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Autor:in

Lea Schröder (sie/ihr)
Umgeben von leeren Mateflaschen und vollen Aschenbechern schreibe ich am liebsten gründlich recherchierte und stets viel zu lange Reportagen und Features, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Clubkultur beschäftigen. Bin in präpandemischen Zeiten so gut wie jedes Wochenende raven gegangen und lege als shrœderin energiegeladenen Techno auf. (Foto: Sophie Boche)

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FEUERTANZ – Teil I: Riskante Raves im Grünen

10. September 2018 / Kommentare (1)

Eskapismus in der Natur: Die unangemeldeten Open Airs in den Wäldern und Parks Leipzigs. Für die beteiligten Kollektive bedeutet das Tanzen unter freiem Himmel ein permanentes Risiko – jede Sekunde kann die Polizei auftauchen und alle beenden. Ein Problem für die Öffentlichkeit oder ein unkonventioneller Beitrag zur Leipziger Kulturszene?

Wenn es in warmen Sommernächten in den Clubs zu schwitzig wird, geht es raus in die Leipziger Natur, auf ein Open Air. Klar, so ein Freiluftrave kann ziemlich viel Spaß machen. Die friedliche Feierei verletzt allerdings einige Gesetze – und ist damit illegal.

Unsere neue Autorin Lea lässt in ihrem sechsteiligen Feature alle Perspektiven zu Wort kommen: Von den Veranstalter*innen und den Gästen eines Open Airs über den Anwalt Jürgen Kasek und die Stadträtin Juliane Nagel (Die Linke) bis hin zu einer Stimme aus der Polizeidirektion Leipzig. Zum Schutz der Beteiligten wurden die Namen der Crewmitglieder geändert und Gesichter unkenntlich gemacht.


Friede, Freude, Sternenhimmel – und Gesetzesbrüche
Sonntag, 03:30 Uhr. Südlich von Leipzig.

Der Bass pulsiert. Tief und drückend ergreift er alle, die sich auf der kleinen Wiese zwischen den Hügeln der Musik hingeben. Synthesizer surren wie Wespenschwärme, unbarmherzig peitschen glasklare Hi-Hats die Tanzenden durch die Nacht. Dicht an dicht gedrängt bewegt sich die Menge ekstatisch im Rhythmus, 130 Beats pro Minute. Violette und blaue Lichtsäulen durchdringen die Dunkelheit des klaren Nachthimmels, erhellen schlanke Bäume und dichte Sträucher an den Hängen der beiden Hügel, die den brodelnden Dancefloor einrahmen.

In der ersten Reihe vor dem hölzernen DJ-Pult flammt ein Feuerzeug auf. Das kleine Licht erhellt das leicht gerötete Gesicht einer jungen Frau. Kurze, schwarze Locken, bauchfreies Top, weiße Sportshorts. Die Zigarette zwischen ihren Lippen beginnt zu glimmen. Sie nimmt einen tiefen Zug. Dann schließt sie ihre fast schwarzen Augen. Tief in die verschlingenden Bässe eintauchend, wiegt sie sich im Rhythmus. Ihre Bewegungen werden immer dynamischer, fließender. Sie wirft ihren Kopf leicht hin und her und reckt ihre Hände anmutig in die Luft. Über ihrem Gesicht breitet sich ein seliges Lächeln aus. Es scheint zu sagen: Dieser Moment ist perfekt.Sobald sich im Frühling erste Sonnenstrahlen durch den bedeckten Februar-Himmel mogeln, spielen sich solche Szenen so gut wie jedes Wochenende in Wäldern, auf Wiesen, unter Brücken und an Seen ab. Wer plant das alles, organisiert, bastelt, baut, dekoriert, macht Musik, verteilt Getränke, baut ab und räumt auf? Meist sind es Leute, die Bock haben, Partys zu veranstalten und sich dafür zu Kollektiven zusammenschließen. Zurzeit gibt es in Leipzig um die fünfzehn Crews, die sich regelmäßig mit einer Anlage, Deko und ein paar Flaschen Bier ausgestattet auf eine Wiese stellen und die Umgebung beschallen – ohne dabei Geld zu verdienen.

Diese Partys finden meist unter dem Radar der Öffentlichkeit statt. Denn um eine ganze Menge Geld und bürokratischen Aufwand zu vermeiden, sparen sich die Kollektive eine Anmeldung bei den Behörden. Darüber hinaus scheint besonders die friedliche Idylle von Naturschutzgebieten zum Tanzen und Feiern einzuladen – Crews und Gäste tun dies mal aus Unwissenheit, mal aus Ignoranz.

Hinzu kommt, dass die Hände des einen oder der anderen DJ* im Auflege-Flow nicht stillhalten können und die Lautstärke immer weiter aufdrehen. Die dumpf pumpenden Bässe dringen oft auch in die Schlafzimmer manch hellhöriger Anwohner*innen, selbst wenn diese Kilometer entfernt wohnen. Sie suchen Hilfe bei Polizei oder Ordnungsamt, die in der Regel wenig später erscheinen und dem Tanzvergnügen ein schnelles Ende machen. Open Airs sind also illegale Veranstaltungen – die Menschen in den Kollektiven machen sich damit strafbar.Hier auf der Wiese zwischen den Hügeln scheint sich jedoch niemand die Laune von dem Risiko verderben zu lassen: Die Leute feiern, als gäbe es kein Morgen – und keine Polizei, die dem ganzen Treiben ein Ende setzen könnte. Die Gruppe etwas hippiesk anmutender Leute in schreiend-bunter Vintage-Kleidung springt ausgelassen und lachend im Kreis, eine fast leere Sektflasche über ihren Köpfen schwenkend. Die beiden Jungs vorne links knutschen wild rum, während sie sich smooth im Rhythmus der Musik bewegen. Ein Mädchen mit Zigarette in der linken und Wasserflasche in der rechten Hand juchzt entrückt und jubelt der DJ zu.

Der düstere Klangteppich aus brachialen Kickdrums, diffus-verschwommenen Basslines, wabernden Synthesizern und klirrenden Hi-Hats schwillt zu einem immer heftiger zirkulierenden Wirbelsturm. Menschen, Wald und Musik lösen sich auf und verschmelzen in einem einzigen Flow. Dann eine Break, die Kickdrum setzt aus. Die DJ dreht kurz am Filter und lässt den Bass mit einem Grinsen wieder reinknallen.

Im zweiten Teil unserer Reihe über die Leipziger Open Air-Kultur erfahrt ihr, worauf die Crews bei der Spotsuche achten müssen und wieso mit Bier und Kippe im Stuhlkreis sitzen so wichtig für den fetten Rave am Ende ist.

FEUERTANZ – TEIL I: RISKANTE RAVES IM GRÜNEN

FEUERTANZ – TEIL II: DER PERFEKTE SPOT UND DISKUSSION IM PLANUNGSPLENUM

FEUERTANZ – TEIL III: BAUSTELLENABMIENTE, INVESTITIONEN UND POLIZEI-PRÄVENTION

FEUERTANZ – TEIL IV: GEDANKEN VON BESUCHER*INNEN & ENTWICKLUNGEN DER LETZTEN JAHRE

FEUERTENZ – TEIL V: ZU FRÜH GEFREUT – AUFTRITT POLIZEI

FEUERTANZ – TEIL VI: GESETZE VERSUS RECHTE

FEUERTANZ – TEIL VII: KEINE ZUKUNFT IN DER GEGENWART

Fotos: M.L.

CommentComment

  • Rionell Lychee / 13. September 2018 / um 13:36
    Eine Feier unter freiem Himmel muss doch nicht per se illegal sein, oder?

    Es ist genauso möglich, eine großartige Nacht ohne Beamte, öffentliche Kosten und Ordungswidrigkeiten zu durchleben (privat / abgrenzbar / "innerlich verbunden", Einhaltung von Nachtruhe, Pegeln & Sonn-/Feiertagen, nix Gleise / Straße / Wald / LSG / NSG, kein Ausschank, Jugendschutz, GEMA-freie Musik, Feuerlöscher, Sicherheit, ...). Um gar einen Straftatbestand hervorzurufen, müsste mensch sich doch deutlich Mühe geben.

    Bekomme auch hier den Eindruck, dass die Illegalität oft als hippes Argument herhalten darf, um die Coolness der rauchenden, trinkenden und bauchfreien Plenierenden weiter zu vermehren, sorry...

    Achtet auf euch und andere und vor allem die Locations, damit Leipzigs Openairs auch weiterhin Bestand haben können! Danke.

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