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Lea Schröder (sie/ihr)
Umgeben von leeren Mateflaschen und vollen Aschenbechern schreibe ich am liebsten gründlich recherchierte und stets viel zu lange Reportagen und Features, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Clubkultur beschäftigen. Bin in präpandemischen Zeiten so gut wie jedes Wochenende raven gegangen und lege als shrœderin energiegeladenen Techno auf. (Foto: Sophie Boche)

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FEUERTANZ – Teil III: Baustellenambiente, Investitionen und Polizei-Prävention

27. September 2018 / Kommentare (0)

Die Crew hat in letzter Sekunde einen Generator aufgetrieben und im Transporter Tetris mit Baumaterial, Lichttechnik und Deko gespielt. Wie der Aufbau läuft, was das Kollektiv mit den Spenden der Gäste anfängt, wie sich die Leute auf die Worst-Cases vorbereiten und wieso sich der ganze Aufwand trotz Risiko lohnt.

Die Open Air-Killer Wind & Wetter
Samstag, 17 Uhr. Südlich von Leipzig.
Der Tag des Open Airs.
Ich schiebe mein Rad über den warmen Asphalt. Neben mir schlendern Elena und Max den Forstweg entlang. Links und rechts von uns Bäume. Vogelzwitschern und Autobahnbrummen. „Ob es den Leuten, die hier wohnen, wohl komisch vorkommt, wenn heute Abend hier plötzlich Scharen schwarz gekleideter, junger Leute durch die Straßen ziehen?“, grinst Elena. „Hoffentlich fällt das nicht mehr so auf, wenn es dunkel ist. Unsere Gäste sind ja auch nicht so die typischen Krawallmacher“, erwidert Max. Er ist zuversichtlich, dass das Open Air von den Anwohner*innen im Dorf nicht bemerkt werden wird. „Die Hügel wirken schallisolierend zum Dorf hin und die Autobahn liegt auch noch dazwischen. Ich denke, wir müssen uns erstmal keinen Kopf machen.“

„Wenn man erstmal das ganze Equipment dahingeschafft hat, setzt man wirklich alles daran, das Ganze durchzuziehen“ – Max

Auch jetzt in den frühen Abendstunden scheint die Sonne noch intensiv. Keine Wolke hängt am blassblauen Himmel. Gut für das Open Air: Neben der Polizei ist schlechtes Wetter der größte Feind eines Freiluftraves. Wer hat schon Lust, bei Regen und zehn Grad die Nacht draußen zu verbringen? „Wenn wir im Vorfeld kommen sehen, dass es am Tag eines Open Airs stürmen oder die ganze Zeit regnen wird, überlegen wir natürlich, ob wir abbrechen“, erzählt Max. „Kleine Regenschauer oder graues Wetter sind aber kein Grund dafür. Wenn wir erstmal das ganze Equipment dahin geschafft haben, setzen wir wirklich alles daran, das Ganze durchzuziehen.“

Elena lächelt. „Bei unserem ersten Open Air hat es viel geregnet. Wir hatten dann viele Planen mit Teppichen und Decken flach über dem Boden gespannt, dass da kein Wind und Wetter drunter kam. Wurde schön warm, als alle darunter gekuschelt haben.“Umzugsgefühle und Baustellenambiente
Wir biegen auf den Feldweg ab. Ein riesiger Transporter, fast schon ein kleiner LKW, parkt ein paar Meter entfernt. Einige Leute haben sich um den noch geschlossenen Kofferraum versammelt. Ich erkenne einige von Nebel, aber auch Freund*innen und Bekannte der Crewmitglieder, die beim Aufbau unterstützen. Till begrüßt uns grinsend: „Ihr kommt genau richtig. Der Transporter ist gerade angekommen.“

Schnell das Rad an einen der Bäume angeschlossen und dann geht es los mit dem Ausladen. Mit unserer Last schlurfen wir in einer langen Menschenkette die gut hundert Meter über einen schmalen Trampelpfad, vorbei an hüfthohem Gras, niedrigen Bäumen und Büschen, bis hin zu der Bucht zwischen den Hügeln. Und wieder zurück zum Transporter – der Vorrat an schweren Holzplatten, Technik, Paletten, Sofas, Teppichen, Kisten und Taschen scheint schier endlos zu sein. Schleppen und Schwitzen wie bei einem Umzug.Endlich ist es geschafft. Die Party hat noch nicht einmal begonnen und ich bin schon erschöpft. Die ersten aus der Crew haben schon gestern mit dem Aufbau begonnen und waren ziemlich fleißig. Auf dem Floor zwischen den Hügeln wurde das DJ-Pult gebaut: Einige Holzplatten und Paletten aneinander gezimmert, dann lange Stöcke im Wald gesammelt und zusammen mit ein paar kurzen Brettern an der Front befestigt – ein beeindruckender Anblick. Max und zwei andere Leute sind gerade damit beschäftigt, die Stöcke mit silbern-schimmernden CD-Rohlingen zu dekorieren. Elena sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und knotet bunte, wildgemusterte Tücher aneinander, um sie in die Bäume zu hängen.

„Wir brauchen endlich Strom, sonst wird das hier nix mehr“ – Jonathan

Ich verlasse die Wiese zwischen den Hügeln und bewege mich in Richtung Bar, die Stück von dem ersten Floor entfernt ist. Auf dem Weg sehe ich zwei Köpfe aus dem Gebüsch am Wegrand ragen. Sie gehören Jonathan und Flo, beide schlaksig und nahezu zwei Meter groß. Auch sie tragen schwarze Sportkleidung.

„Was macht ihr denn da?“, frage ich amüsiert. „Wir versuchen den Generator in Gang zu bekommen! Wir brauchen endlich Strom, sonst wird das hier nix mehr“, entgegnet Jonathan. Er bittet mich zu sich. Ich schlage mich durch die Sträucher zu den beiden. Jonathan hat ein langes schwarzes Kabel um seinen Arm gewickelt. Er übergibt es mir und meint: „Kannst du das bitte zur Bar verlegen?“ Mit dem sich abwickelnden Kabelberg in den Armen stolpere ich durch das dornige Dickicht in Richtung Bar.„Danke!“, schallt es aus Jonathans und Flos Busch, als ich mit abgewickeltem Kabel an der Bar ankomme und jemandem das Kabelende in die Hand drücke. Erst jetzt kann ich die Bar bewundern. Die wurde gestern von Elena, Till und ein paar anderen errichtet: Sie haben ein gutes Dutzend Paletten zu einem Halbkreis zusammengeschreinert, sie mit fantasievollen Mustern in violett, schwarz und blau bemalt und mit Stickern mit den Schriftzügen „FCK AFD“ und „Refugees Welcome“ beklebt. Fertig ist sie jedoch noch nicht, die als Tresen dienenden Bretter werden gerade noch angebracht.

Eigentlich soll es in zwei Stunden losgehen – das kann ich mir jetzt allerdings noch nicht vorstellen. Trotz, dass ein großer Teil bereits aufgebaut ist, gleicht das Gelände einer einzigen Baustelle. Hämmer krachen auf Bretter, eine Säge kreischt durch ein Stück Holz. Etliche Menschen wuseln wie in einem Ameisenhaufen umher, schleppen Bretter, Kisten, Deko. Andere gönnen sich eine Pause, sitzen rauchend auf der Wiese und genießen das Kitzeln der warmen Abendsonne auf der Haut.Ein paar Meter weiter weg, beim zweiten Floor, wird ebenfalls noch fleißig geschraubt. Auch hier muss ein DJ-Pult stehen. Ein paar Leute versuchen gerade, einen riesigen Fallschirm über die Tanzfläche zu spannen.

Etwas abseits von dem regen Treiben schütteln zwei junge Männer ihre Graffit-Spraydosen: In der letzten Stunde haben sie zwei Holzpfähle in den Boden gesteckt und dazwischen etliche Schichten Frischhaltefolie ausgerollt – eine ideale Grundfläche für Graffiti-Kunst. Ich frage sie, welches Motiv es werden soll. „Ein riesiger Schriftzug in Blau – ‚Rave on‘ – kommt da hin“, erklären sie mir grinsend und legen los.Die Sache mit dem Geld
Max läuft über die Wiese auf uns zu. „Leute, kommt mal rüber! Der Transporter mit den Getränken ist grad angekommen.“ Also noch mehr schleppen. Der Transporter ist voll mit Bier, Mate, Schnaps, Softdrinks und Wasserflaschen. Wir reihen uns vor dem Kofferraum ein, um die Kästen entgegenzunehmen. Hinter mir steht Max. „Die Getränke geben auf Spendenbasis an der Bar raus. Also wir empfehlen, für ein Bier zwei Euro zu zahlen und so weiter. Können die Leute machen, müssen sie aber nicht. Und Wasser ist für alle komplett kostenlos“, erklärt er mir.

„Viele bezahlen sogar freiwillig viel mehr“, schaltet sich Elena ein. „Bei unserem letzten Open Air hat mir ein Gast zehn Euro für ein Bier in die Hand gedrückt. Er meinte, er will uns supporten und für den Aufwand, den wir betreiben, etwas zurückgeben.“

Da kommt sicher einiges zusammen. Was machen sie mit dem ganzen Geld, das sie einnehmen? „Also von uns einzeln verdient niemand etwas“, antwortet Elena. „Das ganze Geld kommt in einen Sammeltopf und wird für das nächste Open Air genutzt. Wir müssen ja die Miete für den Transporter, den Generator, die Anlage zahlen und das Geld für die Getränke vorstrecken. Da muss man schon zwischen 800 und 1000 Euro investieren.“

„Weil’s geil ist!“ – Elena & Max

Eine halbe Stunde später haben wir auch den letzten Kasten zur Bar geschafft. Von dem ganzen Geschleppe bin ich ziemlich fertig und setze mich zu Max, Elena und ein paar anderen auf einen dicken Orientteppich am zweiten Floor, um kurz zu verschnaufen. Eine Frage brennt mir schon die ganze Zeit auf der Zunge. Wochenlange Organisation, tagelanges Zusammenbasteln und wieder Auseinanderschrauben – nur für eine einzige Nacht. Und alles mit dem Risiko, dass es binnen Minuten vorbei sein und dafür ein Bußgeldbescheid in den Briefkasten flattern könnte. Wieso überhaupt Open Airs veranstalten?

„Weil’s geil ist!“, antworten Max und Elena gleichzeitig. „Das ist etwas, das man übelst schön mit Menschen teilen kann. Feiern, Menschen treffen, Gespräche führen. Einfach einen Freespace außerhalb der Stadt, wo man einfach ein bisschen freidrehen kann“, fügt Elena hinzu. Sie kramt in ihrem Rucksack nach einem Clipper und zündet sich ihre Zigarette an.

Max streckt sich auf dem großen Teppich aus. Die Sonne scheint ihm ins Gesicht, er schließt entspannt die Augen und erzählt: „Bei einem unserer letzten Open Airs, so um vier Uhr nachts, standen ein Kumpel und ich am Rand des Floors und haben über die tanzende Menge geschaut. Die ganze Tanzfläche war gerammelt voll und es ging unglaublich ab. Wir beide haben uns nur angeguckt und in dem Moment realisiert: ‚Okay, das haben wir auf die Beine gestellt.‘ Und das macht natürlich schon unglaublich glücklich und auch ein bisschen stolz.“„Was tun, wenn die Cops kommen?“
Samstag, 21:30 Uhr. Südlich von Leipzig.
Die Sonne ist mittlerweile untergegangen. Der Strom läuft, Lichtanlage und DJ-Equipment sind einsatzbereit. Die Hämmer und Sägen schweigen schon seit einer ganzen Weile. Die ersten Gäste sind bereits vor einer Stunde aufgetaucht und haben sich wartend mit mitgebrachtem Bier und Sekt auf der Wiese niedergelassen. Auf dem Bartresen hat jemand einen Röhrenbildfernseher installiert, auf dessen flackerndem Bildschirm der Timetable für den Abend zu lesen ist. Mit blauem Licht beleuchtet wird er von einer mit bunten Perlen verzierten Retro-Lampe. Nach und nach versammeln sich alle Crew-Mitglieder und Helfer*innen, zusammen über zwanzig Leute, in einem großen Halbkreis vor der Bar.

„Die sollen niemanden haben, den sie als Veranstalter heranziehen können“ – Till

Till räuspert sich theatralisch und spricht mit erhobener Stimme: „Hallo miteinander, ich möchte euch nur nochmal kurz über den Ablauf informieren. Die Schichtpläne für die Bar liegen hier hinter dem Tresen. Bitte seid pünktlich, wenn ihr zu eurer Schicht kommt. Falls irgendwas passiert: Feuerlöscher und Verbandskasten findet ihr hier an der Bar. Wenn wir mitbekommen, dass die Polizei vorfährt, muss jeder, der oder die grad auflegt, vom DJ-Pult verschwinden. Dann haben die niemanden, den sie als Veranstalter heranziehen können. Und die Bar-Leute sollten die Kasse verstecken und die Getränke vor die Bar stellen, damit uns nicht nachgewiesen werden kann, dass wir Getränke verteilen – egal ob gegen Spende oder festen Preis. Ich werde mich aber trotzdem als Ansprechperson zur Verfügung stellen und ruhig mit denen reden, falls sie auftauchen.“

Dieser Plan könnte funktionieren. Stößt die Polizei auf ein Open Air, müssen die Beamt*innen aus der Masse an Tanzenden diejenigen herausfiltern, die für das ganze Spektakel verantwortlich sind. Diese Leute müssen dann mit dem Abbau des Open Airs beginnen und ihre Personalien angeben. Und ein paar Wochen später flattert ihnen ein Bußgeld-Bescheid in den Briefkasten.
Eine oft praktizierte Methode, das zu umgehen: Niemand gibt sich als Veranstalter*in zu erkennen. Die Polizei reagiert darauf meist mit der Drohung, die Anlage oder die Getränke zu beschlagnahmen – die Besitzer*in wird sich dann sicherlich zu erkennen geben. Das sollte die betreffende Person auch tun, kann dann jedoch erklären, dass die Anlage nur zum Verleih zur Verfügung gestellt wurde und sie sich nicht selbst belasten müsse. Damit sind der Polizei zumindest vorerst die Hände gebunden.Das Briefing ist vorüber und die Gruppe zerstreut sich nun über das weitläufige Open Air Gelände. Zwei, drei Leute begeben sich hinter den Bartresen und stellen den durstigen Gästen, die sich bereits in einer Schlange eingereiht haben, Bier, Mate oder einen Shot auf die Theke.

Clara*, eine junge Frau mit kurzem, hellblonden Topfschnitt und silbernem Nasenring begibt sich hinter das DJ Pult auf dem großen Floor zwischen den Hügeln. Es ist ihr erster Auftritt, die Aufregung steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Ihre Hände zittern leicht, als sie den Lautstärkeregler auf dem Mixer langsam nach oben schiebt. Die Wiese füllt sich schnell. Die Leute mussten eine Weile auf den Beginn der Party warten und sind voller erwartungsvoller Energie. Als eine Hi-Hat einsetzt, gewinnt die Musik an Dynamik und reißt auch noch die letzte Person mit, die bisher noch vserhalten im Takt wippend und ihr Bier fest umklammernd am Rand des Floors stand.

Im vierten Teil unserer Reihe über die Leipziger Open Air-Kultur erfahrt ihr, wie Mensch auf ein Open Air kommt, was einen Rave in Off-Location so reizvoll macht, wie es vor ein paar Jahren war und wie es möglicherweise in ein paar Jahren sein wird.

FEUERTANZ – TEIL I: RISKANTE RAVES IM GRÜNEN

FEUERTANZ – TEIL II: DER PERFEKTE SPOT UND DISKUSSION IM PLANUNGSPLENUM

FEUERTANZ – TEIL III: BAUSTELLENABMIENTE, INVESTITIONEN UND POLIZEI-PRÄVENTION

FEUERTANZ – TEIL IV: GEDANKEN VON BESUCHER*INNEN & ENTWICKLUNGEN DER LETZTEN JAHRE

FEUERTENZ – TEIL V: ZU FRÜH GEFREUT – AUFTRITT POLIZEI

FEUERTANZ – TEIL VI: GESETZE VERSUS RECHTE

Fotos: M.L. (7, 8), Lea Schröder (1-6)

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