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Lea Schröder (sie/ihr)
Umgeben von leeren Mateflaschen und vollen Aschenbechern schreibe ich am liebsten gründlich recherchierte und stets viel zu lange Reportagen und Features, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Clubkultur beschäftigen. Bin in präpandemischen Zeiten so gut wie jedes Wochenende raven gegangen und lege als shrœderin energiegeladenen Techno auf. (Foto: Sophie Boche)

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FEUERTANZ – Teil IV: Gedanken von Besucher*innen & Entwicklungen der letzten Jahre

27. September 2018 / Kommentare (0)

Strobos, Wummern, Sekt, Kippen, Kaugummis und Schweiß – die Party läuft. Wie Mensch auf ein Open Air kommt, was einen Rave in Off-Location so reizvoll macht, wie es vor ein paar Jahren war und wie es möglicherweise in ein paar Jahren sein wird.

Ein Kurzurlaub in der Natur
02:00 Uhr. Südlich von Leipzig.
Sein Kopf wippt im Takt, der Gesichtsausdruck verrät seine Konzentration. Ein Scheinwerferspot erleuchtet den drahtigen Typ mit rotem Lockenkopf hinter dem hölzernen DJ-Pult. Er schaut kurz hoch, lächelt und setzt seine Kopfhörer auf, um den Übergang zum nächsten Track anzupassen. Die Menge der Tanzenden bewegt sich wie im Rausch zu den unnachgiebigen Bässen des treibenden Technos. Einige jubeln, reißen die Arme in die Luft. Es riecht nach Gras und Sommernacht.

Es beginnt zu nieseln, ein paar Tropfen fallen vom schwarzen Himmel. Das hemmt die Stimmung in keiner Weise, für die Leute ist der sanfte Schauer eine willkommene Erfrischung. Und auch der DJ lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Vor lauter Konzentration scheint er vom Wetterumschwung nichts mitzubekommen. Drei Leute eilen hinter das DJ-Pult, in der Hand eine riesige Plastikplane. Sie halten die Plane hoch über ihrem Kopf und schützen Mixer, Turntables und Anlage vor den kühlen Tropfen.

„Wir wussten nicht, was uns erwartet“ – Besucher

Trotz des leichten Regens und der nächtlichen Kälte wird mir ganz schön heiß hier zwischen den ganzen Körpern. Alles ist ständig in Bewegung – ich brauch mal eine Tanzpause. Ein Stück von der Tanzfläche entfernt setze ich mich auf die Wiese, zu einer kleinen Gruppe Menschen, die gerade erst angekommen sind.

„Der Weg mit dem Rad von der Stadt aus war ganz schön kräftezehrend. Aber wir haben es endlich hergeschafft. Jetzt müssen wir kurz durchatmen, bevor wir gleich tanzen gehen“, erzählt ein Typ in wildgemustertem, violetten Second-Hand Hemd im Achtziger-Look. Ich frage ihn, wie sie von dem Open Air erfahren haben. „Eine Facebook-Veranstaltung oder so gab es ja nicht. Meine Mitbewohnerin hat mir ein kleines, süßes Kärtchen in die Hand gedrückt, auf das nur die Koordinaten und das Datum gestempelt waren. Wir wussten gar nicht so wirklich, was uns erwartetet.“

Da Open Airs in den seltensten Fällen bei der Stadt angemeldet werden, müssen sich die Kollektive natürlich mit Werbung zurückhalten. „Die Infos über Open Airs bekomme ich meistens über drei Ecken. Irgendwer ist in irgendeiner Facebook- oder Whats-App-Gruppe, erzählt das dem nächsten und der erzählt das mir. Das läuft eigentlich immer über Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Er nippt halbherzig an einer fast vollen Sektflasche und sieht ein wenig erschöpft von der langen Anfahrt aus.Wer unterm Sternenhimmel zu elektronischer Musik tanzen möchte, muss also die Ohren offenhalten und das Smartphone eingeschaltet lassen, um Koordinaten in Erfahrung zu bringen. Dann geht es über ewig lange, steinige Feldwege oder unbeleuchtete Wald-Pfade, weit außerhalb des Stadtgebiets. Bei den Ziel-Koordinaten angekommen, sind zwar dumpf pumpende Bässe deutlich durchs Gehölz zu vernehmen, aber rein gar nichts zu sehen. Also weitersuchen, durch die Dunkelheit.

„Das ist so ein Freundschafts-Gedöns“ – Besucherin

Da scheint ein Clubbesuch doch logistisch und organisatorisch viel entspannter. Wieso treibt es doch so viele auf Open Airs? „Da hat man Sonne, die Kommunikation ist einfacher, man ist freier – es ist ein bisschen wie ein kleines Festival“, erzählt mir ein Mädchen mit einer Sonnenbrille im Haar und strahlenden Augen. „Das ist mehr so ein Freundschafts-Gedöns, wo man sich trifft und gemeinsam zu der Mucke von Leuten abhängt, die man kennt. Manchmal fast wie ein Familien-Kurzurlaub in der Natur, du gehst mit deinen Freunden hin und dort sind überall noch mehr Freunde. Es ist echt schön.“

Mittlerweile hat der Typ im Achtziger-Hemd die Sektflasche zum Großteil geleert. Die Wangen leicht gerötet und ein leichtes Lallen in der Stimme ergänzt er: „Und es ist eine richtig geile Atmosphäre hier unter den Bäumen – das geht in keinem Club. Die Bäume sind beleuchtet, die Discokugel strahlt die Äste an. Mega schön!“ „Und fette Mucke!“, lacht das Mädchen mit der Sonnenbrille. Ein großer Typ mit Dreads fügt hinzu: „Die Kollektive nehmen sich den öffentlichen Raum zurück – das hat was von Unkontrolliertheit. Es ist fast schon kapitalismuskritisch, weil du keinen Eintritt bezahlst, es gibt keinen Türsteher. Es ist einfach anarchistischer, denk ich.“ Mein Hals trocken und mein Bier fast leer. Ich verabschiede mich von der kleinen Gruppe, schnappe meine leere Flasche und wage mich zurück ins Getümmel.Zukunftsmusik
Einen Fuß vor den anderen setzend tapse ich vorsichtig über den schmalen Pfad in Richtung Bar. Die bunten Lichter der Floors und der Bar sind zu weit entfernt, um den unebenen Boden genauer auszumachen. Nur der Vollmond spendet ein Minimum an Licht. Bloß nicht umknicken.

Gesund und munter an der Bar angekommen reihe ich mich in Schlange der Wartenden ein. Ich komme mit einem Typ mit braunem Lockenkopf ins Gespräch. Er besucht Leipziger Open Airs seit ein paar Jahren und prognostiziert eine gewisse Tendenz in ihrer Entwicklung: „Teilweise entwickelt sich mehr in der Szene, aber teilweise wird es auch schwieriger mit den Locations. Vor allem durch die steigende Gentrifizierung in vielen Teilen der Stadt und dadurch, dass die Polizei härter vorgeht. Ich schätze mal, dass es weniger werden wird in den nächsten Jahren, weil die Politik restriktiver wird.“Jetzt bin ich an der Reihe und lehne mich an die hölzerne Theke. „Bitte keine Fotos!“, steht auf den Tresen geschrieben. An der Retro-Lampe darüber ist mittlerweile ein Schild befestigt: „Bitte wendet euch an unser Awareness-Team, wenn ihr euch belästigt oder diskriminiert fühlt, oder solche Situationen beobachtet. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung werden nicht toleriert.“ Der schlanke Typ mit Bandshirt, der hinter dem Tresen steht, schaut mich fragend an. Ich bestelle ein Bier und frage ihn, wie er den bisherigen Abend empfindet: „Läuft. Es sind genug Gäste da, alle haben viel Spaß. Ich fühle mich grad irgendwie beschwingt“, lacht er und prostet mir zu.

Morgendliche Idylle
05:30 Uhr. Südlich von Leipzig.
Die Erinnerungen an die letzten Stunden haben sich zu einer wabernden Wolke aus flackernden Strobos, stampfenden Basslines, Gesprächsfetzen und Stolpern durch die Dunkelheit vermengt; Einzelne, aufblitzende Szenen schwirren in meinem Kopf herum. Elena und Max habe ich seit Stunden aus den Augen verloren. Jemanden in der Dunkelheit zu finden scheint schier unmöglich, vor allem weil ein Großteil der Gäste fast vollständig in Schwarz gekleidet ist. Mittlerweile wird die Nacht vom Morgengrauen abgelöst. Die Luft ist angenehm frisch. Erste Sonnenstrahlen zeigen sich zögernd am Horizont und tauchen den blassen Himmel in warmes Licht.

Ich habe also wieder eine Chance, Max und Elena aufzuspüren. Ich lehne an der Bar und nippe an einer Wasserflasche. Mein Blick schweift suchend über das Gelände. Hier an der Bar stehen nur noch wenige Leute, niemand trinkt mehr Schnaps, stattdessen klammern sich die meisten wie ich an einer Wasserflasche oder einem Radler fest. Auf der Wiese sitzen kleine Grüppchen zusammen, die ersten Sonnenstrahlen genießend.Vom kleinen Floor zu meiner Linken tönt groovender Gute-Laune-House. Keine zehn Leute bewegen sich gemächlich und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen unter dem großen Fallschirm im Takt der Musik. Ich erkenne Elena und Max. Zusammen mit ein paar anderen haben sie sich einen der steilen Hügel neben der Tanzfläche hochgekämpft, um von dort aus den Sonnenaufgang zu beobachten. Sie sehen mich und winken mir zu. Also mache ich mich an den Aufstieg – halte mich an Grasbüscheln fest und versuche, auf dem sandigen Untergrund die Balance zu halten, um den Hügel nicht Hintern voran wieder runterzuschlittern.

„Ich bin einfach mega euphorisch“ – Max

Oben angekommen setze ich mich zu Elena und Max. Den beiden geht es wunderbar, sagen sie. Die Anstrengungen der Nacht sind trotzdem an ihren müden, leicht geröteten Augen zu erkennen. „Die Party läuft echt super“, strahlt Max. „Ich habe so viele Leute kennengelernt, so viel getanzt, interessante Gespräche geführt und bin einfach immer noch mega euphorisch!“ „Ich bin so glücklich, dass die Polizei nicht kam“, lächelt Elena. „Ich hätte es echt nicht gedacht, in letzter Zeit lösen die ja fast jedes Open Air auf. Da haben wir wohl echt einen guten Spot erwischt.“

Vor zwei, drei Jahren störte es scheinbar niemanden, wenn ein paar Leute eine Anlage und ein paar Kästen Bier in den Wald schleppten. Rückte die Polizei dann doch mal an, setzten die Beamt*innen meist eine Frist von ein, zwei Stunden. Bis dahin solle die Musik aus sein. Manche standen auch nur am Rand der Tanzfläche und beobachteten das Treiben, sonst passierte nichts. Und hartnäckigen Gerüchten zufolge feierten einige sogar begeistert mit.Seit Sommer 2017 sieht das Bild anders aus. Die Polizei spürt fast jedes Open Air auf, beendet die Veranstaltung rigoros und beschlagnahmt manchmal auch Equipment, um das Weiterfeiern an dieser oder einer Ausweich-Location zu verhindern. Der Grund für diese Entwicklung: In den letzten Monaten gelang es der Polizei, mehr Personal für die Auflösung von Open Airs abzustellen. Gut für die Beamt*innen im Einsatz – das Gefühl, zu zweit oder zu dritt einer feiernden, von Alkohol und Wer-Weiß-Was berauschten Meute gegenüberzutreten, um den ganzen Spaß zu beenden, muss ziemlich unangenehm sein. In dem Fall müssen sich die Beamt*innen auf Beleidigungen und manchmal auch Angriffe gegen ihre Streifenwagen oder auch sich selbst einstellen. Das ist zwar nicht oft der Fall, aber es kommt vor.

„Ich geh mal wieder tanzen!“, sagt Elena, steht auf und tastet sich langsam den Hügel runter. Ich kraxele hinterher.

Im fünften Teil unserer Reihe über die Leipziger Open Air-Kultur erfahrt ihr, wie ein Open Air schneller vorbei sein kann, als gedacht, ob der Notfallplan beim Besuch der Polizei aufgeht und welches Fazit die Crew aus dem ganzen Spektakel zieht.

FEUERTANZ – TEIL I: RISKANTE RAVES IM GRÜNEN

FEUERTANZ – TEIL II: DER PERFEKTE SPOT UND DISKUSSION IM PLANUNGSPLENUM

FEUERTANZ – TEIL III: BAUSTELLENABMIENTE, INVESTITIONEN UND POLIZEI-PRÄVENTION

FEUERTANZ – TEIL IV: GEDANKEN VON BESUCHER*INNEN & ENTWICKLUNGEN DER LETZTEN JAHRE

FEUERTENZ – TEIL V: ZU FRÜH GEFREUT – AUFTRITT POLIZEI

FEUERTANZ – TEIL VI: GESETZE VERSUS RECHTE

Fotos: M.L. (2, 3, 4), Lea Schröder (6, 7), Valerie Zöllner (1, 5)

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