Vor einigen Wochen erschien das Debütalbum des Leipziger Trance-Acts Butschi. In unserer New-In-Redaktion gibt es dazu durchaus unterschiedliche Meinungen, die wir hier gern mit euch teilen.
„Clouds Over My Mind“ heißt das erste Album von Butschi, ein kompaktes Acht-Track-Album, das laut Presse-Info den „alten“ und „neuen“ Butschi vereint – also nicht nur softe Leichtgängigkeit, sondern auch eine gewisse Melancholie. In unserer aktuellen Ausgabe vom New In Radio haben wir bereits etwas ausführlicher über das Album und Trance im Allgemeinen gesprochen. Das war so spannend, dass wir die Review zum Album auch zweiteilen – in ein Pro und Contra. Zur Einstimmung könnt ihr hier in das Album selbst reinhören.
Was denkt ihr zum Album? Sagt es uns gern!
David meint: Butschi schafft es, mit Emo und Trance zwei adoleszente Erfahrungswelten zu harmonisieren
Eigentlich sollten doch alle happy sein. Nach langen Jahren in der seltsamen Schattenwelt elektronischer Tanzmusik, fernab der zeitgeistigen Diskurse und des kritischen Erfolges, entdeckt eine Generation junger Produzent:innen Trance wieder. Nach der (pop-, sub- und überhaupt) kulturellen Zäsur der Covid-19-Pandemie wirkt das eigentlich folgerichtig; es geht um Hedonie in post-epidemischen Zeiten, um ein einfache, demokratisierte Teilhabe am subkulturellen Leben; einem nur allzu nachvollziehbaren Bedürfnis der Generation, deren subkulturelle Erfahrungswelt zu einem kritischen Zeitpunkt für gar nicht so kurze Zeit komplett auf Eis gelegt wurde.
Und ist es nicht Geschichte, die sich hier wiederholt? In seiner ersten Blüte in den frühen Neunzigern war Trance, gedacht hier sowohl als Musik, aber auch als Set kultureller Praktiken, die hier jetzt einfachmal als Szene zusammengefasst werden, ja vor allem in erster Linie Euphorie. 25 Stunden im Ufo in Frankfurt durchfeiern, einfach um den extremsten denkbaren Gegensatz zu setzen. Kein Gedanke an morgen, den Moment noch chemisch verstärken, eine Art ekstatisch gelebtes Carpe Diem. Kann man es also der post-pandemischen Generation verübeln, genau diese Hebel wieder aufleben zu lassen?
Und so leid es mir tut, aber ich denke an diesem Punkt müssen wir einmal über Gatekeeping reden; ich befürchte, es tut sich hier ein Generationengraben auf, an dem wir einmal genauer hinschauen sollten. Trance der frühen Neunziger wurde zum Teil ja von Personen mitgeprägt, deren Impact aber mal ganz weit über Marathon-Raves hinausging. Visionen von Clubkultur, Weiblichkeit im Produzent:innentum, politische Äußerungsformen und die Auflösung diverser Widerstände – all das findet man im Trance-Zeitgeist der 1990er Jahre wieder, und vieles davon kennen wir heute nicht als bloße Nachwirkungen, sondern als Manifestationen. Oder anders gesagt: Viele Errungenschaften dieser Zeit erscheinen uns heute selbstverständlich. Man darf nicht vergessen: Die Love Parade in Berlin war 1996 das erste Thema in der Tagesschau; ein Massenphänomen vor dem Internet. Da waren die Protagonisten der derzeitigen Trance-Renaissance größtenteils nicht mal geboren.
Aber, und das ist vielleicht das Entscheidende: Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass Protagonist:innen wie Butschi ein Interesse daran haben, diese Geschichte fortzuschreiben. Man hört es seinen Tracks an – Butschi bringt eine sehr eigene, sehr genuine, und – ich gebe zu, ich hasse, dass ich das so schreibe aus verschiedenen Gründen – eine frische, weil junge Perspektive in seine Musik. Klar dienen tendenziell klassische Trance-Muster mit 140 bpm aufwärts hier als Canvas, aber mit einer Nonchalance, die sich halt wirklich in erster Linie mit jugendlicher Unbekümmertheit erklären lässt, legt er eine Melancholie in seine Spielart von Trance, die fast schon so eine kitschige romantische Energie erzeugt, wie sie emotional agitierten Stürmer:innen und Dränger:innen zusteht. Oder anders formuliert: Irgendwie hat er einen Weg gefunden, mit Emo und Trance zwei adoleszente Erfahrungswelten zu harmonisieren. Und, auch nicht zu verachten: Als Produzent gelingen ihm eben auch die selbstbewussten Big-Room-Momente; die große Geste sitzt.
Damit fordert er Genre-Konventionen heraus, aber aus dieser Herausforderung entsteht auch einfach mehr Reiz und Reibung als um technisch perfektionierte Epigonen.
Im Grunde wiederholt sich hier ja nur ein uraltes Muster subkultureller Transfomation: die derzeit lauteste Generation krallt sich etwas, was ihr nicht gehört; und fügt ihre eigene Dimension hinzu. Findet nicht jede:r toll, aber das wiederum darf (!) unsere jungen Visionär:innen gar nicht interessieren. Und ich bin zuversichtlich, dass es das auch nicht tut. Die Debatte per se gab es ja schon viele Male und die Positionen sind so klar verteilt, wie sie auch asymmetrisch sind: die Zeitzeug:innen beklagen Verrat und Verruf, die aktuellen Protagonist:innen finden das bestenfalls unterhaltsam und sorgen sich ansonsten nicht weiter drum – und haben doch noch immer gut daran getan.
Bedeutet das, dass mich die Musik von Butschi abholt? Nicht komplett. Ich finde Passagen auf der Platte, die mir gut gefallen, anderes lässt mich kalt. Den subkulturellen Moment finde ich aber in der Tat unfassbar spannend, weil solche Augenblicke immer auch Ausdruck eines Aufbegehrens gegen etablierte Konventionen sind.
Nils meint: „Clouds Over My Mind“ ist zu gleichförmig und durchstrukturiert
Trance was my first love. Und wie das mit der ersten Liebe so ist, lässt sie einen nie richtig los. Man denkt (hoffentlich) gern daran zurück und sie ist auch etwas wie eine Richtschnur für zukünftige Lieben.
Mitte der 1990er waren Techno, House und Trance im Mainstream angekommen und zwischen den Musikvideos auf Viva und anderen Musiksendern lief Werbung für diverse Compilations eben dieser Genres. Nach ersten Anbandelungen mit Hardcore-Techno und Gabber sowie den dazu passenden Thunderdome-Compilations merkte ich schnell, dass es vor allem die melodiöseren und flächigeren Parts in den Tracks waren, die mir gefielen – und somit war der Weg zu meiner ersten Trance-Compilation nicht weit.
Lese ich mir heute die Tracklist von „Trance Nation 95“ durch, muss ich sagen, dass sich zahlreiche Tracks auf der Zusammenstellung finden, die heute als Klassiker des Genres gelten. Stücke von Emmanuel Top, Resistance D, Sunbeam oder Lazonby sind (in meinen Ohren) sehr gut gealtert und haben den Weg bereitet für meine Liebe zu elektronischer Musik im Allgemeinen, aber eben auch für einen nicht enden wollenden Hang zu „tranciger“ Musik. In den letzten Jahren ist mein Interesse an dem Genre, vor allem aber an Produktionen aus den 1990ern auf Labels wie Eye Q, Superstition und Le Petit Prince wieder entflammt.
Mit Wohlwollen beobachte ich zudem eine fast schon seit Jahren andauernde Rückbesinnung auf die goldenen Jahre des Genres in Produktionen von DJ Metatron bis Nthng. Teilweise finden sich in den Titeln sogar direkte Bezüge zur Trance-Musik der 1990er Jahre (man nehme zum Beispiel DJ Metatrons „Oh Ah“ in dem fast schon skrupellos DJ Dave Davis’ „Transfiguration“ gesampelt wird, ein Hardtrance-Klassiker auf dem Label Bonzai).
Nicht nur im sogenannten Underground ist Trance wieder ein Thema. Nein, auch im Mainstream scheint es angekommen. Aber ich lasse mich zu der These hinreissen: Trance ist nicht gleich Trance. Ich finde es nur logisch zu behaupten, dass es zum einen (wie in jedem anderen Genre auch) qualitative Unterschiede gibt und zum anderen sollen und wollen unterschiedliche Tracks auch ein unterschiedliches Publikum erreichen. Oft hört man, Trance polarisiere, an dieser Musik scheiden sich die Geister, Trance sei was für junge Leute. Und ich finde dabei sollte immer die Frage gestellt werden, über welche Art von Trance reden wir gerade? Trance muss nicht zwangsläufig einfältig oder einfach sein, Trance kann durchaus Tiefe haben und einen berühren.
Und um diesen riesigen Bogen endlich zur Rezension zu Butschis „Clouds Over My Mind“ zu schlagen, steigen wir direkt mal mit dem Informationstext zu seinem Debüt-Album ein. Ein Album mit acht Tracks, das sich programmatisch in zwei Teile teilt. Zwei Schalplatten, die den Sound des „alten“ und des „neuen“ Butschis repräsentieren sollen. Die Party und das Feiern stehen der mentalen Ausgelaugtheit und den Erschöpfungszuständen gegenüber. Ich muss zugeben, dass ich den alten Butschi bislang noch nicht kannte, aber ein Blick auf Soundcloud verrät mir, dass Butschi mit Edits bekannter Popsongs („Empire State Of Mine“, „Video Games“ usw.) und eigenen Pop-Trance-Tracks, die wahnsinnig viele Klicks generieren konnten, seine Fanbase zu haben scheint.
Das spaßige und verführerische an Edits bekannter Popsongs leuchet mir völlig ein. Du bist auf einer Party und auf einmal kommt eine Hook, die man aus einem anderen Kontext kennt und man kann zu dem Track im neuen Gewand weiter feiern. Ich persönlich finde solche Edits oder ravige Versionen poppiger Lieder oder Schlager furchtbar und fühle mich schnell an die Kehrseite der Rave-Revolution Mitte der 1990er erinnert, als „Somerwhere Over The Rainbow“ oder Blümchen die Charts und auch teilweise die Raves dominierten. Und das sind noch die erträglichen Beispiele aus dieser Era. Der „alte“ Butschi ist nicht für mich und ich ertrage diese Art von Musik ca. zehn Sekunden.
Wenden wir uns der aktuellen Platte zu und hören diese völlig unvoreingenommen von vorne bis hinten durch. Sie soll für einen neuen und melancholischeren Sound stehen. Und das tut sie tatsächlich. Ich habe mir das Album zweimal von vorne bis hinten durchgehört und musste nicht abbrechen auf dem Weg. Ich finde die Titel beim ersten Hören erstaunlich unepisch für Trance. Im Pressetext werden Referenzen wie das Label Eye Q angeführt, was von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre den Sound aus Deutschland prägte und auf dem zahlreiche, sehr deepe Trance-Klassiker erschienen sind.
Die Produktionen von Butschi erinnern mich tatsächlich eher an den Sound der späten 1990er und der 2000er Jahre, als beispielsweise Artists wie Kai Tracid, Talla 2XLC, Paul van Dyk und Future Breeze die Szene dominierten. Es fehlt mir trotz der technisch guten Produktion an Tiefe und auch an einem Sound, den man als Markenzeichen des Produzenten ausmachen könnte.
Viele Titel klingen sehr ähnlich. Die Beats muten generisch an, alles scheint in der gleichen Geschwindigkeit zu laufen und wirklich jeder Track hat die Offbeat-Bassline auf zwei bis drei Tönen.
Tiefe entsteht für mich nicht durch ein Female-Voice-Sample oder zwei Orgel-Akkorde in Moll. Die Tracks sind allesamt sehr gleichförmig und durchstrukturiert. Jeder Sound ist glasklar hörbar. Es gibt keinen Dreck. Das deutet einerseits auf gutes tontechnisches Verständnis des Produzenten hin, andererseits fehlt mir bei den Titeln das gewisse Etwas. Die Merkmale und die Sounds von Trance sind da, aber wie ich bereits versuchte deutlich zu machen: Trance ist nicht gleich Trance!
Trotz allem möchte ich festhalten, dass die Platte in eine deutlich angenehmere Richtung geht als vorherige Produktionen des Künstlers. Ich supporte es zudem zu 100 Prozent, dass sich eine neue Generation an DJs und Produzent:innen aufmacht, diese Genre für sich neu zu entdecken und zu erkunden. Dieses Album ist für mich eine Platte eines Produzenten, der zwar einen neuen Weg geht, aber bis die Tracks an die im Infotext erwähnten Referenzen wie Eye Q heranreichen, wird es wohl noch eine Weile dauern.