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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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25 Jahre Distillery – Interview Steffen Kache

18. Oktober 2017 / Kommentare (4)

In diesem Herbst feiert die Distillery ihren 25. Geburtstag mit mehreren Partys. Anlass für uns mit Steffen Kache, dem Geschäftsführer und Mitgründer der Distillery über die Veränderungen und die Zukunft des Clubs zu sprechen.

Nachwende-Doom, Shrinking City, Leipzig-Hype – die Distillery hat eine spannende Phase in der Leipziger Geschichte erlebt und selbst mitgeprägt. Dass sie als ernstzunehmender Club immer noch existiert, grenzt schon an ein Wunder. Das erste Vierteljahrhundert ist geschafft – und es soll weitergehen, wie uns ein nach wie vor motivierter Steffen Kache im Interview erzählt. Er war Teil der ursprünglich neunköpfigen Gründungscrew und führt den Club seit über 15 Jahren allein mit seinem Team.

Übrigens: Wir dürfen auch den Jubiläumsmix von Daniel Stefanik hosten – inklusive eines Statements von ihm.Ich möchte gar nicht so sehr zurück schauen. Der Distillery-Film hat eure ersten Jahre ausführlich aufgezeigt. Mich interessiert aber, wie du die letzten fünf Jahre in Leipzig und der hiesigen Clubkultur wahrgenommen hast? Da ist ja einiges passiert.

Also, wir finden es super, dass das IfZ bei uns in der Nähe aufgemacht hat. Das haben wir sofort gemerkt. Am Eröffnungstag des IfZ hatten wir 20 Prozent mehr Gäste. Das befruchtet sich gegenseitig, auch wenn sich das Publikum unterscheidet. Ich finde es auch super, dass das So&So aufgemacht hat. Aber sonst finde ich, dass die Stadt noch einiges vertragen könnte, was das Clubleben betrifft. Ich finde es zum Beispiel schade, dass das Conne Island die elektronischen Geschichten etwas heruntergefahren hat.

Aber ansonsten sehe ich die Entwicklung der Stadt in den letzten fünf Jahren positiv. Ich merke vor allem, dass wir von den Gästen her viel internationaler geworden sind – mit vielen Spaniern und Engländern. Die Flüchtlingsproblematik hat uns in der Zeit natürlich auch betroffen. Es gab leider negative Vorfälle, weshalb wir da sehr vorsichtig sind. Wir lassen generell größere Männergruppen nicht rein, aber größere Männergruppen aus Nordafrika erst recht nicht, weil man sofort weiß, dass es Stress gibt. Dieser Kriminalitätsfaktor hat zugenommen, auch da gab es einige Fälle. Nicht im Laden, sondern davor. Das ist das Negative, was ich sehe, aber insgesamt sehe ich die Entwicklung für die Stadt sehr positiv.

Wie hat sich die Szene an sich verändert?

Es wird immer mehr zum Business. Jedes Jahr ziehen die Gagen an. Das ist teilweise für einen Club mit einer gewissen Kapazität nicht mehr zu stemmen. Man hat ein Budget, das man am Abend ausgeben kann – ganz einfach gerechnet: Gästezahl mal Eintritt. Wenn man das den Agenturen vorrechnet und sagt, dass nicht mehr drin ist, dann denken die, wir wollen sie verarschen. Wir stehen in direkter Konkurrenz zu großen Clubs auf der ganzen Welt und zu diversen Festivals. Es gibt ja jetzt selbst im Winter Festivals, dann eben auf der Südhalbkugel. Und so ist es immer schwieriger geworden, namhafte internationale Künstler zu bekommen, die noch bezahlbar sind. Das ist eine Entwicklung, die der elektronischen Szene irgendwann massiv auf die Füße fallen wird. Die Clubs haben richtig zu kämpfen. Ich bin seit einem Jahr im Bundesvorstand der LiveKomm dabei, ich habe also auch Kontakt zu den anderen Läden in Deutschland – denen geht es genauso mit den Gagen und den Nebenkosten.

Gibt es keine Ansätze zur Querfinanzierung bei den Agenturen und Künstlern – also hier finanzkräftige große Festivals, dort kleine Clubs?

Der gesunde Menschenverstand würde das so sehen. Aber man macht Optionen für Künstler und dann kommt kurzfristig eine andere Anfrage, wo sie statt 2.000 € eben 10.000 € bekommen und die wird dann genommen. Es wird oft nicht gesagt: Gut, ich bin in dem Club groß geworden. Das Verständnis, dass die Künstler in kleinen Clubs erstmal aufwachsen müssen, ist irgendwann weg. Ich rede nicht von allen, es gibt auch viele, die das in Erinnerung behalten haben. Aber es sind eben auch viele, bei denen die Kohle an erster Stelle steht. Das finde ich schade.Habt ihr nicht durch die Geschichte und den Ruf noch ein paar Bonuspunkte – auch bei den großen DJs?

Jein, wir haben eher den Vorteil, dass wir über die Jahre viele kennengelernt und einen persönlichen Draht aufgebaut haben. Mit denen funktioniert das. Aber Bonuspunkte wegen des Rufs: Das ist romantisch gedacht, leider ist es nicht so. Wir verhandeln zum Beispiel seit vielen Jahren mit Richie Hawtin. Früher war er jedes Jahr da, zuletzt hat er 2006 gespielt. Jetzt haben wir eine Option für November. Mal sehen, ob es klappt.

Sind das Veränderungen, die die Distillery gerade tiefgreifend beeinflussen?

Nein, wir können das prinzipiell noch handlen. Unser Booker Marc hat das gut im Griff. Er sagt aber auch klar nein. Es ist nicht so, dass es die Distillery gefährdet, aber es ist insgesamt für die Musik schade. Am Wochenende war Ellen Allien da, seit 20 Jahren kennen wir sie. Sie hat das verstanden. Auch Chris Liebing ist ein guter Bekannter und der weiß Bescheid, was hier möglich ist.

Hat sich der Sound dann auch verändert, wenn alles mehr Business geworden ist?

Nein, das würde ich nicht sagen. Vom Sound her passt es. Da gibt es auch eine klare Abgrenzung. Es heißt ja nicht, dass die Künstler schlechtere Musik spielen, wenn sie mehr Geld verdienen. Und der ganze EDM-Firlefanz kommt hier eh nicht rein. Was ein wenig schade in Leipzig ist: Wenn man Künstler bucht, die up to date, aber noch nicht so bekannt sind, verstehen das viele Leipziger nicht – obwohl bei denen auch schon relativ hohe Kosten entstehen. Finanziell ist das ein Schuss in den Ofen, musikalisch dagegen super. Das muss man querfinanzieren mit Abenden, bei denen bekanntere Künstler spielen.

„Ich würde mir von Leipzig wünschen, dass das musikalische Verständnis der Leute etwas tiefgründiger wird.“

Das hat sich in den letzten Jahren geändert. Man kann nicht mehr von einer Szene sprechen wie vor 20 Jahren als noch jeder Bescheid wusste, was für ein Stück gerade läuft. Heute sind vielleicht 10 Prozent up to date, die anderen lieben die Musik, kommen mit, tanzen und haben Spaß. Aber dieses tiefgründige Musikverständnis war früher viel mehr da.Das Cluberlebnis ist mehr zum Entertainment geworden?

Ja, es ist ein Zwischending. Das Optimale für einen Club ist ja, wenn die Leute wissen, es läuft gute Musik und gar nicht schauen, wer am Abend spielt. Wenn die Leute aber nur wegen der Headliner kommen, ist es auch blöd. Trotzdem wünsche ich mir, dass die Leute sich mehr damit beschäftigen als nur zu konsumieren. Ich habe auch das Gefühl, dass durch diese „Der Kunde ist König“-Sozialisierung eine höhere Erwartungshaltung da ist. Wer seine 10 Euro Eintritt bezahlt hat, will auch unterhalten werden. Früher waren die Leute dankbar, dass man was auf die Beine gestellt hat.

Die Sperrstunde war zuletzt ein großes Thema in der Stadt. Beunruhigt euch das?

Das Ordnungsamt in Leipzig hat die Sperrstunde sehr moderat gehandhabt. Das hat nur Stress gemacht, wenn es Ärger gab. Der Stand ist aber so, dass der Stadtrat die Abschaffung der Sperrstunde in Leipzig beschließen wird. Ich habe nachher einen Termin beim Ordnungsamt, weil es noch Zuarbeiten von uns braucht. Es muss ein öffentliches Interesse nachgewiesen werden, damit es bei der Landesdirektion standhält. Ich denke, das Thema Sperrstunde ist gegessen – wenn es die Landesdirektion nicht wieder kippt. Das ist die Aufsichtsbehörde der Kommune. Die werden sich das natürlich genau anschauen – Landesregierung ist CDU, Leipzig ist SPD, die können sich nicht leiden. Da könnte es noch einmal Ärger geben. Aber von Seiten der Stadt ist es eigentlich durch.

Die Stadt hat also schon einen Spielraum bei der Auslegung?

Es gibt im Gaststättengesetz eine Möglichkeit, dass die Kommune entscheiden kann, die Sperrzeit auszusetzen oder abzuschaffen. Dieser Passus soll genutzt werden und es gibt eine breite Mehrheit. Selbst in der Verwaltung und beim Ordnungsamt ist es Konsens, dass es Sinn macht, die Sperrstunde abzuschaffen. Das ist auch das Schöne in Leipzig: Man kann hier mit der Verwaltung reden. Es gibt andere Städte, wie Nürnberg, da möchte ich keinen Club betreiben. Wenn du hier ein Problem hast, kannst du anrufen und fragen, ob man darüber reden kann. Das war bei dieser Sperrstundenproblematik ganz ähnlich.

Hilft da die Geschichte des Clubs nicht auch? Die Erfahrung und Kontakte sind gewachsen.

In diesem Fall war es ein Vorteil, dass ich nicht als Distillery-Betreiber, sondern als LiveKomm-Vorstand hingegangen bin. Und da haben sie gemerkt, dass sich die Clubs in Leipzig organisiert haben, es gibt eine bestimmte Menge, die ein Interesse bekundet. Klar, man hat über die Jahre schon die Kontakte geschaffen.

Vor einigen Jahren wurde das Gelände hinter dem Bayrischen Bahnhof, zu dem auch die Distillery gehört verkauft und es war unsicher, was mit euch wird. Seitdem ist es still darum geworden. Wie ist der Stand, was eure jetzige Location angeht?

Das Gelände wurde 2013 an die Stadtbau AG verkauft. Das ist ein Investor aus Leipzig, der hier schon verschiedene Projekte gemacht hat. Jetzt warten wir darauf, dass ein Bebauungsplan erstellt und beschlossen wird. Da ist aber zuletzt wenig passiert. Wir wissen auch nicht, wann etwas passiert. Es gibt aber die Aussage, dass die Stadtbau AG es lieber hätte, wenn wir umziehen würden. Wer die Distillery kennt, kennt auch die Kreuzung davor und weiß, wo die Straße hinführt, die sich dort andeutet. Die meinen, dass es für die Erschließung des Geländes unabdinglich ist, dass dies so bleibt. Alles andere würde verdammt teuer werden. Es gibt aber keine konkreten Vorschläge, wie ein Ersatz aussehen könnte. Das ist sehr unklar und unbefriedigend.Seid ihr in Gespräche und Planungen involviert?

Wir haben einen engen Kontakt zur Stadtbau AG. Ich gehe davon aus, dass wir noch fünf Jahre hier haben. Aber ich würde trotzdem gern einen Plan B entwickeln und eine klare Aussage haben

Gibt es schon einen Plan B im Hinterkopf?

Es gibt ihn im Kopf, aber Plan B wird erst verraten, wenn Plan A nicht funktioniert.

Es ist aber auf jeden Fall ein Thema, das euch umtreibt.

Natürlich. Wenn man nicht weiß, ob man wirklich noch fünf Jahre planen kann, ist das blöd. Ich habe zwar ein Grundvertrauen in die Welt, dass es immer irgendwie funktioniert – und das hat es auch immer.

„Aber man möchte so eine Institution gern weiterentwickeln. Das ist im Moment nicht möglich.“

Völlig unabhängig davon, wie das hier weitergeht, überlege ich auch, den Plan B weiterzuentwickeln. Mittlerweile geht es schon in die Richtung, dass wir intensiv nach einer neuen Location suchen. Um das Projekt Distillery an diesem Ort weiterzuentwickeln, müsste man massive Baumaßnahmen vornehmen. Hier ist aktuell jeder Kubikzentimeter ausgenutzt. Ich hätte schon Lust, ein paar mehr Dinge zu machen als nur einen Club. Aber das ist hier nicht möglich.

Bei der Suche hast du komplett Leipzig im Blick – oder willst du im Süden bleiben?

Ich möchte auf jeden Fall im Süden bleiben. Wir sind hier verwurzelt. Andererseits: Wenn man eine Location hat und man merkt vom Bauchgefühl her, dass es funktioniert, dann kann es auch im Osten sein. Aber ich würde gern hier im Süden, gerade im Einzugsgebiet der Karli, bleiben. Das ist unsere Homebase, wir sind in Connewitz groß geworden. Schon damals war der Umzug näher an die Stadt für uns ungewohnt.

Du bist ja der Geschäftsführer, was sind eigentlich deine Jobs?

Ich ärgere mich allen Dingen herum, die es so gibt. Dazu gehört der ganze Finanzkram mit dem Controlling und der Buchhaltung. Dann natürlich die Behördengeschichten, davon gibt es einige – von Lohnmeldungen ans Arbeitsamt über KSK- und GEMA-Abrechnungen bis zu irgendwelchen Meldungen ans Statistikamt. Personal ist noch ein Thema, wobei mich jetzt jemand unterstützt.

Ich bin natürlich auch am Wochenende im Laden, aber nicht mehr fest eingeteilt. Ich bin als freies Radikal da, kann kommen und gehen, wann ich will. Aber ich bin schon vor Ort und mache Dinge, die ich sehe. Wenn der Hausmeister ausfällt, dann mache ich auch das Klo mit sauber. Seitdem ich im LiveKomm-Vorstand bin, ist ein großer Arbeitsbereich dazugekommen. Da geht es um die Vertretung der Clubs vor der Politik und der Verwaltung auf Bundesebene. In Sachsen gibt es jetzt eine Steuerungsgruppe mit der wir ein Pop-Büro aufmachen wollen, das auf Landesebene eine Schnittstelle zwischen Regierung und Verwaltung zur Club- und Popkultur sein soll. In Leipzig trifft sich noch das LiveKombinat, ein Verbund der Leipziger Clubs, zu einer Art Stammtisch. Da steckt auch viel Organisationsarbeit dahinter. Im September hatten wir die Diskussionsrunde mit lokalen Politikern zu den Wahlprüfsteinen – und so geht mein Tätigkeitsbereich gerade mehr in Richtung Politik.Es sind also schon andere Aufgaben als vor 20 Jahren.

Mit zunehmendem Alter ziehe ich mich aus dem Tagesgeschäft im Club zurück. Bis 2003 habe ich auch das Booking gemacht. Das habe ich dann aber abgegeben, weil ich dafür keine Zeit mehr hatte. Es entwickelt sich immer mehr in die Richtung, dass ich versuche, die Clubkultur insgesamt vorwärts zu bringen. Natürlich ist es auch in meinem Interesse, weil ich auch was davon habe. Aber gerade die Kommunal- und Bundespolitik ist super interessant.

Da ich durch die Arbeit in der LiveKomm deutschlandweit mit den Clubs vernetzt bin und die Leute kennenlernt habe, macht das verdammt viel Spaß. Ich merke schon, dass ich heute anders wahrgenommen werde, was sicher nicht daran liegt, dass es den Club so lange gibt, sondern weil ich älter geworden bin. Mit Anfang 30 wurde noch eher über einen gelacht, wenn man etwas gesagt hat. Wenn ich jetzt zu irgendwelchen Behörden gehe, habe ich schon das Gefühl, dass die das ernster nehmen. Das möchte ich in den nächsten Jahren gern für die Clubkultur nutzen.

Ich mache mir auch nichts vor: Ich bin 44 und wenn unten jemand mit 20 an der Bar steht und von einem 44-jährigen bedient wird, ist das nicht mehr so cool. Mit Mitte 20 kann man auch mal zwei drei Nächste durch machen, die Nacht durchfeiern und den Laden schmeißen. Das geht jetzt nicht mehr bzw. habe ich keine Lust mehr darauf. So wird sich das immer mehr in diese neue Richtung entwickeln. Vielleicht lande ich irgendwann in der Politik. In zwei Jahren sind wieder Stadtratswahlen, da werde ich wieder kandidieren.

Durch die LiveKomm gibt es eine starke Vernetzung der Szene, wie sieht es mit der Konkurrenz aus?

Das sind zwei Seiten: Klar gibt es Konkurrenz, das ist aber keine negative Konkurrenz. Es ist auch ein positives Miteinander. Erstens bekommt man dadurch mit, dass alle die gleichen Probleme haben. Man kann sich direkt austauschen, wie es andere gelöst haben – gerade bei der Flüchtlingsproblematik gab es viele Gespräche untereinander. Aber auch bei Betriebsprüfungen oder der GEMA. Da ist der Austausch viel mehr von Vorteil, als wenn man nur über Konkurrenz nachdenken würde. Zum Beispiel habe ich auch die Idee, zusammen mit der LVB ein Nachtbus-Shuttle zu initiieren, damit zwischen den Clubs regelmäßig ein Bus hin und her fährt. So etwas ist aber nur machbar, wenn eine Menge Clubs dahinterstehen und wir nach einer Lösung schauen, wie das zu finanzieren ist.

Beim Booking hat es auch Vorteile. Bei House und Techno ist es vielleicht nicht ganz so ein Thema, aber bei den urbanen Geschichten am Freitag ist die Szene insgesamt kleiner. Und da macht es Sinn sich abzusprechen, damit nicht zwei Sachen an einem Abend landen und beide Veranstalter blöd aus der Wäsche gucken, weil sich die Gäste natürlich verteilen. Das Schöne ist auch, dass man die Menschen dadurch kennenlernt.

Gibt es etwas, das du gern umgesetzt hättest und noch möchtest, was dir aber zu unsicher war, ob es in Leipzig funktioniert?

Das Thema Label und Booking-Agentur ist über die Jahre leider nicht entstanden. Wir möchten unsere DJs und Künstler aus dem Umfeld mehr unterstützen. Ich sehe es in Berlin mit dem Berghain und Kater. Die sind bekannt und deren Residents touren durch ganz Deutschland – wir sind 25 Jahren dabei, haben das aber nicht hingekriegt. Das ärgert mich total. Aber man hat eben nur eine bestimmte Menge an Kraft, wir haben uns auf den Club konzentriert. Aber das wollen wir jetzt endlich angehen.

Was ich noch gern machen würde, wäre ein mehrtägiges Open Air in der Nähe der Stadt. Das wird aber allein von den Umweltauflagen her nicht funktionieren. Wir sehen das beim Think, es geht nur am Tag.Was wäre aus dir geworden, wenn es nicht die Distillery gegeben hätte?

Ich wollte eigentlich Physik studieren und dann Energieforschung betreiben. Ich war auf dem Ostwald-Gymnasium – zu DDR-Zeiten das Elitegymnasium im naturwissenschaftlichen Bereich. Ich war auch echt gut, hatte nach der Schule aber einfach keine Lust mehr auf Naturwissenschaften, weil wir so getriezt wurden. Dann war ich in einem Umweltverband und hatte überlegt, etwas in Richtung Umwelt und Umweltrecht zu studieren. Es hätte also sein können, dass ich entweder in der Politik gelandet oder ein bekannter Physiker geworden wäre. Aber die Distille ist mir in die Quere gekommen.

Du bist auch aktiv bei den Grünen, wie grün ist die Distillery?

Hätte ich mehr Möglichkeiten zum Bauen wäre sie richtig grün. Aber: Unseren Strom beziehen wir von Naturstrom. Das ist einer der wenigen Anbieter, die wirklich Naturstrom und nicht nur zertifizierten Strom anbieten. Ich habe auch viel Geld reingesteckt, um mit LED Strom zu sparen. Wenn man natürlich die Anreisen der Künstler betrachtet, ist es überhaupt nicht grün, weil die meisten fliegen wollen. Wenn mir das Gebäude gehören würde und ich investieren könnte, hätte ich schon längst das Flachdach mit Solarzellen voll gepflastert. Mein Ziel ist nach wie vor ein Club, der seine Energie komplett selbst produziert – das möchte ich in der neuen Location definitiv umsetzen. Im Club ist das möglich, aber die CO2-Emissionen der Flüge lassen sich damit nicht kompensieren. Doch wir versuchen mit unseren Möglichkeiten etwas zu machen. Es gibt auch kein Einweggeschirr, trotzdem entsteht Müll. Es ist immer Luft nach oben.

Wenn du heute noch einmal einen Club starten würdest, was würdest du anders machen?

Das Problem ist: Mit dem Wissen von jetzt würde ich den Club ganz anders starten. Das wäre dann nicht so naiv wie damals und das wäre ein Grund dafür, weshalb es wahrscheinlich nicht funktionieren würde.

„Ein Club funktioniert, weil du am Anfang gar nicht das Wissen über die Probleme hast, die es geben kann.“

Deshalb fängst du einfach an und holst dir ab und zu eine blutige Nase. Das gehört zum Lernprozess dazu. Aber mit meinem heutigen Wissen hätte ich die damalige Distille nie eröffnet. Es wäre einfach undenkbar gewesen mit den ganzen Gefahren, beim Brandschutz etwa. Aber wir haben es einfach gemacht, weil wir darauf Bock hatten. Ich würde natürlich viele Fehler vermeiden, die ich gemacht habe. Ewig habe ich zu spät GEMA gezahlt und dadurch viele Mahngebühren verursacht. Man lernt auch bei der Buchhaltung dazu. Da sind natürlich auch Fehler passiert, die Geld gekostet haben. Aber inhaltlich würde ich nicht viel anders machen. Es gibt nichts, was ich da bereue. Das Entscheidende beim Führen eines Clubs ist, wenn du ein Bauchgefühl zu bestimmten Dingen hast, die funktionieren und eher nicht. Also man sollte weniger mit einem Konzept, Businessplan oder zu viel Rationalität arbeiten, es muss aus dem Herzen kommen.Man müsste also vor als jemandem, der heute ähnlich naiv einen Club startet, noch größeren Respekt haben?

Man kann heute nicht einfach einen Club eröffnen, wie wir das damals gemacht haben. Es müssen von Anfang an alle Vorschriften beachtet werden, sonst ist der Laden ganz schnell zu. Allein das kostet so viel Geld. Wenn du einen legalen Club aufmachen möchtest, musst du erstmal jede Menge investieren. Du musst einen Plan machen und zu einer Bank gehen. Wenn du es dann noch schaffst, kreativ zu bleiben und deinen Kopf freizuhalten – davor habe ich höchsten Respekt.

„Es ist heute schon tausendmal schwieriger.“

Ist das vielleicht auch ein Grund für die vielen illegalen Open Airs? Dort kann man sich ohne Behördenauflagen ausprobieren.

Ja, klar. Ich denke, da geht es auch weniger darum, illegal zu sein, sondern man macht es einfach und schaut, wie lange es funktioniert. Leider gibt es da auch ein paar Veranstalter, die ihren Kopf nicht richtig einschalten und gar nicht darüber nachdenken, was sie ihrer Umgebung antun. Da gab es Geschichten, die der ganzen Szene schaden. Wenn schon illegal, dann wenigstens so, dass es keiner mitkriegt. Das ist ja im Prinzip die Keimzelle. Dort entstehen die lustigen und kreativen Dinge. In einem eingesessenen Club funktionieren die viel weniger. Mit Anfang 20 hast du auch gar nicht die Kohle, es sei denn du hast fett geerbt – aber dann kannst du es auch lassen. Ich halte aber auch nicht viel von kostenlosen Sachen. Die Leute, die dort hingehen, verlieren das Gefühl für den Wert und für die Musik. Letztendlich macht dies die Clubkultur ein stückweit kaputt, wenn das Verständnis bei den Leuten wegbricht.

Machst du dir Gedanken über einen Generationswechsel im Laden oder ist das noch in weiter Ferne?

Ja auf jeden Fall. Die Leute, die fest angestellt sind und den Laden schmeißen, sind alle Ende 30. Wir versuchen schon, neue Leute reinzubekommen. Es gibt auch Nachwuchs, den wir aufbauen. Aber klar, irgendwann muss die Generation auch mal wechseln. Erstens bekommt man das gesundheitlich nicht mehr gebacken, zweitens fehlt es nachts auch an der Glaubwürdigkeit. Wenn du an der Bar von jemandem bedient wird, der eine Generation über dir ist, ist das nicht so cool. Im Barbereich ist es mit Nachwuchs kein Problem, aber bei der Technik wird es schwieriger. Über die Jahre hat man eine Vertrauensbasis aufgebaut – ich vertraue meinen Leuten hier blind. Die sind alle lange dabei. Tina ist beim Booking für den Freitag dazugekommen – sie ist im Prinzip schon von der nachwachsenden Generation.

Was ist deine Lieblingszeit in einer Distillery-Nacht?

Die schönste Zeit ist zwischen sechs und acht Uhr. Wenn die Leute ihre ganze Energie rausgelassen haben und entspannt sind. Da kann der DJ mit den Leuten noch einmal ganz anders arbeiten. Dann ist hier eine besondere Energie im Laden.

Worauf freust du am meisten bei eurem Jubiläumsprogramm?

Ich freue mich – wenn es klappt – auf Richie Hawtin. Auf Gabor (Robag Wruhme) freue ich mich auch, weil es ein Freund ist. Aber eigentlich geht es mir weniger um die Künstler, ich freue mich auf die Leute, die schon lange nicht da waren. Die Geburtstagsabende sind immer ganz speziell.

Foto-Credits: Distillery Archiv, Tom Schulze, Stefan Leuschel

CommentComment

  • Realität / 26. Oktober 2017 / um 16:48
    Ja, das sind eure Fixkosten.
    Ändert nichts daran dass es preislich keinen Spaß mehr macht.
    Warum hier alles teurer wird und zu welchem Zweck und wer dahinter steckt - das interessiert euch ja auch nicht wirklich. Ist halt irgendwie gottgewollt und natürlich? Sollns halt die Gäste zahlen, so einfach ist das?
    Fragt sich nur wie lange noch.
    Dann geht hier halt hops, so einfach und gottgewollt ist das dann.
    Könnt ihr abhaken dass alles so bleibt, die Stadt kotzt euch aus - bzw. das neue Publikum kotzt euch an. Was sich am Ende nicht so sehr um Eintrittsgelder Gedanken machen muss oder nen "Soli" bekommt.

    :D
  • Christian / 19. Oktober 2017 / um 10:32
    Prima, dass im Zusammenhang mit dem Geburtstag mal nicht über die Geschichte der Distille sondern deren Zukunft und das Tagesgeschäft gesprochen wurde. Ein sehr interessantes Interview - wie ich finde.

    Grüße aus dem UT

    Christian
  • Georg / 19. Oktober 2017 / um 07:56
    Liebe Realität,
    vielleicht solltest Du zuvor über das Gesamtpaket (Club = Kulturprogramm + jegliche Form von Infrastruktur wie z.B. Wasser, Heizung, Personal, Sicherheit, Location, Hygiene hinter der Bar...) nachdenken und nicht gleich vollkommen unreflektiert irgendwelche Zahlenspiele eröffnen.
    Sei doch so gut, und nimm Dir das nächste Mal ein wenig mehr Zeit für das Niederschreiben eines solchen Statements.

    In Liebe,
    deine Subjektivität
  • Realität / 18. Oktober 2017 / um 14:39
    10 Euro Eintritt, über 3 Euro für 0,33l Bier - macht alles kein Spaß mehr.

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