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Lea Schröder (sie/ihr)
Umgeben von leeren Mateflaschen und vollen Aschenbechern schreibe ich am liebsten gründlich recherchierte und stets viel zu lange Reportagen und Features, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der Clubkultur beschäftigen. Bin in präpandemischen Zeiten so gut wie jedes Wochenende raven gegangen und lege als shrœderin energiegeladenen Techno auf. (Foto: Sophie Boche)

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FEUERTANZ – Teil V: Zu früh gefreut – Auftritt Polizei

29. April 2019 / Kommentare (0)


Crew und Gäste kratzen die verbliebenen Reserven zusammen, steuern noch ein letztes Mal auf den Dancefloor, öffnen ihr erstes Konter-Bier… Wie ein Open Air schneller vorbei sein kann, als gedacht, ob der Notfallplan beim Besuch der Polizei aufgeht und welches Fazit die Crew aus dem ganzen Spektakel zieht, lest ihr hier.

Das letzte bisschen Energie

Irgendwann am Vormittag. Südlich von Leipzig.

Ich habe mittlerweile jegliches Zeitgefühl verloren. Der Akku meines Handys ist seit einigen Stunden leer. Die Sonne steht recht hoch am wolkenlosen Himmel und brennt uns in den Nacken – es muss also schon fast Mittag sein. Mittlerweile stehen nur noch ungefähr zwanzig Leute auf dem großen Floor zwischen den Hügeln. Neben den Leuten von Nebel, Helfer*innen und Gästen sind noch ein paar Leute von einer anderen Leipziger Crew aufgetaucht. Sie haben ihr Open Air am Nachmittag gestartet, haben am frühen Morgen aufgehört und sind noch immer motiviert zum Nebel-Open Air dazu gestoßen.

Foto von Lea Schröder

Auf der Tanzfläche ist trotz der fortgeschrittenen Stunde von Erschöpfung nichts zu spüren: Die Leute in den ersten Reihen wiegen sich noch immer Schulter an Schulter zu den flirrenden Synthies und brachialen Basslines. Andere sitzen am Rand der Tanzfläche, im Schatten der Bäume und genießen den Anblick der ekstatisch Tanzenden.

Die Anlage ist voll aufgedreht. Der DJ, der gerade hinter den Turntables steht, trägt einen für das Wetter viel zu dicken Wollpulli und verbirgt seine müden Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille. Ohne eine Regung in seinem Gesicht erkennen zu lassen, wippt er sachte im Takt. Mit seinem mitreißenden Sound gelingt es ihm, das letzte bisschen Energie aus den von den Strapazen der letzten Stunden geschwächten Körpern herauszukitzeln.

Foto von Anonym

Das Erwachen

Abrupt verstummt die Musik. Verdutzte Gesichter auf der Tanzfläche, auch der DJ blickt verwirrt auf. Was ist passiert? Schnell klärt sich die Lage: Das seit Stunden kontinuierliche Brummen des Generators ist verstummt. Das Benzin ist aufgebraucht. Die auf der Tanzfläche Verbliebenen sind sichtlich enttäuscht. Eben noch in der Musik versunken und jetzt zurück in der Realität – wie aus einem Traum gerissen.

Ein paar Leute von Nebelbeginnen, mit riesigen Müllsäcken ausgestattet, Flaschen, Zigarettenstummel und anderen Müll einzusammeln. Elena drückt mir auch einen in die Hand. „Ich bin froh, dass wir Mülleimer und Aschenbecher aufgestellt hatten. Das spart uns jetzt einiges an Arbeit. Aber den ganzen übrigen Müll heben wir bis auf den letzten Kronkorken auf. Soll ja am Ende alles schön besenrein sein.“ Sie grinst verschmitzt und setzt ihren Weg über die Wiese fort.

Diesen Tatendrang verspüren offensichtlich nicht alle. Stattdessen hat sich bei vielen Afterhour-Stimmung breitgemacht: In kleinen Grüppchen sitzen und liegen sie auf der Wiese, rauchen die letzte Zigarette, trinken einen großen Schluck Wasser oder ein Konter-Bier, versuchen die Erlebnisse der vergangenen Nacht zu verarbeiten. Aufstehen wollen sie nicht so richtig – nachvollziehbar, nach so vielen Stunden Tanzen.

Die Nebel-Leute haben jetzt noch einiges vor sich: Bar und DJ-Pulte müssen auseinandergeschraubt, CDs und Neon-Fäden aus den Bäumen genommen und die Anlage auseinandergebaut werden. Und dann natürlich alles zusammen mit den Getränke-Kästen zurück in die Transporter.

Ich bin gerade dabei, mich mit einem Akkuschrauber abzumühen, um den Bartresen von den Paletten zu trennen. Max ist neben mir zugange. Sein Handy klingelt, er nimmt ab. Er runzelt kritisch die Stirn und hört zu. Als er auflegt, sagt er nur: „Die Polizei ist da.“ 

Foto von Lea Schröder

„Wer ist hierfür verantwortlich?“

Auf den Gesichtern der Umstehenden breitet sich eine Mischung aus Verwunderung, Sorge und Frustration aus. Das Open Air lief über zwölf Stunden, wieso kommen sie erst jetzt? Und vor allem: Wie geht es weiter?

Den warnenden Anruf hat Max von einem der Fahrer*innen bekommen. Er wollte gerade auf den Forstweg einbiegen, als er von Beamt*innen aufgehalten wurde. Sie sind also noch nicht ganz am Spot angekommen, aber auf dem Weg zu uns.

Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht auf dem ganzen Open-Air-Gelände, unter den Crew-Mitgliedern und noch verbliebenen Gästen. Plötzlich sprintet ein kleiner Mann mit dunklem Vollbart und glitzernden Wangen an mir vorbei. „Ich hab keinen Ausweis dabei!“, kreischt er leicht panisch und verschwindet in den Büschen zwischen den Hügeln. Auch zwei, drei andere nutzen die wenige verbleibende Zeit, um sich unauffällig aus dem Staub zu machen. Egal was jetzt passiert, es wird auf jeden Fall stressig und unangenehm für alle Beteiligten. Darauf haben manche offensichtlich keine Lust.

„Wieso zum Teufel kommen Sie erst jetzt und nerven uns?“  – Besucherin

„He, Sie da, kommen Sie mal bitte hier her!“, bellt eine tiefe Männerstimme in harschem Befehlston. Ich drehe mich um. Vor mir steht ein Polizist. Am Gürtel seiner schwarzen Einsatzmontur trägt er Schusswaffe und Schlagstock. Anstandslos folge ich ihm, gemeinsam mit ein paar anderen trotten wir den Trampelpfad entlang in Richtung des großen Floors. Hier sind alle versammelt, Gäste wie Kollektiv-Mitglieder sitzen in kleinen Grüppchen auf der Wiese und warten ab.

Eine junge Frau diskutiert gerade aufgebracht mit zwei Polizisten. Die verziehen keine Miene, während die Frau auf sie einredet. „Die Musik ist doch aus, es wurde grade abgebaut, wieso zum Teufel kommen Sie jetzt her und nerven uns?“, fragt sie leicht aggressiv. Einer der beiden Männer antwortet in gelassenem Tonfall. „Wir haben bereits in der Nacht verschiedene Beschwerden wegen ruhestörenden Lärms erhalten. In der Nähe ist ein Campingplatz, die Gäste konnten nicht schlafen. Dem Betreiber ist durch Ihre Veranstaltung ein finanzieller Schaden entstanden, weil manche Gäste nicht zahlen wollen.“

Ein Campingplatz also. Bei der Auswahl des Spots haben die Leute von Nebelnur auf die Entfernung zum Dorf geachtet – an einen Campingplatz hat niemand gedacht. „Und wieso sind Sie dann jetzt erst gekommen, wo’s eh wieder vorbei ist, und nicht schon in der Nacht?“, fragt die Frau mit Nachdruck. „Wir hatten Besseres zu tun“, antwortet der Polizist trocken. „Hier liegen offensichtlich verschiedene Tatbestände vor, neben dem ruhestörenden Lärm ist das hier auch ein Privatgelände. Wir müssen die Veranstalter zur Verantwortung ziehen.“ Mit lauter Stimme richtet er sich an alle Anwesenden: „Wer hat diese Veranstaltung organisiert? Wer ist hierfür verantwortlich?“

Foto von Lea Schröder

„Dann beschlagnahmen wir jetzt die Anlage. Punkt.“  – Polizist

Wie am Abend zuvor vereinbart, bleibt es still. Niemand aus dem Kollektiv möchte sich opfern, die Verantwortung übernehmen und damit Anzeige und Geldstrafe riskieren. Der eben noch gelassene Polizist wird jetzt etwas ungehaltener: „Wenn niemand die Verantwortung übernimmt, dann beschlagnahmen wir jetzt die Anlage. Punkt.“

Till steht auf und geht auf den Polizisten zu. „Die Veranstalter sind schon alle weg. Wir wissen nicht, wer genau für das Open Air verantwortlich war. Wir wollten nur beim Abbau helfen“, erklärt er ruhig. Sichtlich genervt entgegnet der Polizist:  „So läuft das nicht. Irgendwer muss ja noch hier sein, die Anlage und Technik würde ja wohl kaum allein im Wald zurückbleiben. Dann nehmen wir eben die Personalien von allen Anwesenden auf.“

Die Leute murren, vereinzelt erhebt sich eine Stimme und ruft etwas von „Polizeistaat“, „Anwalt“ und „ungerechtfertigt“. Sonst bleibt es aber ruhig, auf eine richtige Diskussion hat niemand Lust. Zwei der Polizisten bauen sich am Rand der Wiese auf, auf der vor wenigen Stunden noch vergnügt gefeiert wurde. Sie scheinen die Anwesenden zu bewachen.

Eine Polizistin mit blondem Pferdeschwanz und ernstem Gesichtsausdruck läuft zusammen mit einem anderen Beamten über die Wiese. Sie gehen von Gruppe zu Gruppe, lassen sich von allen die Ausweise reichen, tippen die Daten in einen kleinen Laptop ein und überprüfen die Leute. Läge bei einer Person zum Beispiel ein Eintrag wegen des Besitzes oder Konsums von Betäubungsmitteln vor, dürften die Polizist*innen die entsprechende Person aufgrund eines begründeten Verdachts genau durchsuchen. 

Anscheinend ist das bei niemandem der Fall, der Rundgang der beiden Beamt*innen verläuft weitgehend reibungslos.

Foto von Lea Schröder

Nur in der Gruppe neben den beiden Polizisten, die den Zugang zur Tanzfläche bewachen, werden drei Typen immer lauter und hitziger. Sie wollen sich weigern, ihre Personalien anzugeben. Die Polizisten stehen allerdings weiterhin breitbeinig da, mit verschränkten Armen und ungerührtem Gesichtsausdruck. Sie lassen sich nur halbherzig auf die Diskussion ein – ob aufgrund fehlender Argumente oder dem Unwillen, ein Gespräch zu führen, erschließt sich nicht. Fast schon gelangweilt wirken die beiden. Vielleicht haben sie auch einfach keine Lust, an solch einem sonnigen Tag irgendwo in der Pampa rumzuhängen und einer Horde junger Leute auf die Nerven zu gehen, und würden stattdessen viel lieber an den See fahren, Eis essen oder vielleicht sogar selbst auf irgendeiner Wiese tanzen.

Nach circa eineinhalb Stunden des Wartens und Diskutierens ist die Prozedur geschafft. Till ist es gelungen, die Beamt*innen davon zu überzeugen, dass jetzt einfach nur friedlich abgebaut wird und eine Beschlagnahmung der Anlage eine zu strenge Maßnahme sei.

Am Rand der Wiese erscheint ein kleiner, grauer Mann. Scheinbar etwas mitleidig den gescholtenen Raver*innen gegenüber und sich sichtlich unwohl fühlend, lächelt er verlegen in seinen Bart hinein. Er sei der Förster, der für das Gelände verantwortlich ist. Er hätte die Situation gern anders gelöst, sagt er, aber das Gelände sei eben nicht für solche Veranstaltungen gedacht und die Spuren seien unübersehbar. Er wolle nun sichergehen, dass alles abgebaut und aufgeräumt werde.

Damit die Beamt*innen nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen, fotografieren sie die Kennzeichen der gemieteten Transporter, um zumindest die Fahrer*innen belangen zu können. Ob wir alle bald einen Brief von der Polizeidirektion Leipzig im Briefkasten vorfinden werden, weiß niemand so richtig. Wenn die Fahrer*innen eine Geldstrafe erhalten, wird die Summe aus der Kollektiv-Kasse gezahlt, erklärt mir Max.

Laufmaschen und plattgedrücktes Gras

Wir fahren mit dem Abbau fort, sammeln, schrauben, schleppen – alles unter dem kritischen Blick der Beamt*innen. Viele Gäste haben keine Lust mehr und machen sich auf den Weg nachhause – unter die Dusche, zu einer Afterhour oder direkt ins Bett. Die Anwesenheit der Polizei und die Müdigkeit drückt auch auf die Stimmung der Crew. Als der Abbau endlich geschafft ist, verlassen die Polizist*innen grußlos das Gelände.

„Die machen ja auch nur ihren Job.“  – Max

Bevor Max, Elena und ich uns auf den jetzt endlos scheinenden Heimweg machen, setzen wir uns kurz in den Schatten. Wir kratzen die letzten Tabakreste zusammen – „Hast du noch was? Meiner ist leer“ „Bisschen Krümeltabak, nimm dir. Hast du noch Papes?“ –  fummeln die letzten Filter aus der Tüte und drehen unsere letzte Zigarette. Dabei rekonstruieren wir die Ereignisse der vergangenen Stunden.

„Ich find es einfach so krass, was alles in einer Nacht passieren kann.“ Elena lächelt. „Wir haben alles aufgebaut, ich habe an der Bar gearbeitet, habe mit tausenden Leuten geredet, war mal mega happy, dann wieder genervt, habe ewig getanzt und dann noch die Sache mit der Polizei am Schluss. War echt krass, aber auch echt nice.“ Auch Max ist zufrieden: „Ich find es ist alles perfekt gelaufen. Ich hatte auch einen wunderbaren Abend. Gut, das mit der Polizei hätte echt nicht sein müssen, aber die machen ja auch nur ihren Job. Und sind immerhin gekommen, als es schon vorbei war.“ Er schmunzelt.

Foto von Lea Schröder

Über meinem Gesicht hat sich ein leichter Sonnenbrand ausgebreitet, einige Laufmaschen zieren meine Strumpfhose und die Schrammen an meinen Armen und Beinen erzählen von den nächtlichen Exkursionen ins Gebüsch. Ich freue mich wahnsinnig auf ein großes Glas Wasser, eine warme Dusche und mein weiches Bett.

Hier im Wald ist es jetzt still. Vogelgezwitscher und das leise Rascheln der Blätter, statt wummernder Bässe und wildem Stimmengewirr. Keine Menge von tanzenden Raver*innen, die sich im Rausch vom treibenden Rhythmus der Musik mitreißen lassen. Nur das plattgedrückte Gras auf der Wiese zwischen den Hügeln zeugt von den Ereignissen der vergangenen Stunden.

Im nächsten Teil unserer Reihe über die Leipziger Open Air-Kultur kommt eine Stimme der Polizei zu Wort: Sie spricht von Strategien und Erfahrungen und bezieht Stellung. Von Rechtsanwalt Jürgen Kasek gibt es Tipps, welche Gesetzesverstöße im Vorfeld vermeidbar sind und wie die Kollektive im Fall der Fälle reagieren können.

FEUERTANZ – TEIL I: RISKANTE RAVES IM GRÜNEN

FEUERTANZ – TEIL II: DER PERFEKTE SPOT UND DISKUSSION IM PLANUNGS-PLENUM

FEUERTANZ – TEIL III: BAUSTELLENAMBIENTE, INVESTITIONEN UND POLIZEI-PRÄVENTION

FEUERTANZ – TEIL IV: GEDANKEN VON BESUCHER*INNEN & ENTWICKLUNGEN DER LETZTEN JAHRE

FEUERTANZ – TEIL V: ZU FRÜH GEFREUT – AUFTRITT POLIZEI

FEUERTANZ – TEIL VI: GESETZE VERSUS RECHTE

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