Praezisa Rapid 3000 haben ein neues Album – mit einem ganz woanders hingewehten Sound. Simon12345 erklärt, wie es dazu kam.
Zwischen Amsterdam und Leipzig gibt es mittlerweile eine gute Direktverbindung mit dem Flugzeug. Meinte Steffen Bennemann neulich. Theoretisch könnte die auch Präzisa Rapid 3000 zugute kommen. Über beide Städte verteilt leben die drei Köpfe hinter der Band, die sich musikalisch so schwer greifen lässt, indem sie herrlich eigenwillig die Unberechenbarkeit kultiviert.
„Miami/Mumbai“ heißt das zweite Album. Wieder erscheint es in zwei Varianten – die CD-Version beim japanischen Label Noble, die Vinyl-Version beim bandeigenen Doumen Label. In Amsterdam antwortete Simon12345 auf einige frohfroh-Fragen. Das Interview ist eröffnet.
Was war denn bei euch los – große Reisen, eine neu entdeckte Liebe für Folklore?
Ehrlich gesagt hat Devaaya ja jahrzehntelang in Goa gelebt, das heißt für ihn ist ein indisches Ragga ja auch bloss Volksmusik. So große Reisen waren für diese Einflüsse also gar nicht nötig. Der Stilwechsel hat damit zu tun, dass wir irgendwie ausgebrannt waren nach dem letzten Album. Wir hatten auch das Gefühl, dass wir zwar weitermachen können, aber auch gar nichts zu sagen haben, wenn wir einfach nur genauso weitermachen.
Das gilt eigentlich auf ganzer Linie. Und dann haben wir Devaaya das erste mal richtig zugehört, es war aber auch das erste mal, dass er wirklich mit im Studio war und Ideen beigesteuert hat. Sonst hat er immer nur seinen Roadie David geschickt. Naja und dann kam diese Weisheit und diese Offenheit von ganz alleine. In Devaayas Worten: „The sculpture has been standing there forever, all we had to do was to uncover it!“
Da schwingt doch aber auch eine Persiflage an World Music-Romantiken mit, oder?
Das stimmt. Wer mal reisen war und dieses sich täglich wiederholende Mantra von Gesprächen wie A: „Ey man … Laos is awesome, and Bolivia, I love La Paz … But my best time I had in Indonesia, Indonesians are so sweet.“; B: „Come on, that’s all far too touristic, the only real thing is northern India, it’s so beautiful.“ ertragen muss, der wird dann irgendwann nicht umherkommen, sich auch damit auseinanderzusetzen, was es eigentlich bedeutet, dass man da selbstsicher mit oberflächlich rosaroter Brille durch ferne Kulturen stapft.
Und dann nimmt man sich mit was einem gut passt und prahlt damit den Rest seines Lebens rum. Oft ist da ja nicht mal ein wirkliches Interesse, es geht dann meist nur um die nächste Mail an die Leute zu Hause und das nächste total transzendierende Erlebnis von dem man anderen erzählen kann – in der Hoffnung, dass man dadurch mehr wird als vorher. In Indien rumzulaufen und zu erzählen wie romantisch alles ist und dass alle Leute dort immer lächeln, finde ich extrem merkwürdig.
Dinge sind ja nicht weniger interessant nur weil sie nicht immer positiv sind. Wenn immer alles „awesome“ ist, dann stimmt irgendwas nicht. Bzw. sollte man sich nochmal die Augen reiben und vielleicht genauer hinschauen. Aber man ist ja selbst auch immer Teil des Problems, deswegen habe ich mich beim Reisen teils auch sehr merkwürdig gefühlt. Naja und solche Sachen haben wir auch auf eine etwas zynisch humoristische Art in unsere Musik einfliessen lassen.
Woher stammen die Samples – Field Recordings?
Die Samples stammen aus verschiedensten Quellen. Größtenteils selbst recorded. Sie Flöte in „Ukrainian Dirtmob“ ist zum Beispiel Devaaya an der Klarinette in der Ukraine und das ganze dann ordentlich hochgepitcht. Ansonsten sind auch einige Field Recordings aus Indien und Nepal drin, speziell recht viel aus Kathmandu. Und dann noch einige Samples von so richtig alten und Einzelstück-7“es und so Zeugs aus verschiedensten Ecken der Welt. Da haben wir so einige Perlen entdeckt, von Thamil-Acapellas bis hin zu Luk Thung-Instrumentals, super Zeug. Deva kennt sich da auch echt hervorragend aus.
Wie war die Reaktion der Remixer auf das Ausgangsmaterial?
Nunja, also die beiden japanischen Remixer kennen wir nicht persönlich, nur ihre Musik. Das hat alles unser Labelchef dort arrangiert. Man geht ja auch immer davon aus, dass Leute Englisch können, aber die beiden zum Beispiel gar nicht. Somit wäre Kommunikation auch fast unmöglich gewesen. Und Serph zum Beispiel lebt auch in einem Keller bei seiner Mutter ohne viel Kontakt zur Außenwelt, heißt es.
Bei Ras G war es anders, der war total locker und hat das alles „dope“ gefunden. Jo und dann ging es los bei Ihm, drei Remixe kamen und wir konnten aussuchen. Heatsick war auch interessant: Der meinte er hatte es erstmal paar Wochen auf dem Desktop liegen und dann hat er mal reingeskippt und meinte „cool, that’s cool … cool“. Das hat allerdings trotzdem noch ein Gespräch auf dem Nachtdigital gebraucht bis er wirklich losgelegt hat. Wurde dann aber auch super, finden wir.
Es gab aber ansonsten keine expliziten Kommentare zu dem Material. Insgesamt, denke ich, ist es sehr dankbar. Wir haben ja den Remixern alle Einzelspuren aller Lieder gegeben, zum damit machen was sie wollen, keine Einschränkungen oder Vorgaben. Da kann man sich wirklich austoben. Und solche Angebote gibt es nicht oft.Du lebst jetzt in Amsterdam, wie könnt ihr euch über die Entfernung für das gemeinsame Musikmachen motivieren?
Wir hatten unsere produktivsten Zeiten als wir nicht wirklich in einer Stadt gelebt haben. Denn dann trifft man sich für mehrere Tage und nimmt sich nur Musik machen vor und hat einen Haufen Themen und Sachen mit in seinem Rucksack, die man dann auch loswerden will. Und dann wird viel geredet, viel diskutiert und viel analysiert. Auch wirklich über unser aller Leben und warum wir tun was wir tun. Und erst nach und nach legt man dann los.
Das gibt dem ganzen – auch der Musik – so eine Tiefe und es ist für uns viel mehr als nur ein Produkt zu produzieren. Es ist wirklich ein Moment der Ruhe und Distanz vom Rest der Welt. Und inzwischen die einzige Zeit, in der wir wirklich zu dritt noch Zeit verbringen können, ohne dass das Telefon klingelt, Mails kommen und was weiß ich nicht alles drängt.
Ist natürlich für Vollzeitbeschäftigte mit Beziehung und Spaß an vielem ein planungstechnisches Debakel die ganze Geschichte, aber bisher machen wir es eben einfach, egal ob Armageddon oder nicht. Live spielen wir aber seltener ab jetzt. Lieber selten richtig und gern, anstatt immer mal wieder aber mit Stress.
In Japan wird eure Musik überaus wohlwollend aufgenommen – hast du eine Ahnung, warum?
Darüber haben wir eigentlich noch nicht viel nachgedacht, immer nur in Interviews. Die ganze Japan-Sache ist manchmal etwas schade, weil es soweit weg ist und man dadurch kaum Leute mal treffen kann, die einen da supporten. Gut, aber ich mutmaße mal zu den Gründen: Wenn man sich Serphs Musik anhört, der recht erfolgreich dort ist er verkauft bis zu 20.000 CDs pro Album – und hier fast komplett unbekannt, dann ist das sehr nervöse Musik mit vielen Wechseln und Kitsch.
Tja und in welcher Situation hört man sowas? Also ich vermute, dass es teils etwas damit zu tun hat wie Musik konsumiert wird. Wenn man ruhig sitzt und mit guten Kopfhörern unsere Musik laut hört, dann wird man sie am besten verstehen, genau wie die von Serph. In einem Club allerdings, oder auf Laptop-Boxen und wenn Freunde nebenbei da sind, funktioniert unsere Musik nicht so gut, genau wie die von Serph.
Naja und dann haben wir ja auch Humor in unserer Musik, das geht ja in Nordeuropa eh gar nicht klar. Witzige Musik, die sich auch noch Ernst nimmt ohlala – wer will denn sowas? Allerdings hatte die Noise- und Postrock- Schiene in Japan schon immer eine große Portion zynischen Humor in ihrer Musik, wenn ich so an Violent Onsen Geisha, Zazen Boys oder andere denke.
Aber wer kann sowas schon wirklich wissen, das muss in 40 Jahren mal ein Soziologe nachträglich erforschen. Ich denke in Tokyo in der U-Bahn eingequetscht würde ich gern mal selbst ausprobieren wie es wirkt, schön laut auf den Ohren unsere neue Scheibe zu hören. Wir haben ja vielleicht auch die Chance dazu im nächsten Frühling, denn wir planen eine kleine Japantour – ist aber noch nicht ganz raus wie und wann genau.