Eine Anlage, etwas Bier, eine Handvoll DJs, eine Prise Glitzer – et voilà, ein Open Air. Um einen ordentlichen Rave im Grünen auf die Beine zu stellen, braucht es jedoch mehr. Worauf die Crews bei der Spotsuche achten müssen und wieso mit Bier und Kippe im Stuhlkreis sitzen so wichtig für den fetten Rave am Ende ist.
Auf Entdeckungstour im Leipziger Outback
Dienstag, 16:30 Uhr. Südlich von Leipzig.
Drei Wochen bis zum Open Air.
Unsere Räder holpern über die schmale Schotterpiste, die sich durch einen lichten Birkenwald schlängelt. In der Ferne das leise, konstante Brummen der Autobahn. Vogelgezwitscher im Ohr, die sanfte Sonne auf der Haut.
Vor einer Dreiviertelstunde ging es mit der S-Bahn in Richtung Süden. An einem kleinen, wie ausgestorben daliegenden Bahnhof angekommen, schnell auf die Räder geschwungen und losgefahren – über eine Landstraße, an einem See vorbei, durch einen Wald. Immer Max hinterher, denn er hat die Koordinaten auf seinem Handy. Sie zeigen uns den Ort an, zu dem wir wollen.
„Wie weit ist es noch?“, stöhnt Elena auf dem Rad hinter mir. Die Erschöpfung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Max dreht sich zu uns um: „Die Koordinaten zeigen noch ungefähr dreihundert Meter. Der Spot müsste gleich da vorne hinter der Biegung sein.“
Max, Elena & Nebel
Max – Anfang zwanzig, feuerrotes, kurzrasiertes Haar, immer ein breites Lächeln auf den Lippen. Auf seiner Nase eine silberne Nickelbrille, in den Grübchen seiner Wangen silberne Piercings. Die mit Ornamenten verzierte Kette am Lederband um seinen Hals gibt ihm etwas Hippieskes. Er ist in Leipzig aufgewachsen und studiert hier an der Universität Psychologie.
Elena ist eine sympathische, etwas verpeilte, junge Frau mit dunklem Lockenschopf. In ihrem Haar steckt eine schwarze Sonnenbrille. Dazu trägt sie etwas ausgelatschte Sneakers, schwarze Sportshorts und ein weißes T-Shirt, ihre schwarze Bauchtasche um die Schultern gegürtet. Sie ist vor ein paar Jahren wegen ihres Politik-Studiums nach Leipzig gezogen.
Die beiden sind Mitglieder des Kollektivs Nebel. Das Kollektiv hat sich vor ungefähr einem Jahr gegründet und besteht aus gut fünfzehn Leuten. Allesamt sind ziemlich verschiedene Charaktere – mit einer Gemeinsamkeit: Die Liebe zur elektronischen Musik. Vergangenen Sommer hat die Crew zwei Open Airs veranstaltet, dann kam der Winter und sie mussten wetterbedingt in die Keller der Clubs ausweichen. Für dieses Jahr ist es an der Zeit, sich wieder in Sonne und Natur zu begeben, finden die Mitglieder.Gefährliche Spuren und kritische Outdoorjacken
Max und Elena sind gerade auf der Suche nach einem geeigneten Ort für das nächste Open Air. Sie sind gewissermaßen die Kundschafter*innen für die ganze Crew und sollen verschiedene Spots auf ihre Tauglichkeit prüfen. Der Wald lichtet sich, der Schotterweg mündet in eine Kreuzung. Max wirft einen Blick auf sein Handy. „Hier ist es!“, ruft er triumphierend. Er springt von seinem Rad und lehnt es an einen Baum.
Wir stehen vor einer großen Lichtung, die zum Großteil von einem Zaun umgeben ist. Der Boden ist vom Regen der vergangenen Tage aufgeweicht und morastig, welkes Laub und Moos bedeckt den Boden. Im Matsch zeichnen sich Wildschweinspuren ab. Wir begeben uns auf Entdeckungstour, stapfen auf dem Gelände umher und schlagen uns durch das dichte Unterholz. „Hier wäre vielleicht Platz für das DJ-Pult, dann könnten wir daneben die Bar stellen“, schlägt Elena vor und zeigt auf die Grenze zwischen Lichtung und Wald.
„Wir brauchen einen Platz, an dem wir ungestört sind – aber das ist hier nicht der Fall.“ – Max
Ziemlich schnell zeigt sich jedoch, dass dieser Spot für das Open Air ungeeignet ist: Der Boden ist zwar flach und wäre demnach eine solide Tanzfläche, allerdings liegen überall Schuttberge herum, die eine mögliche Gefahrenquelle darstellen. Noch viel problematischer ist jedoch die Lage nur wenige Meter von einem See entfernt.
Ein Pärchen mittleren Alters, das sich für den Spaziergang um den Baggersee in volle Outdoor-Montur geworfen hat, spaziert am Zaun entlang, bleibt kurz stehen und beäugt uns kritisch. „Hier ist es nicht abgeschieden genug. Wir brauchen einen Platz, an dem wir ungestört sind – aber das ist hier nicht der Fall“, kommentiert Max ernüchtert.
Damit fällt dieser Spot bei einem der wichtigsten Kriterien durch: Die Sicherheit vor der Öffentlichkeit. Ist die Location nah an einem belebten Wanderweg oder ähnlichem gelegen, riskiert die Crew einen schnellen Besuch der Polizei. Darüber hinaus ist das Gelände zum Teil umzäunt, juristisch gesagt: umfriedet. Diese Umfriedung kennzeichnet ein Privatgelände. Würde die Crew das Open Air dort veranstalten und erwischt werden, würde sich die Strafe durch den Tatbestand des Hausfriedensbruchs noch erhöhen. Und die Wildschweinspuren im Matsch lassen darauf schließen, dass die Verursacher nicht weit sind. Das ist einerseits aus Tierschutzgründen problematisch, andererseits könnte ein wütendes Wildschwein, das seine Jungen verteidigen möchte, auch zur Gefahr für die Gäste des Open Airs werden.
Die Mücken, die permanent um unsere Köpfe schwirren und uns mit ihren Stichen traktieren, machen die Situation nicht gerade besser. Leicht frustriert sammeln wir unsere Räder wieder ein und fahren weiter. Ein weiterer Spot steht noch auf unserer Liste.
Idylle in der Abendsonne
Einige Minuten später biegen wir von einer breiten, geteerten Forststraße auf einen unbefestigten Feldweg ab. Die Abendsonne wirft ihr warmes Licht auf eine kleine Hügelkette zu unserer Linken. Es sind vier oder fünf Hügel, die sich in einer Reihe aneinanderschmiegen und mit Gras, Dornengestrüpp und niedrigen Bäumen bewachsen sind. Zu unserer Rechten ein Acker, ein paar Obstbäume, ein kleiner Tümpel. „Wow – mega schön hier!“, entfährt es Elena. Auch über Max‘ Gesicht breitet sich beim Anblick dieser idyllischen Kulisse ein begeistertes Lächeln aus.
Die Hügel bilden kleine Buchten – perfekt für einen gemütlichen, geschützten Floor. „Das hier muss auf jeden Fall noch weg“, sagt Max und zupft mit kritischem Blick an den langen Grashalmen, die ihm bis zur Hüfte reichen. Auch die Lage ist ideal: Recht nah an der Bahn-Station, aber dennoch weit außerhalb der Stadt und ein gutes Stück entfernt von Wohngebieten. Elena strahlt: „Um die Lautstärke müssen wir uns wohl keine Sorgen machen.“ Die Forststraße scheint ebenfalls verlassen zu sein, und auch sonst zeigt sich keine Menschenseele.
Das einzige Manko: Zwei Hochsitze flankieren den Acker unmittelbar neben den Hügeln. „Hoffentlich taucht Sonntagmorgen nicht der kurzsichtige Förster auf und macht mit seiner Flinte Jagd auf verwirrte Raver“, grinst Elena. Die beiden fotografieren und filmen die Location, um den anderen Crewmitgliedern beim nächsten Plenum einen fundierten Eindruck verschaffen zu können. Die beiden sind sich sicher: Sie haben den perfekten Spot gefunden.„Hallo und herzlich willkommen zu unserem heutigen Plenum“
Freitag, 21 Uhr. Leipzig-Volkmarsdorf.
Drei Wochen bis zum Open Air.
Drei Tage sind vergangen, seit Max, Elena und ich den malerischen Spot bei der Hügelkette entdeckt haben. Ich sitze auf einem roten Perserteppich in einer verwinkelten Ein-Zimmer-Wohnung im Leipziger Osten. Die sanfte Wärme des Tages staut sich hier im Dachgeschoss zu schweißtreibender Hitze. In einer Ecke des Zimmers sind zwei Plattenspieler, CDJs und ein Mixer, sowie analoges Equipment zum Produzieren elektronischer Musik aufgebaut. Auf dem alten DDR-Fliesentisch vor mir: Drehzeug, Aschenbecher, leere Bierflaschen, volle Bierflaschen. Im Hintergrund läuft leise ein Techno-Set.
Wir sitzen in einem großen Kreis. Ein paar auf einem zerschlissenen Ledersofa, der Großteil auf dem Boden. Elena schaukelt auf dem Schaukelstuhl neben mir entspannt vor und zurück. Fast alle aus der Crew sind da, das Open Air steht schließlich kurz bevor und es gibt einiges zu besprechen. Gerade ist der Lärmpegel noch recht hoch: In kleinen Grüppchen werden amüsiert Geschichten des vergangenen Wochenendes ausgetauscht, gefragt, wo man am Abend feiern gehe und über Gott und die Welt geschnackt. Till, ein großer Typ mit blondem Dutt und Dreitagebart, ergreift das Wort. Die Gespräche verstummen, alle schauen ihn erwartungsvoll an.„Hallo und herzlich willkommen zu unserem heutigen Plenum“, leiert er in gespielt-seriösem Ton und lacht dann. Er kratzt sich nachdenklich am Kinn und blickt auf den vollgekritzelten Zettel, der auf dem leeren Pizzakarton auf seinem Schoß liegt. „Wir haben heute relativ viel auf dem Programm, im Vergleich zu den letzten Wochen.“ Neben dem anstehenden Open Air wird auch die Planung einer Party in einem Club angegangen, die ebenfalls kurz bevorsteht.
Elena beugt sich zu mir herüber. Flüsternd erklärt sie: Das Plenum von Nebel findet fast jede Woche statt. Es gibt immer etwas zu besprechen, mal mehr, mal weniger. Wenn mehr, dann kann sich die Diskussion auch mal bis Mitternacht ziehen. Wenn weniger, wird die Agenda innerhalb einer halben Stunde abgearbeitet und danach einfach zusammengesessen, geschnackt und aufgelegt. Bei jedem Plenum wird Protokoll geführt, damit diejenigen, die es mal nicht zum Plenum schaffen, sich ohne Schwierigkeiten auf den aktuellen Stand bringen können.
„Bitte tragt euch in die Liste mit euren Verfügbarkeiten ein“, fährt Till mit der Open Air-Organisation fort. „Dann können wir effektiv planen, welche Bauprojekte sich schon an den Tagen vor dem Open Air umsetzen lassen. Außerdem müssen wir eine Materialübersicht erstellen, in die wir sowohl Baumaterial als auch Werkzeug eintragen können.“
Danach geht es um den Spot. Till übergibt das Wort an Max, der von unseren Abenteuern im Leipziger Süden berichtet und schließlich von unserer Entdeckung erzählt und Fotos zeigt. Begeisterung macht sich breit, die Leute beginnen in Einzelgesprächen abzudriften. Till ruft sie jedoch wieder zur Räson. „Also wir haben uns darauf geeinigt, dass wir zwei Floors haben, eine richtig große Bar, wo vier Leute bedienen können, mit Backstage für unseren Kram.“
Wraps oder Kartoffelsalat?
Ein Finger tippt sachte auf meine Schulter. Ich drehe mich zu Elena. „Till moderiert da Plenum, hat eine Agenda ausgearbeitet und sagt Leuten, dass sie die Klappe halten sollen, wenn es hier zu laut wird. Aber trotzdem ist er auf keinen Fall unser ‚Chef‘ oder so“, erzählt sie mit gesenkter Stimme. Im Kollektiv wird alles gemeinschaftlich und demokratisch entschieden. Egal ob das Auflegen, die Logistik, die Bar-Organisation, die Deko oder die PR der Schwerpunkt der Tätigkeiten ist, alle stehen auf der selben Stufe – das macht ein Kollektiv aus, erklärt sie.
In unserem Sitzkreis wird gerade diskutiert: Wer legt wann auf und auf welchem der beiden Floors? Sollen Soundanlage und DJ-Equipment gemietet oder von Crew-Mitgliedern geliehen werden? Welche Getränke und müssen gekauft und welche Snacks zubereitet werden? Wann und wo werden alle Paletten, Sofas, Holzbretter und Werkzeuge gesammelt und zusammen mit dem DJ-Equipment und der Anlage zum Spot gebracht? Und vor allem: Wer bleibt nüchtern und wird nach dem Abbau alles zurückfahren?
Donnerstagabend. Zwei Tage bis zum Open Air.
In den Plena wurden die wichtigsten Entscheidungen und Absprachen getroffen, die konkreten Details werden jedoch erst in den Tagen vor dem Open Air in einem Messenger-Gruppenchat besprochen. Im Minutentakt ploppen auf meinem Handy neue Nachrichten auf: Über Nacht- und Nebelaktionen zur Beschaffung von Baumaterialien für die Deko, über die besten Läden auf der Eisenbahnstraße, um günstiges Fladenbrot für den Essensstand zu kaufen, über Barschichtpläne und ob eigentlich jemand einen Generator besorgt hat.
Im dritten Teil unserer Reihe über die Leipziger Open Air-Kultur erfahrt ihr, wie die handwerklichen und künstlerischen Talente vor Ort zum Einsatz kommen, was das Kollektiv mit den Spenden der Gäste anfängt, wie sich die
FEUERTANZ – TEIL I: RISKANTE RAVES IM GRÜNEN
FEUERTANZ – TEIL II: DER PERFEKTE SPOT UND DISKUSSION IM PLANUNGSPLENUM
FEUERTANZ – TEIL III: BAUSTELLENABMIENTE, INVESTITIONEN UND POLIZEI-PRÄVENTION
FEUERTANZ – TEIL IV: GEDANKEN VON BESUCHER*INNEN & ENTWICKLUNGEN DER LETZTEN JAHRE
FEUERTENZ – TEIL V: ZU FRÜH GEFREUT – AUFTRITT POLIZEI
FEUERTANZ – TEIL VI: GESETZE VERSUS RECHTE
Fotos: Lea Schröder