Leipzig ist das neue Berlin? Erst letzte Woche holte ein ZEIT-Artikel diesen Vergleich wieder hervor. Doch so aktiv die hiesige Szene ist – sie kommt auch an ihre Grenzen. Gerade in dem direkten Vergleich mit der Hauptstadt. Darum trafen wir uns mit Nadine Moser alias Resom. Als DJ, Bookerin und Partyveranstalterin kennt sie beide Städte bei Tag und Nacht.
Seit über einem Jahr lebt Resom in Berlin und ist Veranstalterin im Club ://about blank. Nebenbei bucht sie für Kassem Mosse, Mix Mup, Lowtec und andere die Auftritte. Und natürlich legt sie weiterhin selbst auf. Zuvor prägte sie jedoch über Jahre hinweg die Leipziger Clubkultur. Als Teil von Homo Elektrik, aber auch mit ihrem Engagement bei Projekten wie Propellas, Do it herself oder Caramba Records. Im Südblock am Kottbusser Tor trafen wir uns zu einem Gespräch über Berlin und Leipzig.
Was genau machst du im ://about blank? Bist du dort freie Mitveranstalterin oder gibt es Strukturen, in denen du mit drin steckst?
„Das ist eine längere Geschichte. Da gehört auch viel persönliche Beziehung dazu – vor allem die engen Beziehungen zu einzelnen Leuten vom Kollektiv des ://about blank. Sie haben mich in den letzten Jahren als DJ immer gepusht und zu allen ihren Veranstaltungen eingeladen. Das war aber noch weit bevor es den Club gab. Als sie dann dieses Kindergartengelände gefunden hatten, gab es natürlich den Bezug, obwohl ich zu der Zeit noch in Leipzig war. Ich durfte zu fast jeder wichtigen Veranstaltung auflegen, wofür ich sehr dankbar bin.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass das ://about blank der Ort ist, an dem ich eigentlich schon immer tätig sein wollte und dass es das ist, was ich in Leipzig immer vermisse. Meine Stelle in Leipzig lief auch aus, ich war durch mit der Stadt, brauchte neuen Input. Ich kam hier nicht weiter – weder beruflich, noch musikalisch. Ich habe auch schon mal in Berlin gelebt und wollte gern wieder mein gewohntes Umfeld reaktivieren.
Zumal ich zur gleichen Zeit auch das Booking für die Workshop-Jungs und Kassem Mosse angefangen hatte. Es war klar, dass ich das etwas professionalisieren will. Und in Leipzig gab es nicht die Möglichkeit mich auszutauschen für ein Booking auf meine Weise. In Berlin habe ich ganz andere Kontakte. Es bringt keine Punkte, die Leute immer nur auf Partys zu treffen.
Man möchte sich doch auch mal zum Essen verabreden und in Ruhe einen Kaffee trinken. Oder einfach mal Fragen austauschen, was der und der Paragraf in dem Vertrag aussagt. Ich habe das nicht gelernt, sondern schüttele mir das alles aus dem Ärmel. Das ist super hier und das habe ich in Leipzig immer vermisst. Klar gibt es Buki Good, was auch großartig ist, aber dahin hatte ich nie einen so persönlichen Draht.“
Hast du aber eine konkrete Rolle im ://about blank?
„Ich habe angefangen bei ‘Memory’ mitzumachen, einer der ersten Kollektivveranstaltungsreihen. Es gibt mittlerweile fünf Reihen vom ://about blank selbst – Cotton Wood, Contour, Memory, Zeroize und Ghosts. Memory macht wahnsinnig viel Spaß und wir haben in der Stadt auch schon einen Ruf für ‘sophisticated’, also besondere Veranstaltungen, bei denen es um eine bestimmte Atmosphäre geht, mit einer Musik, die eine Nische füllt, aber nicht total unbekannt ist.
Und wir versuchen eine Mischung aus local support zu geben für noch eher unbekannte Leute wie Helena Hauff oder Mix Mup, von denen wir sagen, dass das was ganz besonderes ist und die wir mehr in Berlin verankern möchten, sowie unserem eigenen Support und Künstlern, die es sonst nur in der Panoramabar oder gar nicht hier zu sehen gibt, hinzubekommen. Und das funktioniert unserer Meinung auch ganz gut.“
Die Leipziger Verbindungen kommen dann hauptsächlich durch dich, oder auch noch andere?
„Nein, nicht nur durch mich. Es gibt viele persönliche, über Jahre entstandene Beziehungen zwischen ://about blank-Leuten und etwa den alten Homo Elektrik-Leuten oder dem Conne Island Umfeld. Da ist ein Fundament entstanden. Es gibt auch starke Bezüge zwischen Potsdam und Leipzig. Genauso wie zwischen Potsdam und dem ://about blank-Kollektiv durch die Leute aus dem alten Spartacus-Umfeld.
Es ist eine große Clique und das erweiterte Umfeld darum, was aber vorher schon präsent war. Viele aus dem ://about blank-Kollektiv kannte ich auch schon vorher, aber aus ganz anderen Richtungen. Im Endeffekt ist die Welt eben doch kleiner als angenommen.“
Wo siehst du konkret Unterschiede zwischen der Clubkultur von Leipzig und Berlin?
„Ich glaube, es ist vor allem die Menge an Menschen, die sich für eine spezielle Art von elektronischer Unterhaltungsmusik zusammenfindet. Ich denke, dass es alles, was es in Berlin gibt auch in Leipzig gibt. Aber es macht die Menge der Menschen aus. Die Prägnanz des Freak-Faktors ist in Berlin natürlich wesentlich höher. Es gibt hier soviel mehr Labels, Plattenläden, Musikkonsument/innen und überhaupt von allem mehr – das heißt aber nicht, dass die Qualität dadurch besser wird.
Musikalisch würde ich da gar nicht so Unterschiede sehen. Außer, dass es in Berlin bei House durch Leute wie Prosumer, Tama Sumo oder Steffi einen prägnanteren Chicago House-Input gibt. Es besteht auch viel eher einen Bezug zum alten Holland-Electro, der in Leipzig eher durch die Blackred- und Audiofiction-Leute vertreten ist. In Berlin ist das alles viel präsenter, es gibt mehr Fans, die zu der Musik tanzen gehen. Und was es auch unterscheidet, ist die Möglichkeit auszugehen an sich.
Leipzig hat nicht mehr den einen Club, den es aber wieder bräuchte – vor allem vom Soundsystem her. Es fehlen die Nische, aber auch die Finanzen um Experimente überhaupt finanzieren zu können. Zu viele haben sich daran schon versucht und sind leider gescheitert. Klar dass dann vor allem Konsensmusik von Konsensmusiker/innen gespielt wird. Ich finde aber zum Beispiel das Booking im Sweat Club erstaunlich mutig und spannend.
Es gibt auch viele Veranstaltungskollektive, die eine gute Anlage haben und die sich Orte suchen, an denen man viel Spaß haben kann und gleichzeitig Orte neu definiert. Aber auch das wird mit der Suche nach passenden Locations immer schwieriger. Zumal die Repression durch die Provinzsheriffs immer mehr zunimmt.“
Sind in Berlin aber auch noch mehr Freiflächen vorhanden? In Leipzig wird dies ja schon als Problem gesehen.
„Es verändert sich. Im Gegensatz zu Leipzig ist Berlin ja permanent in Bewegung. Man hat hier eine ganz andere Veränderungsgeschwindigkeit. Es entstehen neue Sachen, dafür gehen andere kaputt. Es gibt hier auch nicht unbedingt mehr Freiflächen, sondern mehr Mut, mehr Risikobereitschaft, vielleicht auch einen größeren Teil an Naivität. Das alte Bar25-Gelände wurde jetzt von den alten Betreibern gekauft – klar ist das stadtpolitisch gesehen ein Erfolg für die Szene.“
Kommt Leipzig einfach automatisch an seine natürlichen Grenzen, oder meinst du, dass etwas grundlegend fehlt? Oder gibt eine irgendeine Schrulligkeit, die Leipzig im Weg steht?
„Wenn ich mir die letzten zwei Jahre anschaue, in denen ich noch in Leipzig gewohnt habe und sehe, was es an illegalen Open Air-Veranstaltungen gab, kann man schon sagen, dass sich das potenziert hat – in einer Dimension, bei der klar war, dass die Stadt irgendetwas dagegen tun wird. Es gibt auch gar kein Bewusstsein mehr der Gäste für den Umgang mit der Natur oder den Respekt vor der Möglichkeit, dass dies so stattfinden kann.
Gerade auf der Fläche am Richard-Wagner-Hain lag Müll in unglaublichen Mengen verteilt rum. Die Qualität des Publikums hat sich auch verändert. Als musikliebende und extasesuchende Person ist man da einfach nicht mehr weiter gekommen. Das war für mich dann nicht mehr interessant. Ich war davon abgegessen, weil es auch respektlos war. Alle haben plötzlich Open Airs veranstaltet und es gab nicht mehr dieses Besondere… aber meckern ist leichter als machen.“
Wann hast du Leipzig verlassen?
„Offiziell im Juli letzten Jahres, aber ich habe den Umzug über Monate vorbereitet und war schon sehr viel in Berlin. Die Bezüge zu Leipzig gehen ja auch nicht verloren. Wenn man da einmal eine Basis hat, bleibt die auch bestehen. Es ist nicht so, dass ich dort mit niemanden zu tun habe oder dass ich da nicht mehr hin will – eher im Gegenteil. Ich bin weiter viel in Leipzig und liebe die Stadt auch. Es hat eine ganz andere Qualität, die Ruhe genieße ich schon. Aber ich bin auch froh, dort keinen Alltag mehr zu haben.“
Du warst in Leipzig in einigen clubkulturell geprägten Projekten beteiligt, bei denen es um die Förderung von Mädchen und Frauen ging. Braucht es das in Berlin auch oder ist hier ein anderes Selbstverständnis da?
„Schwierige Frage. Es hat beides. Es gibt hier viel mehr Initiativen, die solche Arbeit leisten und es gibt auch eine andere Notwendigkeit. In Leipzig hatte ich oft das Gefühl, dass man noch Grundlagenarbeit leisten und gleichzeitig im Austausch mit Projekten aus anderen Städten ein Niveau halten muss, dass in der Breite des Spektrums eine echte Herausforderung war. Man hat in Leipzig eben beides: die Grundlagenarbeit, die die Frauenkultur immer noch bietet und Projekte wie Do it herself und den DJ- und Band-Proberaum im Conne Island.
Andererseits gibt es im Austausch mit anderen Projekten ein relativ hohes Niveau, gerade mit Sachen wie Outside The Box oder AFBL, die in der Qualität der Diskussionsführung auf einem ganz anderen Level sind. Das hat man in Berlin in einem wesentlich breiteren Spektrum. Es gibt hier mehr eine queere-homosexuelle Debatte. Letztens bin ich auch von jemandem gefragt worden, der gerade von England nach Leipzig gezogen ist, wo denn die ganze schwule Szene sei. Ich musste lange darüber nachdenken und dann sagen, dass sie mittlerweile alle in Berlin sind.
Den Anspruch habe ich natürlich immer noch, aber ich bin nicht mehr so fixiert darauf. Bei diesem Umzug nach Berlin ging es vor allem einmal um mich und nicht um die Förderung anderer – auch wenn ich das mit dem Booking noch mache. Ich habe über die Jahre immer in einer Gruppenidentität gedacht, und jetzt hat sich der Fokus etwas verlagert. Natürlich achten wir bei unseren Veranstaltungen darauf, dass auch Female-DJs mit am Start sind. Aber dadurch, dass es im ://about blank vier Resident-Female-DJs gibt, ist es viel einfacher als in Leipzig.“
Beobachtest du noch, was in Leipzig passiert.
„Ja. Do it herself gibt es als Gruppe weiterhin. Interessant ist übrigens, dass eine aus der Gruppe in Markkleeberg ein Studio aufgemacht hat. KC hat das von der Stadt Markkleeberg gefördert bekommen. Sie gibt dort auch DJ- und Ableton-Kurse. Andere haben danach ebenfalls angefangen ihre eigenen Sachen zu machen. Die Propellas machen auch noch ab und zu mal was. Der DJ-Proberaum für Frauen im Conne Island wurde laut meinen Informationenen gerade verlegt, wird aber weiterbetrieben.
Überhaupt gibt es von Seiten Einzelner ziemlich viel Aktivität, soweit ich das von hier aus beurteilen kann. Aber ich denke, dass es gerade auch ein Generationsproblem gibt. Es gibt nicht viel Nachwuchs. Das haben wir auch bei Do it herself festgestellt. Unsere Annahme, dass es so etwas wie eine Notwendigkeit dafür gibt, hat sich nicht so recht bestätigt. Natürlich gibt es Nachwuchs, aber der ist sehr dezimiert.
Kurioserweise treffe ich selbst jetzt noch Frauen, die heute auflegen und die mich daran erinnern, dass sie einmal einen Kurs bei mir hatten. Es gibt schon noch einzelne, die sich dafür interessieren, aber in der ganzen Breite hatte es nicht diesen Effekt, den wir erwartet haben. Trotzdem sind solche Projekte wie Electricdress in Berlin oder eben Do it herself in Leipzig wichtig und notwendig und von meiner Seite aus immer unterstützenswert.“
Wenn du jetzt doch noch einmal nach Leipzig zurückziehen würdest – was würdest du zuerst angehen?
„Ich würde mir eine Wohnung außerhalb des Bermudadreiecks suchen und dann weiterschauen. Aber ohne konkreten Job würde ich erstmal nicht nach Leipzig zurückgehen. Dafür gefällt es mir in Berlin viel zu gut. Allein schon die Auswahl der Plattenläden ist so großartig, die Vielfalt der alltäglichen Überraschungen trotz der Routine oder die kulinarische und kulturelle Vielfalt.
Leipzig hat eine starke Kulturszene und viele Menschen die sich subkulturell engagieren. Insgesamt wäre es aber wünschenswert, wenn auch die Stadtpolitik endlich kapieren würde, dass der Charme dieser – sich doch immer noch in Sachsen befindenden – Stadt durch diese starke Subkulturszene geprägt ist.“