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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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Altin Village & Mine 2022

29. Dezember 2022 / Kommentare (0)

Auf 20 Jahre konnte das Leipziger Label Altin Village & Mine 2022 zurückblicken – und auf ein sehr release-starkes Jahr. Vier wunderbare Alben sind herausgekommen, die wir hier zusammen vorstellen.

Altin Village & Mine? Seit 2002 kuratiert das Label einen sehr vielfältigen Katalog an Veröffentlichungen von Musiker:innen aus der ganzen Welt. Im April hatten wir ein Interview mit Marcel, einem der Betreiber:innen von Altin Village & Mine. Und auf die Frage nach dem roten Faden in dieser Offenherzigkeit meinte er, dass „eine reflektierte und kritische Haltung gegenüber bestehenden Verhältnissen als Grundlage“ ebenso wichtig bei der Zusammenarbeit mit den Künstler:innen sei wie der musikalische Output.

Auch wenn die für dieses Jahr angekündigte Jubiläums-Compilation „Free/Future/Music“ erst 2023 fertig wird, so war 2022 ein äußerst gutes Jahr für das Label. Vier sehr eigene und sehr gute Alben hat Altin Village & Mine in den letzten zwölf Monaten veröffentlicht. Hier sind sie auf einem Blick.

Cloud Management „s/t“

Los geht es mit dem Debüt-Album von Cloud Management. Im Oktober hatten wir bereits den Ausschnitt eines Special-Live-Sets des Hamburger Trios erwähnt. Im November kam dann das selbstbetitelte Debüt-Album. Hinter Cloud Management stecken Thomas Korf, Sebastian Kokus und Ulf Schütte, die bereits in anderen Konstellationen sehr viel interessante Musik herausgebracht haben.

Mit ihrem neuen Projekt ist den Dreien nun ein super spannendes Kraut-Update gelungen. Rein instrumental gleitet die Band auf sieben Tracks durch ebenso organische und poetische wie surreale Soundwelten. In ihrem freien Session-Charakter entfalten Cloud Management immer neue Ebenen und behalten dabei doch auch eine gewisse Stringenz. Heraus kommt ein dezent-experimenteller und mäandernd-kosmischer, aber durchweg zugänglicher Mix aus dubbiger Entschleunigung und kraut-rockiger Trippyness. Immer angeschoben von soft pluckernden Beats und ein paar rauen Kanten. Einige Chords und Sounds schreien geradezu nach Remixen, die auch auf dem Dancefloor mächtig zünden würden. Aber der repetitive Grundcharakter hat auch so schon einiges an Energie. Ein unglaublich fasznierendes Album.

Mein Hit: „Große Wolke“. Why: Weil sich der Track so schön in seinen gläseren Sounds und einem über allem schwebenden Chord verliert.


Modus Pitch „Polyism“

Etwa zur selben Zeit erschien ein weiteres Debüt-Album bei Altin Village & Vine. Und zwar von Friedrich Brückners Solo-Projekt Modus Pitch. Brückner dürften Indie-Fans von der Leipzig-US-Band White Wine her kennen, die vor rund fünf Jahren mit ihrem arty sophisticated Rock für Szene-Aufsehen sorgte. Dort spielte er Fagott und Bass. Der klassisch ausgebildete Musiker ist aber noch viel mehr hinter den Kulissen unterwegs – so produzierte er für Warm Graves und P.A. Huelsenbeck und tourte als Sound-Designer mit internationalen Acts wie Yoko Ono, Get Well Soon, Modeselektor und Dear Reader.

Mit Modus Pitch bündelt Friedrich Brückner seit mehreren Jahren seinen breiten musikalischen Background in eigenen Tracks und Songs. Auf „Polyism” sind 2022 nun endlich die ersten neun Stücke für alle zugänglich geworden. Und die offenbaren eine compilation-artige Fülle an verschiedenen Einflüssen. In etwas mehr als einer halben Stunde flackern ebenso Jazz, Cosmic, Dub und New Age wie auch Breakbeat und Post-Punk auf. Was beim Lesen nun vielleicht nach einem losen Mix oder einer wild zusammengereihten Werkschau eines Multi-Instrumentalisten klingen mag, fügt sich in Wirklichkeit zu einem schlüssigen Ganzen. Atmosphärisch scheinen die nostalgisch eingefärbten Synths all die Vielfalt gut zusammenzuhalten. Und da passt selbst ein düster-theatrales „Outer Veil“ in den Flow. Ein Flow, der dramaturgisch äußerst subtil und versiert angelegt ist – mit vielen stillen kontemplativen und einigen uplifting-extrovertierten Phasen. Definitiv ein Album, das ein paar mehr Durchgänge braucht, um seine volle Faszination entfalten zu können.

Mein Hit: „Suspender“. Why: Weil es in seiner verschrobenen Breakigkeit dem zeitgenössischen UK-Sound eine spannende neue Note dazugibt.


Kalme „Neue Sprache“

Im Frühjahr 2022 erschien bei Altin Village & Mine auch das erste Album von Kalme – btw. gemastert von Fritz Brückner aka Modus Pitch. Hinter Kalme steckt eine nicht weniger vielseitig aktive Musikerin aus Berlin: Sonja Deffner. Sie war in den vergangenen Jahren in mehreren bekannten Indie-Bands involviert, darunter Die Heiterkeit, PTTRNS und in Christiane Rösingers Live-Band. Daneben arbeitet sie aber auch als Grafikerin und am Theater.

Als Kalme hat Sonja Deffner einen poetischen Pop-Elektronik-Entwurf geschaffen, der mit reduziert-präzisen Arrangements und etwas eintönig sanft eingesprochenen Vocals eine sehr spezielle Atmosphäre schafft. Wie die moderne – und sehr gelungene – Vertonung eines Lyrik-Bandes, in dem biografische und soziopolitische Beziehungen in abstakten sprachlichen Bildern thematisiert werden. Und das alles auf Deutsch. Doch die Abstraktheit und das ambivalente Distanz-Nähe-Verhältnis der Vocals sorgen auch dafür, dass die Texte eine gewisse Leichtigkeit bekommmen und sich nicht zu sehr ins Zentrum drängen.

„Neue Sprache“ braucht dennoch viel Aufmerksamkeit, gibt aber auch viel zurück – musikalisch und inhaltlich.

Mein Hit: „Durchlass“. Why: Weil der Song mit seinen hintergründigen Breaks noch einmal ein besonderen Drive hat.


Fhunyue Gao & Sven Kacirek „Hoya“

Ebenfalls im Frühjahr 2022 kam „Hoya“ heraus – die Zusammenarbeit der Schweizer Musikerin Fhunyue Gao und des Hamburger Musikers Sven Kacirek. Beide haben international schon in verschiedensten Konstellationen und Solo-Projekten ihre eigenen musikalischen Spuren hinterlassen. Während einer gemeinsamen Kollaboration für ein niederländisches Tanzprojekt trafen Gao und Kacirek erstmals aufeinander und brachten ihr Instrumentarium zusammen. Und dieses Zusammenspiel aus Marimbas, Schlagzeug, Percussions, Elektronik, Theremin, Buchla-Synthesizer und Klavier faszinierte beide offensichtlich so sehr, dass sich in den Probe-Pausen weitere Off-Sessions ergaben. Und schließlich ein eigenes Projekt.

„Hoya“ ist von einer sehr filigranen und subtilen Sound-Ästhetik, von der Freude am Forschen, Loslassen und Entdecken geprägt. Zugleich sind beide Musiker:innen so tief mit ihren Instrumenten verwurzelt, dass nie das Gefühl der Beliebigkeit aufkommt. Jeder Fingerschlag, jeder Ton scheint an der richtigen Stelle zu sein. Heraus kommt eine organische Form von Electronica und zugänglicher Avantgarde, die auch live sehr gut funktioniert – wie es in der Plagwitzer Markthalle in diesem Jahr auch zu erleben war.

Danke Altin Village & Mine für das tolle Jahr!

Mein Hit: „Archie Waltz“. Why: Weil es so herrlich elegisch und frei Theremin und lose Drums vereint.

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