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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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Blau-violette Zeremonie – Bells Echo

13. November 2023 / Kommentare (0)

Letzten Freitag fand die diesjährige Bells-Echo-Ausgabe statt. Wir waren dort – und durchaus begeistert.

Die Konzertreihe Bells Echo ist bekannt dafür, immer wieder neue, unkonventionelle Orte für ihre Ambient-, Drones- und Experimental-Konzerte zu bespielen. Etwas, das den Reiz dieser Reihe definitiv mit ausmacht. Und so war eine große Neugier und leichte Aufregung zu spüren, als wir in die Plagwitzer Heilandskirche eintraten. Vor Kurzem wurde hier mit dem Westkreuz ein neues Stadtteilzentrum eröffnet, in dem scheinbar auch Platz für spannende Konzerte ist. Am Abend vor Bells Echo spielte hier bereits die UK-Band Arab Strap.

Bells Echo empfängt uns in einem diffus, blau-violett beleuchteten Kirchenraum, der durch die Zwischenebene niedriger ist als in klassischen Kirchen. Die Orgel steht hier quasi ebenerdig. Was zuerst auffällt: Es gibt zwei Bühnen und eine dynamische Bestuhlung. Offensichtlich ist nicht klar, wie viele Leute tatsächlich kommen – am Ende so viele, dass jede Menge weitere Stühle aus dem Versteck geholt werden müssen.

Bevor Stefkovic van Interesse anfängt, gibt es einen Sound-Prolog des Publikums: Alle rutschen mit lautem Klirren ihre Stühle vor seine Bühne. Und dann legt Stefkovic los. Minimalistisch schieben sich schroffe und filigrane Patterns ineinander. Als er im zweiten Stück den Bass dazu nimmt, bebt plötzlich die ganze Kirche.

Er ist an diesem Abend der einzige mit eigenen Visuals – eine Hommage an einen kürzlich gesprengten Schornstein im Leipziger Süden. Mit rauschenden wiederkehrenden Bildsequenzen begleiten sie sein Set. Der eigentliche Wow-Moment sind die späteren präzisen Mappings der Kirchbögen. Zusammen mit seinem raumgreifenden Ambient-Sound sorgt Stefkovic hier zusammen mit VJ GenPi für den ersten Gänsehaut-Moment des Abends.

Die nächsten gibt es bei Yosuke Fujita alias FUJI|||||||||||TA – dieses Mal auf der gegenüberliegenden Bühne. Seine Show gleicht einer unberechenbaren, hochintensiven, spirituellen Zeremonie. Nach einem sanft-repetitiven Start mit seiner selbst gebauten Pfeifenorgel, peitscht er mit seiner Stimme kurze, archaische Laute in die Heilandskirche. Stakkato- und schamanenhaft ebenso wie bedrohlich verzerrt. Mal sitzend, mal stehend. Aber immer äußerst intim.

Sein Auftritt ist komplett anders als ich erwartet habe. Aber auch nur, weil ich vorab nur ein Album “iki” von ihm in Dauerschleife gehört habe. Dass seine Stimme ein so wichtiges Element seiner Shows ist, war mir nicht klar – sie verstört und flasht zugleich. Am Ende ragt FUJI|||||||||||TA aus dem blau-violetten Nebellicht empor und lässt eine hell-tönende Flöte erklingen. Direkt vor ihm während des gesamten Konzerts: Ein Junge mit Down-Syndrom, fasziniert wippend, FUJI|||||||||||TAs Bewegungen an der Orgel nachahmend. Super eindrücklich auf vielen Ebenen.

Für das dritte und letzte Konzert heißt es wieder Stühle drehen. Maya Shenfield spielt auf der anderen Bühne – und auch wenn ich ihren Auftritt am schwächsten finde, schafft sie es, soundtechnisch die größte Präsenz in diesem Kirchenraum zu erzeugen. Voll und klar, die gesamte Höhe und Weite nutzend.

Ihr Set startet stark, laut und dissonant, mäandert später jedoch mit angeteasten Wave- und Rave-Elementen in eine gewisse Gefälligkeit, die den Kanten ihres Sounds leider etwas die Dringlichtkeit raub. Dazu am Schluss ein Chor, der in diesem Kirchenkontext zwar super passt, das Pathos-Level jedoch ordentlich nach oben schraubt. Doch es ist Jammern auf hohem Niveau. Diese Bells Echo-Ausgabe wird im Gedächtnis bleiben – auch wegen des ausgezeichneten Sounds. Ich bin gespannt, wo uns Bells Echo das nächste Mal empfängt.

Alle Fotos von Susann Bargas Gomez

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