Bells-Echo-Abende sind meist etwas Besonderes. Mit experimenteller Musik an außergewöhnlichen Konzertorten. Die vergangene Ausgabe hat das alles nochmals getoppt.
In den letzten Jahren hat die Bells-Echo-iiiinteriiiim-Reihe einige hochkarätige Ambient- und Experimental-Acts nach Leipzig geholt. Ben Frost war im UT, William Basinski in der Phillipuskirche und Maja Shenfield spielte in der Heilandskirche. Am vergangenen Samstag konnte Bells Echo sein zehnjähriges Jubiläum mit einem neuen Highlight „feiern“ – an einem für Leipzig und die Musikgeschichte extrem wichtigen Ort: die Thomaskirche. Einst Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach, heute Tourismusmagnet. Die fast einhundert Meter lange Einlassschlange dürfte dann aber auch für die Thomaskirche ein ungewohntes Bild gewesen sein.
Ein wenig wirkte es, als sei hier der derzeit gehypteste Club der Stadt. Mit solch einem Andrang hatten scheinbar auch die Veranstalter:innen nicht gerechnet. Obwohl die Kirche schon gut gefüllt war, musste das Konzert etwas später beginnen, weil draußen noch immer Leute anstanden.
Gegen 20:30 Uhr läuft Kali Malone dann über die Empore zu der riesigen Bach-Orgel und winkt lässig herunter in den Besucherraum. Die in Schweden lebende Komponistin und Organistin hat in den letzten sieben Jahren sehr beeindruckende musikalische Spuren hinterlassen. Vor allem durch ihre minimalistischen, kontemplativ verwobenen und zeitgenössischen Orgel-Stücke, die Ambient nochmals auf ein ganz anderes Level heben.

Die Thomaskirche ist der perfekte Ort für ihre Musik. Ihre lang ausgespielten, gleitenden Klänge erhalten hier einen angemessen erhabenen Rahmen. Anfangs wirkt es noch recht leise, es braucht etwas, bis sich meine Ohren an das nicht mikrofonierte Konzert gewöhnen. Doch der schlicht-imposante und hohe Raum der Thomaskirche resoniert schnell und schafft die richtige Balance. In voller Klarheit werden Kali Malones feine Soundschichten hörbar; und in den tiefen Frequenzen auch dezent spürbar.

Kollektives Abdriften
Wunderbar auch, dass durch die Kirchenorgel-Situation – das Instrument ragt auf der linken Seite erhöht weit nach oben – das klassische Konzert-Setting aufgehoben wird. Kali Malone ist quasi nicht zu sehen. Somit wird der Fokus unwillkürlich auf die Musik gelenkt. Und das gelingt äußerst gut. Im Publikum sind viele geschlossene Augen zu sehen – die Masse taucht ein, lässt sich auf die sanft-sakrale und doch modern arrangierte Atmosphäre von Kali Malones Stücken ein. So sehr, dass sich niemand traut, in den Pausen dazwischen zu applaudieren. Starke Momente der Stille und Erfurcht. Und des kollektiven Träumens, Gedankenabdriftens und sicher teilweise auch Eindösens.
Nach den ersten drei Stücken kommt Stephen O’Malley, Gründungsmitglied der legendären Drone-Doom-Band Sunn O))) und seit 2023 Ehemann von Kali Malone, mit dazu. Für die vier folgenden, vierhändig zu spielenden Stücke, unterstützt er sie. Das Ergebnis: noch weitere klangliche Schichten, teilweise etwas mehr Dynamik und ein lang gezogenes Ende mit. Selbst nach dem letzten Stück bleibt es erstmal still – solange, bis Kali Malone sich erhebt und sich beim Publikum und der Bach-Orgel verneigt. Danach bricht die angestaute Faszination und Freude über dieses Erlebnis bei den Besucher:innen heruas – mit einem langen Abschlussapplaus.

Ein neuer Meilenstein für Bells Echo – und eine wunderbare Premiere in der Thomaskirche. Gerne wieder.
Alle Bilder von Susann Bargas Gomez