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Jens
Im Stadtmagazin Kreuzer war irgendwann kein Platz mehr für die viele gute elektronische Musik aus Leipzig. Also hat Jens im Sommer 2009 frohfroh gegründet.

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New In – Jul / Aug 22

02. September 2022 / Kommentare (0)

New In ist zurück aus der Sommerpause – wir haben die spannendsten Leipzig-Platten aus Juli und August herausgefiltert. Here we go!

Various Artists „Clear Memory 008“ (Clear Memory)

Direkt am 1. Juli kam eine neue Clear Memory heraus – dieses Mal eine 5-Track-Compilation mit einigen neuen Electro-Nuancen. Varum ist auch dabei und mixt wie schon bei seinem tollen Debüt-Album sehr erfrischende 80igs-HipHop-Vibes mit rein. Und Mr. Beefs „Project 15“ ist so nice melodiös und groovy, wie ich Electro schon lange nicht mehr gehört habe. Aber auch VR-Systems „Electro Queen“ hat einigen Pop-Appeal. Die größte Überraschung ist Hayter. Er haut mit seinem „Leicht Bewölkt, Sonst Hayter“ ein richtiges Wave-Pre-EBM-Brett heraus. Mit deutschen Vocals und guter Dramaturgie. Sehr vielseitige und spannende Compilation.

Mein Hit: „Project 15“. Why: Weil mich die ruppiger Softness direkt mitnimmt.


Gnork „RM12017“ (R.A.N.D. Muzik)

Bei R.A.N.D. gibt es erstmals House aus Budapest zu hören. Gnork steuert eine 4-Track-EP bei, die wie so oft bei R.A.N.D. in der House-Nostalgie schwelgt. Hier aber mal mit schön scheppernden Claps und HiHats sowie einigen Breaks-Sidekicks. „RM12017“ changiert sehr gut zwischen einer gewissen Straightness und der obligatorischen House-Deepness. Richtig warmflutend klingt „Lazy Beats“, ein unglaublich einnehmender Bass mit ebenso umarmenden und warmen Snyth-Chords. Dazu ein etwas verstockter Beat, der permanent die Spannung hält, ohne sie richtig aufzulösen. Mega.

Mein Hit: „xxx“. Why: xxx.


Limc „Ramp EP“ (Inch by Inch)

Yeah, Christoph ist für eine Plattenreview zurück, er hat die neue Inch by Inch und meint dazu: Beim Lindenauer Plattenladen Inch by Inch nimmt die Label-Arbeit mittlerweile immer mehr Fahrt auf. Während das zugehörige Hip Hop-Sublabel Hole in One seit 2020 fünf 7″-Singles mit Beats und Remixes von Inch by Inch-Chef Drunkenstein herausgebracht hat und sich außerdem um Reissues rarer Memphis-Rap-Aufnahmen kümmert, ist auf dem vielseitigen Hauptlabel nun die vierte Vinyl-Veröffentlichung erschienen. Nach sphärischen House-Gefilden, schmackhaften Italo-Disco-Edits und trockenen bangenden Electro folgt mit der „Ramp EP“ vom Leipziger Producer Limc ein Sound, der hier weder im Nachtleben noch in der Labellandschaft häufig stattfindet, aber dennoch auch nie wirklich weg war. Vertrackte Rhythmik, verspulte Melodien, oft durch eine unüberschaubare Anzahl von Effekten gejagt und vor allem in UK nicht selten mit einer verregneten Melancholie durchsetzt: Vor ein paar Jahrzehnten wurde diese Kombination vom legendären Label Rephlex treffend als Braindance bezeichnet.

Dabei könnte das epische Herzstück der A-Seite, „R.O.D.“ tatsächlich nicht nur das Hirn, sondern auch den Dancefloor waghalsiger 160+bpm-DJs zum Tanzen bringen, die diese Mischung aus klaustrophobischen Acid, sich gegenseitig ausbremsenden Breakbeats und Samples nachgeladener Munition einzusetzen wissen. Mit zurückhaltenen Beats entlässt „Ocean“ dann etwas Druck aus dem Kessel, wenngleich die Stimmung ähnlich angespannt bleibt.

Erst auf der B-Seite verschiebt sich die Stimmung: “Pulsim” wirkt wie eine in Audioform festgehaltene, bittersüße Erinnerung an die soeben durchtanzte Nacht, „Hrzzlam“ erinnert an den Hangover nach der Party, den man mit Aspirin und Samurai-Videos auskurieren möchte, und zum fröhlich quietschenden „Klixx“ laden sich dann die Batterien wieder ganz passabel auf – für das nächste Level im Party-Game. Oder auch für den Neustart des Spiels, wofür die Platte einfach wieder auf Seite A umgedreht werden kann.

Mein Hit: „R.O.D.“. Why: Weil der Track auf fast zehn Minuten einen unfassbaren Sog entwickelt.


Jermaine Soul „Signs feat. Utelka“ (Defrostatica Records)

Ungewohnte Töne gab es Anfang Juli bei Defrostatica. Das Leipziger Label wagt sich mit dem Birminghamer Producer Jermaine Soul an einem breakig-sphärischen Downtempo-Pop-Ansatz. Utelka Johnson steuert dafür erfreulich unprätentiöse Soul-Vocals dazu. Das Experiment geht voll auf: „Signs“ beginnt zurückhaltend und düster, öffnet sich mit einem super einnehmenden, fast sakralen Refrain. Den beiden gelingt es tatsächlich, hier die Breaks- und Pop-Welten nahtlos zu verschmelzen, ohne dass eine der beiden Seiten dabei einstecken muss bzw. cheesy wird. Ticklish & Max9d zeigen mit ihrem Remix, dass „Signs“ auch bestens auf den Dancefloor passt. Hier zieht das Tempo deutlich an, die Vocals zerfasern und der Pop-Song wird mit typischen, aber keineswegs langweiligen Club-Dramaturgien neu aufgezogen. Eine sehr gute Überraschung im Defrostatica-Katalog.

Mein Hit: „Signs“. Why: Weil das Original so ausgewogen und selbstbewusst klingt.


Aromatisé „Melon“ (self-released)

Und zum Schluss noch ein Soundtrack für laue Sommernächte. Aromatisé, ein neues Duo von Titus Waldner und der Sängerin und Flötistin Manon, sind in diesem Sommer mit zwei ersten Tracks aufgetaucht. Die beiden haben offensichtlich ein Faible für softe 90s-House-Sounds und zuckrigen Lofi-Pop mit hingehauchter französischer Note. Während „Apricot“ eine dezent schiebende Ode an die Aprikose ist, wird die Herrlichkeit der Melone im neuen Track mit warmem Bass und weichen Synth-Chords zelebriert. Alles sehr schlüssig, eventuell auch mit ironischer Note. Denn das Video zu „Apricot“ ist in seiner VHS-Ästhetik doch etwas zu cheesy geraten.

Mein Hit: „Apricot“. Why: Weil sich House-Deepness und französischer Gesang wirklich sehr gut vertragen.


HAL „Placid“ (Counterchange)

Die Überraschung des Augusts ist eine EP von HAL. Als Name hatte ich schon länger zusammen mit Perm auf dem Schirm. Aber von eigenen EPs hatte ich bislang noch nichts mitbekommen. „Placid“ erscheint auch nicht irgendwo, sondern auf dem Label von Ed Davenport. Die vier Tracks hier nehmen einen auch direkt mit in die Techno-Zeit der späten Neunziger und frühen Zweitausender – als nicht wenige Artists sehr stilvoll mit Trance-Elementen und vernebelten Dub-Techno-Schüben Techno und House auf das nächste Level brachten. Alles klingt etwas wolkig und verschleiert, leicht mystisch aufgeladen und trotzdem straight in den Bassdrums. Mit „Kido“ entstand auch ein Track gemeinsam mit Perm. Beide schwingen sich in eine immer schneller und trippigere Reise, die nach und nach neue Dimensionen entfaltet. Unglaublich starke EP.

Mein Hit: „Kido“. Why: Weil es dramaturgisch so einnehmend produziert ist.


Salomo & Reece Walker „Free001“ (Breakfree Records)

Ende August startete auch ein neues Label aus Leipzig: Breakfree Records. Salomo und Reece Walker haben es gegründet, die beide schon aus anderen lokalen Backgrounds bekannt sind. Die „Free001“ teilen sich beide Gründer mit eigenen und gemeinsamen Tracks, die mit gewinnen Oldschool-Vibes in der House-Geschichte bewegen. Dezent treibend, immer mal wieder ungerade und dazu break-related Vocal-Samples und eine angenehme Lässigkeit. Eine sehr schöne Platte für den derzeit aufkommenden Mix aus Sommer-Nostalgie und spätsommerlicher Melancholie.

Mein Hit: „Evaporate“. Why: Weil der Track so geschmeidig und vielseitig zugleich groovt.


Maurice Schirm & Merlin May „Drifting In And Out Of Focus“ (110100100.global)

Zum Schluss ein neuer Release von 110100100.global – kürzlich hatten wir das spannende Label im Porträt. Und mit „Drifting In and Out of Focus“ featuret einmal mehr zwei weitere Neuentdeckungen: Maurice Schirm und Merlin May. Beide verbinden in ihren drei Tracks auf sehr schlüssige Weise Electronica mit Shoegaze, Ambient und Avantgarde. Besonders bei den ersten zwei Tracks geht dieser Sound-Mesh richtig gut auf, da sich Harmonie und Dissonanz in gleichberechtigter Balance halten. So entsteht ein Sog an hektischer Rhythmik und trippigen Synths.

Mein Hit: „Drifting In And Out Of Focus“. Why: Weil der Track wie ein gleitender Flug über flirrende Landschaften klingt.

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