Oh oh, im Pseudoym-Dschungel ist hier eine Kassem Mosse-Platte durch die Lappen gegangen. Schon im Juni erschien auf dem japanischen Label Mule Electronic eine Platte als Seltene Erden. Nur wenige Tage liegt dagegen die Nonplus-Platte von ihm zurück.
Zugegeben: der Artist-Name könnte in seiner verschwommenen und poetischen Mystik auch aus dem Dark Wave- und Gothic-Umfeld stammen. In Wirklichkeit ist es aber Gunnar Wendel alias Kassem Mosse, der hier vier neue Tracks veröffentlicht. Doch braucht es den anderen Namen? Jein. Denn für jemanden wie Kassem Mosse kann solch eine Platte Testlauf und Befreiung zugleich sein. Sein Name ist längst zum Trademark geworden und daran geknüpft sind bestimmte Erwartungen und Vorurteile. Auch ihm selbst ist das durchaus bewusst. Und so stehen die Tracks für sich im Raum, ohne Kassem Mosse-Stempel.
Seltene Erden scheint denn auch nicht als neues und offizielles Seitenprojekt geplant gewesen zu sein. Das Label spricht von einem neuen Künstler, auf der Facebook-Seite von Kassem Mosse findet sich kein Verweis das Seltene Erden-Debüt. Doch das Internet ist schneller. Bei Discogs gibt eine Verlinkung zwischen Kassem Mosse und Seltene Erden, Monday Edition wusste auch Bescheid.
Vom Sound der vier Stücke her ist die Nähe dann natürlich nicht von der Hand zu weisen. Im Detail fallen sie jedoch entzerrter und noch eine Spur historischer aus – einerseits in einem Ambient-Rahmen bei „Bayan Obo“ und „Hoidas Lake“, andererseits in einem forschend-rohen Chicago-Kellerstudio-Rahmen bei „Northern Rae“ und „Kvanefjeld“. Das Tempo bei letzteren beiden Stücken ist indes noch einige Gänge mehr runter gedimmt, hin zu roughem Beatdown mit schwelgerischem Industriecharme.
Auf Nonplus Records, dem eher im Dubstep verwurzelten Londoner Label bleibt alles offiziell – wie schon bei der ersten Platte dort. Doch so charakteristisch Kassem Mosse in seinem Sound ist, so sehr überrascht er mit dieser EP. „Enoha“ beispielsweise, weil das Stück sehr schlank und stromlinienförmig im Techno unterwegs ist. Fordernde Hi-Hats, keine gestenreichen Snythie-Chords. Techno kommt wieder, ist davon nicht schon länger die Rede?
Die drei anderen Stücke überraschen dann weiter als Set – denn sie bewegen sich in dem für Kassem Mosse sich gleichberechtigt entfaltenden experimentellen Sound zwischen Electronica und Electro. In dieser Dichte kam diese Seite von ihm allerdings noch nicht zum Vorschein. Es ist eine wesentlich düstere Platte als vieles, was zuvor von Kassem Mosse erschienen ist. Das Schwelgerische weicht einem harschen, unberechenbaren und dicht verschlungenen Hybriden für die ausfransenden Ränder des Dancefloors.
Vielleicht die darkeste Platte von Kassem Mosse überhaupt. Aber sie zeigt auch, dass er in der selbst erarbeiteten künstlerischen Freiheit eigentlich nicht unter anderen Namen zu veröffentlichen braucht. „Enoha“ ist als Gesamtes nämlich überraschender und wegweisender als der Inkognito-Ausflug von Seltene Erden.
Nonplus Records Website
Mule Electronic Website
Mehr zu Kassem Mosse auf frohfroh