* und niemand sieht, wie es Dir geht. — Die Techno- und Club-Szene hat den Anspruch, ein Safer Space für alle zu sein: für People of Colour, für Queers, für Frauen. Ein Raum, um — auch mit Drogen — loszulassen, solange man Rücksicht aufeinander nimmt. Aber wie safe ist der Raum für Menschen mit einer Drogen-Problematik?
Vorweg: Dieser Artikel erschien zuerst in unserem zweiten Print-Magazin, das zum 15. Jubiläum von frohfroh erschienen ist. Wenn ihr euch noch eines der limitierten Exemplare sichern möchtet, dann meldet euch bei dance @ frohfroh.de oder geht auf unser Bandcamp-Profil.
„Willst du die Hälfte haben?“, fragt mich der Typ, der mir auf der Club-Toilette einen halbvollen Becher hinhält. „Ist MDMA drin.“ Verlockend. Ich sollte ihn mit dem Typen zusammenbringen, der mich vorhin gefragt hat: „Hast du was zu verkaufen?“ Sein Paisley-Hemd hatte er in die Hose gesteckt. Entweder war er Zivi-Bulle — oder einer von den Menschen, die sich für Gin interessieren und in einer Band spielen. Die Techno- und Club-Szene hat den Anspruch, ein Safer Space für alle zu sein: für People of Colour, für Queers, für Frauen. Ein Raum, um — auch mit Drogen — loszulassen, solange man Rücksicht aufeinander nimmt. Aber wie safe ist der Raum für Menschen mit einer Drogen-Problematik?
„Es gibt in der Club- und Techno-Szene schon den Wunsch, Räume zu bieten, die sicherer und diskriminierungsfreier sind, als Räume, in denen hauptsächlich Alkohol konsumiert wird“, sagt Pola. Pola ist seit 13 Jahren in der Club-Szene tätig und arbeitet im Awareness-Bereich — hauptsächlich in Berlin und auf Festivals. „… aber ich will das gar nicht auf die Substanz beschränken.“
Drugs are EVERYWHERE
Um zu erfahren, was überhaupt genommen wird, bietet sich ein Blick in die Leipziger Jugendstudie aus dem Jahr 2023 an. Diese hat das Konsumverhalten von Leipziger Schüler:innen bis 18 Jahre untersucht. Alkohol ist demnach die häufigste Droge. 72 Prozent der 18-Jährigen hatten in den vergangenen 30 Tagen Alkohol getrunken. Deutlich früher und häufiger als der Bundesdurchschnitt kommen Leipziger Kids mit Cannabis in Kontakt: 30 Prozent haben schon gekifft. Leipzig mag auch alles, was wach macht. Unter den 18-Jährigen hatten 13 Prozent schon mal MDMA genommen, jeweils zwölf Prozent schon Kokain und Speed ausprobiert. Bei Crystal sind es vier Prozent. Also: Drugs are EVERYWHERE.
Die Drogen werden immer reiner, heißt es von den Drug Scouts, einem Leipziger Projekt der Drogenarbeit. Waren Ecstasy-Pillen vor 20, 25 Jahren noch stark gestreckt, sei heute das Risiko eher, dass sehr viel MDMA in den Teilen sei. Auch bei Kokain habe die Reinheit in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Bei Speed ebenfalls. Das größte Problem sei derzeit, wenn Stoffe falsch deklariert würden. Die Drug Scouts haben ihren Ursprung in der Leipziger Partyszene der Neunziger. Auch heute noch sind Partygänger:innen die Hauptzielgruppe. Die Drug Scouts gehen in die Clubs. „Wir bewerten nicht“, sagen Pia und Leon, die Teil des Teams sind. „Wir informieren Leute, die konsumieren. Oder Leute, die kurz vor dem Konsum stehen.“

Drogen in der Leipziger Techno-Szene
„Das ‚Problem‘ von dem wir sprechen, fängt in der Gesamtgesellschaft an“, sagt Pola. Es entsteht nicht in der Szene. Viele der Menschen in Leipzig seien schon in der Jugend, auf irgendwelchen Dorffesten, mit Drogen in Kontakt gekommen. Im Party-Setting zu konsumieren ist etwas, das man in jeder Szene sieht — nicht nur in der Techno-Szene, berichtet Pia von den Drug Scouts. Der Konsum komme mit den Partys. Alkohol und Cannabis würden in der Szene am häufigsten konsumiert: „Das Geschäftsmodell der Clubs ist, Alkohol zu verkaufen.“ Alkohol werde oft nicht mitgedacht, wenn es um Drogenkonsum gehe, kritisiert Pia. Hinzu kommt alles, was pusht: MDMA, Amphetamine, Kokain. Ketamin habe deutlich zugenommen. Mephedron — 4-MMC — spielt nach Erfahrungen der Drug Scouts verstärkt eine Rolle. GHB/GBL werde konsumiert, sei aber kein flächendeckendes Ding. Crystal sei in der Szene stark stigmatisiert. Die Drogen sind in den Clubs. Sie waren schon immer da. Es wird konsumiert.
Partys als Trigger?
In der Szene werde es vielleicht sichtbarer, wenn Menschen ein Drogenproblem haben, überlegt Pola. Sie würden sich nicht zu Hause zurückziehen. „Es ist okay, dass es Räume gibt, wo man Drogen nehmen kann — ohne dafür verurteilt zu werden.“ Aber eine Party-Umgebung ist ein starker Trigger. Gerade wenn das eigene Konsumverhalten stark mit dem Partymachen verknüpft ist, ist das eine Herausforderung. Leute, die bei den Drug Scouts Beratung suchen, stellen fest:
„Ich kann erst mal nicht auf Partys gehen, weil ich da stark mit Konsum konfrontiert bin.“
Es gibt eine gegenläufige Entwicklung. In Berlin finden mittlerweile Sober Partys statt – auch in Leipzig organisiert das Pink-Cloud-Kollektiv derartige Veranstaltungen. Pola sieht ein größeres Bewusstsein für Awareness in der Szene. „Das entwickelt sich stetig weiter“, — auch bei den Veranstaltenden. Die Drug Scouts beobachten das auch in Leipzig. „Auf Partys mit überlegten Awareness-Konzepten gibt es viele Leute, die keine oder die wenig Drogen konsumieren.“ In den Clubs, auf den Partys sei eine zentrale Frage: Was brauch ich für ’ne gute Party? Wie kann man sicherstellen, dass es den Leuten gut geht? „Auf diesen Partys sind die Leute dann nicht so super krass verballert“, beobachtet Pia. Trotzdem gebe es auch Veranstaltungen, wo Awareness-Arbeit nicht so gut geplant sei, die eher kommerzialisiert seien. „Es gibt halt Partys, die Leute anziehen, die sehr viel und sehr stark konsumieren.“
Nüchtern bleiben
Um auf Partys nüchtern zu bleiben, hilft es, sich Verbündete zu suchen. Leon rät: Wer wenig oder nichts nehmen möchte, soll das seinen Freunden kommunizieren: „Biete mir nichts an.“ Auch ein Konsumplan kann helfen. Man könne sich am Abend auf bestimmte Substanzen beschränken. Oder man setzt sich ein Limit: ‚Ich zieh’ drei Lines. Das war es dann aber.‘ Oder man verzichtet auf die Afterhour. Wichtig ist: Man sollte sich realistische Ziele setzen, die man einhalten kann.
Pia erzählt, oft sei es die größere Herausforderung mit Alkohol umzugehen. Alkohol gibt es auf allen Partys, in allen sozialen Bezügen. „Gerade wenn es um Übergriffe geht, ist Alkohol die Substanz, bei der am meisten passiert.“ Wer Freund:innen unterstützen will, nichts oder weniger zu konsumieren, muss zunächst für sich schauen: Wie weit kann ich das überhaupt leisten? Pia und Leon raten: „Schaut vorher gemeinsam, was jeder vom Abend erwartet.“ Wenn man auf der Party ist, sollte man immer mal checken, wie es der Person geht. „Wer nüchtern bleibt, hat vielleicht nicht Lust, drei Stunden am Stück zu tanzen.“ Dann geht man raus. Da hilft es, wenn man vorher geklärt hat, mitzukommen. Für Menschen, die ein Drogenproblem, ein Alkoholproblem haben, ist es immer gut, beim Feiern Sober-Partner: innen zu haben, betont Pola. „Wir gehen zusammen auf Party und wir bleiben zusammen nüchtern.“ Wer keine Sober-Begleitung hat, der kann auf die Awareness zukommen. „Ich möchte nüchtern bleiben. Kann ich zu euch kommen, wenn mich was triggert?“
Und was, wenn mich was triggert?
Pola kümmert sich mit Lila Awareness in erster Linie um Fälle sexueller Übergriffe und Diskriminierung. Manchmal überschneidet sich ihr Job auch mit Drug- und Psycare. Denn prinzipiell können alle zu ihr kommen. Beim Awareness-Team bekommen die Leute erstmal ein Wasser angeboten oder eine Decke. Pola fragt dann, ob die Person ein Gespräch möchte. Gab es gerade einen Konsum-Trigger, fragt sie zum Beispiel: „Was hast du denn morgen vor?“ Das schafft wieder einen Bezug zum realen Leben. „Die Leute können dann erstmal hier bei uns bleiben.“ Dann mache man vielleicht eine Atemübung oder schaue, wo der Trigger lag. Das sei ganz individuell. Niemand werde unter Druck gesetzt, etwas zu sagen. „Es ist auch okay, einfach nur dazusitzen.“
„Ist es okay, wenn ich vor Dir konsumiere?“
Um es für Betroffene sicherer zu machen, ist Consent wichtig. Es ist unheimlich wichtig, niemanden zum Drogen nehmen zu überreden, betont Pola. Das Unterschieben von Drogen ist ein absolutes No Go. Das ist eine Straftat. „Auch Leuten Alkohol unterjubeln, geht nicht!“, stellt Pia klar. Zur Rücksicht auf Dritte gehört aus Polas Sicht auch, nachzufragen: Hey, ist es okay, wenn ich hier vor Dir konsumiere? Ist es okay, wenn ich ’nen Shot trinke? Ist es okay, wenn ich jetzt erstmal trippe? Kommst Du zurecht? Um Menschen zu schützen, die vor Herausforderungen stehen, braucht es Rücksicht und Verständnis. Das ist eine Entwicklung, die auch Pia gerade sieht: Dieses aufeinander eingehen, welche Bedürfnisse es gibt. „Das ist eine Entwicklung, die schon immer Teil der Techno-Szene war.“
Fotos: Johannes Angermann