„Natürlich, es ist ein wenig lustig, mit Mitte 30 das Raven anzufangen …“, erzählt der aus Italien kommende und mittlerweile in Leipzig lebende Damian Dalla Torre in unserem Interview. Im gemeinsamen Gespräch nimmt uns der Musiker, Produzent und Komponist, dessen jüngstes Soloalbum „I Can Feel My Dreams“ vom The Guardian zum Besten der gegenwärtigen Musik 2024 gekürt wurde, mit auf eine Entdeckungsreise in seine Klangwelten.
Damian Dalla Torre versteht sich auf schwelgerische, vereinnahmende Klangexperimente. Dabei verdichtet der studierte und mit allerlei Preisen ausgezeichnete Multiinstrumentalist analoge wie auch elektronische Musik, Fieldrecordings, spielt mit Kompositionen und Improvisationen. Immer wieder schaut er über Genregrenzen hinweg und überlässt so den Hörer:innen weite Klangräume, zu deren Entstehung wir von Damian gerne mehr erfahren wollten.
Das Interview mit ihm wurde von uns bereits im März dieses Jahres geführt. Die Japan-Tour ist durch, der Sommer vorbei. Dennoch wollten wir den Text in unverfälschter Form veröffentlichen. Einen aktuellen Termin gibt es aber: Damian spielt auf den diesjährigen Jazztagen in Leipzig – und wir empfehlen ausdrücklich sein gemeinsames Konzert mit den Musikerinnen Delphine Joussein und Laura Zöschg. Und er ist Teil des Lüften-Projektes, das wir kürzlich in unserem New In Radio mit ihrem Debüt-Album ausführlich vorgestellt haben.
Als Soundtrack beim Lesen legen wir euch „I Can Feel My Dreams“ wärmstens ans Herz – schon im letzten Jahr haben wir es sehr überschwänglich vorgestellt. Oder seinen Ambient-Mix, den er exklusiv für frohfroh aufgenommen hat.
Für alle, die Damian Dalla Torre noch nicht kennen, wer bist du und was machst du?
Ich bin Damian. Ich bin Musiker und definiere mich hauptsächlich als Saxofonist. Ich habe das Instrument studiert und viel Zeit damit verbracht, sehe mich mittlerweile aber auch als Multiinstrumentalist mit Klarinette und Flöte. Am liebsten bin ich allerdings im Studio und arbeite dort an Recording und Produktion.
Das heißt, du hast Flöte und Klarinette ebenfalls studiert oder ist das Instrument einfach ähnlich wie Saxofon?
Ich habe nur Saxofon als Instrument studiert. Aber wenn man als Jazz-Saxofonist in Big Bands spielt, ist es üblich, dass man noch ein weiteres Instrument als „Doubling-Instrument“ beherrscht. Beim Tenor-Saxofon ist das eher die Bass-Klarinette. Und die fand ich vom Sound her immer schon mega spannend. Ich mag den Klang des Saxofons gar nicht so sehr (lacht). Es war mir immer ein Anliegen einen Sound zu finden beim Saxofon, der mir gefällt – und der ist nunmal ein wenig dunkler. Also habe ich einem Mundstückbauer namens Georg Pfister aus Berlin ausfindig gemacht, der mir ein Mundstück aus Holz für mein Saxofon bauen konnte. Das Instrument klingt nun dunkler. Bei der Klarinette hat man das automatisch, denn das ganze Instrument ist aus Holz.
Wirst du neben deiner Solo-Tätigkeit also auch als Livemusiker in Bands und als Sessionmusiker im Studio gebucht?
Ja. Kurz vor Covid war ich noch viel mit einem Jazzquartett aus Frankfurt unterwegs. Mit denen habe ich straighten Jazz gespielt und wir sind gemeinsam durch die Jazz-Clubs getourt. Mit Covid gab es einen Bruch für mich, weil ich hier viel Zeit hatte zu überlegen. Das war auch die Zeit, in der ich entschieden habe, dass ich jetzt mal meinen Sound machen will. Seit dem sehe ich die Genugtuung beim Musik machen eher in dieser Richtung. Andererseits mache ich auch viel als Studiomusiker im Bereich Pop und bin zudem gerade viel mit Theatermusik beschäftigt. Also im Moment ist es leider weniger Jazz, aber ich finde es wichtig seinen Interessen nachzugehen,. Denn nur so fühlt es sich für mich „real“ an. Was ich übrigens toll finde an den Pop-Acts, mit denen ich spiele: Ich kann auch immer meinen Kram machen. Ich kann meine Effekt-Pedale mitbringen und werde mittlerweile auch explizit gefragt, meinen Style zu fahren.

Was hat dich eigentlich nach Leipzig verschlagen?
Ich habe in Wien Saxofon studiert und bin dann nach Leipzig für meinen Master gekommen. Ursprünglich bin ich allerdings gar nicht für den Master nach Leipzig gekommen, sondern für ein halbjähriges Erasmus-Studium. Ich kam vor allem wegen des Professors Johannes Enders, der einerseits straighten und traditionellen Jazz unterrichtet, mit seinem Projekt Enders Room allerdings eine ganze andere Schiene in Richtung elektronische Musik fährt. Das war für mich eine krasse Inspiration und hat mir auch als Vorbild gedient. Als das halbe Jahr Erasmus dann durch war, hat er mich ermutigt weiter zu machen und in Leipzig zu bleiben. Also habe ich hier meinen Master gemacht und bin dann in Leipzig hängen geblieben.
Lass uns über das erste Damian-Dalla-Torre-Soloalbum reden. Du hattest bereits Covid erwähnt. Das war auch die Zeit in der „Happy Floating“ entstand und fertig gestellt wurde, oder?
Genau! Ein paar Skizzen hatte ich schon 2019 fertig gestellt. 2020 hatte ich dann ein sehr tolles Erlebnis mit der Band Efterklang, mit denen ich in Leipzig einen Gig gespielt hatte und die mich im Anschluss noch für ein paar Auftritte mit auf Tour genommen hatten.
Wie kam es dazu?
Bei ihrer damaligen Tour haben Efterklang in jeder Stadt nach Gastmusiker:innen gesucht. Über ein paar Ecken habe ich dann eine Mail bekommen und hatte Bock. Ich wollte zu der Zeit gerne ein bisschen was anderes probieren und nicht nur in kleinen Jazz-Clubs spielen. Ich bin dann zum Soundcheck und wir haben die Songs gejammt. Das hat dann sofort gepasst und die meinten gleich: „Was machst du nächste Woche?“ Ich bin dann heim, habe meinen Koffer gepackt und anschließend in den Nightliner gestiegen (lacht).
Cool, dass du verfügbar warst. Wann war das genau?
Im Februar 2020. Also kurz vor dem Shut-Down. Die Tour wurde dann leider auch abgebrochen. Der Vibe in der Band war allerdings so gut und ich habe aus den Auftritten so viel mitgenommen, dass ich erstmal nach Hause bin und auch probiert habe, Musik in diesem Style zu machen.
Das heißt, deine erste Platte ist auch von der Musik von Efterklang beeinflusst?
Auf jeden Fall von dem Vibe und den Leuten. Das hat mich auf eine Weise motiviert. Es war die Zeit da, ich war gerade umgezogen und hatte Platz für ein Home-Studio. Ich hatte die Möglichkeit zu Hause zu arbeiten und war mega fleißig. Ich habe jeden Tag ca. acht Stunden geschraubt und habe zunächst ohne Ziel nur für mich gearbeitet. Irgendwann hatte ich einen Song fertig, mit dem ich mega happy war – das Stück „7.23“. Ich hatte noch im Kopf, dass Martin Brugger von Squama Records (Experimentelles Label aus München für Jazz, Ambient und New Age – Anm. der Redaktion) mal angefragt hatte bei einem anderen Projekt, ob wir Lust hätten auf dem Label zu veröffentlichen. Also habe ich ihm initiativ die Single zugeschickt. Martin schrieb dann, dass er es cool findet, Squama aber nur Alben veröffentliche. Also habe ich mich an das Album gemacht (lacht). Und ein halbes Jahr später habe ich ihm das geschickt und gesagt, hier wäre jetzt das Album.
Also war diese Tatsache für dich die Motivation, noch mehr Musik zu produzieren?
Manchmal braucht es nur einen kleinen Impuls von außen, um sich zu motivieren.

Wie lief das mit der Produktion während des Shut-Downs? Es sind ja sehr viele Gastmusiker:innen auf dem Album vertreten.
Das war auf jeden Fall ein Weg, um mit Mitmusiker:innen in Kontakt zu bleiben. Irgendwie waren eh alle zu Hause und die meisten hatten auch die Möglichkeit zu Hause aufzunehmen. Ich hatte damals meine Skizzen rumgeschickt und die Leute ermutigt etwas dazu zu spielen. Einfach, was ihnen einfällt oder mal eine Improvisation über vorhandene Spuren. Für mich war das ein schöner Zeitvertreib: Spuren zu hören von Leuten, die ich selber feiere und diese für die Produktion weiterzuverwenden. Der Prozess war nicht durchgeplant, sondern es hat sich alles organisch entwickelt. Es ging bei den Aufnahmen ein paar Mal hin und her. Manche Sachen habe ich gar nicht verwendet, manche nur zum Teil. Mit ein wenig Covid-Lockerungen bin ich dann auch mit Leuten wieder ins Studio und wir haben in Leipzig ein paar Aufnahmesessions gemacht.
Ihr hattet auch ein paar Gigs zur Platte damals, oder?
Ja, ich hatte zwei Touren organisiert, die leider beide mittendrin unterbrochen werden mussten wegen Covid.
Was hat dir neben der Arbeit mit Efterklang und den Spuren deiner Mitmusiker:innen als Inspiration gedient für die Musik, die du mit deiner ersten Platte hast entstehen lassen? Oder hast du vor allem aus deinen Inneren geschöpft?
Für mich ist es immer das Einfachste zu versuchen ein Gefühl einzufangen. Damals war das Melancholie mit einem gewissen optimistischen Blick in die Zukunft.
Lass uns gerne auch über deine aktuelle Veröffentlichung sprechen, die ja noch nicht so lang her ist. Um genau zu sein, erschien dein zweites Album „I Can Fell My Dreams“ letzten Sommer. Wieder bei Squama Records?
Genau! Im Herbst 2023 habe ich eine Weile in Chile verbracht. Ich hatte schon ein wenig Material und mir vorgenommen das dort ein wenig weiterzuspinnen und die Platte nach Möglichkeit abzuschließen. Squama Records hatte schon gefragt, wie es mit dem zweiten Album aussieht und wieder hat mir das gereicht als Impuls von außen. Es fühlt sich gut an ein Label zu haben, das so hinter einem steht und die Musik so feiert, die man macht.

Ich habe Squama auch als sehr stylisches, offenes und musikalisch vielschichtiges Label wahrgenommen.
Total! Ich kann mich auch sehr identifizieren mit dem Style des Labels. Maximilian (einer der Labelbetreiber – Anm. der Redaktion) macht mega coole Plattencover und trifft es meiner Meinung nach immer. In Design-Fragen vertraue ihm da voll. Die Idee des Labels ist es Design und Musik zu vereinen.
Hast du bei der Arbeit an deinem zweiten Album einen musikalisch anderen Ansatz verfolgt? Das Ergebnis ist ja schon ein anderes im Vergleich zum ersten Album.
Vom Sound her auf jeden Fall. Die erste Platte wurde noch von Andre Karius gemischt. Ohne ihn hätte ich das so nicht hinbekommen. Vor allem die Aufnahme und das Mischen von Drums sind eine Sache für sich. Da würde ich mich nicht unbedingt rantrauen wollen. Da das neue Album „beatless“, also ohne Schlagzeug, entstanden ist und ich bereits mit einer genauen Vorstellung vom Sound im Ohr begonnen hatte zu komponieren, war die Entscheidung die Platte selber zu mischen für mich logisch.
Stichwort „beatless“: War es dieses Mal weniger Indie, sondern andere Musikstile, die dich für die Aufnahmen inspiriert haben?
In der Zeit der Entstehung habe ich auf jeden Fall viel Ambient gehört. In Chile habe ich zudem sehr viel Rhythmus in Musik mitbekommen. Ich fand die Idee spannend, einen Puls in die Musik zu bekommen, ohne Percussion zu verwenden. Die meisten Songs sind nicht auf Raster aufgenommen, es wabert mehr so vor sich hin. Es gibt mehrere rhythmische Ebenen, die mal vom Synth kommen oder von den Flöten. Aber es gibt kein wirklich perkussives Element in der Musik. Das war keine bewusste Entscheidung, sondern eher eine Entwicklung. Ich versuche eine Phase zu haben, wo ich Musik mache, ohne viel zu bewerten. Ich möchte es einfach laufen lassen und Material sammeln. Die Entwicklung kommt dann oft von alleine.
Auch auf der neuen Platte hast du wieder sehr viele Gastmusiker:innen verpflichten können?
Ohne die Hilfe und den Input von anderen Leuten würde meine Musik nicht so klingen. Und die verdienen die Credits. Für mich ist es essenziell, immer im Austausch mit anderen zu sein. Auch wenn es nur darum geht, sich über Musik im Allgemeinen auszutauschen oder sich Platten hin und her zu schicken. Die Community ist mir sehr wichtig. Viele haben in Leipzig ihre Base, kommen aber durch ihre Musik viel rum. Sie spielen national und international, was den Horizont bei vielen weiter aufmacht. Und das spürt man meiner Meinung auch in der Stadt. So fühle ich mich wohl und das inspiriert mich.
Ohne diese Frage geht es leider nicht. Du warst 2024 wahrscheinlich in vielen Bestenlisten. Aber unter anderem auch auf Platz 1 der „Best Contemporary Music“-Liste vom The Guardian. Wie hat sich das für dich angefühlt?
Das war natürlich eine tolle Bestätigung! Ich hatte bereits zuvor von vielen Seiten positives Feedback zur Platte bekommen und dann auf so einer offiziellen Liste zu sein, ist natürlich eine Bestätigung mehr. Es ist eine schöne Anerkennung und heißt ja auch, dass man irgendwas richtigmacht. Das ist für mich die Motivation, dahinter zu bleiben und so weiter zu machen.
Du warst gerade in New York für ein paar Konzerte, wie kam es dazu?
Ich wurde auf Insta angeschrieben von jemanden, der meinte, er macht Events in New York und ob ich nicht Lust hätte zu kommen. Und da habe ich gesagt, na klar! Also habe ich dort drei Konzerte gespielt. Es war genau das richtige Setting für die Musik. Die Läden waren genau dafür ausgerichtet und das Publikum war genau in der richtigen Mood. Das war alles mega und ist wirklich sehr gut aufgegangen.
Was steht denn demnächst an bei dir?
D: Im Mai spiele ich acht Gigs in Japan.
Japan, wow! Wie kam das zustande?
D: Über die Distribution von Squama ist die Platte viel in Plattenläden in Japan gelandet. Und auch dort haben sich Leute gefunden, die die Musik scheinbar feiern. So kam es zu der Einladung und der Entscheidung, dort eine kleine Tour zu spielen.

Wie muss man sich deine Solo-Performances vorstellen?
Ich spiele mit meinen Blasinstrumenten, habe meine Effekt-Pedale dabei und ein paar Samples. Basierend auf dem Material der Platten wird das Material dann sehr frei behandelt. Es gibt immer eine Basis, aber darüber sehr viel Improvisation als eines der Hauptelemente. Das mag ich und stellt für mich auch die Parallele zum Jazz her.
Wieviel Jazz ist in deiner Musik noch drin?
Für mich ist meine Musik auch Jazz auf eine Art und Weise. Jazz ist ein flexibler Begriff. Die Improvisation und mit der Musik einen bestimmten Vibe auszudrücken, das macht es für mich „jazzig“.
Du arbeitest bereits an neuem Material. Vor dem Interview hattest du erwähnt, dass hier unter anderem Techno als eine deiner Inspirationsquellen dient? Wie kam es dazu?
Ich weiß auch nicht genau, wie das passiert ist. Ich habe ein paar Freunde aus der Szene, die mich mit auf Raves genommen haben. Ich finde, dass Techno und Ambient auf jeden Fall gewisse Parallelen haben in ihrer Entwicklung und in ihrer Mood. Die gut klingenden Anlagen und die Sounds in der Musik haben mich irgendwie gecatcht. Letztes Jahr im Sommer habe ich dann angefangen zu recherchieren, was mir an Techno so gefällt und mir dann eine Vinyl nach der anderen zugelegt. Ich habe sogar begonnen, für mich ein bisschen aufzulegen.
Ist das komplettes Neuland für dich oder hast du früher auch schon so eine Musik gehört?
Sicher habe ich das früher auch gehört, aber erst jetzt hat es mich so richtig gecatcht und ich höre die Musik bewusster. Natürlich, es ist ein wenig lustig, mit Mitte 30 das Raven anzufangen, aber ich sage mal, besser spät als nie (lacht).
Wir sind gespannt auf neue Musik von dir und vielleicht ist in deinem Mix für uns ja die ein oder andere Platte dabei, die dich zu dieser inspiriert.
Damian Dalla Torre Website // Instagram
Credits: Robin Lambrecht (Fotos), Claudia Helmert (Intro-Text), Nils Schäfer (Interview)