Yana Ponura ist DJ, Neu-Leipzigerin und ursprünglich aus Kyiv. Und ich werde wohl nie vergessen, wie sie mir bei Instagram schrieb: „Klar können wir das Interview machen. Falls ich lebend aus der Ukraine nach Leipzig kommen sollte.“ In Anbetracht der Lage, die in der Ukraine herrscht, ist das keine dramatische Übertreibung. Warum Yana Leipzig als ihren neuen Lebensmittelpunkt ausgesucht hat und wie in ihrer Heimat während des Krieges gefeiert wird, erzählt sie im Interview.
_Interview
Das Interview fand Mitte Januar statt. Es jetzt zu veröffentlichen, hat mehrere Gründe. Erstens: It was about time! Zweitens: It was about time, oh ja. Und Drittens: Yanas Label Progressive Future hat ein aktuelles Release, das ihr euch unbedingt anhören solltet. Deshalb verlinken wir es euch, als Soundtrack zu diesem Interview, gleich hier oben.
Yana Ponura sitzt auf einem der Wandklappstühle aus Holz im Vary, hier sind wir verabredet. Es ist voll, ein bisschen zu laut, Leute kommen, gehen, telefonieren, tippen auf ihren Laptoptastaturen, trinken Cappuccino oder Espresso-Tonic, tauchen Löffel in Milchschaum und Gabeln in Kuchenstücke, dabei schauen sie kaum von ihren Displays oder Büchern hoch. Musik wabert hörbar, aber nicht eindeutig durch den Raum und den Gang, in dem wir beide noch einen letzten Platz gefunden haben. Eine ruhige, dezente Frau sitzt mir gegenüber. Die Lautstärke und Hektik des Cafés prallen an ihr ab; sie sieht genau aus wie auf ihren Pressefotos, nur nicht so streng – eine gewisse, sehr eigene Widerständigkeit gegen den Alltagslärm umgibt sie.
Wir sind beide überpünktlich, bestellen Kaffee und sprechen über die Radfahr-Situation in Leipzig und vom Platten-Kaufen, von Labels, von Berlin, von unseren Cluberfahrungen der letzten Wochen – ohne dass das Gespräch mitgeschnitten wird. Dann nehme ich ein paar O-Töne auf und bin beeindruckt, mit welcher Klarheit und wenigen Worten Yana von Kyiv erzählt, wie Wärme und Trauer gleichermaßen aus ihr sprechen.
__Kyiv, Berlin und Leipzig
Zu Beginn frage ich Yana, ob es Trigger-Themen gibt, die wir aussparen sollen. Erst vor ein paar Monaten war sie in ihre Heimat, die Ukraine, gereist und unsicher, in welcher Verfassung sie zurück nach Leipzig kommen würde. Sie antwortet mir an diesem Nachmittag, Trigger-Themen gebe es für sie nicht – nichts sei schlimmer, als nicht über das, was gerade in der Ukraine passiert, zu sprechen. Aber wir sprechen nicht nur über den Krieg in der Ukraine – wir sprechen auch über Musik und Leipzig, von DJ-Gigs und Solidarität.
Als Russland die Ukraine überfiel, floh die 27-Jährige wenige Wochen nach Kriegsbeginn von Kyiv nach Berlin. Ein Freund von ihr lud sie dann, als sie sich gerade in Berlin eingerichtet hatte, für einen Gig nach Leipzig ein und sie bleib eine Woche – danach packte sie ihre Sachen in Berlin wieder ein und zog nach Plagwitz.
Leipzig gefalle ihr, sagt sie, auch wenn sie noch nicht allzu viele Clubs, Cafés oder Spots der Stadt kennt:
“Ich fühle mich oft nicht gut genug, um auszugehen. Zuhause höre ich viel Musik, dort fühle ich mich wohl. Anfangs habe ich viele neue Leute kennengelernt und im IfZ, im Mjut und im Conne Island aufgelegt. Dann fuhr ich zurück in die Ukraine und wollte danach erst einmal nur in Ruhe gelassen werden. Trotzdem möchte ich mir hier ein neues Leben aufbauen. Es ist schwer zu erklären.” – Yana Ponura
Nach über einem Jahr Krieg in der Ukraine hat sie sich darauf eingestellt, dass es nicht absehbar ist, ob und wann der russische Angriffskrieg endet. Der Krieg beschäftigt sie seitdem jeden Tag, vom morgendlichen News-Checken bis zum Abend. Ein neues Leben als DJ und Akteurin im Nachtleben in Leipzig zu beginnen, ist zwar ein Wunsch von Yana – aber vielmehr möchte sie zurück, in ihre Heimat, in ihr Viertel, ihre Wohnung. Sie wünscht sich Frieden und keine Bomben mehr für die Ukraine, betont sie.
__Techno in der Ukraine
Als wir von der Technoszene in der Ukraine sprechen – denn nicht nur in Kyiv, sondern auch in Odesa und Kharkiv habe es herausragende Clubs gegeben, erzählt Yana – schwärmt sie von den Bookings, der euphorischen Crowd, dem mittlerweile melancholischen Gefühl, dass hier etwas Großes, vergleichbar mit der Berliner Technoszene, hätte entstehen können. Hätte. Vor dem Krieg legte Yana regelmäßig in der Ukraine, aber auch international auf. Ihren Style bezeichnet sie selbst als Genre-übergreifend mit Elementen aus Dub, Garage, Breakbeat, IDM und „dirty Kyiv Electro“.
Aber auch während des Krieges gebe es Partys, Zusammenkünfte und Musik in der Ukraine. Bei ihrem Besuch vor ein paar Monaten, im Dezember, spielte sie auf einem Rave, der tagsüber stattfand. Tagsüber, weil Partys seit Kriegsbeginn nicht mehr in der Nacht stattfinden können, denn ab 23 Uhr herrscht Ausgangssperre.
Das Gefühl in einem Bunker oder Club dort, während des Krieges, zu spielen, sei sehr besonders:
“Mir gefällt die Stimmung, auch wenn sich das vielleicht für viele strange anhört. Mir gefällt, etwas zu tun, in dieser schwierigen Situation. Die Menschen in der Ukraine feiern, als könnte es – literally – das letzte Mal sein.” – Yana Ponura
Ausländische DJs kämen zwar nicht mehr, aber es gebe genug lokale DJs, oder DJs wie Yana, die regelmäßig in die Ukraine reisen, um dort zu spielen. Die Partys werden mit Generatoren an unterschiedlichen Orten ermöglicht, erklärt sie weiter. Es klinge absurd, bizarr und man solle diese Partys nicht romantisieren. Aber sie seien unter gewissen Umständen weiterhin möglich und notwendig.
__Zukunft
Ihre Gedanken seien immer bei ihrer Familie in der Ukraine, auch wenn sie in Leipzig sei. Und bei ihren Freund:innen aus dem Nachtleben. Denn genau das bedeutet ihr weiterhin viel, natürlich. DJ-Auftritte in Berlin, Leipzig, Dresden, Warschau und London lenken sie zwar immer wieder ab, aber nur kurz. Pläne und Gigs gibt es auch bei Yana, aber die größte Hoffnung, die sie für die Zukunft hat, ist, dass der Krieg endlich endet. Und dass sie sich, egal wo, wieder sicher fühlen kann – denn das Gefühl von Sicherheit gibt es für sie derzeit nur, wenn sie Musik hört, im Studio experimentiert oder auflegt.
Etwas, an dem Yana gemeinsam mit Freund:innen gearbeitet hat, ist die neue EP ihres Labels „Progressive Future“. Die Solidarität und Spenden, auch innerhalb der Technoszene in Deutschland, nehme jeden Tag ab. Das sei zwar ganz normal, aber trotzdem schmerzlich, sagt sie. Ihr könnt das Label und Yana unterstützen, indem ihr die Tracks anhört, teilt und kauft. Also: Go for it!
Hier findet ihr den Community-Fund des ukrainischen Labels ∄: https://k41community.fund
Yana Ponura bei HÖR, Instagram und Soundcloud.