Ein Teil des lang ersehnten Manifests ist endlich da: frohfroh und feat. Fem haben gemeinsam daran gearbeitet, strukturelle Diskriminierung gegenüber Frauen in Zahlen sichtbar zu machen.
frohfroh gibt es seit zehn, fast elf Jahren. Das sind zehn Jahre, in denen wir Künstler*innen, Akteur*innen, Kollektive, Labels, Clubs und viele mehr bei ihrer Arbeit begleitet haben. Das sind zehn Jahre, in denen wir als Medium den Generationenwechsel in der Leipziger Clubkultur mit begleitet haben.
Zehn Jahre, in denen wir beobachtet haben, wie sich die Ansprüche an unsere Szene gewandelt und verlagert haben. Sowohl Angebot als auch Nachfrage sind in Bezug auf elektronische Musikveranstaltungen gestiegen; die Messlatte und das Niveau sitzen heute weitaus höher als damals. Das alles betrifft unter anderem aber vor allem alle Bemühungen, jegliche Diskriminierungsformen aus dem Clubkontext zu verbannen. Zehn Jahre heißen deshalb: höchste Zeit für Selbstreflexion.
Wir fragen uns, ob Leipzig dieser Prämisse, dieser Maxime gerecht geworden ist.
Inwieweit ist Sexismus in seiner strukturellen Diskriminierung in Leipziger Line-Ups (noch) präsent?
Sind diese Ansprüche, die wir an unsere Szene stellen, in den Bookings unserer Clubs aufzufinden? Oder haben Booker und Bookerinnen verpennt? Was kann verbessert werden?
Das Manifest
feat. Fem versteht sich als Plattform und Netzwerk, immer unter dem Fokus der Thematik “Feminismus im Club”. Das Projekt wurde 2017 ins Leben gerufen – wir stellten sie schon damals vor und redeten mit zwei ihrer Mitglieder über das Thema “Wie können Frauen in der Clubkultur präsenter werden?”. Schon damals hieß es: “Wir halten uns vielleicht für tolerant und gleichberechtigt, aber trotzdem sind die Line-ups sowie wichtige Positionen hinter den Kulissen der Clubkultur weiterhin hauptsächlich von Männern besetzt”. Mehr zu feat. Fem findet ihr weiter unten.
Unsere Chefredakteurin, Antoinette Blume, hat sich ein Jahr nach der Gründung von feat. Fem, 2018, mit zwei weiteren Mitgliedern getroffen: Anja Kaiser und Charlotte Eifler; den Artikel dazu lest ihr hier. 2018 steckte die Gruppe mitten in der Organisation für ihre zweite, große Veranstaltung. Mit ihr wurde ein Manifest angekündigt – “ob es eher ein Kritikbrief oder eine Club-Agenda sein wird,” stand “noch nicht ganz fest”.
Heute, zum internationalen Frauentag 2020, veröffentlichen wir gemeinsam mit feat. Fem einen Teil dieses Manifests. In Form einer Statistik legen wir die Prozentanteile von weiblichen und männlichen DJs in großen Clubs für elektronische Musik in Leipzig dar.
Diese Statistik ist ursprünglich als Grundlage für das Manifest geplant gewesen. feat. Fem zielte insbesondere darauf ab die Ansicht, die Leipziger Clublandschaft habe kein Sexismusproblem, empirisch zu widerlegen. In jener Hinsicht ist die Statistik ein Teil des ursprünglich konzipierten Manifests.
Vorwort/Transparenz
Die Idee einer quantitativen Untersuchung der Geschlechterverhältnisse im Booking Leipziger Nachtclubs basierte auf der Vorreiterarbeit der Wiener Datenbank femdex (mehr unten).
Die Clubs, die zur Untersuchung ausgewählt wurden, waren Clubs, die die Leipziger Clubkultur maßgeblich mitgestalteten: damals noch das So&So, das Institut fuer Zukunft, das Elipamanoke und die Distillery. Einerseits, so sagen es feat. Fem, wurden diese vier Clubs immer wieder durch frohfroh aufgegriffen (und erfuhren so ein gewisses Level an Relevanz), andererseits waren und teilweise sind dies auch jene Clubs, die eine betriebswirtschaftliche Struktur besitzen und nahezu jedes Wochenende eine Besucherzahl im dreistelligen Bereich aufweisen.
Aufgrund der inhaltlichen Interessen der Statistik und dem Trendvergleich entschied sich feat. Fem dazu, die Ergebnisse des So&So, welches Anfang 2019 schließen musste, zu streichen. Die hier vorgestellten Ergebnisse umfassen daher nur die drei Clubs Institut fuer Zukunft, Distillery und Elipamanoke für das Kalenderjahr 2017 und die Monate September bis einschließlich November im Jahr 2019.
Anhand des Line-Ups wurden die Künstler*innen in drei Kategorien eingeteilt: weiblich, männlich und nicht feststellbar. feat. Fem äußern hierbei das folgende Dilemma: “alleine die Konzeptualisierung der Einteilung war eine große Herausforderung, da hierbei die Gefahr bestand, bestehende Geschlechtsstereotype zu reproduzieren und damit eine mögliche Realität der Diversität zu verzerren”.
Aus diesem Grund haben sich die folgenden Prämissen zur Einteilung ergeben:
- Hat sich die untersuchte Person einer oder mehrerer Personen des Forschungsteams gegenüber in privaten oder öffentlichen Situationen als zu einem Geschlecht zugehörig definiert?
- Hat die untersuchte Person im öffentlichen Künstler*innenprofil auf Facebook ein Geschlecht angegeben?
- Wird die untersuchte Person in öffentlichen Promotionstexten und/oder Künstler*innenbeschreibungen mit einem Personalpronomen betitelt?
Sofern einer der drei Fragen mit “ja” beantwortet werden konnte, wurde geschaut, welchem Geschlecht die untersuchte Person zuzuordnen ist. Sobald keine der drei Fragen mit “ja” beantwortet werden konnte, wurde die untersuchte Person der Kategorie “nicht feststellbar” zugeordnet.
Die Zahlen
Das Institut fuer Zukunft gibt es seit fast sechs, das Elipamanoke seit dreizehn und die Distillery seit ganzen 28 Jahren. In der Recherche wurden sich zwei Jahre angeschaut – 2017 und 2019 – um zu vergleichen, ob sich gewisse Strukturen gewandelt haben und sich Trends erkennen lassen.
Nicht jeder Club kann 52 Samstagsveranstaltungen aufweisen, da in der Regel über einige Wochen eine Sommerpause eingelegt wird; hinzu kommen Ausfälle aufgrund sonstiger Gründe. So haben wir für das Institut fuer Zukunft 47 Veranstaltungen im Kalenderjahr 2017, für die Distillery 46 und das Elipamanoke folgt mit 42 Veranstaltungen. Da wir jeweils mehr als 30 Veranstaltungen ausgewertet haben, ist von einer Normalverteilung zu sprechen.
Wichtig ist hierbei, dass jeweils nur die Samstagsveranstaltungen der Clubs herangezogen wurden. Es fallen also alle Wochen- und Freitags-Veranstaltungen weg.
Die Datenanalyse zeigt, dass das Institut fuer Zukunft der einzige Club ist, der in die Richtung eines ausgewogenen Bookings steuert. Im Durchschnitt spielen acht bis neun Künstler*innen auf einer Samstagsveranstaltung des IfZ, wobei im Durchschnitt zwei bis drei davon weiblich sind. Dies lässt sich darauf übertragen, dass ca. ein Drittel der gebuchten Künstler*innen weiblich ist.
Deutlich unausgewogener sieht es bei den anderen beiden Clubs Distillery und Elipamanoke aus. Beide Clubs schaffen es nicht im Durchschnitt mind. eine weibliche Künstlerin im Booking aufzuführen. Die Distillery zeigt mit knapp unter 90% männlichem Booking eine stark einseitige Front, das Elipamanoke ebenfalls.
Die Daten aus dem Jahr 2017 können dennoch in keinster Weise als momentaner Ist-Zustand interpretiert werden. Wie sieht es also im Jahre 2019 aus?
Vorab gesagt: Die Daten für 2019 spiegeln nur eine Tendenz wider, da nur drei Monate des Clubbetriebs (September bis November, die ersten drei Monate der zweiten Saison nach der Sommerpause) ausgewertet wurden. Die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen, da wir jeweils nur elf bis dreizehn Veranstaltungen ausgewertet haben und somit besonders homogene Veranstaltungen stärker ins Gewicht fallen.
Die Tendenzen, die man erkennen kann, sind jedoch ähnlich erschreckend. Das IfZ bildet erneut ein relativ ausgeglichenes Line-Up ab, die Distillery hat über 10% an weiblichen Bookings dazugewonnen und das Elipamanoke hat sich mit einem 90%-igen Anteil an männlichen Artists weiterhin verschlechtert.
Schlussfolgerungen: Was heißt das? Wie geht es weiter?
Also – was sagen diese Zahlen uns?
Ist Leipzigs Clubkultur doch nicht so aufgeklärt, wie sie behauptet?
Sind alle Initiativen, die auf das Empowerment von Frauen abzielen für nichts gut gewesen? Welche Unterschiede zwischen 2017 und 2019 sind auch außerhalb der Statistik erkennbar?
Zu Beginn: es ist alarmierend, dass sich für zwei Clubs, die maßgeblich die elektronische Musikszene mit gestalten, die Werte in einem zweijährigen Zeitraum kaum geändert haben.
Lobenswert ist hierbei jedoch das Institut fuer Zukunft: im Jahr 2017 sieht man rund ein Drittel weibliche Acts und die Tendenz geht nach oben. Ganz besonders sticht für feat. Fem in der Distillery die Veranstaltung „25 Jahre Distillery x 25 Stunden Wohnzimmer!“ heraus, bei welcher unter 21 Acts alle (!) männlich sind. Das Elipamanoke möchte außerdem anmerken, dass an Samstagen in der Regel Fremdveranstaltungen stattfinden, bei denen die Künstler*innen nicht unmittelbar in den Händen des Eli-Booking-Teams liegen (muss man aber nicht an alle Veranstaltungen denselben Anspruch haben?). Wir merken an, dass 2019 im Elipamanoke die queere Veranstaltung “NO NO NO!” stattfand, deren Künstler*innen wir wegen der Problematik der Geschlechtszuweisung (Erläuterung unten) nicht in die Statistik einfließen lassen konnten.
Aber: dass es heute nicht schwer ist, ausgewogene Line-Ups herzustellen, ist kein Geheimnis; es liegt lediglich mehr Recherche darin, aus seiner Booking-Blase rauszukommen. Das gilt für alle Veranstalter*innen und muss zur Reflexion der eigenen Strukturen dienen – denn
das Line-Up ist das Endprodukt vom Zusammenspiel mehrerer Faktoren.
Es müssen gleichberechtigte Arbeitsverhältnisse geschaffen werden, um solchen Reproduktionen entgegenzuwirken. Dass diese Strukturen dem Schein nach gleichgeblieben und Line-Ups immer noch überwiegend männlich sind, ist trotz der ganzen Arbeit verschiedenster feministischer Kollektive und Gruppierungen mehr als nur enttäuschend.
Es müssen nicht nur Clubs und Booker*innen verantwortlich gemacht werden, sondern – wie erwähnt – auch unabhängige Veranstalter*innen. Wie ist es mit Künstler*innen, die keine Kritik äußern und stetig auf rein männlichen Veranstaltungen spielen? Alle, die im Prozess involviert sind, haben eine Stimme.
Die elektronische Musikszene in Leipzig ist von einem starken Wandel geprägt und ebenfalls Spiegel aktueller gesellschaftlicher Umstände und Bewegungen. Nicht erst durch Feat.Fem wurde auf die Problematik patriarchaler Strukturen innerhalb einer scheinbar so offenen Szene aufmerksam gemacht.
Leipzig(s Clubkultur) kann also zahlentechnisch seinem scheinbar feministischen Anspruch nicht gerecht werden.
Wir haben uns eine Motivation aus dem Inneren heraus gewünscht, nun können wir nur hoffen, dass diese Statistik ein gutes Druckmittel bildet. Tendenziell werdet auch hoffentlich ihr, als Clubbesucher*innen, sensibler für die Thematik.
Als frohfroh, eine Plattform, die versucht, alle Geschehnisse rund um die Clubkultur gleichmäßig und fair abzudecken ist es schwer, Veranstaltungen von den Ausgehtipps, beispielsweise, auszuschließen. Jedoch möchten wir jenen Anspruch von “Fairness” in Bookings und Line-Ups würdigen und unserem eigenen feministischen Bestreben ebenfalls gerecht werden. Ein solches Dilemma ergibt sich also auch für uns. Nicht nur in der Ausgehtipp-Hinsicht.
Und: drei Clubs sind nicht die Szene. Es gibt unzählige kleinere (und größere, z.B. Conne Island, mjut) Locations, die viel tun, um die Szene zu stärken und ein diverses Veranstaltungsbild und Booking an den Tag legen. Um nur wenige zu nennen: LINKS NEBEN DER TANKE, Kulturlounge, Pracht, TIFF, Soli-Clubs wie das ZXRX oder die G16. Solche Bemühungen müssen anerkannt und gewürdigt werden.
Wir möchten allen Clubs, Veranstalter*innen und Verantwortlichen die Möglichkeit geben, sich zu unseren Ergebnissen zu äußern. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Strukturen weiterhin wandeln und sich der momentane Diskurs in Zukunft eher aus den Zahlen herauslesen lässt.
Weitere Informationen
Michael Amberg, Marie Louise Iredale, Linda Brendler und Selina Aygün von feat. Fem* haben gemeinsam die Methodik entwickelt. Die letzteren drei haben für sieben Clubs die Daten für 2017 gesammelt. Denn: es sind noch mehr Clubs außerhalb der elektronischen Clubkultur unter die Lupe genommen worden.
For your information, die Ergebnisse sind für das Jahr 2017 folgende:
Diese Zahlen zeigen: Szene unterscheidet sich vielleicht doch nicht vom Mainstream. Es ist traurig zu sehen, dass trotz einem gewissen Anspruch der einen Szene an der Oberfläche das gleiche Produkt in der anderen am Ende herauskommt.
Selina Aygün hat sich abschließend um die Auswertung 2017 und den Trend für das Jahr 2019 gekümmert. Amy Woyth (frohfroh) hat in Kooperation mit Selina Aygün an diesem Text und der Visualisierung gearbeitet. Alle ausgewerteten Clubs wurden vor der Datenerhebung informiert und angefragt, letztendlich hat feat. Fem aber von keinem einzigen Club Daten zu den Samstagsveranstaltungen erhalten.
Und: heute, am Frauenkampftag, ist zum vierten Mal die FACTS-Statistik von female:pressure erschienen. FACTS quantifiziert die Geschlechterverteilung von Künstler*innen, die auf Festivals für elektronische Musik auftreten und ist die umfassendste Analyse ihrer Art. Es wurden 675 Festivals in 46 Ländern untersucht: “Bei dieser vierten Ausgabe sind wir stolz darauf, eine Verbesserung der Zunahme der weiblichen und nicht-binären Künstler*innen bei Festivals zu sehen”. Die ganze Statistik und mehr Infos zu female:pressure findet ihr hier.
feat. Fem findet ihr unter den folgenden Adressen:
Anmerkungen
Das Beitragsbild ist von Anja Kaiser und wurde von Manuel Schmieder nachbearbeitet.
Zur Vorarbeit von femdex: Inhaltlich versucht femdex seit 2016 mithilfe einer Datenbank gegen das Vorurteil „There are not enough women* to book“ (Anm. „Es gibt nicht genug Frauen, die man buchen kann“) anzukämpfen. Neben einer umfangreichen Auflistung von weiblichen DJs in der internationalen sowie auch lokalen Wiener Musikszene im elektronischen Bereich, findet man auf der Webseite auch Statistiken zum Geschlechterverhältnis im Booking auf Wiener Veranstaltungen im Zeitraum von 2014 bis 2016.
Zur Kategorie “non-binär”: Diese Kategorie bestand als Möglichkeit, jedoch konnte keine Person in den Line-Ups der Clubs anhand einer der drei Fragen als eindeutig nicht-binär identifiziert werden. Im Zweifelsfall wurden Künstler*innen demnach in die Kategorie “nicht-feststellbar” eingeteilt. In den Statistiken von femdex ist eine klare Binarität vorzufinden, welche sich auf 100% summieren lässt. In diesem Punkt unterscheidet sich unsere Statistik deutlich vom femdex-Beispiel.