Stabil.

Mein Hit: „Avalanche“. Why: Weil der Track ohne große Klimax die Spannung hält.


Workshop „Chapter One & Two“ (O*RS)

Im September und Oktober gab es auch mal wieder ein Wiederhören mit Filburts Label O*RS. Auf zwei Digital-EPs präsentiert Workshop seinen durchaus eigenen und vielseitigen House-Ansatz. Egal ob deep oder discoid – bei Workshop gibt es offensichtlich immer einen leichten Dreh in experimenterelle Ebenen. Da treffen klassische Club-Hymnen-Elemente auf dubbige Verschrobenheit und viel Verspieltheit – aber ohne überladen zu klingen. Genau dafür ist O*RS immer noch extrem wichtig.

Mein Hit: „Dresche im Baellebad“. Why: Weil Deep House hier eine Gitarren-Dresche bekommt.


Salomo „RM12018.1 (Water) / RM12018.2 (Land)“ (R.A.N.D. Muzik)

Und falls ihr dachtet, es gibt eine „New In“-Ausgabe ohne R.A.N.D. Muzik – forget it. In den letzten beiden Monaten kamen zwei EPs heraus – eine Doppel-EP von Salomo. Einmal eine „Water-“ und dann eine „Land-Edition“. Der Unterschied? Ich höre keinen. Beide EPs liefern sehr gutes Futter für den aktuellen, erstaunlich credibilen Progressive-Trance-Tech-House-Hype. Da tänzeln die Synth-Fluids im Spotlight zu durchaus bouncy Bassdrums – mit einiger Patina in den Sounds, aber auch viel Freude. Ja, bei Salomo herrscht an Land und zu Wasser einiges an Happiness. Why not?

Mein Hit: „Elevate“. Why: Weil die verspielten Harmonien und die breakigen Beats hier bestens verschmelzen.


Reflex Blue „Free002“ (Breakfree Records)

Zum Schluss noch die zweite EP des neuen R.A.N.D.-Sublabels Breakfree Records. Dieses Mal von Reflex Blue aus Melbourne, der auch schon auf dem Hauptlabel eine EP hatte. Auf „Breakfree002“ wird das Trance-Game komplett durchgespielt. Mit hektisch flirrenden und verschlungenen Synth-Harmonien, punchy Bassdrums und prägnanten Acid-Schleifen. Ein Sound also, der gerade mitten in der Gegenwart ist – aber eigentlich voller Reminiszenzen steckt.

Mein Hit: „Kangaroo Jack“. Why: Weil hier mit Downbeat-Appeal der Trance-Rave eingeläutet wird.


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