Unsere New In-Rubrik ist etwas ins Stocken geraten. Aber wir möchten nun wieder regelmäßig einen Blick auf die Releases des Vormonats werfen – auch dank neuer Autoren-Power. Bevor es losgeht, gibt es hier einen Rückblick auf einige spannende Veröffentlichungen aus dem Leipziger Frühling.
Lydia Eisenblätter – “Rotation EP” (OAM)
Ein neues Scheibchen auf dem eigenen Label OAM gab es im Frühjahr von Lydia Eisenblätter. Zwei Tracks und je einen Remix davon, die stilistisch zwischen House und Techno anzusiedeln sind. Aber man sollte sich nicht lange grübelnd aufhalten mit Genre-Bezeichnungen, denn diese EP lädt zum Bewegen ein. „Revolve“ trommelnd, treibend mit Open-Hihat-Groove und Offbeat-Orgel-Akkorden. Einmal im Original und einmal mit leichten Detroit Vibes im “Sol Ortega Remix”. Hart zu sagen, was hier fetter ist. Die Becken sind in beiden Fällen so schneidend, das kein Bein still bleibt.
Auf der Flip dann tatsächlich eher sowas wie eine schnellere House-Nummer. „Power“ ist angesagt! Das Ding ein Club-Hit, die Orgeln eher legato als staccato, das Vocal Sample soulful und dann halt noch Piano Chords. Kurzer Breakdance-Part, weiter geht’s. Mehr braucht es nicht zum Glücklichsein und um ordentlich musikalische Energie zu verbreiten. House-Legende Terrence Parker steuert einen weiteren Remix bei und erweitert das Akkord-Spektrum kurzerhand nochmal. Alles in allem geht er die Sache ein bisschen behäbiger, aber nicht weniger hittig an. Verdammt, diese Platte ist sehr gut! Alles Floorfiller, soweit man das von hier aus beurteilen kann.
Nils‘ Hit: “Power” Why: Perfekter Track für jede Gelegenheit.
Salomo – “Power Of Love” (Breakfree Records)
Ebenfalls mit viel Power ging das Spring-Release auf Breakfree Records an den Start. Hier baut der Produzent Salomo allerdings auf die Kraft der Liebe. Seit der ersten VÖ auf dem Sub-Label von R.A.N.D. Muzik ist musikalisch einiges passiert bei Salomo. Der experimentelle LoFi-House ist schon seit einer Weile einem melodiösen Breakbeat und Tech-House-Sound gewichen bei sehr hohem musikalischen Output.
„Colour Of Love“ mutet balearisch verträumt an und kommt fluffig, mit schöner Melodie und Vocal-Sample daher. „Spring Scents“ beginnt leicht breakig und punktet dann mit Salomo-Trademark-Sounds, die schon die eine oder andere vergangene Produktion durchwehten. 90s-Orgel-Sound, schwirrende Synth-Klänge und eine beschwörende Stimme, die uns den Frühling verspricht. „Liquid Love“ ist dann schon fast bisschen Goa und Early-90s-Trance angehaucht. Why not? Irgendwas zwischen gerade und breakigen Getrommel. Abgerundet wird der 4-Tracker mit „B2gether“ und einer wahren Message: „We need to be together.“
Der Sound auf dieser EP erinnert mich schon sehr an frühe Trance-Sachen aus der 90ern wie beispielsweise die Produktionen von Young American Primitive (unbedingt mal auschecken!). Und das ist ein Sound, der die Jahrzehnte sehr gut überdauert hat. Starke VÖ auf Breakfree!
Nils‘ Hit: „The Colour Of Love“. Why: Was für ein schöner Ohrwurm!
Pfirter & Rosemann “Epsilon” (Recorded Things)
Anfang April ist auch die neueste Zusammenarbeit von Pfirter und Rosemann erschienen. Auf ihrem Streifzug durchs griechische Alphabet sind die beiden inzwischen beim fünften Buchstaben “Epsilon” angelangt. Nachdem die ersten vier EPs fast vollständig auf Pfirters Label MindTrip erschienen sind, folgt nun der erste Leipziger Labelauftritt auf Oliver Rosemanns Recorded Things. Dass die beiden eiskalten, hypnotischen Techno produzieren können, dabei grad so viel von legendären Vorbildern übernehmen, dass die Tracks etwas zeitloses haben, haben sie auf den Vorgängern bereits gezeigt – und gleichzeitig ihren Ausdruck immer auch neu formuliert.
“Epsilon” klingt im Vergleich zu den Vorgängern sogar noch ein klitzekleines bisschen kompromissloser, will dich nochmal tiefer in die Nacht mitnehmen, sorgt dafür, dass du die Zeit vergisst. Und eigentlich ist jedes geschriebene Wort hier zu viel; “Epsilon” ist Musik für Strobo, Ekstase und kollektiven Rausch; entzieht sich jeder sinnvollen Beschreibung, da sie direkt aufs hypnotische im Hier und Jetzt abzielt. Epsilon will, muss erlebt werden.
Davids Hit: “Epsilon I”. Why: Wegen dieser dunklen, dreckigen, rauhen, fast ein bisschen lebensverachtenden Bassline.
Duo Paradiso “Lost in Paradise”
Im April erschien die “Lost in Paradise EP” vom Duo Paradiso, zu dem auch Amy gehört, die bei frohfroh mehrere Jahre mitgeschrieben hat. Diese EP hat eine dramatische Backstory inklusive: Alle laufenden Projekte des Duos fielen einem Festplattencrash zum Opfer – die drei hier veröffentlichen Tracks waren, lucky enough, bereits vorher exportiert worden. “Lost in Paradise” ist demnach eine unvollständige bzw. etwas kurz geratene Werkschau des Duos. So richtig viel ist ja leider nicht übrig geblieben. Aber gücklicherweise ist die EP facettenreich genug, um wirklich interessant zu sein. Die überlebenden Produktionen treiben voran, belegen dabei stets, dass das Duo ein feines Gespür in Auswahl und Anwendung musikalischer Mittel aufbringt.
Der unangenehme Kritikerimpuls, eine möglichst präzise Verortung innerhalb irgendwelcher Subgenrebegriffe vorzunehmen, greift angenehm ins Leere. Zwar verlässt sich das Duo in der Produktion auf gewisse tradierte Konventionen im Sounddesign, betritt dabei aber so viele völlig unterschiedliche Referenzräume, dass durch die Zusammensetzung dann letztlich charakterstarker, individueller Elektro entsteht. Um den Gedanken einer exemplarischen Werkschau aufzugreifen: “Lost in Paradise” lässt hoffen, dass die Festplatten des Duos künftig zuverlässiger funktionieren, wäre wirklich cool zu sehen, wie diese Formsprache weiterentwickelt wird.
Davids Hit: Eigentlich ja “Push Back”, entscheide mich aber doch für den “Pacific Mix” von “Lagoon”. Why: Nach zweieinhalb Jahrzehnten Konsum elektronischer Musik klicken Bongos endlich bei mir.
Ninze “Reasons of Simplicity” (Amselcom)
Sehr zurückgelehnt geht es auf der digitalen 2-Track-VÖ von Ninze zu. Entspannter Deep House, angereichert mit diversen Voice- und Geräusch-Samples. Es ist nicht schwer, in den Sound von Ninze einzutauchen, der zwar nicht viel Neues liefert, dafür aber so super smooth daher kommt, dass er direkt heraussticht zwischen all den anderen „New-Ins“, die eine schnellere Gangart bevorzugen.
„Patience“ ist fast schon meditativ und erinnert an ältere Smallville- oder Kann-EPs. Und da schließt „2010“ direkt an. Auch wenn vielleicht nicht der Sound von 2010 gemeint ist, der Track klingt stark danach. Super sweete Nummer mit E-Piano Melodie und Vocals. Alles in allem eine sehr schöne VÖ!
Nils` Hit: „2010“. Why: Hello, Summer Vibes!
Bauarbeiter der Liebe “Auf Monte in L.E. #3” (Old New Records)
Ausgabe #3 der “Auf Monte in L.E.”-Reihe ist wieder einmal sehr schnell entstanden. Und zwar in 24 Stunden. Klingt vielleicht ein ganz klein wenig nach Jam-Session im Studio, aber eben auch sehr unbeschwert und nach einer guten Zeit.
Das bedeutet: Deep-House-Chords und 4/4-Beats angereichert mit Trompeten, Bass-Einwürfen und hier und da mal ein bisschen gesampeltem Besen-Schlagzeug. Hinten raus dann ein bisschen Breakbeat – mal schnell, mal laid back. Track 6 kehrt stilistisch dann wieder zum Anfang zurück und rundet die VÖ schön ab. Frischer und gut gelaunter Release, der sehr gut in einem Rutsch durchgeht.
Nils’ Hit: „Neues Slowed“. Why: Guter Beat, gutes Sample und gutes Klavier!
Odd Okoddo – “Neogore” (Altin Village & Mine)
Ich dachte nicht, dass ich das einmal schreibe. Aber die Rezension dieses Albums ist nicht einfach. Warum? Weil ich sowas noch nicht gehört habe. Das Leipziger Label Altin Village & Mine veröffentlichte im Frühjahr mal wieder etwas erfrischend Neues. Dieses Mal vom Duo Odd Okoddo aus Kenya, das bereits auf dem letztjährigen Trans Century Update Festival in Leipzig zu Gast war.
Die repetitive Percussion des Musikers Sven Kacirek trifft auf den ausdrucksstarken Gesang von Olith Ratego. Basis der Aufnahmen waren existierende Gesangsspuren von Olith Ratego. Diese wurden im Anschluss mit perkussiven Elementen und Electronica ergänzt – der ursprüngliche Spirit in der Stimme von Olith sollte unbedingt erhalten bleiben. Gelegentlich blitzt eine Klarinette auf, die für den ein oder anderen Kammermusik-Moment sorgt.
Ich erlaube mir hier einen kleinen Ausschnitt aus der Info der Platte hier einzufügen, um zu verdeutlichen, mit was wir es hier zu tun haben:
„ (…) die Klangpalette des Duos, die auf die Dodo-Musik des Luo-Volkes zurückgreift und sie mit perkussiven, melodischen und gelegentlich auch elektronischen Mitteln anreichert. Der Titel des Albums bedeutet übersetzt „Petroleumlampe“ und bezeichnet den Übergang vom Tag zur Nacht, wenn die Zeit zum Tanzen gekommen ist. In diesem ausgesprochen fröhlichen Geist ist „Negore“ den Übergängen und dem Aufbruch in die Zukunft gewidmet. Rategos Interpretation der Folk-Tradition ist ausdrücklich zeitgenössisch, während Kacirek eine Vielzahl von avantgardistischen und fortschrittlichen Techniken der elektronischen Musik einsetzt, um sie noch weiter voranzutreiben.“
Für mich schwer einzuordnen, aber das ist ja auch nicht immer unbedingt nötig. Die Musik darf gerne auch einfach mal für sich sprechen.
Nils’ Hit: „Timneyore“ Why: Ein schönes Beispiel, wenn alles perfekt ineinander greift. Außerdem holt mich die Stimmung hier ab.
HJirok – „Hjirok“ (Altin Village & Mine)
Dieses Album hätte eigentlich eine eigene Review verdient. Denn es ist so eigen, so voller spannender inhaltlicher und klanglicher Ebenen, dass sich darüber seitenweise schreiben ließe. Ich halte es aber kurz, denn es erschien bereits im März: HJirok ist das Projekt der iranisch-kurdischen Künstlerin Hani Mojtahedy und den von Mouse on Mars bekannten Musiker Andi Toma. Die beiden haben sich für “Hjirok” tief in die (musikalische) Geschichte des Irans und der anderen kurdischen Ausläuferregionen eingegraben. Gemeinsam mit Perkussionisten und einem Sitar-Spieler ließen sie sich alte, sehr hypnotische Rhythmen und Sounds vorspielen.
Parallel sammelten sie Field Recordings während verschiedener Reisen in die Region. Am Ende schichteten und dubbten HJirok diese Einflüsse und Spuren neu aufeinander und verknüpften sie mit den eindringlichen und unberechenbaren Gesängen von Hani Mojtahedy. Sie nutzt das Album für empowernde Themen gegen die Gewalt und Einschränkung. Herausgekommen ist eine aufgeladene, nicht ganz einfache, aber sehr beeindruckende und trance-hafte Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart einer Region, die immer wieder mit Herausforderungen zu kämpfen hat – und zugleich ein unglaublich spannendes kulturelles Erbe bewahrt. Danke Altin Village & Mine für das Veröffentlichen!
Jens’ Hit: “Tehran” Why: Weil die filigranen Rhythmen, Sounds und Samples eine besondere Magie freilassen.
Asphalt DJ “RM12027” (R.A.N.D. Muzik)
Reduktion aufs Wesentliche, das ist doch eine gute Catchphrase für “RM12027”, die am Anfang März auf R.A.N.D. Muzik erschienene EP von Asphalt DJ. Nichtmal einen eigenen Namen hat sie bekommen, was ja aber bei R.A.N.D.-Releases Methode hat.
Die EP ist ein gutes Beispiel, warum das Schreiben über Musik manchmal wirklich frustrierend sinnlos sein kann. Um jetzt schonmal alle Spannungen aus dem Weg zu räumen: Die EP ist großartige, total auf den Punkt gebrachte elektronische Musik. Der Labeltext schlägt Progressive House vor – das kann man sicherlich so sehen. Aber wen interessieren denn Genre-Bezeichnungen wirklich, gerade, wenn es um Musik geht, die nicht beschrieben, sondern erlebt werden will. Denn dafür ist “RM12027” gemacht, und so wirkt so auch. Es werden hypnotische Klangwelten aufgebaut, die mit sehr sparsamen, brilliant getimten, pointierten Irritationen immer wieder dafür sorgen, dass man einen Augenschlag lang in seinen Erwartungen gefordert wird, bis es in die nächste Runde geht.
Davids Hit: “Stereo Chambers”. Why: Weil dieser eine Break so unfassbar Laune macht.
Borisson “Along The Years” (Boundless Beatz)
Beim Leipziger Drum & Bass-Label Boundless Beatz gab es im April ein recht persönliches Album-Release des Leipziger Producers Borisson. In vier musikalisch variierenden Kapiteln nimmt er uns mit in wichtige Leipzig-Jahre, in denen er in die lokale Drum & Bass-Szene eintauchte, wichtige Momente erlebte und neue Kontakte knüpfte.
“Einen wertschätzenden Blick auf die frühen Jahre dieses Kapitels Drum & Bass” beschreibt Borisson sein Album “Along The Years” selbst. Und so gleiten die neun Tracks durch deep-dubbige Sphären hin zu Dubstep und klassisch uplifting Drum & Bass-Arrangements. Auch wenn das ein breites Spektrum ist, Borisson schafft dennoch eine große Stringenz. Vielleicht durch die leicht melancholische Stimmung, die sich durch alle Tracks durchzieht. “Along The Years” schafft den Spagat zwischen Listening- und Dance-Album.
Jens’ Hit: “Jigjag” Why: Weil dieser deepe Track eine herrliche Einladung in eine selige Kontemplation ist.
M.ono “Based On A True Story” (DCNAE)
Während M.ono mittlerweile back im House Game zu sein scheint, widmen wir uns noch mal eben seinem letzten Album vom April 2024. Wann produziert dieser Mensch all diese Musik? Waren es auf dem Vorgängeralbum schon die Breakbeats und die cheesy Synths, die es dem Produzenten angetan hatten, beginnt es hier auch nicht minder “anders”.
Klare 80s-Vibes im Opener mit Synthflächen und Piano. Und auch dann wieder Breaks, Synthflächen, catchy Sounds. “Mode Six” geht dann fast schon in ne trancige und ravige Ecke und auch “Drone Sweet Drone” zieht dich rein in einen Sog. Große Halle, gepitchte Vocals und Acidline bei spärlicher Percussion. Weiter mit einem Acid-Electro-Banger namens “Neuronics”. Alles immer mit fettem Hall und Delay. Zwischendurch auch immer mal Tracks ganz ohne Beat. Es gibt sicher den ein oder anderen Titel, der übers Ziel hinausschiesst vom Cheesyness-Faktor her, aber dann gibt es halt auch diese Banger wie “Neuronics”. Mega gut, das M.ono einfach produziert, was ihn flasht. Ich bleibe weiter dran.
Nils’ Hit: „Neuronics“. Why: I am headbanging in the mirror.