Ambient aus Leipzig gleicht einer kleinen Rarität. Umso schöner ist es, Produzentin und Live-Act tibslc, kennenzulernen und einen Einblick in ihre Soundwelt zu erhalten. Dabei ist ihr neues Album „Silver Visions“ von zuvor unentdeckten Facetten geprägt.
tibslc – ausgesprochen [ˈti ˈaɪˈbiˈɛsˈɛlˈsi]
Wir schauen über den kleinen sumpfigen Park an der Wurzener Straße und sitzen auf einer Parkbank. Auch dafür sind Parkbänke da, um hier zu sitzen und über Musik zu sprechen. Ich freue mich, dass ich Iona, die unter dem Namen tibslc produziert und performt, kennenlernen darf. Schon eine Weile verfolge ich ihre Musik auf Soundcloud. Selten habe ich so schöne, tiefe, weite, nahe und detailverliebte Sounds zu hören bekommen. Mich interessiert die Person hinter diesem Sound.
„Produzieren“, sagt Iona, „das mache ich schon immer.“ Angefangen hat das mit einem 4-Spur-Rekorder, einer Gitarre, einem Keyboard und ihrer Stimme. Seitdem haben sich ihr Sound und ihre Devices verändert. Was gleichgeblieb, ist die Rolle, die das Musikmachen für sie spielt: „Ich konnte mich immer gut in diesem Prozess verlieren und habe mich da hinein geflüchtet“, beschreibt sie.
Dass Musik ein Rückzugsort für Iona ist, wird in unserem Gespräch sehr deutlich. Ihre Soundästhetik ist geprägt von ihrer Bescheidenheit und einem Shift zwischen großen und kleinen Räumen, welche sie ganz behutsam aufspannt. Darunter liegen viele kleine Sounds, die unter einer Wolkendecke auf uns gewartet haben. Iona bricht diese Behutsamkeit in ihrer Musik aber auch gerne durch Noisecuts, Drones und dystopische Digital Noises.
Diesen Kontrast und die daraus entstehende Spannung abzubilden, ist ihr besonders wichtig. Experimental und Ambient mit einem Art-Pop-Vibe – das ist es, was für sie in ihrer Musik drinsteckt. Doch das heißt noch lange nicht, dass andere Leute das auch so raushören. „Jeder kann das für sich entscheiden [was jede:r raushört]“, sagt sie bestimmt.
Musik ist sehr für die Menschen, mit denen ich bin
Viele Artists haben Idole, große Vorbilder, die ihren Sound im Laufe der Zeit geprägt haben. Iona sagt, dass ihr unmittelbares Umfeld, und auch das Feedback aus diesem, viel wichtiger für ihre Soundfindung ist und war, als das bestimmte Künstler:innen gewesen wären. Für sie entstehen die Einflüsse durch den Austausch mit anderen zu dem jeweiligen Zeitpunkt.
„Musik ist so sehr für die Menschen, mit denen ich bin, die mich umgeben – und das beeinflusst mich auch am meisten.“ erzählt sie. Was auch einen wichtigen Einfluss darstellt, wie auch für viele andere Produzent:innen, ist Soundcloud. Gerade für kleine Musikszenen ist die Plattform wichtig, um andere nicht so bekannte Artists zu entdecken. Soundcloud begleitet Iona schon von Beginn an und hat ihr geholfen, nischige Musik zu entdecken und sich inspirieren zu lassen. Iona berichtet von der Freude darüber, Nächte auf Soundcloud zu verbringen und sich darin zu verlieren.
Wiederkehr von Soundwelten als Entzerrung von Schnelllebigkeit
Den eigenen Sound in unserer schnelllebigen Welt zu finden, ist gar nicht so einfach. Ionas Ansatz zu ihrer klanglichen Selbstfindung liegt vielmehr in einer Konservierung, Dekonstruierung und damit verbundenen Weiterentwicklung einer bestimmten Soundästhetik.
„Wir bewegen uns ja in einer Welt, wo vieles ständig leicht verändert wiederkommt, was natürlich auch die Musik betrifft.“ In den letzten Jahren hat sie aus diesem Gedanken heraus ihre eigene Herangehensweise zum Umgang mit Musik gefunden. Während einige Artists immer auf der Suche nach dem einen neuen, besonderen Sound sind, begleiten ihre Klänge Iona schon länger. Sie beschreibt, wie einige Klänge und Klangfragmente liegen bleiben und wiederentdeckt werden können. Und wie darin ein Sinn gefunden werden kann, den sie vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt nicht finden konnte.
Dadurch entstehen Texturen, die Iona länger bei sich hat und in ihrer Musik auch wiederkehren. Sie findet es wichtig, diese mitzunehmen und auch Teil von ihr und ihrem Sound werden zu lassen. Es ist für Sie eine Art Zuneigung und der Wille, sich wirklich mit dem Klang an sich bzw. verschiedenen Sounds
auseinanderzusetzen und immer wieder Neues in ihnen selbst zu entdecken. Ein bisschen, wie wenn man ein Lieblingskleidungsstück hat, das man viel trägt, immer wieder neu kombiniert, mal wieder beiseitelegt und dann nach einer Weile wieder lieben lernt.
Diese Dekonstruktion und Zuneigung spiegeln sich konkret im Anwenden von Granularsynthese beim Produzieren wider. Sie ist markant für Ionas Sound: „Das ist ein digitaler Syntheziser,“ erklärt Iona, „du granulierst, zerteilst Audios in Punkte. Das ist ähnlich wie Sampling, nur anders, weil du dir von den Audiofiles ganz viele verschiedene Punkte raussuchst. Man arbeitet eher mit einer Soundpunkt-Wolke, je nachdem wie der Granulator eingestellt ist.“ Die Granularsynthese erzeugt einen kontinuierlichen Klang aus diesen einzelnen Punkten. Dies ermöglicht eine Klangtextur immer wieder neu zu entdecken und neue Ebenen zu verleihen.
Silver Visions
Letztes Jahr hat Iona mit ihrem neuen Albumprojekt „Silver Visions“ gestartet, das am 12. Juli 2024 erschien. Es ist das erste Album mit so viel Gesang, aber ähnlich wie andere EPs, Alben und Tracks von tibslc, von viel behutsamer Bewegung geprägt. Iona spannt mit ihren Sounds unterschiedlich große Räume auf, die mit ihrer Stimme verschmelzen. Sie selbst spricht dabei von „Skywork“.
„Hier habe ich wieder zur Stimme zurückgefunden“, beschreibt sie. Iona spricht davon, dass es ein längerer, wichtiger Selbstfindungsprozess für sie war, herauszufinden, wo sie sich mit ihrer Stimme in ihrer Musik „richtig fühlt“. Dabei verarbeitet sie auch die Verletzlichkeit, die das Zeigen von der eigenen Stimme in sich trägt. In diesem Album hat ihre Stimme auf jeden Fall den richtigen Platz gefunden. Zart, sanft, ein bisschen majestätisch, dramatisch und schwebend zugleich wird man durch die 36 Minuten des Albums getragen.
tibslc online entdecken: Instagram // Soundcloud // Bandcamp
__Fotos
An dieser Stelle noch ein herzliches Danke an Iona Dutz. Sie hatte sich schon im Frühjahr mit Tibscl für eine Foto-Session getroffen. Und dabei sind wieder einmal unglaubliche gute Artist-Bilder entstanden.