Rave und Konsum gehören untrennbar zusammen. Wirklich? Das Leipziger Pink-Cloud-Kollektiv schafft seit einigen Monaten einen spannenden Gegenentwurf – und der scheint zu funktionieren. Wir stellen das Kollektiv und seine Gedanken näher vor.
Seit meiner späten Jugend komme ich regelmäßig in Kontakt mit Alkohol, Zigaretten und anderen Substanzen – vor allem beim Feiern. So geht es sicherlich nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Menschen der aktuellen Partyszene. Es gibt viele Gründe dafür: soziale Zugehörigkeit, ein erhöhtes Selbstbewusstsein, die Flucht aus dem alltäglichen Stress, aber auch die Ritualisierung – das Denken, dass es eben einfach dazugehört. Doch so normal es auch scheint, gibt es genauso viele Gründe, dies nicht zu tun: keine Kater, keine „Hanxiety“, die eigene mentale und körperliche Gesundheit, keine Gefahr des Kontrollverlusts und so weiter. Wäre da nicht der soziale Druck und das Gefühl, als einzige nüchterne Person einsam zu sein. Um herauszufinden, ob und wie nüchternes Feiern möglich ist, durfte ich mir einige Fragen vom Pink-Cloud-Kollektiv beantworten lassen.
Ein neues Bewusstsein
Von Beginn meiner Recherche an, konnte ich feststellen, dass ich nicht allein bin mit meinen Gedanken und Fragen zum Thema Drogenkonsum und Feiern. Bereits seit einigen Jahren suchen immer mehr Menschen nach Möglichkeiten, nüchtern feiern zu gehen – in Räumen, in denen dies normal und sogar erwünscht ist. „Sober Raving“ oder „Conscious Clubbing“ sind wachsende Trends. So rief Gideon Bellin bereits 2016 die Initiative „Sober Sensation“ ins Leben, ein alternatives Partykonzept in Berlin, das auf jegliche Form von Drogen verzichtet und auf das „natürliche High“ des Partymachens baut. Neben dieser Initiative entstanden in den letzten Jahren immer mehr Organisationen und Kollektive, die das Nüchternsein in den Mittelpunkt ihrer Arbeit rücken – so auch das Pink-Cloud-Kollektiv.
Das Kollektiv
Pink Cloud gibt es seit Februar 2024. Der Name stammt aus der Sober-Community und beschreibt den Zustand von Leichtigkeit und Klarheit, welcher mit der Unabhängigkeit von Substanzen einhergehen kann. Das Kollektiv selbst bezeichnet sich als bunten Haufen von Menschen mit viel Bezug zur Clubszene. So arbeiteten sie vor Gründung des Kollektivs jahrelang selbst in Clubs, auf Festivals, in Bars oder an der Technik. Einige machen selbst Musik, andere sind Kunst- und Mediengestalter:innen und wieder andere bringen Erfahrungen aus selbstverwalteten Räumen mit. Im frohfroh-Interview sagen sie: „Die Idee entstand aus unserer eigenen Erfahrung mit Recovery und der Erkenntnis, wie herausfordernd es sein kann, feiern zu gehen und Menschen kennenzulernen, wenn die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Alkohol und anderen Drogen eine Hürde darstellt.“ Da es kaum Räume gab, die frei von Konsumdruck waren, beschlossen sie, diese selbst zu schaffen – und gründeten das Kollektiv. Das Ziel ist es zu zeigen, dass Feiern und Verbindung auch ohne Rausch funktionieren – ohne das Risiko schädlichen Konsums oder konsumbedingten, grenzüberschreitenden Verhaltens. Mit einigen Vorerfahrungen, aber auch viel Learning-by-doing veranstalteten sie ihre erste Party im September 2024, wobei sich diese aus einer offenen Bühne, Lesung, Konzerten und DJ, also einem bunten Programm zusammensetzte.

Mehr als nur Feiern: Eine Bewegung, die wächst
Auch das Pink-Cloud-Kollektiv bestätigt, dass das Bedürfnis nach alternativen Partymöglichkeiten wächst. Viele erkennen die Schattenseiten des Drogenkonsums – sowohl körperlich als auch geistig – und gleichzeitig die Vorteile des Nüchternbleibens. Es ermöglicht echte Begegnungen, klare Erinnerungen, bewusste Erfahrungen und mehr Selbstbestimmung. Zudem reduziert es das Risiko von Gewalt oder grenzüberschreitendem Verhalten und erschafft Räume, die sich sicherer anfühlen.
Doch es geht nicht nur um das direkte Umfeld. So argumentiert Pink-Cloud im Interview mit uns: „Am nächsten Tag fühlt man sich fitter und emotional stabiler – was besonders wichtig ist, wenn wir in diesen Tagen die Kapazitäten brauchen, um für gerechtere Strukturen zu kämpfen. Gleichzeitig sind Verbindung und Gemeinschaft starke Werkzeuge, um ungerechten Verhältnissen etwas entgegenzusetzen. Auch deshalb schaffen wir diese Räume.“
Feiern ohne Rausch?
Während das Kollektiv selbst fest davon überzeugt ist, dass dies möglich und erfüllend ist, bestätigte dies, laut Pink-Cloud, auch die Resonanz nach den ersten Partys: „Viele Menschen haben uns gesagt, dass sie genau so einen Raum gebraucht haben.“ Einige erlebten zum ersten Mal nüchtern eine Party und waren überrascht, wie intensiv sie die Musik und die Atmosphäre wahrnahmen. Das Kollektiv beobachtete, dass es zwar etwas länger dauert, bis alle aufgetaut sind, sich die Atmosphäre dann aber schnell zu einer ausgelassenen, entspannten und kreativen Energie entwickelt.
Doch es gibt auch kritische Stimmen – etwa von Menschen, die Alkohol nicht als Droge sehen, sich durch solche Veranstaltungen bevormundet, verurteilt, oder durch den Fokus auf Nüchternheit ausgeschlossen fühlen. Viele Menschen sagen, dass Feiern ohne Alkohol keinen Spaß mache oder meinen, dass Feiern und Substanzkonsum untrennbar zusammengehören. Das Kollektiv reagiert darauf mit Aufklärungsarbeit und Gesprächen über die Notwendigkeit kompromissloser Safer Spaces. Sie sagen im Interview:
„Es geht nicht darum, andere zu verurteilen, sondern ein weiteres Angebot innerhalb der Clubkultur zu schaffen.“
In ihren Augen lebt die Clubkultur nicht von Alkohol oder Drogen, sondern vielmehr von der Musik, den Menschen und der gemeinsamen Energie.
Musik, Kunst und Lesungen
Musikalisch setzt das Kollektiv auf eine Mischung aus Raves und Konzerten, veranstaltet aber auch Lesungen, Performances und Installationskunst. Wichtig ist ihnen, dass auch die auftretenden Künstler:innen das Konzept unterstützen und während der Veranstaltung nüchtern bleiben. Des Weiteren erklärten sie: „Wir legen viel Wert darauf, unser Line-up möglichst divers zu gestalten, damit verschiedene Menschen eine Bühne bekommen und sich repräsentiert fühlen.“
Neben den Veranstaltungen spielt auch Aufklärungsarbeit eine große Rolle. Vor allem zu Beginn musste das Kollektiv viel erklären. Trotz der vielfältigen und offenen Leipziger Subkultur war vielen das Konzept Sober-Partys nicht vertraut. Doch die Veranstaltungsorte zeigten sich überraschend offen für das Konzept von Pink Cloud und freuten sich, sie als so junges Kollektiv zu unterstützen.

Was uns erwartet
Die nächste und gleichzeitig vierte Veranstaltung findet am 8. März 2025 in der Conserve Lindenau statt. Nachdem die ersten zwei Stunden für Newcomer:innen reserviert sind, erwartet uns ein Line-up mit DJs, die für tiefgründige und mitreißende Sounds zwischen Techno, Trance und Hardcore stehen. Außerdem gibt es Kunstinstallationen, die Möglichkeit, sich selbst im Artspace kreativ auszuleben sowie alkoholfreie Mocktails und vegane Snacks auf Spendenbasis.
Ein weiteres Highlight: Die Partys starten meist bereits am Nachmittag, sodass auch Menschen mit Kindern daran teilhaben können. Doch auch neben den Partys will das Kollektiv in Zukunft verschiedene Veranstaltungen anbieten: Workshops und Diskussionsformate sollen das Thema Sober Spaces breiter aufstellen und Menschen dazu ermutigen, sich mit ihrem Konsumverhalten auseinanderzusetzen und alternative soziale Räume zu gestalten. Sie werden außerdem beim Recovery-Walk, eine Veranstaltung, organisiert von Menschen mit Suchtgeschichte zur Vernetzung von Betroffenen, Angehörigen, Fachleuten und Interessierten, mitwirken. Dieser findet im September 2025 erstmals in Leipzig statt.
Zur Party? Zur Party!
Nachdem ich mich durch meine Recherche und das Gespräch mit dem Pink-Cloud-Kollektiv erstmals intensiver mit dem Thema Sober Clubbing auseinandergesetzt habe, möchte ich es nun auch selbst erleben. Bisher habe ich mich zu selten getraut einfach nüchtern zu bleiben, doch ich habe das Gefühl durch genau solche Räume, wie sie von Pink Cloud geschaffen werden, wird dies enorm erleichtert. Ich muss keine Angst haben, die einzige nüchterne Person zu sein und den Vibe der anderen nicht zu fühlen und darf mein Selbstbewusstsein im nüchtern tanzen mal wieder herausfordern. Für mich steht fest: Die nächste Party am 8. März werde ich auf jeden Fall besuchen. Ich bin gespannt, wen ich dort treffe.
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Foto-Credits: Pink Cloud