Sinistarr & Sub „Drama Dub / Instantaneous“ (Alphacut Records)

Bei Alphacut Records verlängern sich wieder die Intervalle zwischen den einzelnen Platten. Im Januar gab es die letzte. Nun endlich wieder eine.

Und was für eine. Zwei Tracks, wie immer. Aber: ein unglaublich geladenes, scharfkantiges Stück von Sinistarr. Einem Producer aus Detroit, der – wenn man sich auf seinem Soundcloud-Profil umhört – sehr offen mit dem musikalischen Erbe seiner Heimatstadt umgeht. In „Drama Dub“ ist es zwar nicht unbedingt zu hören, aber die Techno- und Electro-Wurzeln kommen in seinem Drum’n’Bass-Sound immer wieder durch. Es bewegt ihn aber auch noch mehr. Und diese Neugier hat ihm bereits einige gut platzierte Veröffentlichungen eingebracht – darunter auch bei Metalheadz.

Auf der 27. Alphacut-Platte reduziert sich Sinistarr auf wenige, aber überaus impulsive Elemente. Toll dieses insektenhafte Zirpen in den stillen Passagen. Und toll auch die umher flackernde Bassdrum. Ein Track, der die acht Monate zur letzten Platte schnell vergessen lässt.

Den Gegenpart bereitet Sub aus Innsbruck. Mit großen Downbeat-Wolken-Chords ausgestattet schwebt „Instantaneous“ entlang. Sub betreibt seit 2007 auch das Label Syncopathic Recordings.

Das spannende daran: vor kurzem veröffentlichte er eine 4-Track-Compilation mit einem LXC-Track. Den gibt es neben den drei anderen Stücken auch noch als Free Download. So schließen sich die Kreise.

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Rundumschlag

Okay, es kam zuviel auf einmal heraus in den letzten Tagen. Daher mal wieder ein Rundumschlag. Mit Jahtari, Marko Fürstenberg, Markus Masuhr und Tiefenherz 50.

Fünf Platten, die doch sehr verschieden ausfallen und die wahrscheinlich selten in ein und demselben Plattenkoffer anzutreffen sein werden. Außer vielleicht die von Pragmat, der neuen Vinyl-Label und Marko Fürstenberg. Denn beide sind weitgehend im klassischen Dub-Techno verortet. Während es für Masuhr das erste Vinyl ist, bekommt Fürstenberg ein Re-Issue seines Albums „Gesamtlaufzeit“ aus dem Jahr 2003.

Auf dem großen Netlabel Thinner erschien das damals. Rotary Cocktail Recordings bringen es nun noch einmal neu gemastert auf Vinyl heraus. Weil es zeitlos geblieben ist. Es zeigt aber auch, wie eng fokussiert Marko Fürstenberg seinem Sound in all den Jahren treu geblieben ist. „Gesamtlaufzeit“ entstand damals in innerhalb von rund sechs Monaten an ganz verschiedenen Orten. Norwegen, Kanada, Schweden, Thüringen. Rotary Cocktail bringt parallel zum Re-Issue auch eine Remix-EP heraus, die den Originalen jedoch nicht viel zu ergänzen hat.

Pragmat-Markus-MasuhrNach sechs Jahren Netlabel wagt Markus Masuhr mit Pragmat nun doch den Schritt zum Vinyl. Neu ist die Info nicht, aber es dauerte etwas, bis der richtige Vertrieb gefunden war. Jetzt sind „Relative Septh“ und „Falling Down“ draußen. 300-mal gepresst.

Wie sich das wohl anfühlt. Denn einerseits gibt es nun das haptische Erlebnis, andererseits erreicht Masuhr bei seinem Insectorama bis zu 30.000 Leute für einen Release. Die beiden Tracks bewegen sich auch im Dub-Techno, aber viel reduzierter angelegt als bei Marko Fürstenberg. Fast schon kontemplativ in dem schier endlosen Groove.

Damit rüber zum House-Floor. Tiefenherz 50, das Label von Wuttig & Reuter hat seine zweite EP veröffentlicht. Dieses Mal mit zwei Stücken des Erfurters Sven U.K. und seinem Projekt R:eboerk Traxx. „Save The Thrill“ kommt mit viel Soul und einer drückenden Bassdrum, „Buster Crabbe & Buck Rogers“ mit einem schnellen Piano-Chord. Solider House in beiden Fällen, von der eher klassischen und gefälligen Sorte.

Bei Jahtari gab es abgesehen von der dritten „Jahtarian Dubbers“-Compilation im Frühjahr eine einjährige Pause. Die wurde mit einem Doppel-Release beendet. Bei beiden lieferte Maffi aus Kopenhagen die Dub-Dancehall-Fundamente. Darüber dann Vocals von Mr. Williamz, Kenny Knots, Speng Bond und Rub-A-Dub Market.

Irgendwie abgefahren, wie viele Leute da immer mitmischen. Die Riddims von Maffi, teilweise „dubbed up“ von Label-Chef Disrupt und Pupajim. Plus eben die eingefangenen Vocal-Parts und dazu noch großartige Cover. Bei der „Tann Up Solid“-EP sollen die Riddims bereits älter sein. Die von Mr. Williamz scheinen aktueller zu sein. Sein leicht gelangweilter Gesang kommt übrigens sehr lässig. Ansonsten Jahtari auf gewohntem Terrain.

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Kulissenblick

„Wir wagen Transparenz – in Form eines Blogs“. Analogsoul und Klinke Auf Cinch zeigen in einem eigenen Blog die einzelnen Schritte auf, die auf dem Weg zum eigenen Album zu bestreiten sind. Wir sind Teil des Systems. Und auch wir wagen mal Transparenz.

Releasing A Record heißt das Projekt von Klinke Auf Cinch und Analogsoul. Auch an mir ist es in den vergangenen sechs Wochen nicht vorbeigegangen. Mastering, Artwork, Booking, Promo und die damit verbundenen Kosten werden in kurzen Hintergrundgeschichten offen präsentiert. Teilweise in Videos. Keine schlechte Idee, um die Promotionsphase eines Album auszudehnen.

Normalerweise spielt die sich für die Öffentlichkeit ja erst kurz vor und kurz nach dem Veröffentlichungsdatum ab. Das neue Klinke Auf Cinch-Album erscheint aber erst Ende November. Doch bereits jetzt ist es im Gespräch. Allerdings funktioniert die Idee sehr wahrscheinlich auch nur dieses eine mal.

Beim Thema Promotion kommen auch wir mit ins Spiel. Gestern um 13:35 Uhr schrieb Fabian Schütze von Analogsoul eine Mail und meinte, er würde sich freuen, wenn wir auf das Projekt hinweisen könnten. Eine kurze Mail mit durchaus großer Wirkung. Denn obwohl ich das Projekt auf dem Schirm habe und auch vor hatte, es in irgendeine Weise bei frohfroh zu erwähnen, so hievt diese persönliche Mail das Thema auf der Agenda noch einmal hoch.

Das heißt nicht, dass dies immer so wäre. Im Mittelpunkt steht die Relevanz eines Themas. Fabians Mail hätte mich kalt gelassen, wenn sie einen Blog zum Brotbacken aufgesetzt hätten. Und nicht immer fallen die Analogsoul-Veröffentlichungen auch in das frohfroh-Feld – siehe das soeben erschienene Lilabungalow-Album. Aber es gibt einen spannenden Aufhänger. Und einen Impuls im richtigen Moment.

Doch was macht Themen spannend? Wenn sie mehr zu erzählen haben, als das bloße Verkünden von Fakten. Wenn sich dadurch Kontexte vermitteln oder verbinden lassen. Das klingt theoretisch, ist es in der Regel aber gar nicht. Mit einer gewissen Erfahrung innerhalb eines bestimmten Themenfeldes kann man sich auch auf das Bauchgefühl verlassen. Natürlich kann das auch daneben gehen.

Und dann der Mythos der Objektivität. frohfroh ist persönlich eingefärbter Blog und Magazin zugleich. Die Grenzen sind also etwas fließender, wenn auch im Hinterkopf präsent. Bei Klinke Auf Cinch könnte es pikant sein: mit Clemens aus der Band bin ich in die Schule gegangen. Kumpel-Business könnte hier dominieren. Einfach nur Superlative verwenden, Album hoch loben, alles verlinken.

Doch frohfroh ist für mich nicht der verlängerte Arm einer Promo-Abteilung oder ein ungefilterter Kanal für die Musik von Freunden und Bekannten. Die Sympathien mögen noch so ausgeprägt sein, einen gewissen Ethos mag ich nicht aufgeben. Denn das ist mein Spaß an der Sache.

Doch worum ging es eigentlich? Um Releasing A Record.

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Praezisa Rapid 3000 „314159265“ (Noble)

Die meisten aller Doumen-Platten von Praezisa Rapid 3000 stehen in japanischen Plattenregalen. Warum also nicht gleich bei einem japanischen Label veröffentlichen?

Das Trio ist aber nicht selbst losgezogen, um für sein erstes Album ein geeignetes Label zu suchen. Es war das Label Noble selbst, das auf Praezisa Rapid 3000 zukam und ihnen die Chance bot als erste nicht-japanische Band dort zu veröffentlichen. Noble ist im Bereich der Genre-Zwischenräume eine durchaus große Nummer in Japan. An Label-Betreiber Junji Kubo gingen die hohen Platzierungen der ersten beiden Doumen-Platten in den Verkaufs-Charts eines großen japanischen Mailorders nicht vorbei. Er kam sogar extra rüber nach Leipzig und besuchte Praezisa Rapid 3000.

Ein Jahr arbeiteten Henrik Jacobsen, David Junghans und Robert Junghans an „314159265“. Immer in verschiedenen Etappen, und quasi komplett am Rechner durchkomponiert und zusammengebastelt. Die Sample-Leidenschaft ist den Stücken auch anzuhören. Wobei viele eigene Sounds gesamplet und verfremdet werden – Stimmen, Field Recordings und mehr. „Doebeln/Detroit“, die zweite EP von Praezisa Rapid 3000 klang bereits sehr viel stimmiger als das Debüt. Im Nachhinein schälte sich da bereits der Charakter der Band heraus. Wohl auch deshalb finden sich drei Stücke dieser EP auch auf „314159265“.

Der Rest verfeinert den Sound nun weiter. Und der steht auf herrliche Weise im Nirgendwo. Was sind Genres? Warum Grenzen? Bei diesem Album spielen sie keine Rolle. Stattdessen lassen sich verschiedene Spurenelemente ausmachen, die in ihrem neuen Kontext aber doch nichts so recht mit ihrer Herkunft zu tun haben. Sampling im erweiterten Sinne. HipHop hier, Electronica da, Post-Rock, Post-Post-Dubstep, Post-Irgendwas. Solch ein Gemisch könnte ebenso verkopft wie kopflos klingen. Praezisa Rapid 3000 setzen aber auch auf eine humorige Note, die dem ganzen die ernsten Falten von der Stirn zieht. Und dennoch sind die 13 Stücke alles andere als klamaukig.

Vielleicht ist dieser Grat der schwierigste für die Band – auf welche Weise findet man in dieser stilistischen Offenheit die verbindenden Momente? Es ist natürlich auch der organische Sound aus all den live eingespielten Instrumenten. Die stolpernde Rhythmik, die Überblendungen und Überschneidungen. Und auch wenn der frühe Four Tet und der spätere Flying Lotus in diesem Bereich bereits große Vorarbeit geleistet haben, Praezisa Rapid 3000 sind mit diesem Album dabei ihre eigene Nische zu besetzen. Die Vinyl-Version bringt übrigens Doumen heraus. Das dauert aber noch ein wenig. Vorher steht dort noch eine andere EP an.

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Daniel Stefanik „Confidence“ (Cocoon Recordings)

„Confidence“ heißt das neue Album von Daniel Stefanik, das in diesen Tagen bei Cocoon Recordings erschienen ist. Wir haben reingehört und Daniel ein paar Fragen gestellt.

Seit Anfang des Jahres ist Daniel Stefanik bei Sven Väths Cocoon-Netzwerk aus Label und Booking-Agentur. Dass seine Alben sich viel Zeit nehmen und eher auf einen zeitlosen Sound zielen, zeigte schon das Vorgänger-Album „Reactivity“ auf Statik Entertainment. „Confidence“ tritt jedoch weit offener und selbstbewusster auf. Die Dub-Wolken sind weitergezogen.

In der melodiösen Tiefe bleibt sich Stefanik aber treu. Das ist seine Stärke – die Musikalität und Verspieltheit von Warp und Detroit mit dem heutigen Dancefloor zu verknüpfen. Es sind aber nicht die einzigen Einflüsse, wie er unten selbst erzählt. Nun hätte man vermuten können, dass ein Cocoon-Album eine gewisse Steigerung in der Opulenz und der Funktionalität nach sich zieht.

Beides ist auch geschehen. Aber scheinbar in einem sehr freien Rahmen. Es ist keine Maximierung der Effekte, es ist eine möglichst breite Auseinandersetzung mit verschiedenen Einflüssen der elektronischen Musik. Allein, dass es eine LP- und eine CD-Version mit verschiedenem Tracklisting gibt, zeugt von einem großen Pool an Ideen, der „Confidence“ hat entstehen lassen.

Und mit „Distillery“ setzte Daniel Stefanik seinem Heimatclub auch ein musikalisches Denkmal. Ja, es ist etwas unheimlich: Aber dieses Album klingt so stimmig in seinen ruhigen und forschen Momenten. Immer wieder auch mit einer nostalgischen Wehmut versehen, die komischerweise nie an Reiz zu verlieren scheint. Toll übrigens auch, dass Vocal-Samples auf „Confidence“ fast keine Rolle spielen – instrumental wird hier mehr erzählt, als ein ganzes Vocal vermitteln könnte.

War für dich die Zeit reif für ein neues Album oder war der Wechsel zu Cocoon mit einem eigenen Label auch eine Motivation?

„Beides zugleich. Ich hatte eh vor ein Album fertig zu stellen und natürlich hat sich das auch einfach angeboten durch den Agenturwechsel. Nach vier Jahren kann man so was schon mal wieder machen. Mir macht das Arbeiten an einem Album echt Spaß, viel mehr als für eine EP. Man kann einfach musikalisch vielfältiger sein und muss sich dabei nicht nur auf die Peaktime konzentrieren. Dennoch wollte ich – auch gerade im Bezug auf Cocoon – das Album ‚floortauglicher‘ gestalten.

Ich habe versucht den Spagat zu wagen zwischen Kann und Cocoon. Ich wollte nun nicht unbedingt weg von gewohntem Terrain, aber dennoch den Sound von Cocoon in irgendeiner Form gerecht werden. Auf keinen Fall wollte ich mich aber verbiegen, es ist absolut ehrlich. Dazu muss ich aber auch sagen, dass Cocoon mir nie das Gefühl gegeben hatte, dass sie das Album und mich als Künstler in Frage stellen würden. Was besseres kann dir nicht passieren.“

Wie lange hast du daran gearbeitet?

„Für manche Tracks lagen die Ideen fast vier Jahre auf meinen Rechner rum. Zwei Tracks wären auch richtig gut gewesen für meine ‚In Days of Old‘-Reihe auf Kann. Generell saß ich ungefähr vier Monate daran. Es ist immer so ein hin und her mit den Gefühlen, während des Entstehungsprozesses. Es gab Tage, da war ich völlig verunsichert, ob diese Musik überhaupt gut ist.

Man verliert irgendwann das Gefühl für ein Stück. Man kennt es in- und auswendig und das Thema ist für dich durch. Ich habe auch einfach mal zwei Wochen die Tracks liegen gelassen und dann mal später im Auto wieder reingehört. Letztendlich muss man dann aber auch einfach mal loslassen und das ganze abschließen. Ich bin sehr glücklich mit dem Album so wie es ist und klingt, das ist die Hauptsache.“

„Reactivity“ war konzeptionell im Dub verankert, „Confidence“ eher in Detroit – bewusst?

„Nein, unbewusst. Ich bin nun mal stark geprägt von diesem Sound und das fließt dann wahrscheinlich immer in diese Stücke mit hinein. Obwohl ich zugeben muss, dass ich die Tracks eher Frankfurt-inspiriert finde. Perlon mit seinen Protagonisten Ricardo Villalobos, Soul Capsule und Melchior Productions und auch Sven Väth selbst waren für mich immer präsent im Kopf, als ich die Tracks entwickelt habe. Mal abgesehen davon, hab ich immer das Gefühl, dass das Hardwax in Berlin meine Tracks gar nicht mag, also so ‚detroit‘ können meine Tracks gar nicht sein.“

Warum die verschiedenen LP-/CD-Varianten?

„Cocoon und ich haben uns gedacht, dass wir einen Anreiz schaffen müssen für diejenigen, die sich die Schallplatte kaufen. Exklusive Tracks für das jeweilige Format war dann so die Idee und dem entsprechend habe ich die Trackauswahl getroffen. Deshalb ist die Vinylversion etwas mehr für den Dancefloor und die CD auch für das Auto gut. Der Vinylkäufer bekommt sogar die CD dazu.“

Gibt es eine für dich überraschende neue Note oder Ebende, die du beim Produzieren des Albums entdeckt hast? Also persönlich für dich als Producer betrachtet?

„Im Grunde genommen habe ich all das Wissen ausgelebt, was ich mir vorher mit Stefan – Juno6 – und unserem gemeinsamen ‚Alienjazz‘-Projekt angeeignet habe. Das Jammen mit den Geräten. Alle Melodien wurden zum Beispiel frei eingespielt und aufgenommen und in die Tracks eingebaut, hier kam mir das Klavierspielen zu gute. Du weißt einfach, was du da gerade spielst.

Eigentlich wird es erst jetzt wieder für mich interessant, wo ich das Album abgeschlossen habe. Jetzt werde ich wieder im Studio sitzen und viele neue Sachen ausprobieren. Ich baue mir gerade ein Modularsystem auf und werde mich in Zukunft mehr mit Max/MSP auseinander setzen. Denn eins ist sicher: wenn ich so jetzt weiter Musik produziere wie bisher, wird es nicht nur für mich langweilig.“

Daniel Stefanik Website
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Das Electro Compendium

Wie viel würden wohl 1,4 GB Musik wiegen? Verteilt über 116 Tracks. Ein paar Leute haben so viel Musik zusammen getragen und kostenlos ins Netz gestellt. Als „The Electro Compendium“. Und zwar, um dem Genre und der Etymologie von Electro einen würdigen Platz einzuräumen. Denn es ging da einiges schief mit dem Begriff in den vergangenen Jahren:

Kraftwerk invented it in the seventies. Hip hop jacked it in eighties. Techno took it underground in the nineties. And then strange things happened in the noughties. House and dubstep co-opted the word „electro“, shifting its meaning and confusing people. […] Electro is the sound of robots dreaming of a science fiction future, making machine music in their bedrooms with pulsing drum machines, while their keytars gently bleep., so die Macher hinter dem Compilation-Projekt.

Aus Leipzig sind die Pal Secam Kids mit einem Stück vertreten – neulich berichteten wir schon aus deren Umfeld. Blackred fehlt leider. Aber diese Compilation lohnt nicht nur wegen des Leipziger Beitrags. Der Genre-Schnell-Einstieg quasi in das mehr oder weniger aktuelle Geschehen.

Nix mit Platte – Baumwolle

Irgendwie sollte doch eine neue Mikrodisko-Platte im Spätsommer kommen. Von der M9 war die Rede. Die M9 ist auch schon längst draußen, seit Ende Juli.

Aber nicht auf Vinyl, sondern aus Baumwolle und Polyester. Mikrodisko hat einen runden Poncho entworfen – mit den typischen Label-Streifen. Toll auch wieder das Info-Pamphlet. Strategiewechsel, aha.

Deko Deko „Make Death Listen“ (Ortloff)

Neulich wurde sie live im nächtlichen Wald vorgestellt – die Debüt-EP von Deko Deko. Der Sound der vier Tracks passt auch genau dahin.

Release-Konzert im Wald, morbider EP-Titel, viel Schwarz im Artwork. Die Goth- und Wave-Assoziation lässt sich bei Deko Deko auf dem ersten Blick nicht vereiteln. Auch der Sound des Duos ist dunkel verschleiert. Dass die Grenzen zwischen Achtziger-Wave und Goth-Pop fließend verlaufen, zeigten zuletzt Austra, Zola Jesus und Fever Ray ganz groß.

Deko Deko sind dagegen aber weit weniger extrovertiert und exaltiert. Auch wenn die Synthies teilweise ebenso weit ausholen können. Lena Seik und Tristan Schulze sind Deko Deko. Zwischen Punk, Trash und Post-Rock wurden sie musikalisch sozialisiert. Der Spung zum dunkel verhangenen Wave ist da historisch nicht weit.

Seit 2011 arbeiten sie nun zusammen an ihrem elektronischen Pop, der sich zwischen Wärme und Kühle aufreibt. Das spannende ist, dass hier nicht einfach der Gesang für den warmen Einschlag und die Synthies für den kalten verantwortlich sind. Es schlägt genauso auch um. Dann schweben die Harmonien, während Lenas Stimme unterkühlt klingt.

Bestimmt gibt es weitere musikalische Referenzen auszumachen. Zusammen mit dem visuellen Aspekt schaffen Deko Deko aber hier ihr eigenes Gesamtwerk – schaut euch unbedingt auch den interaktiven Bereich zu der EP an. Ein sehr schlüssiges.

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Various Artists „BR01“ (Blackred)

Neues Label – kein Scherz. Dieses Mal wieder keine unbekannten Neulinge. Die Blackred-Crew hat nämlich endlich ihre Label-Idee verwirklicht.

Mit Blackred hat Leipzig seit Jahren seinen eigenen Pol für den klassischen Electro-Sound, mitsamt der naheliegenden Classic House-Anrainer der Detroiter und Chicagoer Schule. In erster Linie waren es die vielen Partys, die unter dem Blackred-Banner veranstaltet wurden. Mit einer überaus uniquen Grafik-Sprache – die Flyer und Plakate leuchteten förmlich in der ganzen Stadt.

Eng verbunden ist auch das Leipziger Grafik-Duo Doppeldenk und der dazugehörige Ausstellungsraum Off-Center. Die Kreise schließen sich also schnell. Und das Label ist ein weiterer schlüssiger Baustein. Gerade wenn man den Output von Headnoaks verfolgt. In Eigenregie hat er bereits einige Alben rausgehauen – nachzuhören bei Bandcamp. Eigentlich sollte ihm auch die Debüt-EP gehören. Es wurde dann aber doch eine Mini-Compilation.

Obwohl Blackred ein Kollektiv aus verschiedenen Musikern und Künstlern ist, hält Philipp Klein alias Rekorder die Fäden für das Label weitgehend allein zusammen. Seit drei Jahren schon hängt die Idee eines eigenen Labels in der Luft. In welchen Intervallen weitere Platten folgen werden, ist noch offen. Vielleicht halbjährlich, vielleicht öfter – je nach Zeit.

Die „BR01“ steckt erstmal das grundlegende Spektrum ab. Und es zeigt auch die Nähe zu Dresden. Denn mit Credit00, Invalog und CVBox sind drei Tracks aus der Elbstadt auf die Platte gekommen. Klar, Credi00 war seit jeher mit Blackred verbunden, CVBox musikalisch verbrüdert – bei Uncanny Valley hatte er kürzlich eine eigene, großartige EP.

Aus Leipzig sind Headnoaks, Unknown Artist und PorkFour dabei. Die „BR01“ ist voller analog schimmernder Science Fiction-Atmosphäre. Ein klassischer Sound, der einfach immer diesen nostalgisch-futuristischen Moment in sich tragen wird.

Und der immer ein Tick mehr Wehmut und Verspieltheit in sich trägt als andere Genres der elektronischen Musik. Bei Headnoaks spielt das Experimentelle meist noch eine größere Rolle. PorkFour kommt mit einem erstaunlich forschen und Acid-geschwängerten Track daher. Und bei den Dresdnern ist tendenziell mehr Deepness in den Zwischentönen. Eine tolle EP, eine längst überfällige EP.

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Various Artists „Subscribe For All EP“ (Submit Records)

Und noch ein neues Label – Submit Records. Eins mit vielen Verzweigungen in die Geschichte der Leipziger Clubmusik-Szene.

Als Hinzugezogener und Zuspätgeborener liegen die Neunziger und frühen Nuller Jahre von Leipzig für mich weitgehend im Dunkeln. An ein paar Sachen erinnere ich mich aber noch. An den Kellermusik-Laden am Roßplatz etwa, exakt da wo heute der Buchladen Kapitaldruck ist. Das Label mit seinen Sublabels stand seinerzeit für die dunklere und experimentellere Seite der elektronischen Musik.

Einige der damaligen Protagonisten – Klima, Stanley Hottek und DenizchadoR – beenden mit Submit Records nun ihre mehrjährige Pause. Stöbert man bei Discogs ein wenig rum, finden sich zu allen dreien zahlreiche Releases auf verschiedenen Labels. Klima war zuletzt auf zwei EPs von Esoulate Music vertreten. Auch „Slight Screen“ war dort bereits zu hören. Jetzt erscheint es noch einmal auf Vinyl.

Die anderen drei Stücke kommen erstmals heraus. Zwei von Stanley Hottek, eins von DenizchadoR. Und rein vom Sound hört man ihnen an, dass die musikalische Sozialisation etwas zurückliegt – ganz im positiven Sinne aber. Die Stücke klingen nach einem analogeren Umgang mit den Sounds. Mit Kanten, Dissonanzen, einer eingedunkelten Electronica-Grundstimmung und einer gewissen Patina.

Wahrscheinlich kommen sie genau im richtigen Moment. Denn nach den slicken Minimal-Jahren und der zunehmend weichgezeichneteren House-Deepness hat diese Reibung etwas überaus Wohltuendes – auch wenn sie alles andere als neu ist. Die erste Submit-Platte ist auf 250 Stück limitiert und seit einer Woche draußen.

Submit Records Soundcloud

Petula/The Micronaut „Dia02“ (Dia Records)

Die erste Ausgabe des neuen Analogsoul-Sublabels Dia Records ging hier unter. Dabei ist die Idee einer digitalen Split-Single mehr als spannnend.

Noch dazu wenn sie so stimmig und kontrastreich zugleich kuratiert wird. Zwei Stücke von zwei Künstlern, so die Idee hinter Dia Records. Aber eben nicht auf Vinyl, sondern digital. Bei der Nummer 2 teilen sich der Berliner Petula und der Neu-Leipziger Micronaut die virtullen zwei Seite der Split-EP. Loop Folk hier, Breitwand-Pop-Elektronik da.

Wer sich etwas im deutschen Indie-Geschehen der letzten 10 Jahre auskennt, dürfte Sebastian Cleemann aus den Bands Kate Mosh und SDNMT kennen. Ich erinnere mich da noch ein großartiges Konzert im Conne Island mit letzterer Formation. Sein Solo-Projekt Petula ist aber längst eigenständig genug, um auf all die Bandverweise verzichten zu können.

Bei seinen beiden Dia-Songs mag man kaum glauben, dass hier nur eine Person dahinter steckt. Die volle Instrumentierung. Leicht knittrig in den Sounds, und dann doch wieder opulent aufpoliert. Wunderbar, wie zwischen den Tönen heraus zu hören ist, was ein Pop-Song der elektronischen Musik eben auch voraus hat – die emotionale Dichte und die Fülle an Spannungsbögen auf kleinstem Raum. Aber gut. Äpfel und Birnen.

Micronaut, bzw. The Micronaut ist nicht minder spannungreich in seinen Stücken. Auch „All I Have Is Now“ und „She’s Mine“ wechseln die Klangfarben von einem auf den anderen Augenblick. Nur mit mehr Staccato.

Die Micronaut-Stücke bewegen sich einerseits immer nah am Überladensein. Andererseits ist das eben auch deren Reiz. Elektronisch in der Dramaturgie, organisch im Klang. Wobei die Vocals und die Breaks bei „She’s Mine“ fast schon Rave-Qualitäten aufweisen. Nur eben runtergedimmt. Feingeistiger. Mit einer deutlichen Indie-Sozialisation aufgebaut. Bitte mehr Dias.

Dia Records Website
Petula Website
Micronaut Website

Lake Powel „Bright Eyes, Dirty Hair“ (Fenou)

Nein, kein Schreibfehler. Lake People hat gemeinsam mit Powel aus Berlin ein paar Tracks produziert. Zwei davon kommen nun auf 10″ heraus.

Fenou ist bekanntermaßen das Boutique-Label aus dem Label-Konglomerat von Dapayk. Kleines 10″-Format, meist florale Covergestaltung. Und auch die Tracks sind allesamt abseits der großen Abfahrt. Eine bessere Heimat könnten die zwei ersten Lake Powel-Stücke also gar nicht bekommen. Seit sechs Monaten sind sie bei Soundcloud schon im Stream – gerade das Titelstück hat die 10.000er-Grenze kürzlich geknackt.

Es gibt eine große Sehnsucht auf dem Dancefloor, der Lake Powel den Soundtrack verleihen. Spätsommerlich ist im Info-Text zu lesen. Und diese Stimmung trifft es sehr gut. Das Sommerglück ausfadend schwingen die beiden Stücke mit halber Melancholie und halber Seligkeit voran. Der große Entspannungsreigen in je rund neun Minuten vertont. Sehr musikalisch und spielerisch, abseits jeglicher Funktionalitäten. Wobei: bestimmt funktionieren die Stücke auf einer nicht zu durchen Afterhour sehr wohl. Aber auch da treffen Melancholie und Glück direkt aufeinander.

„Bright Eyes, Dirty Hair“ bietet durch seinen gedämpften Gesang noch mehr Anknüpfpunkte dahingehend. Doch die Tracks sind zu gut ausbalanciert, als sie den Montagsravern unterjubeln zu wollen. Hier erreicht House seine Existenzberechtigung für Zuhause. Ob das der typische Lake Powel-Sound sein wird, bleibt offen. Aber für den Moment stimmt alles.

Nachtrag: In der digitalen Version gibt es auch noch Remixe von Acid Pauli & Nu sowie Mira & Chris Schwarzwälder.

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