← ZurückReleasesReleases

Autor:in

Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

Teilen

New In – Nov 22

19. Dezember 2022 / Kommentare (0)

Etwas late, aber hier sind unsere Tipps aus den Leipziger November-Releases. Mit einigen neuen Entdeckungen und neuen Namen.

Thomas Hessler „Sixty-Five EP“ (Unitas Multiplex)

Ok, da waren wir bisher ziemlich lame – denn wir haben durchaus schon länger auf dem Schirm, dass Vincent Neumann seit mehr als zwei Jahren ein eigenes Label hat. Aber bisher kam es bei frohfroh noch nicht vor. Nun holen wir es mit dem fünften Release endlich nach. Mit Thomas Hessler featured Unitas Multiplex einen bekannteren und äußerst aktiven Producer aus Berlin – bekannt für ebenso präzise-treibenden wie harmonisch aufgeladenen Techno. Auf der „Sixty-Five EP“ kommt eher die letztere Seite hervor. Einzig der The Lady Machine-Remix von „Sixty-Five“ ist deutlich straighter und schroffer. Doch selbst dort holen irgendwann erhabene Synth-Chords zum Abflug aus. Ansonsten sorgt die EP für deepe und äußerst euphorisch-mitreißende Momente. Super gut!

Mein Hit: „Hold On“. Why: Weil hier Euphorie und Power perfekt matchen.


Various Artists „Vaertism003“ (Vaertism)

Und hier ist noch ein neues Leipziger Label, das wir soeben entdeckt haben: Vaertism existiert seit dem Sommer 2021 und wurde von Mbius und Submod gegründet. Bisher liegt der Fokus auf kompakten Compilations, die eher Newcomer:innen featuren. Musikalisch geht es um Deepness im weiteren Sinn. Natürlich spielt hier House eine große Rolle, aber auf der “Vaertism003“ gibt auch breakigere Tracks wie von Ore und Submod. Aber auch hier ist immer eine gewisse Wärme und Unaufgeregtheit in den Sounds. Diese dritte Werkschau ist durchweg gut produziert und ohne Ausfälle – aber auch ohne wirklich herausstrahlende Tracks. Aber das ist wohl auch genre- und vibe-bedingt und Jammern auf hohem Niveau.

Mein Hit: „Stay Hydrated“. Why: Weil sich Ore hier rhythmisch und dynamisch aus dem deepen Fluss herauswagt.


Volta Cab „Bundesautobahn 98 EP“ (Lubree)

Mit dieser Platte scheint ein weiteres neues Label aufgeploppt zu sein – aber es ist „nur“ ein Sub-Label bzw. eine neue Serie von Hypress, das schon länger nichts mehr veröffentlicht hatte. Die Lubree 01 überlässt Volta Cab aus St. Petersburg die Bühne – und der nutzt sie für ein überraschend langes und erstmal klassisch anmutendes Piano-Intro, aus dem sich dann später aber ein sehr schön schillernder Vintage-Electro-Track herauswindet. Volta Cab spielt hier mit einem ordentlichen Kitsch, der dann aber beim zweiten Track „Magic Carpet Ride“ komplett über Bord geworfen wird. Dort entsteht mit einer Menge Spiel- und Experimentierfreude ein obskurer Mix aus cineastischen Sounds und einem schwerfälligen Beat – tatsächlich ein sehr besonderer Track mit verstecktem Hitpotenzial. „Dostizhenie Tzeli“ zeigt Volta Cab dann, dass er auch sehr fit in EBM-Techno ist. Remixe kommen von DJ Overdose und Cardopusher. Vor allem letzterer kann den wilden „Magic Carpet Ride“ sehr gut noch stärker für den Dancefloor trimmen. Spannende EP.

Mein Hit: „Magic Carpet Ride“. Why: Weil die Wildheit und die trockene Rock-Bassdrum einfach kicken.


Bauarbeiter der Liebe „Astro Kids EP“ (OId New Records)

Damit zu etwas softeren und klareren Sounds: Old New Records hat im November auch eine neue EP rausgehauen – vom Bauarbeiter der Liebe. Naja, etwas alberner Name, aber die Tracks sind serious Classic House. Mit ein paar Funk- und Soul-Einflüssen, Spoken-Word-Samples, viel US-Deepness und einer echt hohen Musikalität schwingt die EP sehr angenehm voran. Die fünf Tracks sind alle eher im kurzen Song-Format und mit viel Pop-Appeal. Ganz zum Schluss gibt es sogar den Versuch eines House-Pop-Hits. Mit Postnegative am Mikrofon, einem schlank schiebenden Beat und herrlich warmen House-Chords geht der auch auf. Gute EP gegen den Winterblues.

Mein Hit: „Automatic“. Why: Weil der angeraute Soul-Appeal von Postnegative und die Musikalität hier sehr gut harmonieren.


Made2Faze „Return / Skyforce“ (Defrostatica)

Der November war noch einmal ein starker Monat für Defrostatica. Gleich zwei EPs hat das musikalisch derzeit spannendste Label Leipzigs noch einmal veröffentlicht. Mit Made2Faze ist ein Zwei-Tracker von Priyesh Patel aka X-161 aus Manchester und Anand Patel aka Rawtrachs aus Birmingham zu hören. Und diese beiden Tracks könnten verschiedener nicht sein: Während „Return“ mit dubbiger Wucht, peitschenden Breakbeats, rasselnden Claps und wild gecutteten Vocal-Samples eine große Spannung hält, entlädt sich bei „Skyforce“ von der ersten Sekunde an ein mitreißender, durchaus neurotischer Fluss aus rasendem Jungle Tekno und weird-hymnischen Harmoniewellen. Zwei auf sehr gute Weise sehr eigenwillige Tracks, die so ungewohnt klingen, dass man sie sofort noch einmal hören möchte.

Mein Hit: „Skyforce“. Why: Weil dabei ein so spezieller Mix aus Schroffheit und musikalischem Storytelling entstanden ist.


Arcane & Jon1st „Bloodstone EP“ (Defrostatica)

Mit der „Bloodstone EP“ erschien bei Defrostatica dann noch eine gemeisame EP eines UK-Duos. Dieses Mal gab es ein Team-up von Arcane und Jon1st, zwei musikalisch individuell gewachsene Producer. Ihre gemeinsame EP besteht aus vier intensiven, vielschichtigen und teils unglaublich rasenden Drum & Bass-Tracks. Trotz all der Fülle an verschiedenen Sounds und Wendungen ziehen sich aber immer sehr catchy Chords durch die Tracks, die sich schnell einbrennen. Generell ist diese EP deutlich klassischer als viele andere Defrostica-Releases der vergangenen Monate. „Bloodstone“ nimmt sich dann vom Tempo her zurück und lässt so den Sounds mehr Raum zum Wirken. Hier wird es zum Schluss noch einmal beinahe episch und orchestral – wie das große Finale eines extrem starken Label-Jahres.

Mein Hit: „Honey Dew“. Why: Weil die eingängigen Main-Chords und die forschen Breakbeats perfekt zusammengehen.


Various Artists „Justice for Iran – Woman Life Freedom“ (Vaya)

Die Vaya-Crew war im November auch wieder mit einem Release auf dem Radar – und wieder nutzen sie ihr gutes Producer:innen-Netzwerk für eine Soli-Compilation. Dieses Mal lenkt Vaya den Fokus auf den derzeitigen Kampf vieler Menschen im Iran gegenüber dem diktatorischen Regime dieses spannenden Landes, das vor allem Frauen das Leben schwer macht. Alle Einnahmen des Samplers gehen an die NGO Justice4Iran. Musikalisch bringt Vaya hier verschiedene Styles zusammen – von House, Electronica, Trance, Techno bis zu Tech-House und Pop. Und das alles auf gewohnt hohem Niveau. Für die Spende gibt es tatsächlich ein großes Paket an spannenden Tracks von mehr oder weniger bekannten Locals. Sefras Schlusstrack „Azardi“ ist das überraschende Highlight und lässt uns mit etwas Wehmut zurück, dass die Compilation nicht noch mehr direkte musikalische Bezüge zum Iran hat.

Mein Hit: „Azardi“. Why: Weil er eine Brücke in die politische und musikalische Gegenwart des Iran schlägt und dadurch besonders tief geht.


Basic Mind „RM12019“ (R.A.N.D. Muzik)

Bei R.A.N.D. Muzik gab es im November ein Wiederhören mit dem australischen Producer Basic Mind. Und mit ihm sein sphärischer House- und Tech-House-Mix, der sich ebenso breakig wie retrofuturistisch in interstellare Welten hineinmanövriert. Herausgekommen sind einmal mehr schwerelos treibende Tracks mit flächigen Ambient-Sounds und unterschiedlichen rhythmischen Fundamenten. Entsprechend gibt es stärker pushende und dann auch wieder afterhour-passende Tracks. Wie immer top, aber bei R.A.N.D. in letzter Zeit oft gehört.

Mein Hit: „Closed Gateway“. Why: Weil hier der classic Detroit-Vibe nahtlos in aktuelle Trance-Gefilde steuern.


Reece Walker & Qnete „The Tribute / Carbird Express“ (QC Records)

R.A.N.D. Muzik-Kurator Reece Walker hat im November auch eigene Tracks herausgebracht – gemeinsam mit Qnete auf deren Label QC Records. Auf der A-Seite geht „The Tribute“ erst auf eine introvertiert-deepe und dezent perkussive House-Reise mit leichtem Trance-Schimmer – mit tollem Spiel aus Entspannung und Anspannung. „Carbird Express“ auf der B-Seite drückt dann deutlich stärker mit funkiger Bassline und tighten Bassdrums – am Ende wird der Push aber auch von sehr soften Synth-Chords und eine gewissen trancigen Verspultheit ausgebremst. Schön unaufgeregte EP.

Mein Hit: „The Tribute“. Why: Weil dieser Track sich so herrlich trippy in der Zeit verfängt .


Heron „This Is My Beginning“ (O*RS)

Zum Abschluss noch etwas Pop: O*RS nimmt sich derzeit Heron an, einem jungen Leipziger Duo, das seit rund anderthalb Jahren 80s-Synthwave-Tracks produziert. Im November erschien die erste Single, nächstes Jahr folgt dann ein Album. „This Is My Beginning“ startet musikalisch sehr erhaben und reduziert zugleich, bricht dann aber überraschend extrovertiert aus. Die Vocals scheinen mir dabei einen Tick zu weit in den Vordergrund geschoben – und zu glatt für den abgründig-düsteren Charme, der in der Musik eigentlich mitschwingt. Aber mal schauen, wie sich Heron auf dem Album entfalten.

CommentComment

    RelatedRelated

    zum Seitenanfang scrollen