← ZurückReleasesReleases

Autor:in

New In-Redaktion
Die New In-Redaktion hört sich durch den Bandcamp-Dschungel und sucht die spannendsten Leipzig-Releases heraus – aktuell sind das David, Nils und Jens.

Teilen

New In – April 2025

22. Mai 2025 / Kommentare (0)

Dieses Frühjahr hat es in sich – für unsere April-Ausgabe unserer New-In-Reihe haben wir uns durch 17 Leipzig-Releases gehört. Hier sind unsere Gedanken dazu.

Crc x Vc-118a – „Flow Zone“ (Zyntax Motorcity)

Oha, da gab es eine Überraschung Ende April – das Comeback von Zyntax Records. Wer es nicht mehr auf dem Schirm hat: Das ist ein Leipziger Classic-Electro-Label aus dem Post-Statik-Entertainment-Umfeld. Seit dem Frühjahr 2020 schlummerte es jedoch dahin und schien auch Geschichte zu sein. Nun war aber wohl wieder Zeit für ein Release. Komplett neu ist „Flow Zone“ nicht, digital und auf CD erschien das Album des finnisch-niederländischen Duos Crc x VC118a schon beim UK-Label Touched Music im letzten Herbst. Zyntax kümmerte sich nun nochmals um das Doppel-Vinyl. Ganz klassisch in oldschool Artwork und limitiert auf 200 Stück. Crc und VC118a sind in der Szene für klassischen 80s Electro durchaus bekannte Namen, die seit über zehn Jahren Releases veröffentlichen. Auf „Flow Zone“ featuren sie einen sehr angenehm gleitenden, auf gute Weise glatt gezogenen und melodiösen Electro-Sound. Mit vielen Ambient-Flächen, warmen Basslines, einer nächtlich eingefärbten Deepness und einer 90s-Ästhetik, die einfach nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat. „Flow Zone“ liefert damit einen guten Gegenentwurf zum derzeit oft bouncy und E-Funk-inspirierten Electro, wie er sonst in Leipzig gefeiert wird. Tolles Album – aber schnell sein, das Vinyl scheint bald sold out zu sein.

Jens’ Hit: „Last Night“ – Why: Weil es so herrlich nächtlich deep und warm dahin mäandert.


Various Artists – „Jahtarian Dubbers Vol. 5“ (Jahtari)

Leider hat niemand in der New-In-Redaktion so richtig Berührungspunkte mit dem Dub-Genre. Dennoch sind wir uns einig, dass diese Compilation besprochen und auf frohfroh vorgestellt gehört. Denn das Label Jahtari veröffentlicht seit 2004 (!) spannende Releases in der Schnittmenge Dub, Reggae und elektronischer Musik. Sie selbst bezeichnen das als „Digital Laptop Reggae“ und wir hatten gerade ihre ersten Releases immer wieder auch vorgestellt. Diese bereits fünfte Werkschau diverser Künstler:innen kann für Genre-Newbies wie mich als Einstieg dienen.

Die Artists kreieren hier allesamt ihre eigene Version von elektrifiziertem Dub. Das ist deep, verhallt, oft mit Betonungen auf die zwei versehen und eben auch elektronisch. Beim Jura Soundsystem kann ich sofort andocken. Das klingt doch ein bisschen wie Nightmares On Wax und die finde ich ja seit Jahren gut. Und auch wenn hier insgesamt neu bin, muss ich doch sagen, dass ich allen Stücken irgendwie was abgewinnen kann. Einfach mal die Compilation anschmeißen und durchhören. Gibt es übrigens auch auf Vinyl!

Nils’ Hit: „Jura Soundsystem – On My Way (Dub)“ – Why: Super deepe und schöne Nummer.


Sam Paradise – „All This Love“ (Miura)

Es gibt Releases, die hört man und sie gehen direkt beim ersten Mal richtig gut rein. Unter dem Titel „All This Love“ hat Sam Paradise genau so eine EP auf Miura veröffentlicht – catchy, funky Filter House, entspanntes Voice-Sample, stellenweise gleitet sie unter Zuhilfenahme eines Pianos leicht ins balearische ab. Machen wir uns nichts vor, in die Tiefe gehts hier nicht allzu sehr, aber wen interessiert das. „All this Love“ soll einfach ganz entspannt Spaß machen. Es gibt Momente, da ist Sam Paradises lässige Ungezwungenheit fürs konzentrierte Close-Listening am Rechner ein bisschen arg repetitiv; minimal mehr Ornament hätte hier und da vielleicht nicht geschadet. Aber das passt dann auch wieder zur entspannten Beiläufigkeit, die der EP insgesamt dann eben doch extrem gut steht. „All This Love“ ist Musik für weiße Leinenhemden und geschmackvolle Retro-Sonnenbrillen, für ambitioniertes Daydrinking und souveräne Bartmode, findet definitiv unter freiem Himmel statt. Ein (heimliches?) Faible für entspannten Jetset-Kitsch hilft – im richtigen Setting ist diese EP der perfekte Soundtrack, um lässig den Sommer zu genießen.

Davids Hit: „Blue Hour“ – Why: Das Piano rundet die Gesamtstimmung komplett ab.


Various Artists – „VA01“ (Aggregat)

Im April launchte das noch junge Aggregat-Kollektiv aus Leipzig, Eichstätt und Wien sein eigenes Label. Zum Records Release gab es auch eine Party in der Neuen Welle. Die Nummer 01 setzt den Fokus auf lauter Newcomer:innen mit einem sehr breiten musikalischen Spektrum. Das Kollektiv mag ganz offensichtlich sehr verschiedene Sounds – dreamy Breakbeats, pumpender Power-House, dubby Breaks-Techno, HipHop-Pop-House mit Spoken Words und am Ende natürlich auch noch etwas jungle-inspirierter Ghetto-Rave. So verschieden jeder Track dieser ersten Aggregat-Werkschau auch ist, eine gute 90s-House- und Electro-Ästhetik hält diese Compilation ganz gut zusammen. Besonders holen mich die deepen Tracks von DJ M€r$€bvrg ab, auch wenn die anstrengende Typografie des DJ-Namens etwas ganz anderes erahnen ließe. Stattdessen klopfen die beiden Merseburg-Tracks sehr schön an den Delsin-Sound an. Mit viel Detroit in den Zwischentönen. Auch wenn bei den anderen drei Stücken deutlich mehr Ironie mitschwingt, ist doch eine tiefe Verneigung vor den Neunzigern herauszuhören. Schöner Start.

Jens’ Hit: „Tarn“ – Why: Weil hier so schön die deepen Dub-Wellen mit den hektischen Breakbeats gebrochen werden.


The Chord Memory Club – „Piano Lessons Remixes“ (Noiseberry Records)

Diesen Release wollte ich unbedingt besprechen, denn: Ein alter Bekannter steuert hier einen Remix bei: Hans Nieswandt! Seit Jahrzehnten bekannt und erfolgreich als DJ, Producer („From: Disco To: Disco“) und Autor („Plus Minus Acht“) war ich immer irgendwie Hans-Nieswandt-Fan. Auch zuletzt konnte man auf Instagram mit ansehen, was er so in Südkorea trieb. Sehr unterhaltsam. Und so ist Hans Nieswandt irgendwie schon immer „da“ in meinem Leben.

Der Chord Memory Club ist ebenfalls schon eine Weile präsent. Immer mal wieder ploppen Tracks in meinem Sichtfeld auf. Sei es mit einer EP auf Riotvan oder als Beitrag zur letzten Blaq-Numbers-Compilation. Ich mag den cheesy Sound des Duos, der sich irgendwo zwischen 80s Disco, House und New Order bewegt. Der Hans-Nieswandt-Remix ist nicht der stärkste Remix auf der EP, aber das Voice-Sample verfängt sehr gut. Und so will man ihn nach dem ersten Durchlauf gleich noch einmal hören.

Schneller landet bei mir tatsächlich der Remix von Shesokey. Wunderbar treibende Nummer und die Piano-Chords werden nur andeutungsweise verarbeitet. Nicht so voll auf die Zwölf, aber wunderbar groovend. Dieser Bass-Sound und das Voice-Sample – das passt einfach super zusammen. Love it!

Auch kein Unbekannter ist der Produzent Panthera Krause, der „Truly Painful / Sad All The Time“ in typischer Krause-Manier zu einem deepen Disco-House-Tune umbaut. Das Stück wächst und wächst. Richtig stark! Der Zacharias-Remix von „Numb Spots“ kommt ein bisschen weniger sonnig, dafür umso deeper daher. Der Piano-Loop ist natürlich sehr catchy. Da kommt man als Remixende/r wahrscheinlich nicht vorbei. Es gelingt Zacharias dennoch eher einen robert-hood-artigen Sog zu erzeugen als zu sehr in die cheesy Ecke abzudriften. Am Ende wird mit den Flächen noch ein weiteres Element des Originals verarbeitet und man hat das Gefühl, das nächste Stück hat bereits begonnen. Der Track rundet diese Sammlung an Remixes sehr schön ab. Und jetzt einfach nochmal die Originale hören!

Nils’ Hit: „Numb Spots (Zacharias Remix)“ – Why: Eigentlich sind alle Remixes toll, aber man muss sich halt entscheiden.


8x 10 – „Artist“ (Patching Flowers)

Kleine Quizfrage: Angenommen, ihr findet eine alte, leider von Batteriesäure zerfressene Drummachine auf Kleinanzeigen.de – wie verhaltet ihr euch? Richtig – ihr kauft natürlich besagte Drummachine, restauriert sie sehr aufwendig, nehmt dann ein Konzeptalbum über menschliches Aufbegehren gegen die Herrschaft von Computern in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft auf und releast das Album schlussendlich auf einer MiniDisc. Selbstverständlich, will man fast sagen, ist genau das die dramatisch zugespitzte Entstehungsgeschichte dieses Albums. Musikalisch findet sich hier eine weitere Facette von wunderschön verspielt-artsy Spät-Neunziger-Sci-Fi-Fantasy Electro, aber das allein macht das Album nicht mal so besonders. Zur völligen konzeptionellen Entfaltung gehört, dass dieser Schaffens- und Veröffentlichungsprozess in seiner ästhetischen Entschiedenheit stellvertretend für die Kompromisslosigkeit steht, mit der Patching Flowers zu einem der innovativsten Labels der Stadt geworden ist.

Davids Hit: „Architecture“ – Why: Starkes musikalisches Statement direkt zu Beginn.


Byron – „Parray“ (Patching Flowers)

„Parray“ ist ein interessantes Experiment, fast ein Paradoxon in sich. Es handelt sich hier um Aufnahmen von live und mit Hardware gespieltem Techno. Im Grunde ist der ganze Release eine Meditation darüber, dass Techno das Potenzial hat, den Moment in dem es selbst stattfindet seiner Zeitlichkeit zu entheben. „Parray“ wirkt direkt, schaltet sich vor weitere Wahrnehmungen, gibt nichts auf das, was drumherum passiert. Es wird nichts beschönigt, gefiltert, es ist rohes, ungefiltertes ästhetisches Vermögen. Und es geht hier auch wirklich nur um den Moment, es gibt kein Netz, keinen doppelten Boden, die Aufnahme ist per se schon eigentlich Blasphemie, weil die Stücke auf „Parray“ streng genommen Improvisationen sind, geboren aus dem Moment, und sofort vergangen, sofort egal. Niemals war es jemals für eine Archivierung gedacht. Die Akt der Veröffentlichung ist radikal, und macht im Katalog der dezidierten Radikalästheten von Patching Flowers unfassbar viel Sinn.

Davids Hit: „View in Yellow“ – Why: Der „Hit“-Begriff zieht hier jetzt nicht so richtig, aber „View in Yellow“ ist eine phänomenale Techno-Komposition. 


Primitive Needs – „RM12034“ (R.A.N.D. Muzik Recordings)

Unsere „einfachen Bedürnisse“ werden mit dieser EP garantiert befriedigt. Die Infos zu den einzelnen Releases werden bei R.A.N.D. auch immer kürzer. Aber sei es drum. R.A.N.D. muss die Musik nicht erklären, die hier veröffentlicht wird. Denn ganz nach dem Motto „never change a running system“ gibt es hier wieder Progressive und Tech House in gewohnter Manier zu hören. Der Opener gefällt mit spacigen Bass-Sounds und einer tiefen und schönen Basslinie. Voice-Sample über Beat mit reichlich Percussion. Nothing new. „Bascik“ bringt dann noch ein flirrenden schönen Synth-Sound ins Spiel. Ansonsten „classy“ R.A.N.D.-Sound all over the place. Auch Track 3 und 4 können nicht überraschen auf dieser EP.

Nils’ Hit: „Bascik“ – Why: Schöner Synth-Sound mit an Bord. I like.


Oliver Rosemann & Jonas Kopp – „Unnamed Phenomenom EP“ (Recorded Things)

Nach DJ Surgeles droppte Recorded Things im April den nächsten Headliner auf dem Label: Jonas Kopp steht seit über zehn Jahren für straight-minimalistischen und präzisen Techno. Und gemeinsam mit dem Leipziger Label-Head Oliver Rosemann hat er nun gleich sechs Kollab-Tracks veröffentlicht, die vor allem eines sind: sehr spannungsgeladen und special. Die beiden bündeln auf ihrer „Unnamed Phenomenon EP“ nicht unbedingt klassische Techno-Banger. Vielmehr sind es experimentelle Tracks, die zwar viel hypnotische Kraft und ein hohes Tempo haben, in den Details aber immer wieder doch die klassischen Pfade verlassen. Einmal durch ungewohnte, teilweise auch fordernde Sounds, Verschraubungen und Überlagerungen, dann aber auch durch sehr minimalistische Arrangements, die oftmals ohne zentrale Drops auskommen. Aber eben immer mit viel Druck und Präzision. Eine sehr konsequente, gute und irgendwie auch überraschende Kollab-EP.

Jens’ Hit: „The Space Between Waves“ – Why: Weil die Claps so dicht gesetzt sind, dass hier eine unglaubliche Dynamik entsteht


Oh No Noh – „As Late As Possible“ (Teleskop)

Markus Rom lässt uns mal wieder teilhaben an den Ergebnissen seiner Klangforschung, die er seit Jahren mit dem Projekt Oh No Noh betreibt. Er hat sich als Live-Musiker (Gitarre, Banjo) und Mitglied zahlreicher Formationen (Elme, Sun, Philipp Rumsch Ensemble, Elephants On Tape usw.) sowie als Produzent sein eigenes kleines musikalisches und nerdiges Universum aufgebaut. Kleine Roboter, die live und im Studio auf perkussiven Elementen herumspielen, Mikrofone aus alten Telefonhörern, selbstgeschnittene Tape-Loops, alles blinkt und leuchtet auf der Bühne.

Bei diesem Album ist alles gleich, aber dennoch anders. Es gibt den typischen Oh-No-Noh-Sound zu hören, der sich zwischen Kraut, Electronica, Pop und Postrock bewegt. Ungerade Rhythmen an Gitarre und Schlagwerk sind immer noch genauso gefragt wie Field Recordings und geloopte Sounds. Aber es gibt eben auch ein paar Neuerungen. Zum ersten Mal ist beispielsweise ein händisch eingespieltes Schlagzeug zu hören. Und das wiederum kommt von keinen Geringeren als Andi Haberl, der auch in der bekannten Formation The Notwist die Drums spielt. Weitere Gastmusiker:innen (Damian Dalla Torre, Liz Kosack, Joseph Kamaru) unterstützen Markus auf dem neuen Album, was den Sound bereichert und um weitere Facetten ergänzt. Neben ambient-artigen Stücken wie „Fawn“ gibt es sogar Geradliniges, ja fast schon Poppiges („Loot“) zu hören auf dem neuen Album von Oh No Noh. Das Artwork wurde übrigens von Anna Haifisch gestaltet und was soll man sagen: Es ist wunderschön! Genauso wie die Musik von Oh No Noh!

Nils’ Hit: „Loot“ – Why: Zum Reinkommen, aber hey: Hört euch das Album von vorne bis hinten an.


Wylid Node – „The Hug“ (Nynode Intermedia)

Knapp zwei Jahre nach „Greyhound“ veröffentlicht der Leipziger Komponist Philipp Rumsch mit „The Hug“ den zweiten Track unter seiner künstlerischen Identität Wylid Note. Während der Vorgänger atmosphärisch noch recht eindeutig war – es ging recht eindeutig bergab – besticht „The Hug“ mit einer schwer durchschaubaren Ambivalenz. Das Stück ist durchaus persönlich wie eine Umarmung, aber gerade die besten Umarmungen sind ja auch sehr häufig ambivalent.

Es scheint wenig Sinn zu ergeben, „The Hug“ mit Genrezuschreibungen beschreiben zu wollen. Dazu ist das Arrangement zu distinguiert; es ist kein Zufall im Spiel, keine Konvention, keine Gewohnheit. Der Song ist nicht formlos, nicht improvisiert, er ist kein Experiment in dem Sinne, dass Philipp Rumsch keine Kontrolle übers Ergebnis gehabt hätte – im Gegenteil. Der Track ist präzise durchkomponiert, bis ins allerletzte Detail. Im Vergleich zu Werken, die Phillipp Rumsch unter seinem Klarnamen veröffentlicht hat, strahlt „The Hug“ mehr Wärme ab, es ist im allerbesten Wortsinn ein wenig gefälliger, aber eben nicht trivial. Philipp Rumsch beweist auf „The Hug“ erneut sein Talent zu Komposition und Arrangement, und erschafft so ein Stück Musik, dessen zugängliche Tiefe zu erkunden große Freude macht. 

Davids Hit: „Der Radio Edit“ – Why: Weil der Gesang das atmosphärische Gesamtbild entscheidend mitprägt.


Toffi Regenstein – „Rauschen“ (Self-released)

Oh, das ist schön! Der Pianist Toffi Regenstein (ist das ein Künstlername?) traut sich erstmal mit eigenem Material an die Öffentlichkeit. Der Hang zum Perfektionismus hat ihn bislang davon abgehalten, seine Musik zu teilen. Aber hier soll das Perfekte in den Hintergrund treten und der Ausdruck im Vordergrund stehen. Das gelingt mit dem Stück „Rauschen“ sehr gut. Artists, die seit Jahren das Genre (Solo-Artists am Klavier mit Vorliebe für elektronische Spielereien; auch gerne mal unter „Neo-Klassik“ einsortiert) prägen, dienten dem Künstler als Inspirationsquelle. Nils Frahm, Ólafur Arnalds, Max Richter usw. Und ja, es stimmt wirklich. Das ist zwar keine neue Musik, aber einfach schön. Das Stück wird nur am Klavier performt. Ab und zu gesellen sich ein paar Hall-Effekte dazu oder ein paar streicher-artige Sounds sorgen für mehr Raum. Technisch vielleicht nicht ganz so fluffig wie ein Nils Frahm, aber dennoch ein wundervolles Stück. Danke fürs Teilen der Musik, Toffi Regenstein!

Nils Hit: „Rauschen“ – Why: Nicht neu, aber schön!


Kinked – „Plastico Empire“ (Prepaid Records)

„Plastico Empire“ ist eine Herausforderung. Es wird von vornherein ein sehr klar begrenzter auditiver Raum gezeichnet, in dem ein reduzierter, experimenteller Ambient-Sound zur Geltung kommt. Entfremdung wird zum ästhetischen Prinzip erhoben und in Sound gefasst, „Plastico Empire“ ist ein dekonstruktivistisches Werk von dogmatischer Strenge. Wir verzichten auf vieles, aber worauf wir nicht verzichten ist Atmosphäre; sie ist alles, doch auch diese wird sehr differenziert gestaltet.

Das Schöne: Das Album hat einen Tape-Release beim Leipziger Tape Label Prepaid-Records erhalten, und so entsteht eine überaus interessante Verbindung der italienischen Kollektive New Weird Italia, Misto Mame und Riforma und Leipzig. „Plastico Empire“ fügt sich wunderbar in eine lange kunsthistorische Tradition italienischer Avantgardisten ein und schreibt den schier unbändigen Willen zur Irritation, wie er sich schon in der Arte Povera oder bei Carol Rama gezeigt hat, mit musikalischen Mitteln weiter; so weckt das Album Unbehagen und ist mit dem Potenzial ausgestattet, das hörende Individuum durchaus hypervigilant zu hinterlassen. 

Davids Hit: Auch hier: Hit ist ein Begriff, der sich nicht direkt aufdrängt. Doch „Il Muro, Il Basso, Il Passaggio“ fasziniert mit seiner paradoxen Vielseitigkeit; freilich im Rahmen dessen, was halt möglich ist. 


Trond Jervell – „Seasons“ (Grubenwehr Freiburg)

Das Stöbern bei Bandcamp bringt ja immer wieder einige Neuentdeckungen mit sich – auch im April gab es da wieder eine für uns. Und zwar eine mit einem sehr schrägen Namen: das Tape-Label Grubenwehr Freiburg. Tatsächlich ist das Noise-Ambient-DIY-Label in Freiburg/Breisgau 2017 gestartet worden, mittlerweile lebt der Label-Macher David Leutkart aka Grodock aber in Leipzig-Connewitz. Eigentlich ist es erstaunlich, dass wir erst jetzt auf Grubenwehr Freiburg aufmerksam geworden sind, denn das Label ist sehr aktiv und hat schon mehr als 40 Releases herausgebracht. Im April kam „Seasons“ vom norwegischen Musiker Trond Jervell heraus – mit einem besonderen 20-minütigen Soundtrack durch die Jahreszeiten. In einem nicht endenden, loop-artigen Fluss an fisseligen Sounds zieht einen dieser Release in einen sehr speziellen Sog. Irgendwie noisy, aber doch zugänglich, abstrakt und doch organisch. Wer sich in den Sog begibt und genau zuhört, fühlt irgendwann die mikroskopischen Veränderungen. „Seasons“ klingt wie ein Soundtrack mitten aus den Übergängen von Wasser- und Erdschichten. Sehr faszierend.

Jens’ Hit: „Seasons (C40 / MiniCDr Version) – Why: Es ist der in den Sog ziehende Main-Track.


Various Artists – „Après Skweee“ (Istotne Nagr.)

Ende April gab es noch einen spannenden Einblick in die Welt des Mikro-Genres Skweee. Um 2010 entstand das in Finnland und Schweden und fiel durch seinen wilden Mix aus etwas naiv klingenden Chiptune-Sounds und einem entwaffnend fröhlichen E-Funk heraus. In Leipzig war dieser Sound nur selten zu hören, wenn dann durch DJs und Producer wie Kid Kozmoe (btw langjähriger frohfroh-Autor) und Robyrt Hecht von Sleeve++, Clear Memory und Yuyay Records. Die beiden sind auch mit eigenen Tracks auf „Après Skweee“ zu hören. Das ist eine eine 25-Stück-starke Compilation des polnischen Label Istotne Nagr., die einen aktuellen Soundcheck von Skweee bietet – mit vielen bekannten Namen und den unterschiedlichen Nuancen des Genres. Da gibt es nämlich doch einiges an Variation. Die Leipziger Beiträge sind auch schon recht divers: Während Robyrt Hecht mit einem lässig-reduzierten Funk daherkommt, taucht Kid Kozmoe in die wundersame Welt der crisp-cuten Skweee-Sounds ein. Mit matschigen Synths und tiefen Bassdrums. Beide sind auf jeden Fall sehr bereit für eine Runde Après Skweee. Unbedingt auch den Rest anhören.

Jens’ Hit: „Simple Mood“ – Why: Weil dieses Stück so schön unbeschwert und etwas unbeholfen dahin tänzelt.


Various Artists – „OSMVA001“ (Osmium)

Ende April kam noch eine weitere Compilation mit Leipziger Beteiligung heraus: „OSMVA001“ von der Hamburger Osmium-Crew. Sie scheint in der Hansestadt einige sehr spannende Techno-Partys zu veranstalten. Seit Kurzem agieren sie auch als Label, bislang kamen zwei Compilations heraus. Hier mit einem neuen Track der Leipziger Producerin Slany. Sie ist Teil der Zan-Crew, die bereits im Eli sehr energetische All-FLINTA*-Partys veranstaltet hat. Ihr „Unknown Caller“ ist ein schön deeper, zurückgenommen-treibender und bassgeladener Techno-Track. Sehr minimalistisch arrangiert öffnet er sich im weiteren Verlauf und mündet in einen hell-gleisenden Break in der Mitte. Schöner Warm-up-Track. Slany werden wir auf jeden Fall mehr im Blick behalten.

Das Mastering der Compilation lag übrigens auch in Leipziger Hand: Farkas, eine ebenfalls hörenswerte Neuentdeckung.

Jens’ Hit: „Unknown Caller“ – Why: Weil Leipzig-only.


Nspktklr – „Witchcraft EP“ (Self-released)

In unserer April-Ausgabe machen wir eine Ausnahme, was Rap angeht: Normalerweise spielt das bei uns keine Rolle (obwohl in Leipzig viel geht), aber bei Nspktklr haben wir etwas genauer hingehört. Denn die Tracks der neuen EP sind gemeinsam mit der Leipziger Producerin supaKC entstanden. Die „Witchcraft EP“ nimmt im Namen schon einiges vorweg: Es geht um Witchrap mit augenzwinkernd-okkulten Referenzen und jeder Menge dunkel-sphärischen bis pathetisch und bassgeladenen Trap- und Wave-Sounds. Musikalisch schon special, gerade weil hier sehr fluide zwischen Metal-Double-Bassdrum, Techno-Beat und Trap-Bounce geswitcht wird. Und auch die Texte wagen sich in verschiedene Übergangsräume zwischen Okkult-Klischees, Battle-Bars, Szene-Kritik und Storytime. So richtig catcht mich diese EP aber dennoch nicht, hauptsächlich stimmlich nicht. Bei Rap ist das aber mit das entscheidende Element. Und für Witchrap fehlen mir irgendwie die echten Überzeichnungen, es bleibt recht brav insgesamt. Aber hey, ich bin auch einfach nicht die „Zielgruppe“.

Jens’ Hit: „Hardcore“ – Why: Erst Doube-Bass, dann 4-to-the-floor – wild, gibt mir Think-About-Mutation-Flashbacks.

CommentComment

    RelatedRelated

    zum Seitenanfang scrollen