Various Artists „SVS Sampler“ (Mayolove Music)

Raus aus der Stadt, aus dem eigenen Studio. Rauf auf eine Almhütte in die Berge. Mit dabei Freunde und Bekannte und ein Haufen Instrumente – heraus kommt Selbstversorgersound. Mit Leipziger Beteiligung.

Seit 2007 versammelt Beni Brachtel – für kurze Zeit auch Student an der Leipziger Musikhochschule – einmal im Jahr Musiker aus verschiedenen Richtungen auf einer Almhütte. Reduktion und Konfrontation sind die Ziele der mehrtägigen Sessions. Reduziert im Equipment, konfrontiert mit anderen Einflüssen in einer ungewohnten Umgebung. Brachtel taufte das Experiment Selbstversorgersound und präsentiert zusammen mit dem Müncher Label Mayolove Music erstmals Ergebnisse dieser Zusammenkünfte – auf Doppel-Vinyl.

Das Gros ist elektronisch geerdet – an ganz verschiedenen Stellen und Rändern der Genres. Downbeat, House, Techno, Pop, Avant-HipHop flackern auf, klingen in den Details am meist eine Spur abseitiger. Die stilistischen Reibungen kommen deutlich hervor. Entweder in der Auswahl oder der Mischung der Sounds. Und obwohl diese Compilation so heterogen ist, bleibt sie erstaunlicherweise recht kompakt beisammen.

Aus Leipzig nahmen Matthias Groß alias Zaquoir und Lukas Rabe bei den Selbstversorgersound-Ausflügen teil. „Tanz in den Mai“ ist ein gemeinsames Stück der beiden. Dunkel und aufgeladen, mit einer kräftigen Bassline untermauert, ist es eines der geradlinigeren und klareren Tracks auf „SVS“. Aber ebenso mit feinen Brüchen versehen. Zaquoir arbeitete auch mit dem Saxofonisten Hamza Touré zusammen.

Säuseln ist aber nicht. „Wolfsbeeren“ zerfasert verschiedene Saxofonspuren und setzt sie auf wohlwollende und experimentelle Weise neu zusammen – immer unterlegt mit einer tief bohrenden Bassdrum. Vielleicht beeinflussten hier auch die musikalischen Gegensätze von Istantbul die Arbeit, wo Matthias Groß‘ eine zeitlang lebte.

Seit 1997 produziert er Musik, entsprechend gefüllt ist sein Soundcloud-Profil. Und in den meisten dieser Stücke hallt sein Hang zum Experimentellen und zum Sounddesign wider. Das gleiche gilt aber auch für Lukas Rabe – ebenfalls dokumentiert bei Soundcloud. Zwei Querdenker auf dem Dancefloor also, die uns hier eine große Überraschung bescheren. Unbedingt aber auch die anderen Stücke anhören.

Mayolove Music Website
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Bay B Kane „4Saken / Chills“ (Junglelivity)

Es sind schon gut drei Wochen vergangen seit dem Release einer doch bemerkenswerten Platte auf Junglelivitiy – dem epischen Ableger von Ulan Bator Records. Doch der Mann hinter den Tracks hat sich ebenso viel Zeit gelassen.

Zwölf Jahre war es still um Bay B Kane, einem der Jungle-Pioniere aus London. Die Familie, die Uni und das Leben an sich waren Auslöser für die Pause, wie er in einem Interview von 2011 kundgab. Ein Jahr zuvor war er das erste Mal seit Mitte der Neunziger im Studio und Bay B Kane dürfte es nicht bereut haben. Heute treibt er die Future Jungle-Bewegung an, wie Framo von Junglelivity meint. Über Soundcloud ist er mit seinen Label-Kollegen auf die neuen Tracks des Londoners gestoßen.

Und da bei Junglelivity „mittlerweile der Anspruch besteht eher langlebigere Tunes auf Platte zu bannen“, horchten sie wohl hier besonders auf. Ich kenne den alten Bay K Kane nicht. Im Oldschool- versus Future-Vergleich muss ich also passen. Was bei den beiden Stücken der Junglelivity-EP aber auffällt, ist die Ruhe, die sie ausstrahlen.

Natürlich rattern die Beats weit über der 140er-Linie, aber die Chords sind allesamt auf Schwebekurs zum eigentlich geschlossenen Chill-out-Floor. Bei den Vocals – gerade bei denen von „4Saken“ – wird es zwar stellenweise pathetisch, aber die Aufgeräumtheit beider Stücke ist doch wie ein Sog. Sicherlich eine EP mit historischen Flashbacks. Aber für mich die erste von Junglelivity, die hängenbleiben dürfte.

Bay B Kane
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Tonsystem Klangkunst „High Five EP“ (Esoulate Music)

Esoulate setzt seine Artist-Feature-Serie fort – dieses Mal mit der ersten EP des Duos Tonsystem Klangkunst.

Als Live-Act gibt es die beiden bereits seit sieben Jahren. Erstaunlich, dass es erst jetzt zu einer Studio-EP kommt. Das Interessante: sie arbeiten ohne Rechner. Das Live-Setup brachte demnach die vier Stücke der „High Five EP“ hervor. Ein wenig ist der Ansatz auch wahrnehmbar. Es ist alles in sich fließend, überschaubar in den Elementen und relativ rough im Mix. Bei den Basslines wird es manchmal etwas breiig.

Der mal sanftere, mal zwingenderere Strom hat zur Folge, dass es dramaturgisch keine großen Eruptionen gibt. Und dass durchaus im positiven Sinne. Ron Deacon arbeitet mit ähnlichen Mitteln. Die Effekthascherei bleibt somit auch aus. Aber natürlich bleiben in solch einem Fluß die charakteristischen Anker schwerer greifbar. Der Weg ist entscheidender als klar ausformulierte Stücke.

Da kommt die Live-Erfahrung sehr deutlich heraus. Also ein Kontext, der vielmehr mit dem Moment arbeitet sowie der Idee ihn solange wie möglich zu dehnen, ohne den Dancefloor zum Stillstand zu bringen. Insofern gar keine leichte Aufgabe damit eine EP zu bestreiten.

Den Unterschied hört man schließlich beim Remix von Sebastian Wolf – er ist sehr viel trackorientierter. Aber er wird den Mix sicherlich auch nicht live eingespielt haben. Wie immer gibt es die EP bei Esoulate kostenlos als MP3.

Tonsystem Klangkunst Website
Esoulate Music Website
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Chris Manura „Cube EP“ (Dirtydrivesounds)

Nach dem Remix für Douglas Greed neulich, erschien eben auch eine EP von Chris Manura. Inklusive eines Sven Tasnadi-Remixes.

Und wieder bei Dirtydrivesounds, da wo auch schon Manuras „Fockeberg“-EP herauskam. Allerdings wagt sich das Label aus der Nähe von Zeitz nun auch an Vinyl. Die „Cube EP“ kommt in einer grün-melierten Version mit zwei neuen Tracks von Chris Manura. Im Tech-House bewegen sich beide, mit etwas mehr Dub-Einfluss bei „Cube“ und mehr klassischer, leichtgängiger Deepness bei „TYO“.

Recht sphärisch und aufgeladen klingen sie, wie es desöfteren bei Chris Manura zu hören ist. Anders akzentuiert könnte „Cube“ in manchen Momenten auch eine groß ausholende Rave-Nummer mit Trance-Erdung sein. Manura hält das Stück aber trotz des raschen Tempos bescheiden.

Sven Tasnadi zieht in seinem Remix den Druck der Bassdrums merklich an. Und er nimmt die Breitwandigkeit des Originals heraus, um dagegen die helleren, schwebenden Chords zu betonen. Irgendwie runder und feiner justiert. Label-Chef Mac-Kee bleibt der Grundatmosphäre treu, doppelt aber die Bassline auf und reduziert zugleich die Arrangements. So richtig zündet er aber nicht, der Remix.

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Grüße aus Reudnitz

Am vergangenen Wochenende feierte die Distillery ihr 20-jähriges Bestehen. Und ein Geschenk kam aus Reudnitz.

Aus dem Industriehof an der Göschenstraße – genauer gesagt vom Leipziger Schallplattenpresswerk R.A.N.D Muzik. Am Samstag bekam die Distillery eine limitierte Vinyl-Compilation mit einer Seite für den Freitag und einer den Samstag. Darauf sind bislang unveröffentlichte Stücke von den Resistant Mindz-Jungs Duktus, Chris Medleigh, DFKT & Mr. Beef, Daniel Stefanik sowie Sven Tasnadi & Juno6. Außerdem ist noch „Puddle Trouble“ von Dan Drastic & Matthias Tanzmann mit dabei, ein Stück von der zweiten Moon Harbour Joints.

Auch hinter den Kulissen bleiben die Verbindungen zwischen Club und Szene nahe: Kompiliert hat das ganze Filburt, die Hülle gestaltete Philipp Neumann vom mzin-Laden, dessen großer Bruder die Anfangsjahre der Distillery mit prägte. Und gepresst wurde natürlich von R.A.N.D.. Super Sache. Und glücklich, wer eins der Exemplare überreicht bekommen hat.

Noch etwas zur Distillery: die Crowdfunding-Aktion zum Doku-Film entpuppte sich zur Rekordaktion. In nur zwei Tagen war die anberaumte Summe drin. Mittlerweile hat sie sich fast verdoppelt.

Die Distillery-Doku

Die Distillery feiert am kommenden Wochenende ihr 20-jähriges Bestehen. Anlass für ein kleines Team aus vier TV-Journalisten eine Dokumentation zu drehen. Die Hälfte ist geschafft, für die Zielgerade seid ihr gefragt.

Crowdfunding heißt das Zauberwort, VisionBakery die Plattform. Dort rufen Janine Göhring, Johannes Amm, Benedikt Fitzke und Stefan Leuschel zur finanziellen Unterstützung bei der Produktion und Promotion der für das Frühjahr 2013 angekündigten DVD auf.

Das Prinzip ist einfach und von Labels wie Analogsoul bereits öfter erfolgreich angewandt worden: ihr spendet einen selbst gewählten Beitrag, bekommt eine entsprechende Gegenleistung und – viel wichtiger – fördert dem Quartett ein unabhängiges Filmprojekt. Denn hinter „20 Jahre Distillery – Der Film“ steht keine kommerziell agierende Produktionsfirma, die im Auftrag eines Senders arbeitet, hier arbeiten vier Leute mit wahr werdenden Flausen im Kopf.

Ein Großteil des Filmmaterials wurde bereits aufgenommen, es kommen noch Interviews hinzu. Die Spenden gehen für Lizenzgebühren, Plakate, Pressung und mehr drauf. Schaut selbst auf der Aktionsseite. Dort gibt es alles im Detail. Hier geht es auch noch zur Facebook-Seite des Films.

Der Deacon-Oktober

Gleich zwei EPs veröffentlicht Ron Deacon in diesem Oktober. Neulich bei Oh! Yeah!, in wenigen Tagen auf Farside Records.

Ron Deacons Diskografie ist in den vergangenen zwei Jahren ja erfreulich gewachsen. Erfreulich auch, wie unique er sich einen Sound herausgearbeitet hat, der viele seiner Tracks zusammenhielt. In diesem Oktober folgen sieben neue Stücke, verteilt auf zwei EPs. Die größere Überraschung liegt bei „Songs About Love“.

In erster Linie, weil sie auf Oh! Yeah! herauskommt. Die Öffnung des Labels abseits von Sven Tasnadi und Juno6 erreicht damit den nächsten Schritt. Und zugleich einen sehr schlüssigen. Musikalisch ist die Überraschung ambivalent. Einerseits präsentiert Ron Deacon teilweise eine ungewohnt funktionale Seite, andererseits wirkt die aber auch etwas verwaschen. Zurückgelehnt und perkussiv bei „Sax Groove“, straighter hingegen bei „Don’t Stop“. Solide in beiden Fällen, aber eben ohne jene tief vereinnahmende Spannung, wie sie sonst bei Ron Deacon herrscht.

Bei „Beauty Irony“ kommt diese wieder hervor. Ein 9-Minuten-Epos, grazil strahlend und knisternd zugleich. Aber auch hier: ein Saxofon. Da gräbt Ron Deacon ein echtes Kriegsbeil aus. Obwohl der Rest des Tracks es abfedern kann. „Fall In Love“ klingt wie eine kleine Persiflage. Worauf, kann ich nicht orten.

Bei Farside gibt es ein Wiederhören. Vor zwei Jahren sorgte das Label von Ingo Sänger mit der „Secret Garden“-EP für Ron Deacons zweiten Frühling. „In Temptation“ heißt die neue Platte. Und sie greift genau diese sich nicht entladen wollende Spannung auf, von der ich immer wieder schwärme. Lang gezogene Momente, episch ausholend und nach Jam-Sessions klingend.

Die Dramaturgie ist hier nie fixiert. Alles fließt, kommt oder kommt vielleicht auch nicht. Henry L & Ingo Sänger wollen mit ihrem Remix von „Did You Know“ jedoch lieber die klassische Deep House-Nummer schieben. Sie entledigen sich aber eines sehr sehr gewagten Elementes des Originals – nämlich um das Sample eines Musikers, der sein Publikum auf eine Ballade vorbereitet. Aus dem Nichts taucht es plötzlich auf, und genau dahin verschwindet es am Ende der Breaks auch wieder.

Im Club vielleicht ein Killer, vielleicht aber auch gar nicht nötig, denn der Track ist mit seinem scharfen Kontrast aus marschierender Bassdrum und hoch aufbäumenden Synth-Melodien eigentlich genau richtig besetzt. Ein Deacon-Oktober mit Überraschungen also.

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Philipp Matalla „Space Line“ (Internasjonal Spesial)

Distillery-Resident Philipp Matalla wächst über seinen DJ-Status hinaus. Und zwar mit einer Debüt-EP auf dem Label von Prins Thomas.

Kein schlechter Start für einen jungen Newcomer. Eine Mail reichte, natürlich auch die Aussagekraft der Tracks. Der Norweger Prins Thomas antwortete prompt und meinte, er könne sich das auf seinem Label Internasjonal Spesial vorstellen. Nun ist die „Space Line“-EP draußen. Und sie ist großartig. Ohne Umleitung kommt das Resümee gleich am Anfang.

Klar, wieder eine House-Platte. Aber mit einer Lässigkeit und Krautigkeit, die mich doch überrascht. Ganz langsam schiebt sich Matalla entlang von Piano-Chords, Vibraphon-Melodien, Synth-Harmonien. Poetisch, völlig ohne Hast und ohne Profilierungswahn entfalten sich die drei Tracks. Was für ein Understatement da mitschwingt.

„What About“ schält am deutlichsten noch die Disco-Einflüsse heraus, die in Philipp Matallas Sozialsation wahrscheinlich keine unbedeutende Rolle spielten. Bei „Line Ten“ und „Space Line“ dominiert eine angenehme Wehmut. Eine, die sich genießen lässt.

Phillipp Matalla lebt seit drei Jahren in Leipzig. Groß geworden ist er 30 Kilometer von hier entfernt, in Braunsbedra. In Leipzig hat er schnell Anschluss gefunden. Einen Doumen-Podcast bestritt er bereits, Buki Good bucht seine Auftritte. Da wird auf jeden Fall noch mehr kommen.

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„Es fehlt die Nische“ – Resom im Interview

Leipzig ist das neue Berlin? Erst letzte Woche holte ein ZEIT-Artikel diesen Vergleich wieder hervor. Doch so aktiv die hiesige Szene ist – sie kommt auch an ihre Grenzen. Gerade in dem direkten Vergleich mit der Hauptstadt. Darum trafen wir uns mit Nadine Moser alias Resom. Als DJ, Bookerin und Partyveranstalterin kennt sie beide Städte bei Tag und Nacht.

Seit über einem Jahr lebt Resom in Berlin und ist Veranstalterin im Club ://about blank. Nebenbei bucht sie für Kassem Mosse, Mix Mup, Lowtec und andere die Auftritte. Und natürlich legt sie weiterhin selbst auf. Zuvor prägte sie jedoch über Jahre hinweg die Leipziger Clubkultur. Als Teil von Homo Elektrik, aber auch mit ihrem Engagement bei Projekten wie Propellas, Do it herself oder Caramba Records. Im Südblock am Kottbusser Tor trafen wir uns zu einem Gespräch über Berlin und Leipzig.

Was genau machst du im ://about blank? Bist du dort freie Mitveranstalterin oder gibt es Strukturen, in denen du mit drin steckst?

„Das ist eine längere Geschichte. Da gehört auch viel persönliche Beziehung dazu – vor allem die engen Beziehungen zu einzelnen Leuten vom Kollektiv des ://about blank. Sie haben mich in den letzten Jahren als DJ immer gepusht und zu allen ihren Veranstaltungen eingeladen. Das war aber noch weit bevor es den Club gab. Als sie dann dieses Kindergartengelände gefunden hatten, gab es natürlich den Bezug, obwohl ich zu der Zeit noch in Leipzig war. Ich durfte zu fast jeder wichtigen Veranstaltung auflegen, wofür ich sehr dankbar bin.

Irgendwann habe ich gemerkt, dass das ://about blank der Ort ist, an dem ich eigentlich schon immer tätig sein wollte und dass es das ist, was ich in Leipzig immer vermisse. Meine Stelle in Leipzig lief auch aus, ich war durch mit der Stadt, brauchte neuen Input. Ich kam hier nicht weiter – weder beruflich, noch musikalisch. Ich habe auch schon mal in Berlin gelebt und wollte gern wieder mein gewohntes Umfeld reaktivieren.

Zumal ich zur gleichen Zeit auch das Booking für die Workshop-Jungs und Kassem Mosse angefangen hatte. Es war klar, dass ich das etwas professionalisieren will. Und in Leipzig gab es nicht die Möglichkeit mich auszutauschen für ein Booking auf meine Weise. In Berlin habe ich ganz andere Kontakte. Es bringt keine Punkte, die Leute immer nur auf Partys zu treffen.

Man möchte sich doch auch mal zum Essen verabreden und in Ruhe einen Kaffee trinken. Oder einfach mal Fragen austauschen, was der und der Paragraf in dem Vertrag aussagt. Ich habe das nicht gelernt, sondern schüttele mir das alles aus dem Ärmel. Das ist super hier und das habe ich in Leipzig immer vermisst. Klar gibt es Buki Good, was auch großartig ist, aber dahin hatte ich nie einen so persönlichen Draht.“

Hast du aber eine konkrete Rolle im ://about blank?

„Ich habe angefangen bei ‚Memory‘ mitzumachen, einer der ersten Kollektivveranstaltungsreihen. Es gibt mittlerweile fünf Reihen vom ://about blank selbst – Cotton Wood, Contour, Memory, Zeroize und Ghosts. Memory macht wahnsinnig viel Spaß und wir haben in der Stadt auch schon einen Ruf für ’sophisticated‘, also besondere Veranstaltungen, bei denen es um eine bestimmte Atmosphäre geht, mit einer Musik, die eine Nische füllt, aber nicht total unbekannt ist.

Und wir versuchen eine Mischung aus local support zu geben für noch eher unbekannte Leute wie Helena Hauff oder Mix Mup, von denen wir sagen, dass das was ganz besonderes ist und die wir mehr in Berlin verankern möchten, sowie unserem eigenen Support und Künstlern, die es sonst nur in der Panoramabar oder gar nicht hier zu sehen gibt, hinzubekommen. Und das funktioniert unserer Meinung auch ganz gut.“

Die Leipziger Verbindungen kommen dann hauptsächlich durch dich, oder auch noch andere?

„Nein, nicht nur durch mich. Es gibt viele persönliche, über Jahre entstandene Beziehungen zwischen ://about blank-Leuten und etwa den alten Homo Elektrik-Leuten oder dem Conne Island Umfeld. Da ist ein Fundament entstanden. Es gibt auch starke Bezüge zwischen Potsdam und Leipzig. Genauso wie zwischen Potsdam und dem ://about blank-Kollektiv durch die Leute aus dem alten Spartacus-Umfeld.

Es ist eine große Clique und das erweiterte Umfeld darum, was aber vorher schon präsent war. Viele aus dem ://about blank-Kollektiv kannte ich auch schon vorher, aber aus ganz anderen Richtungen. Im Endeffekt ist die Welt eben doch kleiner als angenommen.“

Wo siehst du konkret Unterschiede zwischen der Clubkultur von Leipzig und Berlin?

„Ich glaube, es ist vor allem die Menge an Menschen, die sich für eine spezielle Art von elektronischer Unterhaltungsmusik zusammenfindet. Ich denke, dass es alles, was es in Berlin gibt auch in Leipzig gibt. Aber es macht die Menge der Menschen aus. Die Prägnanz des Freak-Faktors ist in Berlin natürlich wesentlich höher. Es gibt hier soviel mehr Labels, Plattenläden, Musikkonsument/innen und überhaupt von allem mehr – das heißt aber nicht, dass die Qualität dadurch besser wird.

Musikalisch würde ich da gar nicht so Unterschiede sehen. Außer, dass es in Berlin bei House durch Leute wie Prosumer, Tama Sumo oder Steffi einen prägnanteren Chicago House-Input gibt. Es besteht auch viel eher einen Bezug zum alten Holland-Electro, der in Leipzig eher durch die Blackred- und Audiofiction-Leute vertreten ist. In Berlin ist das alles viel präsenter, es gibt mehr Fans, die zu der Musik tanzen gehen. Und was es auch unterscheidet, ist die Möglichkeit auszugehen an sich.

Leipzig hat nicht mehr den einen Club, den es aber wieder bräuchte – vor allem vom Soundsystem her. Es fehlen die Nische, aber auch die Finanzen um Experimente überhaupt finanzieren zu können. Zu viele haben sich daran schon versucht und sind leider gescheitert. Klar dass dann vor allem Konsensmusik von Konsensmusiker/innen gespielt wird. Ich finde aber zum Beispiel das Booking im Sweat Club erstaunlich mutig und spannend.

Es gibt auch viele Veranstaltungskollektive, die eine gute Anlage haben und die sich Orte suchen, an denen man viel Spaß haben kann und gleichzeitig Orte neu definiert. Aber auch das wird mit der Suche nach passenden Locations immer schwieriger. Zumal die Repression durch die Provinzsheriffs immer mehr zunimmt.“

Sind in Berlin aber auch noch mehr Freiflächen vorhanden? In Leipzig wird dies ja schon als Problem gesehen.

„Es verändert sich. Im Gegensatz zu Leipzig ist Berlin ja permanent in Bewegung. Man hat hier eine ganz andere Veränderungsgeschwindigkeit. Es entstehen neue Sachen, dafür gehen andere kaputt. Es gibt hier auch nicht unbedingt mehr Freiflächen, sondern mehr Mut, mehr Risikobereitschaft, vielleicht auch einen größeren Teil an Naivität. Das alte Bar25-Gelände wurde jetzt von den alten Betreibern gekauft – klar ist das stadtpolitisch gesehen ein Erfolg für die Szene.“

Kommt Leipzig einfach automatisch an seine natürlichen Grenzen, oder meinst du, dass etwas grundlegend fehlt? Oder gibt eine irgendeine Schrulligkeit, die Leipzig im Weg steht?

„Wenn ich mir die letzten zwei Jahre anschaue, in denen ich noch in Leipzig gewohnt habe und sehe, was es an illegalen Open Air-Veranstaltungen gab, kann man schon sagen, dass sich das potenziert hat – in einer Dimension, bei der klar war, dass die Stadt irgendetwas dagegen tun wird. Es gibt auch gar kein Bewusstsein mehr der Gäste für den Umgang mit der Natur oder den Respekt vor der Möglichkeit, dass dies so stattfinden kann.

Gerade auf der Fläche am Richard-Wagner-Hain lag Müll in unglaublichen Mengen verteilt rum. Die Qualität des Publikums hat sich auch verändert. Als musikliebende und extasesuchende Person ist man da einfach nicht mehr weiter gekommen. Das war für mich dann nicht mehr interessant. Ich war davon abgegessen, weil es auch respektlos war. Alle haben plötzlich Open Airs veranstaltet und es gab nicht mehr dieses Besondere… aber meckern ist leichter als machen.“

Foto: Daniel PauseliusWann hast du Leipzig verlassen?

„Offiziell im Juli letzten Jahres, aber ich habe den Umzug über Monate vorbereitet und war schon sehr viel in Berlin. Die Bezüge zu Leipzig gehen ja auch nicht verloren. Wenn man da einmal eine Basis hat, bleibt die auch bestehen. Es ist nicht so, dass ich dort mit niemanden zu tun habe oder dass ich da nicht mehr hin will – eher im Gegenteil. Ich bin weiter viel in Leipzig und liebe die Stadt auch. Es hat eine ganz andere Qualität, die Ruhe genieße ich schon. Aber ich bin auch froh, dort keinen Alltag mehr zu haben.“

Du warst in Leipzig in einigen clubkulturell geprägten Projekten beteiligt, bei denen es um die Förderung von Mädchen und Frauen ging. Braucht es das in Berlin auch oder ist hier ein anderes Selbstverständnis da?

„Schwierige Frage. Es hat beides. Es gibt hier viel mehr Initiativen, die solche Arbeit leisten und es gibt auch eine andere Notwendigkeit. In Leipzig hatte ich oft das Gefühl, dass man noch Grundlagenarbeit leisten und gleichzeitig im Austausch mit Projekten aus anderen Städten ein Niveau halten muss, dass in der Breite des Spektrums eine echte Herausforderung war. Man hat in Leipzig eben beides: die Grundlagenarbeit, die die Frauenkultur immer noch bietet und Projekte wie Do it herself und den DJ- und Band-Proberaum im Conne Island.

Andererseits gibt es im Austausch mit anderen Projekten ein relativ hohes Niveau, gerade mit Sachen wie Outside The Box oder AFBL, die in der Qualität der Diskussionsführung auf einem ganz anderen Level sind. Das hat man in Berlin in einem wesentlich breiteren Spektrum. Es gibt hier mehr eine queere-homosexuelle Debatte. Letztens bin ich auch von jemandem gefragt worden, der gerade von England nach Leipzig gezogen ist, wo denn die ganze schwule Szene sei. Ich musste lange darüber nachdenken und dann sagen, dass sie mittlerweile alle in Berlin sind.

Den Anspruch habe ich natürlich immer noch, aber ich bin nicht mehr so fixiert darauf. Bei diesem Umzug nach Berlin ging es vor allem einmal um mich und nicht um die Förderung anderer – auch wenn ich das mit dem Booking noch mache. Ich habe über die Jahre immer in einer Gruppenidentität gedacht, und jetzt hat sich der Fokus etwas verlagert. Natürlich achten wir bei unseren Veranstaltungen darauf, dass auch Female-DJs mit am Start sind. Aber dadurch, dass es im ://about blank vier Resident-Female-DJs gibt, ist es viel einfacher als in Leipzig.“

Beobachtest du noch, was in Leipzig passiert.

„Ja. Do it herself gibt es als Gruppe weiterhin. Interessant ist übrigens, dass eine aus der Gruppe in Markkleeberg ein Studio aufgemacht hat. KC hat das von der Stadt Markkleeberg gefördert bekommen. Sie gibt dort auch DJ- und Ableton-Kurse. Andere haben danach ebenfalls angefangen ihre eigenen Sachen zu machen. Die Propellas machen auch noch ab und zu mal was. Der DJ-Proberaum für Frauen im Conne Island wurde laut meinen Informationenen gerade verlegt, wird aber weiterbetrieben.

Überhaupt gibt es von Seiten Einzelner ziemlich viel Aktivität, soweit ich das von hier aus beurteilen kann. Aber ich denke, dass es gerade auch ein Generationsproblem gibt. Es gibt nicht viel Nachwuchs. Das haben wir auch bei Do it herself festgestellt. Unsere Annahme, dass es so etwas wie eine Notwendigkeit dafür gibt, hat sich nicht so recht bestätigt. Natürlich gibt es Nachwuchs, aber der ist sehr dezimiert.

Kurioserweise treffe ich selbst jetzt noch Frauen, die heute auflegen und die mich daran erinnern, dass sie einmal einen Kurs bei mir hatten. Es gibt schon noch einzelne, die sich dafür interessieren, aber in der ganzen Breite hatte es nicht diesen Effekt, den wir erwartet haben. Trotzdem sind solche Projekte wie Electricdress in Berlin oder eben Do it herself in Leipzig wichtig und notwendig und von meiner Seite aus immer unterstützenswert.“

Wenn du jetzt doch noch einmal nach Leipzig zurückziehen würdest – was würdest du zuerst angehen?

„Ich würde mir eine Wohnung außerhalb des Bermudadreiecks suchen und dann weiterschauen. Aber ohne konkreten Job würde ich erstmal nicht nach Leipzig zurückgehen. Dafür gefällt es mir in Berlin viel zu gut. Allein schon die Auswahl der Plattenläden ist so großartig, die Vielfalt der alltäglichen Überraschungen trotz der Routine oder die kulinarische und kulturelle Vielfalt.

Leipzig hat eine starke Kulturszene und viele Menschen die sich subkulturell engagieren. Insgesamt wäre es aber wünschenswert, wenn auch die Stadtpolitik endlich kapieren würde, dass der Charme dieser – sich doch immer noch in Sachsen befindenden – Stadt durch diese starke Subkulturszene geprägt ist.“

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Brockdorff Klang Labor „Die Fälschung der Welt“ (ZickZack)

Fünf Jahre nach „Mädchenmusik“ nun also die „Die Fälschung der Welt“ – das Brockdorff Klang Labor übertrifft sich mit seinem Eklektizismus selbst.

Mit Electro-Pop ist das so eine Sache. Oftmals wird mehr als zuviel in das doch streng verfolgte Strophe-Refrain-Schema gepackt. Aufgedickte Beats, massive Synthie-Schleifen, Gitarren natürlich. Das Brockdorff Klang Labor bewegt sich musikalisch ebenso zwischen Clubexzess und Indie-Pop-Bühne. Und doch ist es etwas anders. Ähnlich wie bei dem Berliner Band-Projekt Mittekill.

Sind es dort jedoch die sarkastisch-bohrenden Satzfetzen, ist es bei dem Leipziger Trio die Fähigkeit mit feinsinnigen Sätzen Salz in Wunden zu streuen, es aber als Zucker zu tarnen. Ohne perfide Absicht. Zeigefinger sieht man bei Nadja von Brockdorff, Sergej Klang und Ekki Labor nie. Dass sie im letzten Jahr mit „Festung Europa“ den Spex-Protestsong-Contest gewannen, ist da wenig verwunderlich.

brockdorff-klang-laborMusikalisch klingen die neuen Stücke noch einmal ausgereifter – amtliches Pop-Business, Wölfe im Schafspelz. Es geht hier über zwölf Songs hinweg schon ganz klar um eine gute Zeit. Aber es gibt beim Brockdorff Klang Labor eben noch eine weitere Ebene, im wortwörtlichen Sinne voller Zitate. Im Innen-Booklet sind sie aufgeführt. Wie ein dramaturgischer Beizettel. Und eine 3D-Papp-Brille liegt bei. Mit ihr wird die Coverfälschung plastisch.

Keine Fälschung ist aber der Label-Code. Wie schon das Debüt erscheint die „Die Fälschung der Welt“ wieder bei der Indie-Label-Legende ZickZack. Und manchmal muss ich mich selbst daran erinnern, dass diese Platte aus Leipzig kommt. Denn sie klingt in ihrer subtil-charmanten Art auch sehr nach Hamburg. Da wo gute Leute herkommen, die etwas zu erzählen haben und ohne rot zu werden große Pop-Songs schreiben und die auf Genres pfeifen. Aber: wer braucht jetzt noch Hamburg?

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Guido Schneider & Florian Schirmacher „Places EP“ (Moon Harbour Recordings)

Guido Schneider mit einer eigenen EP auf Moon Harbour. Schon eine kleine Überraschung. Eine positive.

Beide hatten bereits mit Leipzig zu tun. Schneider mit einem Track auf der letzten „Inhouse“-Compilation und einem Remix für Daniel Stefanik auf Moon Harbour, Schirmacher als Label-Mitbetreiber von FormResonance auf dem Chris Manura schon veröffentlichte. Ihre Zusammenarbeit ist nicht neu. Als Glowing Glisses brachten sie vor zehn Jahren einige Platten auf Pokerflat Recordings heraus.

In erster Linie ist die „Places EP“ aber eine Guido Schneider-EP. Schirmacher ist lediglich bei „In The Toilet“ mit beteiligt gewesen. Einem reduzierten House-Stück, dem das trüb-gelangweilte Pop-Vocal in der Mitte erstaunlich gut steht. Philip Bader von Highgrade zieht das Rave-Level des Tracks leicht an.

Bei den Solo-Tracks von Guido Schneider sticht besonders „Hanna“ heraus. Hauptsächlich wegen der Vocals, die sich lang ausdehnend zu einem kleinem Chor hochschaukeln. Aber ohne Klamauk, oder sakralem Beiklang. Nee, sehr unaufgeregt und trotz ihrer deutlichen Präsenz irgendwie auch zurückhaltend. Ehrlich gesagt der bewegendste Moment auf einer Moon Harbour-Platte seit langem. „Lost“ ist dann wieder gewohntes Tech-House-Terrain mit gehöriger Minimal-Note.

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Imugem Orihasam „The Nippon Express Record 1“ (Statik Entertainment)

Oh, Statik Entertainment ist derzeit wirklich sehr straff auf Techno-Kurs. Nachdem mit Jakob Altmann ein Newcomer gefeatured wurde, kommt jetzt ein japanischer Klein-Hero.

Die Diskografie ist schon gewachsen über die letzten drei Jahre. Insofern kann bei Imugem Orihasam keine Rede von Newcomer sein. Allein 2012 kamen bereits fünf EPs des Japaners heraus. Nun auch bei Statik Entertainment. Der Techno-Kurs zeichnete sich bereits mit Jakob Altmann ab. Auf der „The Nippon Express Record 1“ nimmt er aber eine etwas Ausfahrt. Noch strenger fokussiert einerseits, andererseits auch noch eigenwilliger.

„Breakfast At New Meg’s“ etwa schraubt sich über fast acht Minuten hinweg nur um einen Loop. So bohrend und unnachgiebig und klaustrophobisch. Tief verzahnte, maschinelle Sounds mit Acid-Elementen. Ähnlich auch „Ray Of Ligght Incident On“, wenn auch offener gestrickt und weniger neurotisch. Das spannende an beiden Stücken ist, dass nicht die Bassdrums, sondern die Chords im Vordergrund stehen. Das nimmt ihnen den Brett-Charakter.

Doch es ist nicht nur schroff und dark. Bei „Untitled 280.3“ klingt auch Raster-Noton mit durch. Und zwar in den Basslines und der vertrackten Rhythmik. Den Ambient-Ausklang liefert dann „Cleave“.

Keine leichte Kost insgesamt. Sie braucht Zeit. Und wahrscheinlich die richtige Anlage im richtigen Raum. Wie schon bei Jakob Altmann verknüpft sich Statik Entertainment plausibel mit seinem Digital-Pendant Instabil: Ende des Monats erscheint dort nämlich noch eine EP des Japaners.

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